European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123178
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:
„Das Klagebegehren, es werde mit Wirkung zwischen den Parteien festgestellt, dass das der klagenden Partei im Punkt XIII. des Pachtvertrags vom 2. September 1974 eingeräumte Weitergaberecht aufrecht besteht, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 10.431,48 EUR (darin 1.738,58 EUR USt) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 7.359,22 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 1.166,87 EUR USt und 358 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist die Pächterin einer Liegenschaft der Beklagten, auf der ein Einkaufszentrum betrieben wird. Der Pachtvertrag wurde am 2. 9. 1974 mit der Gesamtrechtsvorgängerin der Klägerin geschlossen.
Punkt XIII. des Pachtvertrags lautet:
XIII. Rechtsnachfolge und Solidarverpflichtung.
Dieser Vertrag geht beiderseits auf Erben und Rechtsnachfolger über. Die darin festgelegten Rechte und Pflichten sind bei einer Personenmehrheit auf einer Vertragsseite zur ungeteilten Hand von jeder Vertragspartei zu fordern und zu leisten.
Bereits mit Vorvertrag vom 17. 5. 1973 vereinbarten die späteren Parteien des Bestandvertrags wegen der beabsichtigten Errichtung eines Warenhauses den Abschluss eines Pachtvertrags nach Vorliegen der rechtskräftigen verwaltungsbehördlichen Bewilligungen. Im Vorvertrag wurden nach dem Einleitungssatz
„Nach Vorliegen der … Bewilligungen sind die Vertragsverparteien verpflichtet, unverzüglich folgenden Pachtvertrag abzuschießen:…“
die Punkte I. bis XVI. des später abzuschließenden Pachtvertrags wortgleich formuliert. Auch der klagsgegenständliche Punkt XIII. des Pachtvertrags findet sich daher bereits im Vorvertrag. Im Vergleich zu den im Vorvertrag enthaltenen Vertragsbestimmungen des Pachtvertrags wurde dieser nur um einen weiteren Punkt XVII. („abschließende Feststellungen“) ergänzt.
Zusätzlich enthält der Vorvertrag unter anderem folgende „Schlussbestimmungen“:
1. Die vorstehend angeführten Punkte XII bis XVI des abzuschließenden Hauptvertrages gelten vollinhaltlich auch für den vorliegenden Vorvertrag.
…
3. Die … [Rechtsvorgängerin der Klägerin] ist berechtigt, ihre Rechte und Pflichten aus diesem Vertrag an eine andere physische oder juristische Person, die im Inland ihren ständigen Wohnsitz oder Sitz hat, zu übertragen, wenn sich die übernehmende physische oder juristische Person den Verpächtern gegenüber schriftlich verpflichtet, alle vorstehenden Vertragsbestimmungen vollinhaltlich und unverändert zu erfüllen.
Eine mit dem zuletzt zitierten Vertragspunkt 3. der Schlussbestimmungen vergleichbare Regel enthält der in der Folge abgeschlossene Pachtvertrag nicht. Es steht nicht fest, ob bzw in welchem Sinn die Vertragsbestimmung XIII. des Pachtvertrags im Zuge der Vertragsverhandlungen erörtert wurde. Insbesondere steht nicht fest, ob mit dieser Klausel nach dem übereinstimmenden Parteiwillen ein beiderseitiges Weitergaberecht vereinbart werden sollte.
Die Bestandrechte der ursprünglichen Pächterin gingen 2009 im Wege der Spaltung auf die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin über (§ 14 Abs 2 Z 1 SpaltG). 2010 wurde der Übergang auf die Klägerin zwischen den Parteien schriftlich festgehalten.
Die Klägerin, die die Veräußerung des Einkaufszentrums beabsichtigt, begehrt die Feststellung wie aus dem Spruch ersichtlich. Nach der Rechtsprechung sei die Formulierung in diesem Vertragspunkt als Weitergaberecht zu beurteilen. Die Gesamtrechtsnachfolge nach der Spaltung habe nicht dazu geführt, dass das Weitergaberecht konsumiert sei. Die Klägerin habe ein rechtliches Interesse an der Feststellung, weil die Beklagte die Zustimmung zur Übertragung der Bestandrechte verweigere.
Die Beklagte verwies auf den Vorvertrag, in dem noch ein ausdrückliches Weitergaberecht vereinbart worden sei, das im Hauptvertrag allerdings fehle. Die Rechtsnachfolgeklausel könne daher nicht im Sinn der Klägerin verstanden werden.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Es qualifizierte den Punkt XIII. als einen Vorwegverzicht auf das Widerspruchsrecht nach § 38 Abs 2 UGB.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung. Es ging jedoch davon aus, dass eine generelle Rechtsnachfolgeklausel nach der Rechtsprechung nur dann nicht als Weitergaberecht aufzufassen sei, wenn entweder ein abweichender, übereinstimmender Parteiwille vorliege oder aber ein Weitergaberecht im Vertrag ausdrücklich separat geregelt sei. Dies sei hier nicht der Fall, weil sich Punkt 3. in den Schlussbestimmungen des Vorvertrages ausschließlich auf den Vorvertrag beziehe.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt. Die ordentliche Revision sei mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage zulässig, ob durch eine generelle Rechtsnachfolgeregelung auch dann ein Weitergaberecht eingeräumt werde, wenn in einem (den gesamten Hauptvertrag vorwegnehmenden) Vorvertrag die Weitergabeproblematik ausdrücklich geregelt worden sei.
Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung im abweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.
1. Bei der Auslegung von Verträgen ist ausgehend vom Wortlaut der Vereinbarung die Absicht der Parteien zu erforschen (RIS-Justiz RS0044358). Lässt sich– wie hier – ein vom objektiven Erklärungswert abweichender Wille der Parteien nicht feststellen (RIS-Justiz RS0017915 [T28], RS0017834, vgl auch RS0017911), ist der Vertrag unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs (RIS‑Justiz RS0017817 [T3], RS0017902) und der Übung des redlichen Verkehrs (RIS-Justiz RS0017781) so auszulegen, wie er für einen redlichen und verständigen Empfänger zu verstehen war (RIS-Justiz RS0113932).
2. Nach der Rechtsprechung werden Rechtsnachfolgeklauseln wie die hier vorliegende bei Fehlen eines abweichenden Parteiwillens als Einräumung eines vertraglichen Weitergaberechts qualifiziert (RIS-Justiz RS0070331; 5 Ob 11/84, 7 Ob 617/89 wobl 1990, 100 [Hanel], 5 Ob 279/99m, 5 Ob 86/00h, ähnlich 5 Ob 365/97f).
3. Ein übereinstimmendes, vom Wortlaut der Vereinbarung abweichendes Verständnis der Parteien auf Tatsachenebene konnte im Anlassfall nicht festgestellt werden. Es ist daher im Rahmen der rechtlichen Beurteilung unter Berücksichtigung des übrigen Vertragsinhalts nach den in Punkt 1 aufgezeigten Grundsätzen zu ermitteln (RIS‑Justiz RS0017911).
4.1 Insoweit das Berufungsgericht Punkt XIII. isoliert beurteilt hat, wurde der zu berücksichtigende Gesamtzusammenhang des Vertrags (RIS‑Justiz RS0017817 [T3], RS0017902) zu wenig beachtet.
4.2 Nach der Entscheidung 5 Ob 100/99p ist gerade bei der Frage, ob das den Rechtsnachfolgeklauseln unterstellte Erklärungsverständnis tatsächlich angenommen werden könne, darauf abzustellen, ob den Vertragsparteien „… die Weitergabeproblematik ... bekannt war“. Dabei sind auch andere Vertragsbestimmungen heranzuziehen (vgl idS auch 5 Ob 190/99y). Nach 5 Ob 11/02g ist es mit der einschlägigen Judikatur unvereinbar, einer generellen Rechtsnachfolgeregelung auch dann die Bedeutung der Einräumung eines Weitergaberechts beizumessen, wenn an anderer Stelle des Vertrags das Problem des Weitergaberechts ausdrücklich geregelt wurde. Diesfalls ist die Rechtsnachfolgeregelung nur als Anordnung zu verstehen, die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten auch jedem Einzelrechtsnachfolger zu überbinden.
4.3 Bei verständiger Würdigung der unter Punkt 4.2 referierten Rechtsprechung ist es nicht entscheidend, ob sich die konkurrierende ausdrückliche Regelung über ein Weitergaberecht in derselben Vertragsurkunde befindet. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob den Vertragsparteien grundsätzlich die Weitergabeproblematik an sich bekannt war und wie sie diese sonst untereinander regelten. Für die Frage, ob den Parteien des Pachtvertrags die Weitergabeproblematik bekannt war oder nicht, kann es aber keinen Unterschied machen, ob sich die ausdrückliche Regelung „nur“ im Vorvertrag findet, zumal dieser hier den gesamten Hauptvertrag vorwegnahm.
4.4 Für den Rechtsstandpunkt der Beklagten spricht auch der Umstand, dass im Vorvertrag die Regelung über das Weitergaberecht zusätzlich zu (dem im Vorvertrag ebenfalls enthaltenen) Punkt XIII. getroffen wurde. Käme bereits Punkt XIII. die Bedeutung eines Weitergaberechts zu, wäre zu diesem Recht die ausdrückliche Regelung in den Schlussbestimmungen des Vorvertrags entbehrlich gewesen.
4.5 Eine Stattgabe des Feststellungsbegehrens kann auch nicht auf die erstgerichtliche Begründung gestützt werden, weil die Feststellungklage auf den aufrechten Bestand eines vertraglichen Weitergaberechts abzielt. Sie ist nicht auf die Feststellung eines Widerspruchsverzichts gegen eine ex lege eintretende Vertragsübernahme bei einer Unternehmensveräußerung gerichtet.
5. Mangels eines aufrechten Weitergaberechts waren die Urteile der Vorinstanzen daher im klagsabweisenden Sinn abzuändern.
6. Die Kostenentscheidung für das erstinstanzliche Verfahren, das Berufungsverfahren und das Revisionsverfahren gründet sich auf § 41 ZPO.
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