OGH 6Ob40/18b

OGH6Ob40/18b28.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Plankel und andere Rechtsanwälte in Dornbirn, gegen die beklagte Partei U*, vertreten durch Dr. Peter Pullez und Dr. Robert Gschwandtner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 7.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 7. November 2017, GZ 44 R 497/17i‑12, womit das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 31. Juli 2017, GZ 4 C 407/17b‑7 (in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 7. August 2017, GZ 4 C 407/17b‑8), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E121463

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 626,52 EUR (104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Ehe zwischen der Klägerin und R*, dem Hauptmieter der verfahrensgegenständlichen Wohnung, wurde rechtskräftig geschieden. Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz war die Frist zur Einbringung eines Aufteilungsantrags im Sinne der §§ 81 ff EheG noch offen. Zwischenzeitig wurde ein solcher Antrag gestellt.

Gestützt auf § 97 ABGB begehrt die Klägerin von der Beklagten, der neuen Lebensgefährtin ihres Ex‑Ehemannes, die Unterlassung des Betretens der Wohnung.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.

Nach Auffassung des Erstgerichts ist der Beklagten kein rechtswidriges Verhalten vorzuwerfen, weil es dem Mieter nach der Scheidung grundsätzlich frei stehe, in der von ihm gemieteten Wohnung von wem auch immer Besuch zu empfangen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Eine Fortwirkung der Ansprüche nach § 97 ABGB setze eine rechtzeitige Antragstellung nach den §§ 81 ff EheG voraus. Diesbezüglich habe die Klägerin jedoch keine Behauptungen aufgestellt.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil zur Frage, ob eine Fortwirkung eines aus § 97 ABGB abgeleiteten Unterlassungsanspruchs generell für die gesamte Dauer des § 95 EheG unabhängig von einer tatsächlichen Antragstellung nach den §§ 81 ff EheG gelte oder voraussetze, dass ein solcher Antrag zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz bereits gestellt wurde, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshofs nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Vorweg ist festzuhalten, dass es im vorliegenden Fall keines Bewertungsausspruchs durch das Berufungsgericht bedurfte. Streitigkeiten nach § 97 ABGB sind unabhängig vom erhobenen Klagebegehren als nicht rein vermögensrechtliche Streitigkeiten anzusehen (RIS‑Justiz RS0129912; 4 Ob 198/14t).

2. Der Anspruch nach § 97 ABGB ist mit Klage im streitigen Rechtsweg selbstständig (also nicht im Scheidungsverfahren oder im Aufteilungsverfahren) durchzusetzen; von diesem Anspruch auf Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses eines Ehegatten nach § 97 ABGB, der durch eine im Streitverfahren einzubringende Klage geschützt werden kann, getrennt ist die im Außerstreitverfahren durchzuführende vermögensrechtliche Auseinandersetzung nach Beendigung der Ehe im Sinne der §§ 81 ff EheG (RIS‑Justiz RS0009580 [T12]).

3.1. Der Anspruch des wohnungsbedürftigen Ehegatten gemäß § 97 ABGB ist grundsätzlich auf die Dauer der Ehe beschränkt; mit deren Auflösung sind die auf dem Eheband beruhenden wechselseitigen Verpflichtungen beendet (RIS‑Justiz RS0047372). Der Anspruch des wohnungsbedürftigen Ehegatten auf Benützung der Wohnung nach § 97 ABGB besteht allerdings nach Ehescheidung bei rechtzeitiger Antragstellung im Aufteilungsanspruch gemäß den §§ 81 ff EheG fort (RIS‑Justiz RS0009580 [T11]). Die Bindung endet aber jedenfalls mit der Beendigung eines Aufteilungsverfahrens nach den §§ 81 ff EheG oder mit dem ungenutzten Ablauf der Frist des § 95 EheG (RIS‑Justiz RS0009580 [T13]). Diese zuletzt genannte Bestimmung legt fest, dass ein Aufteilungsverfahren iSd §§ 81 ff EheG innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft der Scheidung eingeleitet werden muss.

3.2. § 97 ABGB ist auf den Schutz des Wohnbedürfnisses des einen Ehegatten vor nachteiligen Maßnahmen des verfügungsberechtigten anderen Ehegatten gerichtet, wobei es keinen Unterschied machen kann, ob der andere Ehegatte Eigentümer, Wohnungseigentümer, Mitglied einer Genossenschaft oder Mieter ist (RIS‑Justiz RS0047318). Der Zweck des § 97 ABGB besteht darin, den einen Ehegatten in seinem Anliegen auf Sicherung seines Wohnbedürfnisses vor Willkürakten des anderen zu schützen; hiebei soll der Aufgabe von Mietrechten, Rechtsverzichten und bewusst nachteiligem Verkauf von Eigentumswohnungen oder Eigenheimen entgegengewirkt werden (RIS‑Justiz RS0009580).

3.3. Der Bestimmung liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Ehegatte durch die Eheschließung ein Wohnrecht an der ihm nicht oder nicht allein gehörenden Wohnung, die seinem dringenden Wohnbedürfnis dient, erwirbt; die Bestimmung soll diesen Ehegatten in seinem Anliegen auf Sicherung seines Wohnbedürfnisses schützen. Aus ihr wird ein Anspruch des Ehegatten, dem eine Wohnung zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses dient, auf Benützung dieser Wohnung, die nicht die Ehewohnung sein muss, abgeleitet (RIS‑Justiz RS0009580 [T7]). Der Schutz des auf die Wohnung angewiesenen Ehegatten nach § 97 ABGB umfasst daher den (gegen den anderen Ehegatten gerichteten) Anspruch darauf, dass der verfügungsberechtigte Ehegatte nicht derart über die Wohnung verfügt, dass sie dem bedürftigen Gatten ganz oder teilweise entzogen wird (RIS‑Justiz RS0009580 [T8]). § 97 ABGB soll dem berechtigten Ehegatten den räumlichen Lebensbereich erhalten, der ihm bisher zur Deckung der den Lebensverhältnissen der Ehegatten entsprechenden Bedürfnisse diente und den er weiter benötigt (RIS‑Justiz RS0009580 [T15]).

4.1. Der Verfügungsberechtigte hat in Erfüllung seiner Beistandspflichten auch jede einseitige rechtliche oder tatsächliche Veränderung zu unterlassen, die dem auf die Wohnung angewiesenen Ehegatten die Voraussetzungen der Wohnungsnutzung erschwert (RIS‑Justiz RS0009534 [T3]). Der verfügungsberechtigte Ehegatte hat das Interesse des anderen an der Wohnungsnutzung so zu wahren, wie ein verständiger und vorsorglicher Benützer die eigenen Interessen wahren würde (RIS‑Justiz RS0009534 [T4]).

4.2. Typischer Anwendungsfall des § 97 ABGB ist etwa der eigenmächtige Tausch des Türschlosses zur Wohnung (RIS‑Justiz RS0009561); daneben hat der verfügungsberechtigte Ehegatte alles zu unterlassen, was den Bestandgeber berechtigen würde, das der Benützung zugrundeliegende Rechtsverhältnis aufzukündigen oder mit sofortiger Wirkung zu beenden (RIS‑Justiz RS0009549). Als unzulässige Entziehungshandlungen können weiters die Beendigung des der Wohnungsbenützung zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses, wie etwa die Aufkündigung eines Mietverhältnisses, der Verkauf oder die Belastung des Wohnobjekts, aber auch rein tatsächliches Verhalten, wie etwa die Behinderung des Zutritts der Wohnung durch Aussperren oder Anwendung körperlicher Gewalt genannt werden (RIS‑Justiz RS0119483). Aus § 97 ABGB können auch Leistungsansprüche abgeleitet werden, wie zB, dass der verfügungsberechtigte Ehegatte weiterhin die Miete an den Vermieter zu zahlen hat (vgl RIS‑Justiz RS0005961 [T3]; RS0111673).

4.3. Ausnahmsweise können Ansprüche aus § 97 ABGB auch gegen Dritte geltend gemacht werden, wenn diese dolos mit dem verfügungsbefugten Ehegatten zusammenwirken (RIS‑Justiz RS0009660; RS0009553). Schlechtgläubigkeit des Dritten liegt aber nicht erst bei arglistigem Zusammenwirken mit dem über die Wohnung verfügenden Ehegatten vor, sondern schon dann, wenn der Dritte Kenntnis vom dringenden Wohnbedürfnis des auf die Wohnung angewiesenen anderen Ehegatten hat (RIS‑Justiz RS0015114) oder bei gehöriger Aufmerksamkeit Kenntnis haben musste (RIS‑Justiz RS0015114 [T1]). Entgegen dem Standpunkt der Revisionsbeantwortung können gegen Dritte auch Ansprüche auf Unterlassung des bewussten Eingriffs in ein fremdes Forderungsrecht geltend gemacht werden (7 Ob 86/03b; Schwimann/Ferrari in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 97 Rz 17).

4.4. Was das Empfangen von Besuchen betrifft, so ist dieses aus dem familienrechtlichen Mitbenützungsrecht an der Wohnung heraus zulässig; dieses Recht findet aber darin seine Grenze, dass diese Besuche die häusliche Ordnung nicht stören dürfen (RIS‑Justiz RS0009462). So wurde im Fall 6 Ob 54/99f die eigenmächtige dauerhafte Aufnahme der Schwiegermutter des Klägers in die Ehewohnung als rechtswidrig beurteilt. Nach der Judikatur werden die gegenseitigen Verpflichtungen der Ehegatten auch weder durch die Zerrüttung der Ehe noch durch die Wegweisung eines Ehegatten beseitigt. Eine unheilbar zerrüttete Ehe ist aber nicht in demselben Maß schutzwürdig wie eine intakte Ehe: In einem solchen Fall ist das Interesse, dass die (unheilbar zerrüttete) Ehe und das – durch die Wegweisung eines Ehegatten – nur mehr teilweise vorhandene Familienleben nicht durch Besuche eines Dritten gestört werden, gegen das Interesse des Dritten abzuwägen, die Ehewohnung aufzusuchen (RIS‑Justiz RS0009462 [T3]).

4.5. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin vorgebracht, die Beklagte halte sich insbesondere während der Zeit, zu der sich die Klägerin an ihrem Arbeitsplatz befinde, in der Wohnung auf. Der Ex-Ehemann der Klägerin ist Hauptmieter der Wohnung, die Ehe ist inzwischen rechtskräftig geschieden.

4.6. Bei dieser Sachlage können aber die vom Berufungsgericht und der Revision als erheblich bezeichneten Rechtsfragen, ob der Klägerin auch dann Ansprüche nach § 97 ABGB zustehen könnten, wenn ein Aufteilungsverfahren nach §§ 81 ff EheG zwar noch nicht eingeleitet wurde, die Frist hiefür aber noch offen ist und ob die Möglichkeit, ein solches Verfahren anhängig zu machen, eine Sach- oder Rechtsfrage ist, die auch von Amts wegen berücksichtigt werden muss, dahingestellt bleiben: Selbst wenn man die Klägerin nämlich zur Erhebung von Ansprüchen nach § 97 ABGB grundsätzlich für berechtigt erachten würde, läge hier kein Fall von Handlungen oder Unterlassungen vor, die zum Verlust der Wohnung für die Klägerin führen könnten. Das bloße Besuchen des Ex-Ehemanns der Klägerin in der von diesem gemieteten Wohnung kann mit den oben dargestellten Entziehungshandlungen nicht gleichgesetzt werden. Hinzu kommt, dass die Besuche selbst nach dem Klagsvorbringen offensichtlich hauptsächlich zu jener Zeit stattfinden, zu der die Klägerin an ihrem Arbeitsplatz ist, die Ehe mittlerweile geschieden ist und der Ex-Ehemann der Klägerin Hauptmieter der Wohnung ist, sodass auch eine Interessenabwägung zugunsten der Beklagten ausschlagen würde (vgl RIS‑Justiz RS0009462 [T3]).

4.7. Aus diesem Grund kommt auch der Frage keine Bedeutung zu, ob die Klägerin zur Geltendmachung des im Aufteilungsanspruch fortbestehenden Anspruchs nach § 97 ABGB ausdrücklich hätte vorbringen müssen, dass sie die Stellung eines Aufteilungsantrags zumindest beabsichtigt.

5. Zusammenfassend bringt die Revision sohin keine Rechtsfragen der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen war.

6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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