European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00052.17X.0628.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden sowie die Berufung der Noemi T***** werden zurückgewiesen.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil im gemäß § 3 Abs 1 Z 1 und 2, Abs 2 VbVG ergangenen Ausspruch der Verantwortlichkeit des belangten Verbandes für die zu I) und II) angeführten, §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG und §§ 33 Abs 2 lit a, 38 Abs 1 FinStrG unterstellten Taten der Noemi T***** im Umfang des Ausspruchs der Verantwortlichkeit für unter § 38 Abs 1 FinStrG zu unterstellende Taten, demzufolge auch im Ausspruch über die Verbandsgeldbuße aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Salzburg verwiesen.
Der belangte Verband wird mit seiner Berufung auf die Aufhebung des Ausspruchs über die Verbandsgeldbuße verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das der Bestimmung des § 22 Abs 1 und 2 VbVG entsprechend gesondert verkündet (ON 72 S 5 ff, 8 f), aber verfehlt (vgl Danek, WK‑StPO § 270 Rz 1) gemeinsam mit dem Urteil gegen Noemi T***** (ON 73) ausgefertigt wurde, sprach das Gericht aus, dass die N***** GmbH als belangter Verband im Sinn des § 3 Abs 1 Z 1 und 2, Abs 2 VbVG für die (nicht rechtskräftig) als mehrere Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG (I) und nach §§ 33 Abs 2 lit a, 38 Abs 1 FinStrG (II) beurteilten Taten der Noemi T***** mit einem strafbestimmenden Wertbetrag von gesamt 822.887,23 Euro (US 8 f) verantwortlich ist, weil Noemi T***** als unternehmensrechtliche Geschäftsführerin, somit als Entscheidungsträgerin des Verbandes, diese Finanzvergehen rechtswidrig und schuldhaft zu dessen Gunsten und unter Verletzung der diesen als Abgabepflichtigen treffenden abgabenrechtlichen Verpflichtungen begangen hat.
Dabei ging das Erstgericht davon aus, dass Noemi T***** in S***** als für die abgabenrechtlichen Belange verantwortliche unternehmensrechtliche Geschäftsführerin der N***** GmbH im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Salzburg‑Stadt vorsätzlich und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung derartiger Finanzvergehen „eine fortlaufende Einnahme“ zu verschaffen, unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten Abgabenverkürzungen von insgesamt 822.887,23 Euro bewirkte, und zwar
(I) durch Abgabe unrichtiger, nämlich Erlöse nicht erfassender, Steuererklärungen
(1) mit der Erlassung der darauf beruhenden Erstbescheide für die Kalenderjahre 2009 bis 2013 an
a) Umsatzsteuer für das Jahr 2009 um 60.415,79 Euro, für das Jahr 2010 um 73.702,34 Euro, für das Jahr 2011 um 89.959,43 Euro, für das Jahr 2012 um 68.174,89 Euro und für das Jahr 2013 um 83.236,24 Euro sowie an
b) Körperschaftsteuer für das Jahr 2009 um 12.381,44 Euro, für das Jahr 2010 um 28.211 Euro, für das Jahr 2011 um 32.702 Euro, für das Jahr 2012 um 21.326 Euro und für das Jahr 2013 um 22.401 Euro;
(2) durch Nichteinbehaltung und Nichtabfuhr der Kapitalertragsteuer binnen einer Woche nach dem jeweiligen Zufließen der an sie (als Alleingesellschafterin, US 5) ausgeschütteten Kapitalerträge eine Verkürzung an Kapitalertragsteuer von insgesamt 258.340,29 Euro bewirkt, nämlich im Jahr 2009 um (monatlich) 3.038,60 Euro, im Jahr 2010 um monatlich 3.716,07 Euro, im Jahr 2011 um monatlich 4.628,24 Euro, im Jahr 2012 um monatlich 3.228,69 Euro, im Jahr 2013 um (monatlich) 4.105,86 Euro und im Jahr 2014 um monatlich 2.811,08 Euro;
(II) vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG 1994 entsprechenden Voranmeldungen durch Abgabe unrichtiger, nämlich Umsätze nicht erfassender Erklärungen bei gleichzeitiger Nichterfassung der darauf entfallenden Umsatzsteuervorauszahlungen an den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten eine Verkürzung von Umsatzsteuer im Gesamtbetrag von 72.036,78 Euro bewirkt, und zwar von Jänner 2014 bis Dezember 2014 um durchschnittlich monatlich 5.016,72 Euro und von Jänner 2015 bis März 2015 um durchschnittlich monatlich 4.460,71 Euro, wobei sie dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss hielt.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richten sich die identen, auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a, 9 lit b und 10 StPO gestützten und in einem Schriftsatz gemeinsam ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden der Noemi T***** und des belangten Verbandes sowie die auf Z 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Finanzstrafbehörde.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde und zur Berufung der Noemi T*****:
§ 15 Abs 1 zweiter Satz VbVG sieht vor, dass der belangte Verband – selbst bei getrennter Verfahrensführung – auch im Strafverfahren gegen die natürliche Person die Stellung eines Beschuldigten hat, und zwar nicht nur in der Hauptverhandlung, sondern, soweit aus der Verurteilung eine Voraussetzung für seine Verantwortlichkeit abgeleitet werden kann, auch im Rechtsmittelverfahren. Denn mit den Rechten eines Beschuldigten verbindet sich auch die Möglichkeit der Urteilsanfechtung. Eine Rechtsmittellegitimation der natürlichen Person im Verfahren gegen den belangten Verband findet sich hingegen im Gesetz nicht.
Es waren daher die Nichtigkeitsbeschwerde der Noemi T***** (§§ 285a Z 1, 285d Abs 1 Z 1 StPO) und deren Berufung (§§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO; RIS‑Justiz RS0100042; 13 Os 140/15k) schon in nichtöffentlicher Sitzung sofort zurückzuweisen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des belangten Verbandes:
Voranzustellen ist, dass nur die Begehung einer nach einem Bundes‑ oder Landesgesetz mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung durch bestimmte natürliche Personen unter Erfüllung weiterer spezifischer Voraussetzungen (siehe dazu §§ 2 und 3 VbVG) die Verantwortlichkeit des Verbandes auszulösen vermag (§ 1 Abs 1 VbVG; Hilf/Zeder in WK2 VbVG § 1 Rz 3 f). Diese deliktsspezifische Akzessorietät der Haftung des belangten Verbandes (vgl Steininger VbVG § 3 Rz 36 und 48) stellt materiell‑rechtlich einen untrennbaren Zusammenhang zwischen dem Handeln der Entscheidungsträgerin und der Verbandsverantwortlichkeit her (13 Os 140/15k).
Solcherart ist fallbezogen mangels eines (auch gegenüber dem belangten Verband) materiell rechtskräftigen Schuldspruchs (vgl RIS‑Justiz RS0112232) einer natürlichen Person auch die rechtswidrige und schuldhafte Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung durch die Entscheidungsträgerin (§§ 2 Abs 1 Z 1, 3 Abs 2 VbVG) Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde gegen das über den belangten Verband ausgesprochene Urteil und der diesbezüglichen amtswegigen Prüfung (13 Os 140/15k).
Da alle Anklagevorwürfe von den Schuldsprüchen I oder II erfasst werden, ist die „der Ordnung halber“ erhobene Kritik am Fehlen von Freisprüchen im Urteilstenor nicht nachzuvollziehen (RIS‑Justiz RS0120128).
Die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde folgt dem Aufbau des § 281 Abs 1 StPO und in der Reihenfolge den der Sache nach angesprochenen Nichtigkeitsgründen.
Ausdrücklich nicht konstatiert werden konnte, dass die Angeklagte zumindest bedingt vorsätzlich unter Verwendung falscher oder verfälschter Urkunden, nämlich falscher Abrechnungslisten, die eine Weitergabe der vereinnahmten Gelder aus der Prostitution an die jeweiligen Prostituierten belegen sollten, durch Abgabe unrichtiger Abgabeerklärungen eine Verkürzung an Umsatz- und Körperschaftsteuer von insgesamt 317.799,56 Euro bewirkt habe (US 9). Nach den Feststellungen entsprachen die von der Angeklagten weder zum Zweck der Abgabenverkürzung produzierten noch dafür bereitgehaltenen Abrechnungslisten nicht den tatsächlichen Gegebenheiten (US 7 f, 12).
Der unter Bezugnahme auf die Negativfeststellung und den Grundsatz „in dubio pro reo“ erhobene Einwand der Richtigkeit der angefertigten Urkunden verkennt, dass der „Zweifelsgrundsatz“ niemals Gegenstand des Nichtigkeitsgrundes der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO sein kann (RIS‑Justiz RS0102162).
Die zur subjektiven Tatseite und zum Bereithalten falscher oder gefälschter Urkunden getroffene Negativfeststellung und die weitere Konstatierung, wonach die Abfertigungslisten unrichtig waren (US 7), können ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze nebeneinander bestehen ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 438). Der von der Rüge behauptete Widerspruch (Z 5 dritter Fall) der Feststellungen über entscheidende Tatsachen liegt daher nicht vor.
Ob die Prostituierten Getränkeprovisionen erhielten oder ob sie ihren steuerlichen Pflichten nachkamen (US 6 und 7), ist weder für die Schuld‑ noch für die Subsumtionsfrage von Bedeutung (RIS‑Justiz RS0106268) und scheidet damit als Bezugspunkt der Mängelrüge aus.
Der von den Tatrichtern gezogene Schluss vom gezeigten Verhalten auf das diesem zugrunde liegende Wissen und Wollen der Angeklagten (US 14) ist dem Vorwurf der „Scheinbegründung“ (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 5 vierter Fall) zuwider unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0116882).
Der Einwand der Beschwerde, das Erstgericht habe die Verantwortung der Angeklagten unberücksichtigt gelassen (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 5 zweiter Fall), trifft nicht zu (US 11 ff).
Soweit die Rüge behauptet, das Erstgericht habe für die Darstellung der Beschwerdeführerin sprechende (entlastende) Aussagen von Prostituierten übergangen (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 5 zweiter Fall), aber weder als Zeugen vernommene Personen namentlich nennt noch die Fundstelle übergangener Aussagen im Protokoll über die Hauptverhandlung konkret bezeichnet, entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung (RIS‑Justiz RS0124172 [T4]).
Gleiches gilt für die Kritik am vermeintlichen Fehlen einer
Begründung der Feststellungen (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 5 vierter Fall) zur Abgabenschuld, zum Erzielen von Einnahmen und zur Höhe der Einkünfte der N***** GmbH aus den sexuellen Dienstleistungen, weil sie nicht an den diesbezüglichen Urteilserwägungen (US 11 f, 13 f) Maß nimmt (RIS‑Justiz RS0119370).
Dem Urteilssachverhalt zufolge wurde das von den Freiern pro Stunde bezahlte Entgelt zwischen der N***** GmbH und den „Mädchen“ nach einem vom Unternehmen vorgegebenen Schema aufgeteilt, wobei die Angeklagte als Geschäftsführerin der N***** GmbH die dem Unternehmen aus der Prostitution zugekommenen Erlöse gegenüber dem Finanzamt weder erklärte noch versteuerte und dadurch in den Jahren 2009 bis 2013 die im Urteil im Detail aufgeschlüsselte Verkürzung von Abgaben bewirkte (vgl dazu US 6, 7, 8).
Die Behauptung eines Rechtsfehlers (nominell Z 5, der Sache nach Z 9 lit a) zufolge vollständiger Entrichtung der Abgaben orientiert sich nicht an den gegenteiligen Feststellungen (US 7) und verfehlt solcherart den
Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).
Das auf Einnahmen der Prostituierten bezogene Vorbringen (nominell Z 5, der Sache nach Z 9 lit a) entzieht sich einer meritorischen Erwiderung, weil es keinen Bezug zu den dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen erkennen lässt. Weshalb die der N***** GmbH nach der Aufteilung verbliebenen Einnahmen (vgl US 6 f) abgabenrechtlich nicht ihr, sondern den Prostituierten zuzurechnen seien, erklärt die Rüge nicht.
Soweit die Beschwerde in Ansehung der subjektiven Tatseite einen substanzlosen Gebrauch der verba legalia behauptet (Z 9 lit a), legt sie nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar, warum es den auf US 8 und 9 getroffenen Feststellungen am gebotenen
Sachverhaltsbezug fehlen sollte (RIS‑Justiz RS0119090).
Soweit die Rechtsrüge Feststellungen zum „vorsatzausschließenden Tatbildirrtum“ (Z 9 lit a) und zur „irrtümlichen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts“ (Z 9 lit b) vermisst, wendet sie sich unzulässig (RIS‑Justiz RS0099810) gegen die zur subjektiven Tatseite getroffenen Konstatierungen (US 8 und 9).
Die Subsumtionsrüge (Z 10) behauptet in Bezug auf die von § 38 Abs 1 lit a FinStrG geforderte Absicht, sich durch die wiederholte Begehung der Tat eine „fortlaufende Einnahme“ zu verschaffen, einen substanzlosen Gebrauch der verba legalia. Sie legt aber nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar, weshalb die über eine Zeitspanne von mehreren Jahren konstatierte Absicht der – an der N***** GmbH sämtliche Anteile inne habenden (US 5) – Angeklagten, sich „von Beginn an“ (US 9) durch Verschweigen der Prostitutionserlöse in fünf aufeinanderfolgenden Jahressteuererklärungen und in 15 darauf folgenden Voranmeldungen der Monate Jänner 2014 bis März 2015 (in die sie diese ebenfalls nicht aufnahm) sowie durch Verschweigen der an sie in den Zeiträumen 2009 bis Dezember 2014 geflossenen Gewinnausschüttungen von insgesamt mehr als 258.000 Euro eine für längere Zeit wirksame Einnahme zu verschaffen (US 9 iVm US 5, 6, 7, 8), der von § 38 Abs 1 FinStrG (aF) verlangten zeitlichen Intention nicht genügen sollte (vgl dazu RIS‑Justiz RS0089670; RS0107402; Lässig in WK 2 FinStrG § 38 Rz 2). Der Vorwurf substanzlosen Gebrauchs der verba legalia lässt im Übrigen den vom Erstgericht durch Bezugnahme auf die einzelnen Taten („handelte jeweils“) hergestellten Sachverhaltsbezug außer Acht (US 9) und entzieht sich auch solcherart einer meritorischen Erwiderung.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Finanzstrafbehörde:
Das Wesen der Subsumtionsrüge (Z 10) besteht darin, anhand methodischer Ableitung aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565 und RS0116569) darzulegen, dass der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt (RIS‑Justiz RS0099810) eine von der bekämpften Entscheidung abweichende rechtliche Beurteilung verlange. Demgegenüber erschöpft sich die Beschwerde darin, die tatrichterlichen Konstatierungen, insbesondere die Negativfeststellungen zur subjektiven Tatseite in Bezug auf Tatbestandselemente des § 39 Abs 1 FinStrG (US 9 ff), anhand eigener Erwägungen zur Führung mehrerer und zur Entsorgung bestimmter Listen zu bestreiten. Mit der Behauptung, die tatrichterliche Begründung sei lebensfremd und würde nicht den gewöhnlichen Abläufen des wirtschaftlichen Geschäftsverkehrs entsprechen, bekämpft die Rüge nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung die Beweiswürdigung des Schöffengerichts.
Demzufolge waren die Nichtigkeitsbeschwerden bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Zur amtswegigen Maßnahme:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass das Gesetz zum Nachteil der Angeklagten und damit auch zum Nachteil des dafür verantwortlich erklärten Verbandes unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
Der angefochtenen Entscheidung ist nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit zu entnehmen, ob das Erstgericht das zur Zeit der Taten oder das zur Zeit seiner Entscheidung geltende Recht angewendet hat (vgl US 1, 9, 14). Eine Unterstellung der Taten der Angeklagten unter die Qualifikationsnorm des § 38 FinStrG idF BGBl I 2015/163 trägt die Entscheidung jedenfalls nicht.
§ 4 Abs 2 FinStrG ordnet (anders als § 61 StGB) grundsätzlich die Anwendung des Tatzeitrechts an, es sei denn, die im Urteilszeitpunkt geltende Rechtslage wäre günstiger. Hinsichtlich der Qualifikationsnorm des § 38 FinStrG sind Tatzeitrecht die Fassungen BGBl I 2005/103 und BGBl I 2012/112, wobei diese keine hier subsumtionsrelevanten Unterschiede aufweisen.
Gewerbsmäßigkeit verlangte jeweils die Absicht des Täters, sich durch die wiederkehrende Begehung der in Rede stehenden strafbaren Handlung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.
Die nach dem AbgÄG 2015 BGBl I 2015/163 geltende Fassung des § 38 FinStrG verlangt dagegen (in Abs 2) die Absicht des Täters, sich durch die wiederkehrende Begehung des in Rede stehenden Finanzvergehens einen nicht bloß geringfügigen fortlaufenden abgabenrechtlichen Vorteil zu verschaffen, und setzt zudem voraus, dass der Täter entweder unter Einsatz besonderer Fähigkeiten oder Mittel gehandelt hat, die eine wiederkehrende Begehung nahelegen oder dass dieser zwei weitere solche Taten schon im Einzelnen geplant hat oder bereits zwei solche Taten begangen hat oder einmal wegen einer solchen Tat bestraft worden ist. Da die Entscheidung diesbezüglich keine Konstatierungen enthält (vgl US 9), fehlt dem Günstigkeitsvergleich und damit auch der Subsumtion nach § 38 FinStrG die Feststellungsbasis.
Zumal der Angeklagten fallbezogen als Geschäftsführerin einer GmbH bewirkte Abgabenverkürzungen zur Last liegen, sei darauf hingewiesen, dass auch § 38 FinStrG in der Fassung BGBl I 2015/163 die Absicht verlangt, sich einen Vorteil zu verschaffen. Durch die Absicht, (bloß) einem Dritten – also beispielsweise dem vom Täter vertretenen Unternehmen – den vom Gesetz verlangten Vorteil zu verschaffen, wird der Qualifikationstatbestand nicht erfüllt (RIS‑Justiz RS0092444 [T2]; Lässig in WK2 FinStrG § 38 Rz 2). Anders als nach früherer Rechtslage (vgl RIS‑Justiz RS0086571, RS0086573 und RS0086909) scheidet aber nunmehr die Absicht, sich mittelbar über die Beteiligung an dem von der Abgabenverkürzung profitierenden Unternehmen einen Vermögensvorteil zu verschaffen, als qualifikationsbegründend iSd § 38 FinStrG aus, weil diese Norm in der Fassung BGBl I 2015/163 die Absicht verlangt, sich einen (nicht bloß geringfügigen fortlaufenden) abgabenrechtlichen Vorteil zu verschaffen (vgl auch Fellner, FinStrG § 38 Rz 14).
Aufgrund des aufgezeigten Rechtsfehlers war die angefochtene Entscheidung – im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden in der Subsumtion der Noemi T***** angelasteten Finanzvergehen nach § 38 FinStrG sowie demzufolge auch der diesbezügliche Ausspruch der Verantwortlichkeit des belangten Verbandes von Amts wegen schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben (§ 285e StPO iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO). Dies hatte die Aufhebung des Ausspruchs über die Verbandsgeldbuße zur Folge.
Mit seiner Berufung war der belangte Verband auf diese Entscheidung zu verweisen.
Eine Kostenentscheidung konnte mangels Verpflichtung des belangten Verbandes zum Kostenersatz im erstinstanzlichen Verfahren nicht erfolgen (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 2 f).
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