European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0090OB00031.17Z.0628.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
I. Das Berufungsgericht hat die Revision zur Frage zugelassen, ob das Aufrechnungsverbot des § 1440 S 2 ABGB, dem Standpunkt des Beklagten entsprechend, nur über Einrede zu berücksichtigen sei. Die Revision des Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruch unzulässig. Die Begründung kann sich auf die Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
II. Der Beklagte behob von einem ausschließlich auf seine Mutter lautenden Konto kurz nach ihrem Ableben einen Betrag von 10.000 EUR. Davon bezahlte er die Kosten der Bestattung, des Grabsteins und andere Rechnungen und verwendete den Restbetrag von 4.036,99 EUR für sich selbst. Der Nachlass war überschuldet.
Die klagende Verlassenschaft begehrte die (Rück‑)Zahlung von 10.000 EUR sA. Der Beklagte wandte eine Gegenforderung für erbrachte Pflegeleistungen in einer den Klagsbetrag übersteigenden Höhe ein. Dem hielt die Klägerin ua entgegen, dass die Gegenforderung gegen den Anspruch der Verlassenschaft auf Rückzahlung der widerrechtlich behobenen 10.000 EUR nicht aufgerechnet werden könne. Der Kläger hätte den gesamten Betrag an die Verlassenschaft zurückstellen und seine Forderungen im Verlassenschaftsverfahren anmelden und belegen müssen. Eine prozessuale Aufrechnung mit dem Klagsbetrag sei nicht zulässig (ON 26 S 2, 4).
Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung als zu Recht und die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend und verpflichtete den Beklagten zur Zahlung.
Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Beklagten teilweise Folge und änderte das Urteil dahin ab, dass sein Antrag, gegen die Klagsforderung mit einer Gegenforderung aufzurechnen, abgewiesen wurde.
In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils dahin, dass das Klagebegehren infolge der Aufrechnung abgewiesen werde.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist unzulässig , weil zur Frage der einredeweisen Geltendmachung des Aufrechnungsverbots nach § 1440 S 2 ABGB ausreichend höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliegt und sie vom Berufungsgericht zutreffend angewandt wurde.
1. Inhalt der prozessualen Aufrechnungseinrede ist die Einwendung einer Gegenforderung des Beklagten mit dem Ziel, die Aufrechnung mit der Klageforderung im Wege einer Gerichtsentscheidung über Bestand und Aufrechenbarkeit der Gegenforderung herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0033911). Eine prozessuale Aufrechnungseinrede kann nur Erfolg haben, wenn die Aufrechnung nach materiellem Recht zulässig ist (10 Ob 58/13x). § 1440 S 2 ABGB beinhaltet ein Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsverbot für Fälle, in denen etwas zurückzustellen ist, das dem Berechtigten eigenmächtig oder listig entzogen wurde, also für Sonderfälle vorwerfbarer Handlungen (s RIS‑Justiz RS0103256; Holly in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.02 § 1440 Rz 8). Dass die hier erfolgten Kontobehebungen von diesem Aufrechnungsverbot erfasst werden, wird vom Beklagten nicht mehr in Zweifel gezogen.
2. Nach dem Rechtssatz RIS‑Justiz RS0033798 ist das Aufrechnungsverbot des § 1440 ABGB nur über Einrede zu berücksichtigen. Den vier diesem Rechtssatz zugrunde liegenden Entscheidungen lagen jeweils Konstellationen zugrunde, in denen die Unzulässigkeit der Aufrechnung im erstinstanzlichen Verfahren in keiner Weise angesprochen wurde. In der Entscheidung 1 Ob 54/60 wurde das Einverständnis des Klägers zur Aufrechnung bzw Verrechnung der Ansprüche für den Fall, dass die Kostenforderung des Beklagen zu Recht bestünde, als Verzicht auf die allfällige Einwendung eines Aufrechnungsverbots gesehen. In den Entscheidungen 1 Ob 615/93, 3 Ob 315/00w und 7 Ob 87/12p wurden die Gegenforderungen im erstinstanzlichen Verfahren nur inhaltlich bestritten; die jeweilige Berufung auf die Unzulässigkeit einer Aufrechnung nach § 1440 S 2 ABGB erfolgte erstmals in den Berufungen bzw im an den Obersten Gerichtshof gerichteten Rekurs. Zu 1 Ob 615/93 wurde dazu festgehalten, „selbst ein Sachvorbringen der Klägerin, woraus sich diese Einrede mit hinreichender Deutlichkeit ergeben könnte, liegt nicht vor“. Auch in der Entscheidung 7 Ob 87/12p wurde die Notwendigkeit eines diesbezüglichen Parteienvorbringens der Klagsseite erwähnt.
3. Aus den Entscheidungen 5 Ob 535/95, 5 Ob 127/06x ist für den Beklagten nichts gewonnen, weil darin für die Berücksichtigung des Kompensationsverbots bei Rückforderung einer verbotenen Ablöse bereits die Berufung auf § 27 Abs 1 Z 1 MRG als ausreichend angesehen wurde. Ein expliziter Einwand des Kompensationsverbots wurde als entbehrlich erachtet (s auch RIS‑Justiz RS0103255; Holly in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.02 § 1440 Rz 10). Die Entscheidung 4 Ob 9/07p ist insofern nicht einschlägig, als der beklagte Rechtsvertreter im Zuge des Verfahrens Geldbeträge gerichtlich hinterlegt hatte, womit das Aufrechnungsverbot des § 19 Abs 3 RAO einer prozessualen Aufrechnungseinrede des Beklagten nicht mehr im Wege stand. Zusammenfassend geht aus dieser Rechtsprechung hervor, dass das Aufrechnungsverbot des § 1440 S 2 ABGB bei entsprechendem Vorbringen auch ohne ausdrücklichen Einwand berücksichtigt werden kann.
4. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren die Gegenforderung des Beklagten nicht nur inhaltlich bestritten, sondern auch die Unzulässigkeit ihrer Geltendmachung wegen der widerrechtlichen Behebung des Klagsbetrags vom Konto der Verstorbenen eingewandt. Wenn das Berufungsgericht der Ansicht war, dass die Klägerin damit die für die Anwendung des § 1440 S 2 ABGB notwendigen Tatsachengrundlagen ausreichend vorgebracht hat, so ist dies nicht weiter zu beanstanden. Dass die Bestimmung von den Vorinstanzen geprüft und ihre Anwendung hier auch bejaht wurde, ist danach nicht weiter korrekturbedürftig.
5. Mangels einer erheblichen Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision danach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO; die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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