OGH 4Ob9/07p

OGH4Ob9/07p20.3.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Durmus G*****, vertreten durch Dr. Stefan Kornberger, Rechtsanwalt in Innsbruck, als bestelltem Verfahrenshelfer gegen die beklagte Partei Dr. Walter L*****, wegen EUR 14.165,19 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 28. September 2006, GZ 2 R 124/05k-31, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 2. März 2005, GZ 11 Cg 160/03g-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 812,52 EUR (darin 135,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der türkischstämmige Kläger war am 18. 10. 1999 an einem Verkehrsunfall beteiligt und wandte sich an den Beklagten, damit dieser als sein Rechtsvertreter seine Ansprüche und die Ansprüche seiner Gattin gegenüber dem Unfallgegner sowie der gegnerischen Haftpflichtversicherung geltend mache. Zunächst teilte der Kläger dem Beklagten mit, über eine Rechtsschutzversicherung zu verfügen. Dies stellte sich in der Folge als unzutreffend heraus, weil infolge Zahlungsrückstands an Prämien kein Versicherungsschutz bestand. Der Beklagte teilte dem Kläger zunächst mit, dass die Sachlage aus seiner Sicht günstig erscheine. Auf eine Frage des Klägers nach den Kosten erklärte der Beklagte, dass sich für den Fall des Obsiegens im Verfahren keine Kostenfrage stelle, weil diesfalls die Prozesskosten vom Gegner zu ersetzen seien; die Beigebung eines Verfahrenshilfeanwalts sei bei entsprechenden Voraussetzungen möglich, in diesem Fall werde jedoch eine Vertretung durch ihn nicht erfolgen. Sollte der Kläger die Vertretung durch den Beklagten wünschen, bestehe grundsätzlich ein Kostenrisiko, das jedoch wegen der damals als günstig einzuschätzenden Aussichten nicht unmittelbar drohe. Letztlich erklärte der Kläger, er wünsche eine Vertretung durch den Beklagten.

Der Beklagte brachte in der Folge namens des Klägers eine Klage samt Verfahrenshilfeantrag für die Begünstigungen nach § 64 Abs 1 lit a bis c ZPO ein. Dieser Antrag wurde bewilligt. Im Verfahren ergaben sich unterschiedliche Sichtweisen zweier Sachverständiger zur Frage allfälliger psychischer Beeinträchtigungen des Klägers als Folge des Unfalls. Daraufhin erklärte der Beklagte dem Kläger, dass naturgemäß bei einander widersprechenden Gutachten ein erhebliches Prozesskostenrisiko zufolge unklarer Beweislage bestehe. Das Verfahren endete schließlich mit einer Teilabweisung in erheblichem Umfang. Die gegnerische Haftpflichtversicherung überwies dem Beklagten für den Kläger insgesamt 23.687,05 EUR. Die vom Beklagten für sein Einschreiten verzeichneten Kosten betrugen insgesamt 22.651,60 EUR.

Bei einer Besprechung zwischen den Streitteilen am 12. 8. 2003 in Anwesenheit eines als Dolmetscher für den Kläger auftretenden Dritten teilte der Beklagte dem Kläger die Höhe seiner Kosten für die Vertretung mit und erklärte, ihm einen Kostennachlass in nicht unerheblicher Höhe zukommen zu lassen. Bei diesem Gespräch legte der Beklagte dem Kläger eine handschriftliche Abrechnung nachstehenden Inhaltes vor:

"1) Zahlungen Versicherung:

4.989,50

9.656,94

9.040,61

23.687,05

2) Kosten:

I. Instanz 19.234,86

II. Instanz 3.416,74

22.651,60"

Nicht feststellbar war, ob der Beklagte dem Kläger bei dieser Gelegenheit auch das detaillierte Kostenverzeichnis in Kopie vorlegte (zweites Blatt zu Beilage ./4). Der Beklagte sagte dem Kläger, es ergebe sich aus einer Verrechnung der wechselseitigen Ansprüche nur ein Differenzbetrag von 1.035,45 EUR zu dessen Gunsten; er sei jedoch bereit, dem Kläger einen Nachlass von 5.621,49 EUR auf den Honoraranspruch zu gewähren. Der Kläger war sehr entrüstet, den Prozess verloren zu haben. Er machte dem Beklagten Vorwürfe, Berufung erhoben zu haben und meinte, „sie [offenbar die beteiligten Anwälte] hätten sich das Geld untereinander aufgeteilt". Der Kläger war so wütend, dass er fast handgreiflich geworden wäre. Er verstand trotz mehrerer Erklärungsversuche des Beklagten den Verfahrensausgang nicht und wollte das Ergebnis nicht wahrhaben. Letztlich übergab der Beklagte dem Dolmetscher die zuvor wiedergegebene Abrechnung; Letzterer bestätigte deren Übernahme mit seiner Unterschrift. Der Kläger hatte sich zuvor geweigert, die Abrechnung zu übernehmen; er berief sich in diesem Gespräch jedoch nicht darauf, dass der Beklagte ihm eine kostenlose Vertretung zugesichert habe. Nicht feststellbar war, ob der Kläger gegenüber dem Beklagten damals erklärte, mit dessen Abrechnung nicht einverstanden zu sein, oder es sei das Honorar nicht ordnungsgemäß verzeichnet worden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, ob der Beklagte dem Kläger zugesichert hatte, er werde für ihn kostenlos einzuschreiten, es werde für ihn infolge Verfahrenshilfe keinesfalls ein Kostenaufwand entstehen, er garantiere das Obsiegen im Prozess.

Unbestritten blieb, dass der Beklagte zu 1 Nc 48/03v des BG Landeck einen mit 4. 9. 2003 datierten Hinterlegungsantrag betreffend 6.656,94 EUR (Verrechnungsguthaben) gestellt hatte (Beil./9), weil ihm die Bankverbindung des Klägers unbekannt war; am 17. 9. 2003 überwies der Beklagte jenen Betrag mit Postanweisung an die Gattin des Klägers (Einspruch ON 3 S 4 f). Davon wurden - unter Abzug der Postgebühr - 6.643,54 EUR ausgezahlt.

Der Kläger begehrte mit am 6. 11. 2003 eingelangter Klage 14.165,19 EUR sA. Im Zuge seiner Vertretung seien dem Beklagten Versicherungsleistungen in Höhe von 23.687,05 EUR zugeflossen; davon habe er nur 6.643,54 EUR an ihn weitergeleitet. Unter Anrechnung dieses Betrags sowie eines gerichtlichen Kostenzuspruchs „für die Ehefrau des Beklagten" (gemeint: des Klägers) von 2.878,32 EUR ergebe sich der Klageanspruch. Der Beklagte habe zugesagt, ihn und seine Frau kostenlos auf Basis von Verfahrenshilfe zu vertreten; er habe einen Hinweis auf ein erhebliches Kostenrisiko unterlassen. Den Wortlaut des unterschriebenen Antragsformulars für Verfahrenshilfe habe er vorher nicht gelesen und hätte ihn mangels ausreichender Kenntnis der deutschen Sprache auch nicht verstanden. Der Beklagte wendete ein, eine kostenlose Vertretung des Klägers nicht zugesagt zu haben. Dieser habe ihm trotz Aufforderung keine Bankverbindung zur Weiterleitung eingegangener Versicherungsleistungen bekanntgegeben. Deshalb seien Kosten von 872,52 EUR für Korrespondenz und den Antrag auf gerichtliche Hinterlegung der Abrechnungsdifferenz entstanden, die gegen die Klagsforderung aufrechnungsweise eingewendet würden (AS 15). Am 21. 7. 2004 habe der Beklagte zu 1 Nc 38/04z des BG Landeck einen [weiteren] Hinterlegungsantrag, diesmal über 14.165,19 EUR, eingebracht; dieser Erlag sei mit Verwahrauftrag vom 19. 8. 2004 angenommen und der Erlagsbetrag an die Verwahrungsabteilung beim OLG Innsbruck eingezahlt worden (Schriftsatz ON 17 vom 4. 11. 2004, AS 124). Der Kläger habe ihm gegenüber stets den Eindruck erweckt, er sei mit dem Einbehalt von Zahlungen und der vorgenommenen Abrechnung einverstanden. Da eine kostenlose Vertretung nicht zugesagt worden sei, werde nunmehr eine „materiell-rechtliche Aufrechnung gegenüber dem Kläger" durchgeführt und der Betrag von EUR 14.165,19 „kompensando gegen die Klagsforderung" eingewendet (Schriftsatz ON 17 vom 4. 11. 2004, AS 127, vorgetragen in der Verhandlung vom 16. 11. 2004).

Der Kläger hat die auf einen Honoraranspruch gestützte Gegenforderung ohne näheres Vorbringen bestritten (Verhandlung vom 16. 11. 2004, ON 18, AS 131).

Das Erstgericht wies das Klagebegehren - auch im zweiten Rechtsgang - ab. Der Beklagte sei gemäß § 19 RAO berechtigt gewesen, die von der gegnerischen Haftpflichtversicherung eingegangenen Beträge mit seiner Honorarforderung zu verrechnen. Ein Aufrechnungsverbot bestehe nur bei vom Mandanten bestrittenen Honorarforderungen. Der Kläger habe den Honoraranspruch nicht bestritten; dessen Erklärung, mit dem Ergebnis der Abrechnung nicht einverstanden zu sein, sei keine Bestreitung der Honorarforderung iSd zitierten Norm. Infolge wirksamer außergerichtlicher Aufrechnung sei das Klagebegehren unberechtigt.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil mit der Maßgabe, dass es mittels dreigliedrigen Spruchs erkannte, die Klagsforderung bestehe mit 14.165,19 EUR und die eingewendete Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung zu Recht; als Ergebnis dessen wies es das Klagebegehren ab; es sprach - auf Antrag des Klägers gem § 508 Abs 1 ZPO - letztlich aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob das Aufrechnungsverbot des § 19 Abs 3 RAO einer prozessualen Aufrechnung auch dann entgegenstehe, wenn der klagende Aufrechnungsgegner den Honoraranspruch des Beklagten, mit dem aufgerechnet werden solle, weiterhin bestreite, obwohl dessen Richtigkeit nach den Verfahrensergebnissen bereits feststehe. § 19 Abs 1 RAO berechtige den Anwalt zur wechselseitigen Tilgung einander gegenüberstehender Forderungen durch einseitige Erklärung. Aufrechnen könne der Rechtsanwalt mit seiner vom Mandanten nicht bestrittenen Kostenforderung gegen dessen aufgrund des Bevollmächtigungsvertrags bestehende Forderung auf Ausfolgung der für ihn eingegangenen Beträge. Der Kläger habe die Honorarforderung des Beklagten zwar nicht ausdrücklich bestritten; nach dem gesamten Verlauf der Besprechung vom 12. 8. 2003 sei das Verhalten des Klägers aber so zu werten, dass der Beklagte von einer unbestrittenen Honorarforderung nicht habe ausgehen dürfen. Die Diskussionen über den Prozessausgang, die Empörung des Klägers darüber sowie der Umstand, dass Letzterer die Annahme der ohnehin nur pauschalen Abrechnung des Beklagten verweigert habe, seien gesamthaft so zu verstehen gewesen, dass der Kläger mit dieser Abrechnung nicht einverstanden sei. Der Beklagte sei daher nicht berechtigt gewesen, nach § 19 Abs 1 RAO seine Honorarforderung mit dem Ausfolgungsanspruch des Klägers zu verrechnen. Wegen des durch die implizit bestrittene Honorarforderung bestehenden Aufrechnungsverbots gemäß § 19 Abs 3 RAO mangle es an einer wirksamen Aufrechnung; dem in § 19 Abs 3 RAO normierten Hinterlegungsgebot sei der Beklagte indes im Verlauf des Verfahrens nachgekommen. Aufgrund der damals unwirksamen Aufrechnung bestehe der Ausfolgungsanspruch des Klägers grundsätzlich noch. Daraus sei für ihn im Ergebnis aber nichts zu gewinnen. Der Beklagte habe dem Kläger nämlich keine unentgeltliche Vertretung zugesagt. Er habe daher aufgrund des Vollmachts- und Auftragsverhältnisses einen Honoraranspruch für die Vertretung des Klägers vor Gericht. Dieser Anspruch stehe der Höhe nach mit 22.651,60 EUR fest. Berücksichtige man den dem Kläger zugesagten Nachlass von 5.621,49 EUR, verbleibe immer noch eine Restforderung des Beklagten in Höhe des restlichen Ausfolgungsanspruchs des Klägers. Diesen dem Grunde und der Höhe nach berechtigten Honoraranspruch habe der Beklagte der Klagsforderung aufrechnungsweise entgegengehalten, sodass das Klagebegehren im Ergebnis zu Recht abgewiesen worden sei. Das Aufrechnungsverbot des § 19 Abs 3 RAO sowie der Umstand, dass der Kläger nach wie vor die Berechtigung des Honoraranspruchs des Beklagten bestreite, hindere die prozessuale Aufrechnung nicht, weil sich dieses Aufrechnungsverbot sinnvollerweise nur auf eine außergerichtliche Aufrechnung beziehen könne.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt. Der Kläger macht geltend, das Berufungsgericht gehe ohne Beweisaufnahme und aktenwidrig davon aus, dass der Beklagte dem in § 19 Abs 3 RAO angeordneten Hinterlegungsgebot im Verlauf des Verfahrens nachgekommen sei. Davon abgesehen hindere jene Bestimmung eine außergerichtliche und prozessuale Aufrechnung dann, wenn der Rechtsanwalt seine sofortige Auszahlungsverpflichtung bei Verzicht auf Gerichtserlag - wie hier - missachtet habe. § 19 RAO bliebe weitgehend wirkungslos, wollte man dem Rechtsanwalt, dessen Honorar bestritten werde, im Prozess auf Auszahlung des von ihm einbehaltenen Fremdgelds eine Aufrechnung mit dem bestrittenen Honoraranspruch ermöglichen, obwohl er die Aufrechnungslage eigenmächtig (weil entgegen § 19 Abs 3 RAO) herbeigeführt habe. Eigenmächtig einbehaltene Geldbeträge seien auch sonst kein Gegenstand der Aufrechnung (§ 1440 Satz 2 ABGB).

1. Das Vorbringen des Beklagten, er habe am 21. 7. 2004 zu 1 Nc 38/04z einen [weiteren] Hinterlegungsantrag über einen der Klagsforderung entsprechenden Betrag beim BG Landeck eingebracht, der auch angenommen worden sei, wurde vom Kläger nicht substanziiert bestritten. Das Berufungsgericht durfte daher diesen Sachverhalt als zugestanden (§ 267 Abs 1 ZPO) seiner Entscheidung zu Grunde legen (siehe dazu RIS-Justiz RS0039927); darin liegt weder ein Verfahrensfehler noch eine Aktenwidrigkeit.

2.1. § 19 Abs 1 RAO normiert eine Ausnahme von der Pflicht des Rechtsanwalts zur unverzüglichen Ausfolgung eingehender Beträge an seinen Mandanten. Danach ist der Rechtsanwalt berechtigt, von den für seine Partei von Dritten bei ihm eingegangenen Barschaften die Summe seiner Auslagen und seines Verdienstes, insoweit sie durch erhaltene Vorschüsse nicht gedeckt sind, in Abzug zu bringen, ist jedoch schuldig, sich hierüber sogleich "mit seiner Partei zu verrechnen". Die Bestimmung verbindet somit das Kompensationsrecht des Rechtsanwalts mit der schon nach § 1012 ABGB ganz allgemein für den Auftragnehmer bestehenden Rechnungslegungspflicht (1 Ob 55/98i = SZ 71/155 mwN; 8 Ob 194/01i = SZ 2002/25).

2.2. Beim Abzugsrecht nach § 19 Abs 1 RAO handelt es sich daher inhaltlich um ein Aufrechnungsrecht, somit um die Befugnis zur wechselseitigen Tilgung einander gegenüberstehender Forderungen durch einseitige Erklärung (Jahoda, Zur Frage der Erlagsbefugnis gem § 19 Abs 3 RAO und des Kostenersatzes in eigener Sache, AnwBl 1982, 191 ff; Heidinger in Schwimann, ABGB³ § 1440 Rz 11). Zur Aufrechnung gelangt die unbestrittene Kostenforderung des Rechtsanwalts gegen den Anspruch des Mandanten auf Ausfolgung der aus Leistungen Dritter vereinnahmten Beträge (Heidinger aaO).

2.3. § 19 RAO regelt das Aufrechnungsrecht des Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten nicht abschließend. Diese Norm lässt somit das allgemeine Kompensationsrecht nach den §§ 1438 ff ABGB unberührt. Diese allgemeinen Aufrechnungsregeln finden somit bei Auslegung des § 19 Abs 1 RAO und damit auch bei Beurteilung des vom Rechtsanwalt ausgeübten Aufrechnungsrechts Anwendung, soweit dem nicht die Besonderheiten des Bevollmächtigungs- und Auftragsvertrags entgegenstehen (1 Ob 55/98i = SZ 71/155).

2.4. Sind Richtigkeit und Höhe der Honorarforderung bestritten, so ist der Rechtsanwalt nach § 19 Abs 3 RAO „zu seiner Deckung" befugt, die bei ihm eingegangenen Gelder bis zur Höhe der bestrittenen Forderung gerichtlich zu erlegen. Macht er von der Befugnis zum Gerichtserlag nicht Gebrauch, besteht die Verpflichtung, die Beträge unverzüglich auszufolgen. Der Anwalt hat daher die Wahl, im Falle einer Bestreitung seiner Forderung den zu ihrer Deckung erforderlichen Betrag sofort bei Gericht zu erlegen oder aber das Guthaben unverzüglich auszufolgen. Der Sinn des Gerichtserlags besteht in der Sicherung des Anwalts gegen allfällige spätere Liquiditätsschwierigkeiten seines Mandanten. Er muss somit jenen Teil des bei ihm erliegenden Guthabens, der dem bestrittenen Honorarbetrag entspricht, noch nicht auszahlen und kann so den Betrag zur späteren Befriedigung seiner Honorarforderung sicherstellen (6 Ob 312/04g mwN).

3.1. Da § 19 RAO das allgemeine Kompensationsrecht - wie unter 2.3. erläutert - unberührt lässt, ist nach allgemeinen Grundsätzen zu prüfen, ob die vom Beklagten erklärte prozessuale Aufrechnung mit seiner Honorarforderung wirksam geworden ist.

3.2. Die auch für eine Prozessaufrechnung erforderliche Aufrechnungserklärung hat der Beklagte im Schriftsatz ON 17, vorgetragen in der Verhandlung vom 16. 11. 2004 (ON 18), abgegeben.

3.3. Das Kompensationsrecht des Rechtsanwalts entsteht erst in dem Zeitpunkt, in dem seine Kostenforderung zu erfüllen wäre, also frühestens nach ordnungsgemäßer Rechnungslegung (Dullinger, Handbuch der Aufrechnung 118). Diese Bedingung ist hier erfüllt, weil der Beklagte dem Kläger die Höhe seiner Gegenforderung in ziffernmäßig überprüfbarer Weise (vgl dazu Feil/Wennig, Anwaltsrecht4 132) durch Vorlage der detaillierten Honorarnote Beilage ./4 mit dem Einspruch vom 26. 11. 2003 (ON 3) bekanntgegeben hat.

3.4. Der Beklagte erhielt den streitverfangenen Geldbetrag von einer Haftpflichtversicherung für den Kläger als Mandanten. Ob ihn als Nebenpflicht des Bevollmächtigungsvertrags eine Verwahrungspflicht traf und § 1440 zweiter Satz ABGB daher an sich einschlägig wäre, muss hier nicht geklärt zu werden. § 19 Abs 1 RAO lässt die Aufrechnung - wie bereits erläutert - mit unbestrittenen Kostenforderungen gegen den Anspruch des Mandanten auf Ausfolgung der für ihn eingegangenen Geldbeträge jedenfalls zu. Insoweit ist eine Aufrechnung daher nur ausgeschlossen, wenn die Geldbeträge nicht zur Ausfolgung an den Mandanten, sondern für einen bestimmten anderen Zweck geleistet wurden, sodass einer Aufrechnung die vereinbarte

Zweckwidmung entgegensteht (1 Ob 55/98i = SZ 71/55 mwN; 8 Ob 194/01i

= SZ 2002/25; RIS-Justiz RS0110836; vgl dazu auch Dullinger aaO 113).

Dass die Zahlungen des Haftpflichtversicherers nicht zur Ausfolgung an den Kläger bestimmt gewesen wären, wurde weder behauptet noch festgestellt.

3.5. Die soeben erörterte Kompensationsbefugnis des Rechtsanwalts nach § 19 Abs 3 RAO besteht indes auch dann nicht, wenn der Klient die Kostenforderung bestritt (idS Dullinger aaO 118).

3.5.1. Der 6. Senat des Obersten Gerichtshofs erläuterte, dass es einem Rechtsanwalt, der von seiner Befugnis gem § 19 Abs 3 RAO Gebrauch gemacht habe, möglich sein müsse, Richtigkeit und Höhe seines Honoraranspruchs durch die Erhebung von Einwendungen in dem vom Erlagsgegner kurz nach der Hinterlegung angestrengten Verfahren auf Zustimmung zur Ausfolgung des hinterlegten Betrags unter Beweis zu stellen. Angesichts dessen wäre es ein unnötiger Formalismus, wollte man trotz eines bereits anhängigen Verfahrens, in dem über Einwendung des Beklagten Richtigkeit und Höhe dessen Forderung ohnehin zu prüfen seien, zusätzlich noch die Geltendmachung des Honoraranspruchs in einem Aktivprozess verlangen (6 Ob 312/04g). Dieser Ansicht ist beizutreten.

3.5.2. Hier wurde nicht auf Zustimmung zur Ausfolgung eines vom Beklagten bei Gericht erlegten Geldbetrags geklagt, sondern auf Zahlung jenes Betrags, den der Beklagte von einem Haftpflichtversicherer für den Kläger erhielt. Der Beklagte erlegte diesen Betrag erst während des Verfahrens bei Gericht. Zu prüfen ist daher, ob der beklagte Anwalt mit seiner Forderung auch dann gegen den mit Klage geltend gemachten Zahlungsanspruch seines Mandanten aufrechnen darf, wenn er den seiner bestrittenen Kostenforderung entsprechenden Betrag nicht sogleich bei Gericht erlegte.

3.5.3. Im Anlassfall steht fest, dass der Beklagte den eingeklagten Betrag während des Rechtsstreits gerichtlich hinterlegte. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt war er vor dem Hintergrund aller bisherigen Erwägungen - insbesondere auch der bereits vom 6. Senat ins Treffen geführten Gründe - befugt, seinen Honoraranspruch durch prozessuale Aufrechnungserklärung geltend zu machen. Dass der Beklagte auf Grund einer verspäteten gerichtlichen Hinterlegung ein Disziplinarvergehen begangen haben mag (dazu etwa bereits Lohsing/Braun, Österreichisches Anwaltsrecht² 270; vgl ferner Jahoda, AnwBl 1982, 193), lässt die Berechtigung zur Geltendmachung des bestrittenen Honoraranspruchs durch prozessuale Aufrechnungserklärung ab dem Zeitpunkt der Hinterlegung des zuvor beim Beklagten für den Kläger eingegangenen Geldbetrags unberührt. Der Klärung des maßgebenden Anspruchs als Folge der prozessualen Aufrechnungseinrede des Beklagten stand daher im zweiten Rechtsgang kein Hindernis (mehr) entgegen.

3.5.4. Die voranstehenden Erwägungen sind somit als allgemeine Leitlinie in folgender Weise zusammenzufassen:

Sobald der Rechtsanwalt für seinen Mandanten von einem Dritten entgegengenommene Geldbeträge nach Bestreitung seiner Forderung aus dem Mandatsverhältnis gerichtlich hinterlegte, steht § 19 Abs 3 RAO einer prozessualen Aufrechnungseinrede des Rechtsanwalts im Rechtsstreit über die Verpflichtung zur Ausfolgung jener Beträge nicht (mehr) im Weg.

3.5.5. Nach der soeben erläuterten Rechtslage musste die prozessuale Aufrechnungseinrede des Beklagten erfolgreich sein. Das Berufungsgericht führte zur Höhe dessen Anspruchs aus, es habe die Feststellung über die im Vorprozess entstandenen Vertretungskosten von 22.651,60 EUR bereits im ersten Rechtsgang als unbedenklich übernommen. Dem Berufungswerber sei daher die neuerliche Bekämpfung dieser Feststellung im zweiten Rechtsgang „verwehrt". Der Kläger rügt einen Feststellungsmangel in Ansehung der einzelnen Vertretungsleistungen des Beklagten, er setzt sich aber nicht mit dem Argument des Berufungsgerichts auseinander, weshalb ihm eine neuerlich Beweisrüge in diesem Punkt „verwehrt" sei. Der Oberste Gerichtshof muss seiner Entscheidung somit die getroffene Feststellung zugrundelegen. Überdies sei angemerkt, dass der Kläger der im Prozess aufgegliederten Forderung des Beklagten kein konkretes Vorbringen entgegensetzte, weshalb die im Vorverfahren verzeichneten Leistungen entweder nicht erbracht oder der Höhe nach unrichtig geltend gemacht worden seien.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

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