OGH 7Ob87/12p

OGH7Ob87/12p27.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** e. Gen., *****, vertreten durch Stipanitz-Schreiner & Partner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei D***** AG *****, vertreten durch Dr. Robert Mahr, Rechtsanwalt in Wien, wegen 21.311,24 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Februar 2012, GZ 15 R 125/11d‑20, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28. April 2011, GZ 51 Cg 111/11x‑16, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0070OB00087.12P.0327.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.304,70 EUR (darin enthalten 501,45 EUR USt und 1.296 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Kreditvertrag vom 20. 9. 1999 nahm J***** G***** bei der Klägerin einen Abstattungskredit über 1 Mio ATS (72.672,83 EUR) auf. Gleichzeitig beantragte er bei der Beklagten für sich selbst eine Pensionsversicherung gegen Einmalerlag (Beginn: 1. 10. 1999), welche die Auszahlung eines Pensionskapitals von 1.230.084 ATS (am 1. 10. 2009) zum Gegenstand hatte. Er veranlasste mittels Vormerkscheins vom 20. 9. 1999 die Vinkulierung der Versicherungsleistung zu Gunsten der Klägerin. In einer mit dieser getroffenen separaten Vereinbarung vom selben Tag (Blg ./3 = ./B), auf die im Kreditvertrag bereits Bezug genommen wurde, hielt er (zusammengefasst) fest, dass er ‑ zur Sicherstellung aller gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen und Ansprüche der Klägerin aus der Geschäftsverbindung mit ihm ‑ alle Rechte und Ansprüche aus der Versicherung bei der Beklagten an die Klägerin abtritt, wobei „diese Abtretung neben dem Versicherungsbetrag auch die Gewinnbeteiligung, die Indexsteigerung und alle anderen Nebenleistungen umfasst“. Auch im weiteren Text der Vereinbarung findet sich mehrfach die Bezeichnung „Zedent“, und es ist jeweils nur von einer „Abtretung“ die Rede. Der „Kredit- bzw Darlehensnehmer“ J***** G***** wird (lediglich) im Betreff sowie in der Unterschriftenzeile (offenbar irrig) als „Pfandgeber“ bezeichnet. Die Klägerin verständigte die Beklagte mit Schreiben vom 20. 9. 1999 davon, dass J***** G***** zur Sicherstellung aller gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen der Klägerin „alle Rechte und Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag abgetreten“ habe.

Nachdem der Vormerkschein an die Beklagte übermittelt worden war, hielt diese in einem Nachtrag zum Versicherungsvertrag fest, dass die Rechte und Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zur Gänze an die Klägerin, Kreditkonto Nr [...] „verpfändet“ seien.

Am 29. 9. 1999 stellte die Beklagte ihrem Versicherungsnehmer J***** G***** folgende Urkunde aus:

Vinkulierung

im Sinne des Erlasses des BM f. Finanzen ZLV 249/4/1-IV vom 12. 3. 1984. Die Ansprüche aus diesem Vertrag sind zu Gänze zugunsten der V***** e. Gen., *****, [Klägerin] Kreditkonto Nr. […] vinkuliert. Bis zur Höhe des vinkulierten Anspruchs ist für die Dauer der Vinkulierung der oben genannte Gläubiger bezugsberechtigt.

Am 11. 11. 2004 gewährte die Klägerin J***** G***** eine Kreditaufstockung von 27.327,17 EUR auf insgesamt 100.000 EUR. Auch in der Bestätigung der Erhöhung führte die Klägerin neuerlich die Sicherheiten an: „Widmung Vinkulierung“ und sprach vom „Pfandgeber“ J***** G***** und von der „Abtretung“ des Versicherungsvertrags zu ihren Gunsten. Die Beklagte wurde weder von der Klägerin noch von J***** G***** über diese Kreditaufstockung im Jahr 2004 informiert.

J***** G***** war als Makler für die Beklagte tätig gewesen und hatte Provisionen bezogen. Für Provisionsrückforderungen erwirkte die Beklagte gegen ihn Zahlungsbefehle in den Jahren 2005 und 2007 über insgesamt 21.311,24 EUR (= Klagsbetrag).

Die Lebensversicherung sah einen garantierten Auszahlungsbetrag von 89.673,48 EUR zum 1. 10. 2009 vor und darüber hinaus eine variable Gewinnbeteiligung, sodass sich letztlich (nach Ablauf der 10-jährigen Vertragszeit) insgesamt ein Auszahlungsbetrag von 108.619 EUR ergab. Die Beklagte verständigte die Klägerin im Oktober 2009 vom Ablauf der Versicherung, erklärte die Aufrechnung mit den Forderungen gegen J***** G***** und zahlte 87.307,76 EUR an die Klägerin aus.

Die Klägerin begehrt 21.311,24 EUR sA mit der Begründung, die Beklagte habe diesen Abzug unzulässig vorgenommen, weil sie verpflichtet gewesen wäre, die gesamte Auszahlungssumme von 108.619 EUR an die Klägerin zu überweisen. Es sei eine „Verpfändung“ vereinbart gewesen. Der Modus der Pfandbestellung sei durch die Verständigung der Beklagten eingehalten worden.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung. Es liege keine Verpfändung, sondern eine Abtretung zur Sicherstellung vor. Der Versicherungsvertrag sei mit einer Vinkulierungsklausel zugunsten der Klägerin versehen worden. Zum Zeitpunkt des Anspruchs auf Auszahlung der Lebensversicherung habe wegen des Negativsaldos auf dem Provisionskonto des J***** G***** ein ‑ (auch) hinsichtlich der Gewinnanteile ‑ aufrechenbarer Anspruch der Beklagten gegen den Zedenten bestanden. Sie habe die Klägerin am 22. 10. 2009 über die Außenstände informiert und die Aufrechnung des damals offenen Betrags in Höhe der Klagsforderung erklärt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Beide Parteien hätten in den von ihnen verfassten Urkunden die Begriffe Abtretung, Vinkulierung und Verpfändung verwendet. Der Klägerin sei der Nachweis einer Verpfändung nicht gelungen. Die Beklagte habe wirksam gegen den Auszahlungsanspruch aufgerechnet; bei der Abtretung zukünftiger Forderungen sei die Aufrechenbarkeit von Gegenforderungen nämlich nicht auf den Zeitpunkt der Abtretung oder der Verständigung von der Abtretung zu beziehen, sondern auf den Zeitpunkt der Entstehung der Forderung (hier: 1. 10. 2009).

Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren hingegen statt. Es schloss sich der Beurteilung an, dass im maßgebenden Vertragsverhältnis zwischen J***** G***** und der Klägerin eine Abtretung vorliege, vertrat jedoch den Standpunkt, dass eine Aufrechnung nicht zulässig sei, weil darauf stillschweigend verzichtet worden sei. Die Gegenforderung stamme nicht aus dem Versicherungsverhältnis (§ 35b VersVG), und es sei der Beklagten aus der zeitgleich mit dem Versicherungsvertrag abgeschlossenen Vinkulierungsvereinbarung bekannt gewesen, dass vom Versicherungsnehmer beantragt werde, das Bezugsrecht zugunsten des Kreditinstituts zu ändern. Der Versicherer habe daher gewusst, dass der ihm zugekommene Einmalerlag und die Gewinnbeteiligung allein der Tilgung des dem Versicherungsnehmer gewährten Kredits dienen sollten.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision mangels Rechtsprechung zur Frage, „ob die Aufrechnung auch gegen den im Zeitpunkt der Abtretung der Höhe nach unbekannten 'Gewinnanteil' aus der Er‑/Ablebensversicherung möglich ist“, zulässig sei.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im zur Gänze klageabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinn einer Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils auch berechtigt.

Forderungen des Versicherungsnehmers „aus der Versicherung“ (§ 15 VersVG) können als Geldforderungen im Allgemeinen ohne weiteres abgetreten, verpfändet oder gepfändet werden und sind daher als Sicherungsmittel geeignet. Der Versicherungsnehmer kann in der Lebens- und Unfallversicherung auch den Gläubiger als Begünstigten (Bezugsberechtigten) einsetzen. Neben diesen drei „klassischen“ Sicherungsformen hat sich in der österreichischen Vertragspraxis noch die sogenannte „Vinkulierung von Versicherungsforderungen“ herausgebildet, die gesetzlich nicht geregelt ist. Ihr Inhalt richtet sich nach der Vereinbarung der Parteien (RIS-Justiz RS0106149) und ergibt sich mangels individueller Absprachen in der Regel aus Formularen, die von der Kreditwirtschaft und der Versicherungswirtschaft verwendet werden (7 Ob 229/08i).

Nach herrschender Auffassung ist darunter als „fester Kern“, also als Charakteristikum und unumgänglicher Mindestinhalt, eine Zahlungssperre zugunsten des Vinkulargläubigers mit der Wirkung zu verstehen, dass Leistungen des Versicherers an den Versicherungsnehmer nur mit Zustimmung des Vinkulargläubigers möglich sind (RIS‑Justiz RS0106148, RS0086331; 7 Ob 228/07s mwN). Die üblichen Vinkulierungsvereinbarungen, insbesondere in der Lebensversicherung, enthalten ausdrücklich gar keine Abtretungs- oder Pfändungsverbote, sondern nur eine Zahlungssperre. Zahlungssperren, die von den Parteien eines Schuldverhältnisses zugunsten Dritter (also vom Versicherungsnehmer und dem Versicherer zugunsten eines Vinkulargläubigers) vereinbart wurden, wirken nicht absolut, sondern nur relativ, also nur zwischen den Parteien (RIS‑Justiz RS0113295; 7 Ob 229/08i).

Im vorliegenden Fall liegt freilich ‑ wie bereits die Vorinstanzen zutreffend erkannten ‑ auf der Hand, dass nach dem Text der maßgebenden Vereinbarungen zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer jedenfalls eine Sicherungsabtretung vereinbart wurde. Dass die (weiteren) Urkunden (insbesondere gegenüber dem Drittschuldner) ‑ offenbar irrig ‑ teilweise auch Begriffe wie „Verpfändung“ und „Pfandgeber“ enthielten, kann daran nichts ändern.

Zu Recht zieht auch die Revisionswerberin diese Beurteilung, die ihrem eigenen Vorbringen entspricht, gar nicht in Zweifel; sie macht hiezu lediglich einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 405 ZPO geltend: Dieses hätte sich auf die Überprüfung beschränken müssen, ob eine Verpfändung vorliege oder nicht, weil sich die Klägerin ausschließlich auf diesen Rechtsgrund gestützt habe.

Der behauptete Verstoß liegt jedoch nicht vor.

Richtig ist, dass das Klagevorbringen von einer „Verpfändung“ ausgeht; gleichzeitig ließ die Klägerin aber während des gesamten Verfahrens erkennen, dass sie sich auf die festgestellten Vereinbarungen stütze und die Wirksamkeit der von der Beklagten behaupteten Aufrechnung bestreite. Ihrem Vorbringen kann nicht entnommen werden, dass die Klägerin ausschließen wollte, ihren Anspruch hilfsweise auch auf eine Zession zu stützen. Ist kein bestimmter Rechtsgrund geltend gemacht worden, dann verstößt das Gericht nicht gegen die Vorschrift des § 405 ZPO, wenn es unter den in concreto möglichen Ansprüchen die Wahl trifft, weil nur dann, wenn ein bestimmter Rechtsgrund ausdrücklich geltend gemacht wird, das Gericht daran gebunden ist und der Klage nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattgeben darf (RIS‑Justiz RS0037610 [T43]).

Wenn der Klage ‑ wie hier ‑ nicht unzweifelhaft entnommen werden kann, dass der Kläger eine andere rechtliche Beurteilung ausschließen wollte, kann im Berufungsverfahren die rechtliche Qualifikation geändert werden, wenn dies das Tatsachenvorbringen in erster Instanz zulässt und die tatsächlichen Behauptungen keine Änderung erfahren haben (RIS-Justiz RS0037610 [T12]). Maßgebend für den Entscheidungsspielraum des Gerichts sind der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt und die hiefür angegebenen Tatsachen. Eine unrichtige rechtliche Qualifikation wirkt sich dann nicht zum Nachteil des Klägers aus, wenn er alle anspruchsbegründenden Tatsachen vorgetragen und unter Beweis gestellt hat (RIS-Justiz RS0037610 [T37]; RS0058348; 7 Ob 104/11m mwN); im Zweifel ist nämlich keine Beschränkung auf einen von mehreren nach dem Sachvortrag in Frage kommenden Rechtsgründen anzunehmen (RIS-Justiz RS0037610 [T36]; 4 Ob 183/12h mwN).

Im Ergebnis ist die Revision der Beklagten aber aus folgender Überlegung berechtigt:

Die Revisionswerberin weist zu Recht darauf hin, dass die Klägerin dem Vorbringen der Beklagten, die sich auf die ‑ infolge Abtretung zulässige ‑ Aufrechnung berief, in erster Instanz nie das Bestehen eines Aufrechnungsverbots oder -verzichts (wie vom Berufungsgericht angenommen) entgegenhielt. Die Klägerin beschränkte sich vielmehr immer nur darauf, eine Verpfändung zu behaupten und das Vorliegen einer Aufrechnungserklärung vor dem Schreiben vom 10. 2. 2010 zu bestreiten. Dass die Aufrechnung an einem Aufrechnungsverbot oder -verzicht scheitere, ist diesem Vorbringen nicht zu entnehmen. Erst in der Berufung behauptete die Klägerin auch eine Unzulässigkeit der Aufrechnung; dies allerdings nur mit der Begründung, dass die Gegenforderungen erst nach der Abtretung entstanden seien.

Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, welches die Berechtigung der Klagsforderung aus einem Aufrechnungsverbot oder -verzicht der Beklagten ableitet, entbehrt der Grundlage eines diesbezüglichen Parteienvorbringens der Klägerin und verletzt damit die Regeln der Behauptungs- und Beweislast (vgl RIS-Justiz RS0033798 [T1], wonach etwa das Aufrechnungsverbot des § 1440 ABGB nur über Einrede zu berücksichtigen ist).

Im Übrigen sprechen die Feststellungen des Erstgerichts ungenau nur von einer „Erklärung der Aufrechnung durch die beklagte Partei“. Tatsächlich hat die Beklagte die Aufrechnung jedoch gegen den „Anspruch auf die Versicherungsleistung“ erklärt (Blg ./L), was ‑ auch anhand der Auflistung in Beilage ./9 ‑ eine Aufrechnung gegen den gesamten Auszahlungsanspruch, also auch gegen den garantierten Anspruch, bedeutet.

Da die Höhe des garantierten Anspruchs, die bereits im Zeitpunkt der Abtretung feststand, jene der Gegenforderung überstieg, konnte die Aufrechnung schon gegen den garantierten Auszahlungsanspruch wirksam erklärt werden, sodass sich die Frage, ob die Aufrechnung auch gegen den im Zeitpunkt der Abtretung der Höhe nach unbekannten „Gewinnanteil“ aus der Er‑/Ablebensversicherung möglich ist, gar nicht stellt.

In Stattgebung der Revision ist daher das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Prozesskosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO.

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