OGH 10ObS3/17i

OGH10ObS3/17i25.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm, die Hofrätin Dr. Grohmann und die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Hannes Schneller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei P*****, vertreten durch GKP Gabl Kogler Leitner Stöglehner Bodingbauer Rechtsanwälte OG in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, wegen Pflegegeld, infolge Rekurses und außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen den Beschluss und das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. November 2016, GZ 11 Rs 116/16g‑11, womit das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 25. August 2016, GZ 9 Cgs 152/16t‑7, in Ansehung des Begehrens auf Gewährung von Pflegegeld vom 1. Februar 2015 bis 30. April 2016 einschließlich des vorangegangenen Verfahrens als nichtig aufgehoben und die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweg zurückgewiesen wurden, und in Ansehung des Zeitraums vom 6. bis 30. November 2014 sowie ab 1. Mai 2016 als Teilurteil bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00003.17I.0425.000

 

Spruch:

 

Dem Rekurs und der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten dritter Instanz bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

Die am 8. 11. 1939 geborene Klägerin ist rumänische Staatsangehörige, bezieht eine Pension aus Rumänien und wohnt in Österreich. Am 6. 11. 2014 brachte sie einen nicht behandelten Antrag auf Gewährung von Pflegegeld bei der beklagten Partei ein. Ende Jänner 2015 stellte sie einen weiteren Antrag, den die Beklagte mit unbekämpftem Bescheid vom 15. 6. 2015 abwies. Am 22. 4. 2016 beantragte die Klägerin erneut die Zuerkennung von Pflegegeld. Die Beklagte wies diesen Antrag mit dem nun verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 2. 5. 2016 ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit dem Begehren, der Klägerin ab 6. 11. 2014 Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Da der erste Antrag noch unerledigt sei, sei die Rechtslage zum Stichtag 1. 12. 2014 maßgeblich.

Die Beklagte wendete – soweit noch relevant – ein, dass der nunmehr bekämpfte Bescheid aufgrund des am 22. 4. 2016 gestellten Antrags ergangen sei. Damit sei § 3a BPGG idF BGBl I 2015/12 anzuwenden, wonach der Anspruch auf Pflegegeld die – hier fehlende – Zuständigkeit Österreichs voraussetze.

Das Erstgericht folgte dem Standpunkt der Beklagten und wies das Klagebegehren ab.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts einschließlich des vorangegangenen Verfahrens in Ansehung des Zeitraums vom 1. 2. 2015 bis 30. 4. 2016 als nichtig auf und wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück (Spruchpunkt A). Im Übrigen gab es der Berufung teilweise Folge und bestätigte das angefochtene Urteil in Ansehung der Zeiträume 6. bis 30. 11. 2014 (Spruchpunkt B I 1a) sowie ab 1. 5. 2016 (Spruchpunkt B I 1b) als Teilurteil und hob es in Ansehung des Zeitraums vom 1. 12. 2014 bis 31. 1. 2015 zur neuerlichen Entscheidung auf (Spruchpunkt II); insoweit wurde der Rekurs an den Obersten Gerichtshof nicht zugelassen.

Rechtlich folgerte das Berufungsgericht, der am 6. 11. 2014 eingebrachte Antrag auf Gewährung des Pflegegeldes sei nach der Übergangsregelung des § 48f Abs 1 BPGG idF der Novelle BGBl I 2015/12 noch nach § 3a Abs 1 und Abs 2 Z 1 BPGG idF des Pflegegeldreformgesetzes 2012, BGBl I 2011/58, zu beurteilen. Danach habe die Klägerin als Unionsbürgerin mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich Anspruch auf Pflegegeld auch ohne Grundleistung. Dieser Anspruch könne nach § 9 Abs 1 BPGG frühestens ab 1. 12. 2016 zu Recht bestehen, weshalb das Klagebegehren für den Zeitraum vom 6. bis 30. 11. 2014 abzuweisen sei. Eine nach § 67 Abs 1 Z 2 lit b ASGG zur Klagsführung berechtigende Säumnis der Beklagten bestehe aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung über den Anspruch ab 1. 2. 2015 mit Bescheid vom 15. 6. 2015 nur für den Zeitraum bis 31. 1. 2015. Feststellungen für die Beurteilung des Anspruchs in diesem Zeitraum fehlten, weshalb die Rechtssache insoweit nicht spruchreif sei. Die Beklagte habe mit Bescheid vom 15. 6. 2015 den Antrag vom 29. 1. 2015 abgelehnt und damit über diesen Anspruch für den Zeitraum vom 1. 2. 2015 bis „31. 4. 2016“ – dem durch die Antragstellung der Klägerin am 22. 4. 2016 ausgelösten nächsten Stichtag – entschieden. Diesen Zeitraum betreffend liege daher keine nach § 67 Abs 1 Z 2 ASGG zur Klagsführung berechtigende Säumnis vor, sondern eine rechtskräftige Entscheidung. Die Klage sei daher insofern nach § 73 ASGG wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen; das Verfahren erster Instanz sei einschließlich des Urteils betreffend den genannten Zeitraum als nichtig aufzuheben. Auf den Antrag vom 22. 4. 2016 sei § 3a Abs 1 BPGG neu anzuwenden. Die in dieser Bestimmung normierte Voraussetzung, dass nicht ein anderer Mitgliedstaat für Pflegeleistungen zuständig sei, werde unstrittig nicht erfüllt. Die Revision sei nicht zulässig.

Die Klägerin bekämpft in ihrem als außerordentliche Revision bezeichneten, nicht beantworteten Rechtsmittel nach Rechtsmittelerklärung und Rechtsmittelantrag das Teilurteil in seinem Punkt B I 1b (Abweisung des Pflegegeldbegehrens ab 1. 5. 2016) und den unter Spruchpunkt A aufgenommenen Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem das Urteil des Erstgerichts über den Zeitraum vom 1. 2. 2015 bis 30. 4. 2016 einschließlich des vorangegangenen Verfahrens als nichtig aufgehoben und die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückgewiesen wurden. Sie beantragt die Gewährung von Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß ab dem 1. 2. 2015. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Beschluss des Berufungsgerichts, das sich erstmals von Amts wegen mit der Zulässigkeit des Rechtswegs auseinandersetzte, das Urteil des Erstgerichts als nichtig aufhob und die Klage zurückwies, ist nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls mit Rekurs an den Obersten Gerichtshof anfechtbar (RIS‑Justiz RS0116348). Die Rekursfrist gegen einen solchen Beschluss beträgt zufolge § 521 Abs 1 Satz 1 und 2 ZPO 14 Tage. Beschluss und Teilurteil wurden hier in einer einheitlichen Entscheidung zusammengefasst, weshalb die Klägerin auch den Beschluss innerhalb der für die Einbringung der außerordentlichen Revision zur Verfügung stehenden vierwöchigen Rechtsmittelfrist (§ 505 Abs 2 ZPO) anfechten durfte (RIS‑Justiz RS0041670; RS0041696). Damit ist auch der Rekurs rechtzeitig.

1.1 Die außerordentliche Revision der Klägerin ist entgegen dem nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zur Klarstellung zulässig, sie ist aber – so wie der Rekurs – nicht berechtigt.

2. Zur hier maßgeblichen Rechtslage vor und nach der Novellierung des § 3a Abs 1 BPGG mit BGBl I 2015/12 ist auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Dass Rumänien (Heimatstaat der Klägerin) nach der VO (EG) 883/2004 für Leistungen bei Krankheit zuständig ist, bezweifelt die Klägerin in ihrer Revision nicht. Die angesprochene und unter dem Aspekt einer Diskriminierung nach Staatsangehörigkeit bestrittene Vereinbarkeit des § 3a Abs 1 BPGG neu mit Unionsrecht hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst ausführlich zu 10 ObS 83/16b und 10 ObS 123/16k (RIS‑Justiz RS0131206) bejaht.

3. Die entscheidende Frage reduziert sich daher auf die Beurteilung, was Entscheidungsgegenstand des gerichtlichen Verfahrens erster Instanz war. Nach Meinung der Klägerin ist dieser das Begehren auf Zuspruch von Pflegegeld durchgehend ab 6. 11. 2014 mit der Konsequenz, dass auch die Zeiträume nach Inkrafttreten des § 3a Abs 1 BPGG neu nach der alten, für die Klägerin günstigeren Rechtslage zu beurteilen wären. Hingegen sah das Berufungsgericht die zufolge § 67 Abs 1 Z 2 ASGG zur Klagsführung berechtigende Säumnis der Beklagten ab 1. 2. 2015 als beendet an, weil die Beklagte den zweiten, Ende Jänner 2015 gestellten Pflegegeldantrag mit rechtskräftigem Bescheid vom 15. 6. 2015 abgewiesen hat.

3.1 Nach dem in Sozialrechtssachen geltenden Grundsatz der sukzessiven Kompetenz kann – abgesehen vom hier nicht vorliegenden Fall des § 65 Abs 1 Z 3 ASGG – das Gericht nur angerufen werden, nachdem der Versicherungsträger entweder einen Bescheid erlassen hat oder mit der Bescheiderlassung säumig geworden ist ( Neumayr in ZellKomm² § 67 ASGG Rz 1; RIS‑Justiz RS0085867).

3.2 Die Säumnisklage setzt (unter anderem) voraus, dass der Versicherungsträger den Bescheid nicht innerhalb von sechs Monaten erlassen hat (RIS‑Justiz RS0085633).

3.3 Diese Sechsmonatefrist wurde mit Einlangen des ersten (nicht weiter konkretisierten) Antrags auf Zuerkennung von Pflegegeld bei der beklagten Partei im November 2014 ausgelöst ( Neumayr in ZellKomm² § 67 ASGG Rz 14; RIS‑Justiz RS0111337). Sie war zum Zeitpunkt der Einbringung der Säumnis‑ und Bescheidklage (letztere gerichtet gegen den Bescheid vom 2. 5. 2016) am 8. 7. 2016 bereits lange abgelaufen. Mit der zulässigen Erhebung einer Säumnisklage (bzw bei verfrühter Klage mit Ablauf der Sechsmonatefrist) geht die Entscheidungsbefugnis vom Versicherungsträger auf das Gericht über, weshalb – außer nach Sachverhaltsänderungen (§ 71 Abs 3 ASGG) bzw in hier nicht interessierenden Rechtsstreitigkeiten nach § 71 Abs 4 ASGG – kein Bescheid mehr „nachgeschoben“ werden kann ( Neumayr in ZellKomm 2 § 67 ASGG Rz 16). Ein dennoch erlassener Bescheid ist nach mittlerweile herrschender Meinung jedoch nicht unbeachtlich und wirkungslos, sondern wie jeder andere während eines gerichtlichen Verfahrens ergehende Bescheid zu behandeln, der entweder rechtskräftig oder durch Klageerhebung außer Kraft gesetzt wird ( Neumayr in ZellKomm² § 67 ASGG Rz 16; Fink , Die sukzessive Zuständigkeit in Sozialrechtssachen [1995] 418 f; Frauenberger‑Pfeiler in Tomandl , SV‑System [30. Lfg] 6.4.2.2.1.2 [772/55]).

3.4 Hier hat die beklagte Partei – noch vor Einbringung der Säumnisklage – am 15. 6. 2015 einen Bescheid erlassen, mit dem sie ausdrücklich den zweiten, am 29. 1. 2015 gestellten Antrag auf Zuerkennung von Pflegegeld abwies. Einzige Begründung war die bereits dargelegte Änderung der Rechtslage nach Inkrafttreten des § 3a Abs 1 BPGG neu. Dieser, der sukzessiven Zuständigkeit unterliegende Bescheid wurde nicht mit Bescheidklage angefochten und damit materiell rechtskräftig.

3.5 Nach dem für die Interpretation des Bescheids maßgeblichen objektiven Erklärungsinhalt (RIS‑Justiz RS0114922 [T1], 8 ObS 12/03b, SSV‑NF 17/114) hat die beklagte Partei laut Wortlaut des Spruchs und Inhalt der Begründung nicht über den vorangehenden, am 6. 11. 2014 gestellten Antrag entschieden. Ein in diese Richtung gehender Entscheidungswille konnte schon deshalb nicht bestehen, weil der Antrag nach den Feststellungen in Verstoß geraten und dem Entscheidungsträger daher offensichtlich nicht bekannt war. Anders als in jenen Fällen, in denen der Oberste Gerichtshof bei Zusprüchen für einen bestimmten Zeitraum (10 ObS 15/99z, SSV‑NF  13/43; RIS‑Justiz RS0111978) oder bei Gewährung einer Gesamtvergütung in der Unfallversicherung (RIS‑Justiz RS0085616) die implizite Abweisung des Mehrbegehrens für weitreichendere Zeiträume annimmt, hat der Versicherungsträger mit seinem ersten Bescheid nicht über den Zeitraum zwischen erster und zweiter Antragstellung entschieden. Der erste, noch nach der alten Rechtslage zu beurteilende Antrag aus November 2014 blieb demnach insoweit unerledigt

3.6 Der Umstand, dass sich die materielle Rechtskraft des ersten Bescheids nur auf die Abweisung des nach der neuen Rechtslage zu beurteilenden zweiten Antrags vom 29. 1. 2015 (zufolge § 9 Abs 1 BPGG für den Zeitraum ab 1. 2. 2015) beziehen konnte, führt allerdings nicht zu dem Ergebnis, das die Klägerin in ihrem Rechtsmittel anstrebt, nämlich die durchgehende Beurteilung ihres Anspruchs auf Pflegegeld nach der alten Rechtslage.

3.7 Die Säumnisklage kann nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger einen die Kernfrage der Gewährung oder Nichtgewährung der begehrten Leistung meritorisch erledigenden Sachbescheid nicht innerhalb der Sechsmonatefrist erlässt (10 ObS 181/02v; RIS‑Justiz RS0085633). Der Versicherungsträger darf die Säumnisklage nicht dadurch verhindern, dass er irgendwelche Beschlüsse (wie einen Aussetzungsbeschluss) fasst und damit das Verfahren beliebig hinauszögern oder eine Entscheidung überhaupt hinfällig machen könnte (10 ObS 173/01s, SSV‑NF 15/92; RIS‑Justiz RS0085633 [T1]). Ebensowenig soll dem Versicherten die Möglichkeit eingeräumt werden, durch die Wahl seiner Antragstellung(en) die Zulässigkeit einer Säumnisklage und die anwendbare Rechtslage steuern zu können, wenn er hintereinander mehrere Anträge stellt, die inhaltlich dieselbe Leistung begehren, aber als Folge des divergierenden Einbringungszeitpunkts verschiedene Stichtage auslösen – dies mit Einfluss auf die Rechtslage. Die Klägerin hat hier mehrere nach Pflegebedürftigkeit und Pflegestufe nicht divergierende Anträge auf Pflegegeld eingebracht. Die beiden zuletzt eingeleiteten Verfahren gingen aufgrund der geänderten Rechtslage negativ für sie aus. Mit der neuerlichen Antragstellung in den Jahren 2015 und 2016 unterwarf sie sich jener Rechtslage, die aufgrund des neu ausgelösten Stichtags anzuwenden ist. Mag ihr (ihrem erst im März 2016 bestellten einstweiligen Sachwalter, der nach den Rechtsmittelausführungen keine Kenntnis von den früheren Anträgen hatte) das ungünstige Ergebnis bei Antragstellung nicht bewusst gewesen sein, kann sie sich dennoch nicht darauf berufen, den „alten“ Antrag im Weg einer Säumnisklage auf die Zeiträume auszugehen, die nach dem jeweiligen neuen Stichtag liegen.

3.8 Anträge auf Zuerkennung des Pflegegeldes sind nach § 25 Abs 4 BPGG ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit Rechtskraft der letzten Entscheidung noch kein Jahr verstrichen ist und keine wesentliche Änderung der Anspruchsvoraussetzungen glaubhaft bescheinigt ist.

3.9 Im zweiten Antrag aus Jänner 2015 waren folgende Angaben zur Pflegebedürftigkeit enthalten: Komplette Bettlägrigkeit, Hilfe in allen ATL sowie Lagern alle drei Stunden nötig, PEG‑Sonde. Im dritten Antrag vom 22. 4. 2016 werden Zustand nach Cerebraler Blutung, Lähmung linksseitig, PEG‑Sonde und globale Aphasie behauptet. Dieser Antrag wurde innerhalb der Jahresfrist des § 25 Abs 4 BPGG gestellt.

3.10 Ob die Versicherte eine tatsächliche Zustandsverschlechterung glaubhaft machen konnte, blieb ungeprüft. Die Beklagte wies den neuen Antrag aus – im Vergleich zum vorangegangenen Bescheid unverändert gebliebenen – rechtlichen Erwägungen ab, anstelle ihn mangels Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse im Vergleich zum vorangegangenen in Rechtskraft erwachsenen Bescheid zurückzuweisen (vgl RIS‑Justiz RS0085668 zu §§ 68, 73 ASGG).

3.11 Entscheidet ein Versicherungsträger über den innerhalb der Sperrfrist des § 362 Abs 1 ASVG (hier: § 25 Abs 4 BPGG) gestellten Antrag sachlich, ist nach der Rechtsprechung die Bescheidklage nach § 67 Abs 1 Z 1 ASGG zulässig (10 ObS 337/90, SSV‑NF 4/133, RIS‑Justiz RS0085504). Das hat auch im vorliegenden Fall zu gelten, in dem anders als zu 10 ObS 337/90 der Versicherungsträger die Abweisung nicht mit dem Ergebnis einer ärztlichen Begutachtung begründete. Der Bescheid vom 2. 5. 2016 wiederholt zwar lediglich die rechtliche Beurteilung der früheren Entscheidung vom 15. 6. 2015, erwähnt aber deren Rechtskraft und die Zulässigkeit des neuen Antrags mit keinem Wort. Beim Bescheid vom 2. 5. 2016 handelt es sich daher um eine mit Klage nach § 67 Abs 1 Z 1 ASGG anfechtbare Sachentscheidung.

3.12 Die Klägerin hat den zweiten Bescheid vom 2. 5. 2016 fristgerecht mit Klage angefochten. Nur dieser, den früheren nicht abändernde, sondern „wiederholende“ Bescheid ist zufolge § 71 Abs 1 ASGG außer Kraft getreten (vgl Fink Sukzessive Zuständigkeit, 409, 411). § 71 Abs 5 ASGG, den die Klägerin für ihren Standpunkt beansprucht, nützt ihr nichts. Diese Regelung ordnet lediglich an, dass die Rechtskraft einer denselben Anspruch betreffenden früheren Entscheidung nicht zu berücksichtigen ist, wenn der Versicherungsträger wegen einer wesentlichen Änderung die Verhältnisse neu feststellt und dagegen Bescheidklage erhoben wird. Sie bezieht sich auf eine nachträglich eingetretene Änderung der tatsächlichen Verhältnisse oder der Rechtslage (10 ObS 210/03k, SSV‑NF 19/40), die im Vergleich zum rechtskräftigen Bescheid vom 15. 6. 2015 nicht eingetreten ist und dem angefochtenen Bescheid auch nicht zugrunde liegt.

4. Ergebnis: Die Säumnisklage nach § 67 Abs 1 Z 2 ASGG ist nur für einen Zeitraum zulässig, über den die beklagte Partei nicht mit teils unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen, teils mit Bescheidklage nach § 67 Abs 1 Z 1 ASGG angefochtenen Bescheiden entschieden hat, indem sie den jeweils neuerlich gestellten Antrag auf Zuerkennung von Pflegegeld nach § 3a Abs 1 BPGG neu abwies. Die Bescheidklage bekämpft ausschließlich den zweiten Bescheid vom 2. 5. 2016 über die Abweisung des Antrags vom 22. 4. 2016. Nur in diesem Umfang ist sie zulässig, aber zufolge § 3a Abs 1 BPGG neu nicht berechtigt.

5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 4 ZPO. Billigkeitserwägungen iSd § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG sind vom endgültigen Ausgang des Verfahrens abhängig.

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