OGH 9ObA64/16a

OGH9ObA64/16a24.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Dr. Gerda Höhrhan‑Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei F***** R*****, vertreten durch Divitschek Sieder Sauer Peter Rechtsanwälte GesbR in Deutschlandsberg, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Bernd Wurnig, Rechtsanwalt in Graz, wegen 10.534,36 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 1.200 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Februar 2016, GZ 7 Ra 76/15y‑38, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 20. Mai 2015, GZ 23 Cga 88/13b‑32, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00064.16A.0624.000

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 939,24 EUR (darin 156,54 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Das Berufungsgericht hat die Revision mit der Begründung zugelassen, dass zum einen keine neuere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Verletzung der Fürsorgepflicht bei Anzeigen des Beschäftigers gegen zugewiesene Arbeitnehmer bestehe und zum anderen die Entscheidung von der aufhebenden Entscheidung des Oberlandesgerichts Graz zu 6 Ra 62/15g abweiche.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Dass den „Beschäftiger“ gegenüber einen ihm im Rahmen einer gesetzlichen Zuweisung zugeteilten Vertragsbediensteten in Ermangelung einer bestimmten gesetzlichen Regelung Fürsorgepflichten aufgrund allgemeiner arbeitsvertraglicher Grundlage treffen können, hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen (8 ObA 3/04f; vgl 8 ObA 117/04w). Die Richtigkeit dieser Rechtsansicht wird auch in der Revisionsbeantwortung nicht weiter in Frage gestellt.

Die allgemeine Fürsorgepflicht verpflichtet den Arbeitgeber auch dazu, die immateriellen Interessen der Arbeitnehmer zu wahren (9 ObA 16/13p; RIS‑Justiz RS0021544; RS0021267). Er ist im Rahmen der Fürsorgepflicht aber nicht gehalten, eigene schutzwürdige Interessen zu vernachlässigen. Werden durch eine Maßnahme schutzwürdige Interessen sowohl des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers berührt, kommt es zu einer Interessenabwägung (RIS‑Justiz RS0054865).

Die Verletzung der Fürsorgepflicht nach § 1157 ABGB muss der Arbeitnehmer beweisen (RIS‑Justiz RS0019718). Verletzt der Arbeitgeber schuldhaft seine Fürsorgepflicht und entsteht dem Arbeitnehmer ein Schaden, so kann der Arbeitnehmer Schadenersatzansprüche geltend machen (9 ObA 16/13p mwN).

Der beim Land S***** als Vertragsbediensteter beschäftigte und der beklagten Krankenanstalt nach dem einschlägigen Landesgesetz zur Dienstleistung zugewiesene Kläger stützt seinen Schadenersatzanspruch auf eine Verletzung der Fürsorgepflicht der Beklagten. Diese habe ihn wider besseres Wissen in einer Anzeige an die Staatsanwaltschaft der Verleumdung bezichtigt. Jedenfalls hätte die Beklagte die Anzeige nicht voreilig ohne weitere Prüfung des Sachverhalts erstatten dürfen.

Die naturgemäß nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu beurteilende Frage, ob der Arbeitgeber in der konkreten Situation durch eine Anzeige (Sachverhaltsdarstellung) gegen einen Arbeitnehmer seine Fürsorgepflichten verletzt hat, wurde von den Vorinstanzen übereinstimmend und vertretbar verneint. Dass dem Berufungsgericht eine schwerwiegende Fehlbeurteilung dieser maßgeblichen Rechtsfrage unterlaufen ist, die vom Obersten Gerichtshof unter dem Aspekt der Wahrung der Rechtseinheit oder Rechtssicherheit iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzugreifen wäre, vermag der Kläger in seiner Revision nicht darzustellen.

Auszugehen ist im vorliegenden Fall zunächst davon, dass auch objektiv unrichtige Beschuldigungen in Anzeigen nach § 80 Abs 1 StPO, die nicht den Rahmen eines sachdienlichen Vorbringens überschreiten, nur dann rechtswidrig sind, wenn sie vom Anzeiger wider besseres Wissen erhoben worden sind (RIS‑Justiz RS0097195; RS0097183). Eine besondere Sorgfaltspflicht des Anzeigers in der Richtung, die vorliegenden Verdachtsgründe auf ihre Stichhältigkeit zu prüfen und das Für und Wider selbst abzuwägen, besteht nicht. Dies würde auch dem öffentlichen Interesse, den Behörden Kenntnis von strafbaren Handlungen zu verschaffen, widersprechen (RIS‑Justiz RS0031957). Anzeigen, die in gutem Glauben erstattet werden, sind daher grundsätzlich rechtmäßig und können auch zu keinen zivilrechtlichen Folgen führen (Schwaighofer in Fuchs/Ratz, WKO StPO § 80 Rz 7 mwN).

Dass die Beklagte ihre Sachverhaltsdarstellung wider besseres Wissen gemacht hat, konnte der Kläger im Verfahren nicht nachweisen. Aus der Ansicht der Revision, dass in der Einbringung einer Sachverhaltsdarstellung durch den Arbeitgeber ohne vorherige Überprüfung unter bestimmten Umständen eine Verletzung der Fürsorgepflicht erblickt werden kann, ist für den Kläger im Anlassfall nichts gewonnen. Bereits das Berufungsgericht hat nämlich daraufhin gewiesen, dass die Beklagte nicht jegliche Prüfung des ihr zur Kenntnis gelangten Vorwurfs einer Misshandlung von Patienten durch das Pflegepersonal vor Einbringung der Sachverhaltsdarstellung unterlassen hat. Der ärztliche Leiter des Pflegeheims hat vielmehr eine gründliche Untersuchung jener Patientin veranlasst, die angeblich immer wieder über und über mit blauen Flecken übersät wäre. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte sei aufgrund der damals bereits in den Medien thematisierten Missstände im Pflegeheim der Beklagten und der laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der Polizei nicht gehalten gewesen, parallel dazu eigene Ermittlungen zu führen, ist nicht zu beanstanden. Insbesondere weil damals auch Vertuschungsvorwürfe der Beklagten im Raum standen, ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe in dieser Situation die strafrechtliche Überprüfung des ihr zur Kenntnis gelangten Vorfalls allein den zuständigen Behörden überlassen dürfen, auch im Hinblick auf die Wahrung eigener Interessen der Beklagten vertretbar.

Jene Überlegungen des Berufungsgerichts und des Revisionswerbers, die auf die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung verschiedener Senate des Berufungsgerichts abstellen, sind nicht geeignet, gegenüber dem Obersten Gerichtshof die Zulässigkeit der Revision iSd § 502 Abs 1 ZPO darzutun (vgl 9 ObA 62/14d). Der Umstand, dass noch ein weiteres Gerichtsverfahren mit derselben Rechtsfrage anhängig ist, bewirkt für sich allein ebenfalls noch nicht die Erheblichkeit des vorliegenden Rechtsmittels iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0042816; 9 ObA 60/15m).

Da die Revision des Klägers damit insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO geltend macht, ist sie zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen.

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