OGH 7Ob75/16d

OGH7Ob75/16d25.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GesmbH, *****, vertreten durch Dr. Roland Mühlschuster, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei H***** AG, *****, vertreten durch Dr. Franz Kampenhuber, Rechtsanwalt in Linz, wegen 11.372,90 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 23. November 2015, GZ 14 R 151/15x‑19, womit das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 17. Juni 2015, GZ 11 C 745/14s‑15, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00075.16D.0525.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 860,50 EUR (darin enthalten 143,43 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht ließ nachträglich die Revision mit der Begründung zu, die Revisionswerberin habe mit mehrfachen Argumenten dargetan, dass es wiederholte Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs gebe, aus denen mitunter ein für sie günstigeres Ergebnis abgeleitet werden könnte, wobei ein gleichartiger Fall bisher noch nicht entschieden worden sei. Diese Begründung genügt den Anforderungen des § 508 Abs 3 ZPO nicht. Die Begründung muss nämlich konkret aufzeigen, worin die nunmehr (entgegen dem vorherigen Unzulässigkeitsausspruch abweichend angenommene) erhebliche Rechtsfrage gelegen sein soll (RIS‑Justiz RS0111729 [T2a]).

Die Revision ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. In der Haftpflichtversicherung schuldet der Versicherer dem Versicherungsnehmer primär nicht die Zahlung bestimmter Beträge. Vielmehr ist der Haftpflichtversicherer gemäß § 149 VersVG verpflichtet, dem Versicherungsnehmer die Leistung zu ersetzen, die er aufgrund seiner Verantwortlichkeit für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache an einen Dritten zu bewirken hat. Der Versicherungsnehmer hat gegenüber dem Versicherer ‑ im Rahmen des abgeschlossenen Vertrags ‑ einen Befreiungsanspruch, der ihn von den Folgen der Inanspruchnahme durch den geschädigten Dritten schützen soll (7 Ob 63/15p mwN). Der Versicherungsanspruch in der Haftpflichtversicherung ist aber nicht nur auf die Befreiung von begründeten Haftpflichtansprüchen gerichtet; vielmehr schließt er auch die Abwehr unberechtigter Ansprüche in sich (RIS‑Justiz RS0081228, RS0080013).

2. Der einheitliche Versicherungsanspruch bestehend aus dem Befreiungs‑ und Rechtsschutzanspruch in der Haftpflichtversicherung entsteht in dem Zeitpunkt, in dem der Versicherungsnehmer von einem Dritten ernstlich auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird (RIS‑Justiz RS0080086, RS0079963).

Ab der Inanspruchnahme durch den Dritten steht dem Versicherungsnehmer (vorerst nur) ein rechtliches Interesse an der Feststellung des primären Versicherungsschutzes (der Deckungspflicht) zu, wenn der Versicherer die Deckung ablehnt (RIS‑Justiz RS0038928 [T5]). Mit der bloßen Ablehnung der Deckung geht allerdings der primär nicht auf eine Geldleistung gerichtete Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers nicht (gleichsam automatisch) in einen Zahlungsanspruch über (RIS‑Justiz RS0038928 [T6]). Auf eine Leistungsklage kann der Versicherungsnehmer noch nicht verwiesen werden, auch wenn der Schaden bereits zur Gänze behoben wurde oder der geltend gemachte Schaden bereits ziffernmäßig feststeht (RIS‑Justiz RS0038928 [T7]). Der Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers verwandelt sich gemäß § 154 Abs 1 VersVG, der keine Sondervorschriften für das Fälligwerden anordnet (RIS‑Justiz RS0080609), nur dann in einen Zahlungsanspruch, wenn der Versicherungsnehmer den Dritten befriedigt oder der Anspruch des Dritten durch rechtskräftiges Urteil, durch Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist (RIS‑Justiz RS0080603).

3. Dabei ist nur das konstitutive, nicht aber das deklarative Anerkenntnis ein solches im Sinn des § 154 Abs 1 VersVG (RIS‑Justiz RS0130422).

Die Klägerin lässt offen, ob sie dem Geschädigten gegenüber ein deklaratives oder ein konstitutives Anerkenntnis abgab:

3.1 Handelte es sich um ein deklaratives Anerkenntnis, dann hätte sich der Befreiungsanspruch nicht in einen Zahlungsanspruch gewandelt.

3.2 Legte man aber zugunsten der Klägerin ein konstitutives Anerkenntnis zugrunde, wäre für sie ebenfalls nichts gewonnen, weil der Versicherungsnehmer bei Feststellung der Haftpflichtansprüche des Dritten durch rechtskräftiges Urteil, durch Anerkenntnis oder Vergleich, soweit der Dritte nicht bereits durch ihn befriedigt wurde, nur Zahlung an den Dritten, nicht aber an sich selbst verlangen kann (RIS‑Justiz RS0065814 [T1]). Da der Geschädigte von der Klägerin bisher weder befriedigt wurde, noch in der Revision seine allfällige Zustimmung zur Auszahlung an die Klägerin releviert wird, ist die Abweisung des Zahlungsanspruchs der Klägerin durch das Berufungsgericht nicht zu beanstanden.

4. Es entspricht allgemein den verfahrensrechtlichen Grundsätzen, dass die Möglichkeit einer Leistungsklage nur bei gleichem Rechtsschutzeffekt die Feststellungsklage verdrängt (RIS‑Justiz RS0038849). Ist die Feststellung eines Umstands begrifflich und rechtlich notwendig durch die Leistungsklage in vollem Umfang umfasst, so kann ein Feststellungsurteil gefällt werden, da kein „aliud“, sondern ein „minus“ vorliegt (RIS‑Justiz RS0039172). Ob die im Revisionsverfahren ‑ bloß ‑ hilfsweise erfolgte Umwandlung des Leistungsbegehrens in ein Feststellungbegehren zulässig ist, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn man dies bejahte, dürfte das Feststellungsbegehren, um gegenüber dem Leistungsbegehren ein „minus“ darzustellen, über das ein Feststellungsurteil gefällt werden dürfte, bloß einen Anspruch betreffen, der zeitlich und umfangmäßig nicht über den in der Leistungsklage bereits geltend gemachten Anspruch hinausgeht (RIS‑Justiz RS0038981).

4.1 Das im ersten Eventualantrag der Revision auf Feststellung der Zahlungspflicht der Beklagten gegenüber der Klägerin formulierte Feststellungsbegehren ist schon deshalb unzulässig, weil im Sinne der obigen Ausführungen ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung an sich schon dem Grunde nach nicht besteht.

4.2 Das von der Klägerin als zweites Eventualbegehren formulierte Feststellungsbegehren geht über das ursprünglich erhobene Leistungsbegehren insofern „umfangmäßig“ hinaus, als damit die Haftpflichtversicherungsdeckung (wenn auch mit betraglicher Beschränkung) angestrebt wird. Da eine Haftpflichtversicherungsdeckung auch die Befreiung von allfälligen unbegründeten Ansprüchen eines sich durch den Versicherten geschädigt erachteten Dritten (Befreiungs‑ und Rechtsschutzanspruch) umfasst, geht ein (solches) Begehren auf Feststellung der Haftpflichtversicherungsdeckung über das bloße Leistungsbegehren hinaus. Nach ständiger Rechtsprechung wäre im (Haftpflicht‑)Versicherungsrecht die bloße Feststellung gegenüber einem Leistungs‑(Zahlungs‑)Begehren an den Versicherungsnehmer also nur dann ein „minus“, wenn nur mehr mangelnde Fälligkeit dem geltend gemachten Deckungsanspruch entgegenstünde. Dies ist hier nicht der Fall.

5. Die Revision war mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO; die Beklagte wies auf die Unzulässigkeit hin.

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