OGH 9ObA110/15i

OGH9ObA110/15i28.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Mag. Robert Brunner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei ***** W*****, vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Dr. ***** S*****, vertreten durch Imre & Schaffer Rechtsanwälte OG in Gleisdorf, wegen 2.058,40 EUR brutto sA (Revisionsinteresse 1.777,82 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Juni 2015, GZ 7 Ra 36/15s‑14, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 27. März 2015, GZ 36 Cga 8/15x‑10, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00110.15I.1028.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts, das im Umfang des Teilzuspruchs von 280,85 EUR brutto sA in Rechtskraft erwachsen ist, wird hinsichtlich der noch strittigen Forderung von 1.777,82 EUR brutto sA dahin abgeändert, dass insoweit das klagsstattgebende Ersturteil einschließlich der Kostenentscheidung zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark an Aufwandersatz für das Berufungsverfahren 465 EUR sowie der klagenden Partei die mit 540,82 EUR (darin 56,14 EUR USt und 204 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der Beklagten vom 3. 10. 2011 bis 30. 11. 2014 als Zahnarztassistentin beschäftigt.

§ 15 des auf das Dienstverhältnis zwischen den Parteien anwendbaren Kollektivvertrags für die Zahnarztangestellten Österreichs (kurz: KV) lautet wie folgt:

§ 15 Kündigung

1. Ist das Dienstverhältnis ohne Zeitbestimmung eingegangen oder fortgesetzt worden, so unterliegt dessen Lösung den Bestimmungen des § 20 Angestelltengesetz. Bezüglich der Kündigungsfrist wird gemäß § 20 Abs 3 des Angestelltengesetzes vereinbart, dass sie am Letzten eines Kalendermonates endigt.

2. Kündigungen müssen bei sonstiger Rechtsunwirksamkeit schriftlich erfolgen.

Am 31. 10. 2014 sprach die Beklagte zunächst fernmündlich gegenüber der Klägerin die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Noch am selben Tag verfasste die Beklagte ein an die Klägerin gerichtetes Kündigungsschreiben, in dem sie ua erklärte, dass das Arbeitsverhältnis infolge der Kündigung mit 30. 11. 2014 ende. Das Kündigungsschreiben war mit Stempel und Unterschrift der Beklagten versehen und ging der Klägerin per Post am 4. 11. 2014 zu. Darüber hinaus fotografierte die Beklagte das Kündigungsschreiben und übermittelte das Foto über „WhatsApp“ noch am 31. 10. 2014 an die Klägerin. Diese erhielt auch die fotografierte Kündigung über „WhatsApp“ und las sie zur Gänze, also inklusive Stempel und Unterschrift der Beklagten, noch am selben Tag durch.

Mit Schreiben vom 13. 11. 2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die am 31. 10. 2014 ausgesprochene Kündigung weiterhin bestehe, aber die Kündigungsfrist auf zwei Monate berichtigt werde, weil dies das Angestelltengesetz vorsehe. Somit ende das Arbeitsverhältnis am 31. 12. 2014.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten (nach Einschränkung) 2.058,40 EUR brutto sA an restlicher Kündigungsentschädigung samt anteiliger Sonderzahlungen und anteiliger Urlaubsersatzleistung für den Zeitraum 1. 12. 2014 bis 31. 1. 2015. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei fristwidrig erfolgt, weil ihr die schriftliche Kündigung erst am 4. 11. 2014 zugegangen sei. Die ihr von der Beklagten über „WhatsApp“ übermittelte Fotografie des Kündigungsschreibens erfülle nicht das in § 15 Z 2 KV normierte Formerfordernis der Schriftlichkeit.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ‑ soweit revisionsgegenständlich ‑ ein, dass dem Schriftformgebot durch das über „WhatsApp“ der Klägerin übermittelte Kündigungsschreiben entsprochen worden sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Eine Kündigung mittels „WhatsApp“ genüge dem im Kollektivvertrag vorgesehenen Schriftlichkeitsgebot nicht. Die einzuhaltende Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsletzten sei erst ab dem Erhalt des Kündigungsschreibens vom 4. 11. 2014 bis 31. 1. 2015 gelaufen. Damit stehe der Klägerin die geltend gemachte Kündigungsentschädigung zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Dem Klagebegehren im Umfang von 280,58 EUR brutto sA (restliche Kündigungsent-schädigung für Dezember 2014) gab es statt, das Mehrbegehren im Umfang von 1.777,82 EUR brutto sA (Kündigungsentschädigung für Jänner 2015) wies es hingegen ab. Es ging davon aus, dass die Übermittlung (und Kenntnisnahme) der unterschriebenen Kündigung über „WhatsApp“ dem Schriftlichkeitsgebot genüge, sodass die schriftliche Kündigung durch die Beklagte der Klägerin mit 31. 10. 2014 wirksam zugegangen sei. Die Kündigungsfrist habe daher mit 31. 12. 2014 geendet. Die ordentliche Revision ließ es zur Frage, ob die Übermittlung eines mit Originalunterschrift versehenen Kündigungsschreibens über „WhatsApp“ dem Schriftlichkeitsgebot entspreche, zu.

In ihrer gegen den klagsabweisenden Teil dieser Entscheidung gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung , die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

1. Die dem normativen Teil eines Kollektivvertrags angehörenden Bestimmungen sind nach den Regeln, die für die Auslegung von Gesetzen gelten (§§ 67 ABGB) auszulegen, und zwar nach ihrem objektiven Inhalt. Maßgeblich ist daher, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RIS-Justiz RS0008782; RS0010088; RS0008807 ua). Dabei ist im Zweifel zu unterstellen, dass die Vertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und daher eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (RIS-Justiz RS0008897; RS0008828). Bei Übernahme gesetzlicher Begriffe durch einen Kollektivvertrag kann im Zweifel davon ausgegangen werden, dass der Kollektivvertrag diese Begriffe im gleichen Sinne verwendet wie das Gesetz (RIS-Justiz RS0008761).

2. Nach§ 886 Satz 1 ABGB kommt ein Vertrag, für den Gesetz oder Parteiwille Schriftlichkeit bestimmt, durch die Unterschrift der Parteien (…) zustande. Diese Bestimmung ist nicht nur auf Verträge, sondern auch auf einseitige Erklärungen anzuwenden, für welche das Gesetz, ohne eine entsprechende Einschränkung zu machen, Schriftlichkeit normiert (RIS-Justiz RS0017216).

3. Dass es sich bei dem in einem Kollektivvertrag normierten Formgebot nicht bloß um eine Ordnungsvorschrift, sondern um eine Wirksamkeitsvoraussetzung handelt, ist ständige Rechtsprechung (9 ObA 14/08m; 9 ObA 78/08y mwN).

4.1. Das Gesetz versteht Schriftlichkeit in § 886 ABGB als „Unterschriftlichkeit“, die durch eigenhändige Unterfertigung unter den Text hergestellt wird (RIS-Justiz RS0078934). Das Erfordernis der Schriftform soll schon ganz allgemein gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können (RIS-Justiz RS0017221).

4.2. Die unterschiedlichen Formgebote sind nach ihrem jeweiligen Zweck zu untersuchen (vgl 5 Ob 207/02f; 9 ObA 96/07v; 9 ObA 14/08m; 3 Ob 259/08x; 9 Ob 41/12p; 3 Ob 104/14m ua; vgl RIS-Justiz RS0031424; RS0013121; P. Bydlinski, KBB4 § 886 Rz 7; Dullinger in Rummel/Lukas, ABGB4 § 886 Rz 12). In jedem Einzelfall ist auch zu prüfen, ob ein Schriftformgebot nach dem konkreten Formzweck auch dann eingehalten ist, wenn das eigenhändig unterfertigte Schriftstück bloß unter Einsatz elektronischer Medien übermittelt wird (Kalss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 Rz 9; § 886 ABGB Rz 9; Riedler in Schwimann/Kodek 4 § 886 Rz 7; Kolmasch in Schwimann/Kodek, ABGB Taschenkommentar3 § 886 Rz 5).

4.3. Der Zweck der Schriftform (mit Unterschrift) wird auch im Übereilungsschutz und in der Beweissicherung gesehen (3 Ob 104/14m mwN). Aber auch andere Zwecke, die sich zum Teil mit den genannten überschneiden, kommen in Betracht, etwa dass eine Erklärung in Bezug auf die Person des Erklärenden und den Inhalt besonders augenscheinlich gemacht wird (9 ObA 14/08m = DRdA 2009/7, 43 [Ziehensack]). Dieser letztgenannte Zweck kann sich sowohl auf die Ausstellerseite (Schutz vor Übereilung bei Abgabe der Erklärung) als auch auf die Empfängerseite (besondere Bedeutung des Schreibens) beziehen (3 Ob 104/14m).

4.4. Gerade die besondere Bedeutung eines das Arbeitsverhältnis beendenden Kündigungsschreibens für den Empfänger ist wesentlicher Zweck des in § 15 Z 2 KV bei sonstiger Rechtsunwirksamkeit festgelegten Schriftlichkeitsgebots. Der Empfänger, sei es nun der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer, soll durch die geforderte Schriftlichkeit ein Dokument über die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den anderen Vertragsteil zum weiteren Verbleib bei ihm erhalten, damit er es einer Überprüfung unterziehen kann. Die physische Verfügungsmöglichkeit über eine tatsächliche „Hardcopy“ (hier im Sinne des Ausdrucks des Dokuments) des Kündigungsschreibens ermöglicht dem Empfänger nicht zuletzt auch die Anfertigung einer Kopie und Übergabe derselben oder des Originals an eine Beratungsstelle (Gewerkschaft, Arbeiterkammer, Rechtsanwalt) (DRdA 2009/7, 45 [Ziehensack]). Zudem besitzt die Schriftform einer Kündigung in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzende Beweisfunktion. Es soll nämlich verhindert werden, dass über die Existenz einer Kündigung und die daraus resultierende Beendigung des Arbeitsverhältnisses Ungewissheit oder Streit besteht (vgl Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht15 § 623 BGB Rz 1). Berücksichtigt man, dass die Kollektivvertragsparteien mit der Formvorschrift des § 15 Z 2 KV eine zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen wollten (siehe Pkt 1), dann muss davon ausgegangen werden, dass sie bei Festlegung der Formvorschrift der Schriftlichkeit für Kündigungen auch die verschiedenen (und auch damals üblichen) Zugangsmöglichkeiten im Blick gehabt haben.

4.5. Nicht weiter strittig ist, dass es sich bei „WhatsApp“ um eine plattformübergreifende mobile Nachrichten-Applikation handelt, die es erlaubt, zwischen zwei oder mehreren Smartphones via Internet vor allem Textnachrichten und Bilddateien auszutauschen, ohne den sonst für SMS anfallenden Tarif eines Mobilfunkanbieters zahlen zu müssen. Die Applikation „WhatsApp“ greift zu auf den zugrundeliegenden Chat-Dienst gleichen Namens, der 2009 gegründet wurde. Ein nun über „WhatsApp“ übermitteltes Foto der schriftlichen Kündigungserklärung erfüllt die vorstehenden Zwecke schon deshalb nicht, weil es für den Empfänger der Nachricht ohne weitere Ausstattungen und technisches Wissen nicht möglich ist, das auf dem Smartphone übermittelte Foto des Kündigungsschreibens auszudrucken. Erhält der Empfänger einer Kündigung aber keinen Ausdruck der Kündigung und kann er auch nicht leicht den Ausdruck vom Foto des Dokuments bewerkstelligen und sich damit ein physisches Schriftstück herstellen, ist auch nicht ausreichend gewährleistet, dass der Empfänger alleine aus dem auf dem Smartphone (je nach Qualität und Größe des Displays) ersichtlichen Foto des Schriftstücks den Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnehmen kann.

4.6. Der vom Berufungsgericht gezogene Vergleich eines über „WhatsApp“ übermittelten Kündigungsschreibens mit einer „Telefax-Bürgschaft“, deren Wirksamkeit von der jüngeren Rechtsprechung anerkannt wird (9 Ob 41/12p; 1 Ob 161/13b), ist nicht zielführend. Die Sachverhalte und Probleme sind verschieden. Steht bei der Frage, ob die „Telefax-Bürgschaft“ dem Formzweck der Schriftlichkeit genügt, der Übereilungsschutz im Vordergrund, so liegt der Formzweck der Schriftlichkeit der Kündigung einer Arbeitsvertragspartei im Hinblick darauf, dass die Frage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses frei von Unsicherheiten sein soll, wesentlich im Bedürfnis des Empfängers, das Kündigungsschreiben des anderen Vertragsteils physisch in Händen zu haben (siehe Pkt 4.4.).

4.7. Zusammengefasst wird ein vom schriftlichen (unterfertigten) Kündigungsschreiben erstelltes und über „WhatsApp“ an den Arbeitsvertragspartner übermitteltes Foto desselben dem in § 15 Z 2 des Kollektivvertrags für die Zahnarztangestellten Österreichs normierten Schriftformgebot für Kündigungen nicht gerecht. Da sich der Empfänger der „WhatsApp“-Nachricht nicht ohne weiteres, also ohne zusätzliches einfaches technisches Vorgehen, einen Ausdruck in Form eines physischen Schriftstücks des ihm übermittelten Fotos des Kündigungsschreibens herstellen kann, entspricht ein über „WhatsApp“ übermitteltes Foto des Kündigungs-schreibens den Formzwecken des Schriftformgebots des § 15 Z 2 KV, nämlich der ausreichenden Prüfungsmöglichkeit des Kündigungsschreibens und dem Beweiszweck, insbesondere auch für den Empfänger, nicht.

4.8. Die durch die Beklagte erfolgte Kündigung des Arbeitsverhältnisses wurde daher erst durch das der Klägerin am 4. 11. 2013 zugegangene Kündigungsschreiben wirksam. Die Kündigungsfrist endete somit gemäß § 15 Z 1 KV iVm § 20 Abs 1 AngG am 31. 1. 2015. Der Klägerin steht aufgrund der fristwidrigen Kündigung bis zu diesem Zeitpunkt die der Höhe nach nicht mehr strittige Kündigungsentschädigung zu (RIS-Justiz RS0028223).

Der Revision der Klägerin ist daher Folge zu geben und das Ersturteil im bekämpften Umfang wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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