OGH 12Os43/15p

OGH12Os43/15p9.7.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Juli 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Leisser als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ertan Y***** und andere Angeklagte wegen der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Tolga Y*****, Mesut K***** und Veysel S***** sowie über die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Ertan Y***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Jugendschöffengericht vom 19. August 2014, GZ 25 Hv 195/13x‑227, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00043.15P.0709.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Den Angeklagten Tolga Y*****, Mesut K***** und Veysel S***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige Freisprüche und einen rechtskräftigen Schuldspruch eines weiteren Angeklagten enthält, wurde Mesut K***** der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall, 12 dritter Fall StGB (I./5./, 7./ und 8./), Tolga Y***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall, 12 dritter Fall StGB (I./8./) sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgift nach § 27 Abs 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG (III./) und Veysel S***** des Vergehens der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach haben

I./ Tolga Y***** und Mesut K***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz zur Ausführung strafbarer Handlungen des Ertan Y***** beigetragen, der ‑ soweit zur Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerden von Relevanz ‑ durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben jeweils unter Verwendung einer Gaspistole am 26. Dezember 2012 in P***** Verfügungsberechtigte des Wettbüros C***** zur Übergabe von 8.000 Euro Bargeld (I./5./), am 6. September 2013 in W***** Gewahrsamsträger des W***** zur Übergabe von 13.292,49 Euro Bargeld (I./7./) und am 11. September 2013 in T***** Gewahrsamsträger einer Tankstelle zur Übergabe von 2.889,26 Euro Bargeld (I./8./) nötigte, indem Tolga Y***** am 11. September 2013 Ertan Y***** und Mesut K***** zum Tatort führte (I./8./) und Mesut K***** am 26. Dezember 2012 sowie am 6. September 2013 die jeweiligen Tatorte „ausspionierte“ (I./5./ und 7./) und am 11. September 2013 „über Ersuchen des Ertan Y***** mit zum Tatort fuhr“ (I./8./);

II./ Veysel S***** es am 11. September 2013 in T***** mit dem Vorsatz, dass vorsätzlich eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Handlung, nämlich das (zu I./8./ näher beschriebene) Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB begangen werde, unterlassen, ihre unmittelbar bevorstehende oder schon begonnene Ausführung zu verhindern;

III./ Tolga Y***** von Sommer 2012 bis Oktober 2013 in P***** und anderen Orten der am 23. August 1997 geborenen Ferjania T*****, der am 4. September 1996 geborenen Nadin M*****, der am 6. Dezember 1997 geborenen Nina S*****, der am 20. März 1998 geborenen Jennifer G***** und der am 25. September 1998 geborenen Silvia Gr***** den Gebrauch von Suchtgift ermöglicht, wobei er selbst volljährig und mehr als zwei Jahre älter als die Minderjährigen war, indem er den Genannten vorschriftswidrig eine nicht mehr feststellbare Menge Cannabiskraut unentgeltlich überließ.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Mesut K*****:

Nach der am 19. August 2014 stattgefundenen Hauptverhandlung meldete der Angeklagte durch seinen Verteidiger Berufung wegen Strafe und wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche an (ON 194 S 37; vgl auch ON 196). Nach Zustellung der Urteilsausfertigung führte der Rechtsmittelwerber eine Nichtigkeitsbeschwerde und eine Berufung aus. Die Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde innerhalb der Frist des § 284 Abs 1 StPO muss deutlich und bestimmt erklärt werden. Die vorliegende Anmeldung der Berufung entspricht diesem Erfordernis nicht, sodass sich die ohne Anmeldung ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde als unzulässig erweist (RIS‑Justiz RS0100007, RS0100132, RS0099992).

Mit Blick auf § 290 StPO führt die Generalprokuratur aus, der Schuldspruch I./8./ leide in dem den Angeklagten Mesut K***** betreffenden Umfang „an einem Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a) zur objektiven Tatseite, weil das festgestellte (bloße) Mitfahren zum Tatort (US 11) für sich allein (trotz der dislozierten tatrichterlichen Annahme, Ertan Y***** habe 'offenkundig seine Anwesenheit für erforderlich' gehalten; US 14) noch keinen ‑ im Sinne der dabei gebotenen strengen Prüfung der Ursächlichkeit ‑ kausalen Tatbeitrag darstellt (RIS‑Justiz RS0089840, RS0090497, RS0090508; Fabrizy in WK2 StGB § 12 Rz 90)“.

Dem Angeklagten liegt jedoch nicht das „(bloße) Mitfahren“ zur Last, somit nicht die bloße Anwesenheit am oder in der Nähe des Tatorts, worauf sich die in der Stellungnahme zitierte Judikatur und Literatur bezieht, sondern das Mitfahren auf „Anweisung bzw Ersuchen“ des Ertan Y***** und die Vereinbarung mit diesem, gemeinsam mit Tolga Y***** in einiger Entfernung von der Tankstelle zu warten, wobei sich der unmittelbare Täter nach der Tat telefonisch bei ihnen melden würde (US 11). Darin ist aber zumindest eine psychische Unterstützung zu erblicken (RIS‑Justiz RS0089799, insbesondere [T6, T8]).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Tolga Y*****:

Der Angeklagte beruft sich nominell auf Z 4, 5 vierter Fall, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO, erstattet jedoch lediglich aus Z 9 lit a ein inhaltliches Vorbringen.

Der Nichtigkeitswerber behauptet zu I./8./ einen „Feststellungsmangel“ (gemeint: Rechtsfehler mangels Feststellungen; Z 9 lit a), weil das Erstgericht nicht festgestellt hätte, dass er es ernsthaft für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe, dass durch seinen Transport des unmittelbaren Täters zum Tatort dessen Tatausführung gefördert werde.

Die Tatrichter konstatierten, dass Tolga Y***** über „Anweisung bzw Ersuchen“ des Ertan Y***** diesen zum Tatort steuerte, einige hundert Meter von der Tankstelle entfernt anhielt, wobei sie vereinbarten, dass sich Letztgenannter nach der Tat telefonisch melden würde. Weiters wusste Tolga Y*****, dass Ertan Y***** Angestellte einer Tankstelle unter Vorhalt einer Waffe, also mit gefährlicher Drohung mit dem Tod, zur Herausgabe von Geld nötigen würde (US 11).

Warum mit dieser Konstatierung nicht zum Ausdruck kommen sollte, dass der Rechtsmittelwerber damit die Tatausführung durch den unmittelbaren Täter fördern wollte (vgl Kienapfel/Höpfel/Kert AT14 E 5 Rz 8, 10), bleibt ‑ entgegen der Ansicht der Generalprokuratur ‑ offen.

Auch zu Schuldspruch III./ behauptet der Angeklagte einen Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a), weil nicht „explizit“ konstatiert worden wäre, dass sich in den von ihm den im Spruch genannten Minderjährigen überlassenen Joints auch tatsächlich Cannabis befand und ob sich sein Vorsatz auch auf das Überlassen von Cannabis bezogen habe.

Die Nichtigkeitsbeschwerde lässt jedoch außer Acht, dass sich das Schöffengericht bei seinen Feststellungen zur Übergabe von „Joints“ betreffend die objektive und die subjektive Tatseite auf zuvor dem Angeklagten von gesondert verfolgten Personen zur Verfügung gestelltes Cannabiskraut bezog (US 12).

Weiters behauptet der Angeklagte fehlende Feststellungen zur subjektiven Tatseite betreffend das „Überlassen“. Dieses Vorbringen ist angesichts der erstrichterlichen Konstatierungen, wonach der Angeklagte den minderjährigen Personen ‑ durch Weiterreichen über den abgesondert verfolgten Eldar R***** ‑ Joints übergab, welche er aus zuvor von diesem erhaltenen Cannabiskraut gedreht hatte, und dies auch wusste (US 12), nicht nachvollziehbar.

Entgegen der Ansicht der Generalprokuratur verwirklichte der Angeklagte damit den Tatbestand des § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG als unmittelbarer Täter und nicht als Täter durch sonstigen Beitrag nach § 12 dritter Fall StGB (RIS‑Justiz RS0088330). Nach den erstgerichtlichen Konstatierungen ist Eldar R***** nämlich als Mittäter des Rechtsmittelwerbers anzusehen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Veysel S*****:

Aus Z 3 macht der Nichtigkeitswerber geltend, dass die schriftliche Urteilsausfertigung hinsichtlich des Sanktionsausspruchs (§ 260 Abs 1 Z 3 StPO) nicht dem verkündeten Urteil entspreche (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 280). Zwischenzeitig wurde allerdings die Urteilsausfertigung auf Antrag des Angeklagten an das mündlich verkündete Urteil angeglichen (ON 220), sodass das diesbezügliche Rechtsmittelvorbringen hinfällig ist.

Soweit der ‑ abweichend von der gegen ihn wegen §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (ON 91 S 4 und 12 f) erhobenen Anklage wegen des Vergehens der Nichtverhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs 1 StGB verurteilte ‑ anwaltlich vertretene Beschwerdeführer einen Verstoß gegen § 262 StPO behauptet (Z 8), legt er nicht dar, weshalb er trotz der (von ihm ohnehin auch im Rechtsmittel wiedergegebenen) Mitteilung durch die Vorsitzende des Schöffengerichts in der Hauptverhandlung am 8. Mai 2014 (ON 167 S 6 f; zur Verlesung ON 194 S 34), hinsichtlich Veysel S***** komme auch „Nichtverhinderung“ in Betracht, keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem neuen rechtlichen Gesichtspunkt gehabt haben sollte (vgl 12 Os 150/11t). Die Kritik an Wortlaut und Zeitpunkt der erteilten (hinreichend konkreten; vgl Lewisch, WK‑StPO § 262 Rz 94) Information über die Möglichkeit der Abweichung in der rechtlichen Beurteilung des von der Anklage umfassten Sachverhalts (RIS‑Justiz RS0113755, RS0121419) verkennt, dass die strikte Einhaltung der von § 262 StPO beschriebenen Form als solche nicht unter der Nichtigkeitssanktion des § 281 Abs 1 Z 8 StPO steht (RIS‑Justiz RS0113755 [T2 und T3]; Lewisch, WK‑StPO § 262 Rz 98).

Indem der Rechtsmittelwerber ausführt, das Erstgericht hätte nicht festgestellt, dass er sich seiner individuellen Handlungsmöglichkeiten bewusst war (nominell Z 5, inhaltlich Z 9 lit a), lässt er die insoweit gerade noch ausreichenden Feststellungen (vgl Ratz, WK‑StPO Rz 19) außer Acht (US 12 f).

Die einen Feststellungsmangel betreffend den Entschuldigungsgrund nach § 286 Abs 2 Z 1 StGB zum angelasteten Vergehen der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung reklamierende Rüge (nominell Z 5, inhaltlich Z 9 lit b) legt nicht dar, aufgrund welcher Beweisergebnisse vom erkennenden Gericht zu erwägen gewesen wäre, dass die Verhinderung oder Benachrichtigung der Behörde (§ 151 Abs 3 StGB) nicht leicht und ohne sich oder einen Angehörigen der Gefahr eines beträchtlichen Nachteils auszusetzen, bewirkt werden konnte. Die Verantwortung des Angeklagten, dass es keine andere Möglichkeit gegeben hätte, Ertan Y***** von einer „Verzweiflungstat“ abzuhalten, wurde vom Schöffengericht als Schutzbehauptung (US 13) gewertet. Indem der Angeklagte dies bestreitet, bekämpft er nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung, ohne Nichtigkeit aufzuzeigen. Damit bleiben die Feststellungen aber ‑ entgegen der Ansicht der Generalprokuratur ‑ nicht ohne Sachverhaltsbezug (vgl RIS‑Justiz RS0119090). Im Übrigen handelt es sich bei Ertan Y***** um keinen Angehörigen des Nichtigkeitswerbers.

Soweit der Rechtsmittelwerber behauptet, dass er „die tatsächlichen Umstände nicht erkannte, die seine Verhinderungspflicht begründeten“, weshalb ein Tatbildirrtum vorliege (nominell Z 9 lit b, inhaltlich Z 9 lit a; RIS‑Justiz RS0088950), vernachlässigt er die Konstatierungen der Tatrichter, wonach er „wusste, dass Ertan Y*****, Tolga Y***** und Mesut K***** in Begriff waren, einen Angestellten einer Tankstelle mittels einer Waffe zur Herausgabe von Geld zu nötigen, welches sie sich mit Bereicherungsvorsatz zueignen wollten“ und er weiters „wusste und in Kauf nahm, dass er diese Tat nicht verhinderte“ (US 11). Damit verfehlt die Rechtsrüge prozessordnungskonforme Ausführung (RIS‑Justiz RS0099810).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a StPO.

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