OGH 7Ob202/14b

OGH7Ob202/14b10.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** H*****, vertreten durch Dr. Andrea Müller, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei M***** H*****, vertreten durch Dr. Hermann Sperk, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 2. September 2014, GZ 20 R 98/14y‑45, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00202.14B.1210.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Das rechtliche Gehör ist gewahrt, wenn den Parteien Gelegenheit gegeben wird, ihren Standpunkt darzulegen und wenn sie sich zu allen Tatsachen und Beweisergebnissen, die der Entscheidung zu Grunde gelegt werden sollen, äußern konnten (RIS‑Justiz RS0005915, RS0006002), wofür zumindest eine Ladung der Parteien zur Beweisaufnahme oder die Bekanntgabe der Verfahrensergebnisse mit der Einräumung einer Äußerungsmöglichkeit gefordert wird (RIS‑Justiz RS0005915 [T2]).

Dadurch, dass das Erstgericht die Erstreckung der Tagsatzung auf den nächsten Tag in Anwesenheit der Parteienvertreter verkündete, war das rechtliche Gehör der Beklagten gewahrt. Vor der Erledigung eines Vertagungsantrags darf mit der beantragten Verlegung der Tagsatzung nicht gerechnet werden. Bleibt der Antrag unerledigt und findet die Tagsatzung zum ursprünglichen Termin in Abwesenheit des Antragstellers statt, so liegt auch hier keine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO vor.

2. Mit ihren Ausführungen, die Gründe, aus denen ihrer Rechtsvertretung die Teilnahme an der Tagsatzung nicht möglich gewesen seien, seien nicht ausreichend beachtet worden, macht die Beklagte tatsächlich eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz geltend. Dieser bereits in der Berufung erfolglos geltend gemachte Mangel des Verfahrens erster Instanz ist vom Revisionsgericht nicht mehr zu prüfen (RIS‑Justiz RS0042963).

3. Grundsätzlich kann mit der Behauptung einer unzureichenden Beweiswürdigung der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht dargetan werden, sofern sich das Berufungsgericht ‑ wie hier ‑ mit der Beweisfrage befasst und nachvollziehbare Erwägungen dazu angestellt hat (RIS‑Justiz RS0043371, RS0043150).

4. Eine Aktenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, das heißt, wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und in Folge dessen ein fehlerhafter Sachverhalt der rechtlichen Beurteilung unterzogen wird (RIS‑Justiz RS0043347 [T1]). Die Aussagekraft einzelner Beweisergebnisse fällt in das Gebiet der Beweiswürdigung und begründet keine Aktenwidrigkeit (RIS‑Justiz RS0043347 [T18]).

Am 4. 11. 2011 bezichtigte die Beklagte, ohne Beweise dafür zu haben, den Kläger gegenüber einer Kollegin in der Bundespolizeidirektion Wien eines Offizialdeliktes zu Lasten der Bundespolizeidirektion Wien, was zur Einleitung eines Strafverfahrens wegen § 302 StGB führte, das letztlich eingestellt wurde. Darin, dass das Erstgericht die gegenüber einer Verfolgungsbehörde getätigte Mitteilung über ein Offizialdelikt als Anzeige bezeichnete, liegt keine Aktenwidrigkeit.

5. Ob außer den zu einem strittigen Umstand bereits vorliegenden Beweisen noch weitere Beweise aufzunehmen gewesen wären, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die im Revisionsverfahren nicht angefochten werden kann (RIS‑Justiz RS0043320 [T15]).

6. Nach § 49 EheG kann die Ehe wegen eines schweren schuldhaften Fehlverhaltens des anderen Ehepartners geschieden werden, wenn diese Eheverfehlung zu einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe geführt hat. Eine unheilbare Ehezerrüttung ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (RIS‑Justiz RS0056832 [T1]). Dafür müssen die gesetzten Verfehlungen objektiv schwer sein und subjektiv als ehezerstörend empfunden werden. Die Ehe ist daher unheilbar zerrüttet, wenn die Gemeinschaft der Ehepartner objektiv beendet und dieser Umstand einem von ihnen subjektiv bewusst ist. Es genügt, dass der klagende Partner die eheliche Gesinnung verloren hat.

Seit längerer Zeit lebten sich die Streitteile bereits auseinander. Sie verbrachten wenig Zeit miteinander, sexuelle Kontakte fanden nicht mehr statt und es kam zu wechselseitigen Beschimpfungen. Vor diesem Hintergrund stellt die Beurteilung, dass die Angaben der Beklagten bei der Polizei am 4. 11. 2011 eine schwere Eheverfehlung darstellte, das den Ehefortsetzungswillen des Klägers dauerhaft zu zerstören geeignet war und diese vom Kläger in seiner Scheidungsklage allein geltend gemachte Eheverfehlung von ihm auch tatsächlich als ehezerstörend empfunden wurde, keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.

7. Von einer entschuldbaren Reaktionshandlung kann nur dann gesprochen werden, wenn sich ein Ehepartner als unmittelbare Folge des grob ehewidrigen Verhaltens des anderen dazu hinreißen lässt, in einer verständigen Gemütsbewegung, die die Zurechnung seines Handelns als Verschulden ausschließt, seinerseits Eheverfehlungen zu setzen (RIS‑Justiz RS0057136 [T1]). Die Verfehlungen des Klägers müssen entweder in einem Zusammenhang mit den Verfehlungen des Beklagten stehen oder diese unverhältnismäßig überwiegen (RIS‑Justiz RS0057159). Es steht einem Ehegatten nicht zu, den anderen durch eigene schwere Eheverfehlungen für vergangene Verfehlungen zu bestrafen (RIS‑Justiz RS0056435).

Die dem Kläger von der Beklagten vorgeworfenen Verfehlungen überwiegen die Eheverfehlung der Beklagten nicht. Entgegen ihrer Ansicht kommt die Qualifikation ihrer Mitteilung an den Dienstgeber des Klägers als entschuldbare Reaktionshandlung nicht in Betracht, steht diese doch in keinem Zusammenhang mit den dem Kläger vorgeworfenen Eheverfehlungen.

8. Ein Mitverschuldensantrag muss sich, wenn er nicht ausdrücklich gestellt wird, aus dem Vorbringen zweifelsfrei entnehmen lassen (RIS‑Justiz RS0082194 [T1]). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die bloße Behauptung von Eheverfehlungen des Klägers im Zusammenhang mit der ausschließlich beantragten Klagsabweisung auch bloß als Darlegung einer entschuldbaren Reaktionshandlung der Beklagten verstanden werden kann, weshalb sich dem Vorbingen der Beklagten ein Mitverschuldensantrag nicht zweifelsfrei entnehmen lässt, hält sich im Rahmen der oberstgerichtlichen Rechtsprechung.

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