European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00197.14F.1127.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 999,29 EUR (darin 166,55 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Die Wiederaufnahmsklägerin (in der Folge nur: Klägerin) wurde am 19. 8. 2012 bei einem Verkehrsunfall verletzt, an dem sie als Radfahrerin und der Erstbeklagte als Lenker eines bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten Pkw beteiligt waren.
Im Verfahren 2 C 647/13a des Bezirksgerichts Grieskirchen (in der Folge: Hauptprozess) begehrte die Klägerin Schadenersatz in Höhe von 11.004,22 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall. Sie behauptete, dass sie noch vor der Kollision auf der Fahrbahn gestürzt sei. Als sie sich aufrichten wollte, sei der Erstbeklagte aus Unachtsamkeit mit seinem Pkw gegen sie gestoßen und habe sie dadurch schwer verletzt.
Mit Urteil vom 17. 10. 2013 wies das Bezirksgericht Grieskirchen das Klagebegehren wegen des Alleinverschuldens der Klägerin rechtskräftig ab. Diesem Urteil liegt die ua auf ein verkehrstechnisches Gutachten gestützte Feststellung zugrunde, dass die Klägerin unter Verletzung des Vorrangs des Erstbeklagten von einem Radweg plötzlich auf die Fahrbahn abgebogen sei, dabei vom Pkw des Erstbeklagten erfasst worden und mit dem Fahrrad nach links umgestürzt sei, wobei der Erstbeklagte die Kollision trotz prompter Reaktion nicht verhindern habe können. Dieses Urteil erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.
Die Klägerin begehrte mit der am 11. 11. 2013 beim Erstgericht eingebrachten Klage die Wiederaufnahme des Hauptprozesses, die Aufhebung des darin ergangenen Urteils vom 17. 10. 2013 sowie die Stattgebung des in diesem Verfahren gestellten Klagebegehrens. Sie stützte sich auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO und brachte vor, sie habe ohne, dass ihr das vorwerfbar wäre, erst am 25. 10. 2013 davon Kenntnis erlangt, dass das beim Unfall beschädigte Fahrrad auch auf der rechten Seite an mehreren Stellen abgeschürft sei. Wären ihr diese Schäden bei der Gutachtenserstattung im Hauptprozess bekannt gewesen, hätte der verkehrstechnische Sachverständige zwingend davon ausgehen müssen, dass die Klägerin nach rechts gestürzt sei. Er wäre keineswegs zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kollision bei aufrechter Position erfolgt sei. Damit wäre aber von einer Reaktionsverletzung des Erstbeklagten oder von einer diesbezüglich für diesen nachteiligen Negativfeststellung auszugehen gewesen.
Die beklagten Parteien wandten ein, dass es die Klägerin im Hauptprozess schuldhaft unterlassen habe, das Fahrrad als Augenscheinsgegenstand anzubieten, obwohl sie uneingeschränkte Möglichkeit gehabt habe, über das Fahrrad zu verfügen. Es sei auch nicht entscheidend, ob das Fahrrad nach der Kollision nach links oder rechts gestürzt sei, sondern, dass es in aufrechter Stellung getroffen worden sei.
Das Erstgericht wies mit seinem Urteil das Wiederaufnahmsbegehren ab.
In den Feststellungen ging es davon aus, dass die Klägerin unmittelbar nach dem Unfall mit dem Fahrrad noch zur Polizei gefahren sei, wo es besichtigt, fotografiert und im Abschlussbericht beschrieben worden sei. Vom 23. 8. bis 29. 8. 2012 habe sich die Klägerin in stationärer Behandlung befunden und vom 6. 11. 2012 bis 18. 12. 2012 einer Rehabilitation unterzogen. Das Fahrrad habe sich seit dem Unfallstag im Kellerabteil der Klägerin befunden und sei von dieser erstmals ab 25. 10. 2013 besichtigt worden.
Das Erstgericht bejahte in rechtlicher Hinsicht ein Verschulden der Klägerin dahin, dass sie die neuen Tatsachen oder Beweismittel nicht vor Schluss der mündlichen Verhandlung am 17. 10. 2013 im Hauptprozess geltend gemacht habe. Es wäre ihr zumutbar gewesen, das Fahrrad davor näher anzuschauen, es zur Tagsatzung mitzubringen oder die Besichtigung durch den Sachverständigen zu beantragen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und die Revision zulässig sei.
Es meinte, dass der Klägerin der ihr obliegende Beweis mangelnden Verschuldens iSd § 530 Abs 2 ZPO nicht gelungen sei, weil sie damit rechnen hätte müssen, dass auch den Beschädigungen am Fahrrad eine wesentliche Bedeutung für die Rekonstruktion des Unfallgeschehens zukommen werde. Es könne nicht gesagt werden, dass die Klägerin von den vorgebrachten neuen Tatsachen und Beweismittel erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Hauptprozess Kenntnis erlangen konnte.
Die ordentliche Revision sei mangels höchstgerichtlicher Judikatur zu einem „auch nur im entferntesten vergleichbaren Sachverhalt“ zuzulassen, zumal der Verschuldensbeurteilung eine über den konkreten Einzelfall hinausgehende rechtserhebliche Bedeutung beizumessen sei und mit guten Argumenten auch die gegenteilige Rechtsansicht vertreten werden könnte.
In ihrer Revision schließt sich die Klägerin der Begründung des zweitinstanzlichen Zulassungsausspruchs an und vertritt inhaltlich die Ansicht, dass ihr kein Verschulden, allenfalls nur eine entschuldbare Fehlleistung vorzuwerfen sei.
Rechtliche Beurteilung
1. Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel wird eine solche Rechtsfrage ausgeführt.
2.1 Eine Wiederaufnahme wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel ist nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außer Stande war, diese vor Schluss der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen (§ 530 Abs 2 ZPO). Der Wiederaufnahmskläger ist für das Fehlen seines Verschuldens beweispflichtig (RIS‑Justiz RS0044633). Ein Verschulden des Wiederaufnahmsklägers liegt dabei nur dann nicht vor, wenn er trotz sorgsamer Prozessvorbereitung von der neuen Tatsache erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses Kenntnis erlangt (RIS‑Justiz RS0044533). Ob ein Wiederaufnahmskläger die nach § 530 Abs 2 ZPO iVm § 1297 ABGB (vgl RIS‑Justiz RS0044623 [T1]; RIS‑Justiz RS0044533 [T10]) zumutbare Sorgfalt angewendet hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, wobei gerade im Falle der rechtsanwaltlich vertretenen Partei ein strenger Maßstab anzulegen ist (RIS‑Justiz RS0044533 [T6]). Einer Entscheidung darüber kommt grundsätzlich keine über diesen Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RIS‑Justiz RS0111578).
2.2 Zur Diligenzpflicht gehört auch die Mitwirkung an der Stoffsammlung (10 Ob 106/08y). Nach ständiger Rechtsprechung dürfen benützbare Beweismittel nicht einem Wiederaufnahmsverfahren vorbehalten werden (1 Ob 258/02a; 10 Ob 106/08y; 9 Ob 32/13s; RIS‑Justiz RS0117483; E. Kodek in Rechberger, ZPO4 § 530 Rz 16). Eine Wiederaufnahmsklage muss dann scheitern, wenn die Partei das Beweismittel bei Anwendung ordnungsgemäßer Aufmerksamkeit schon im Hauptprozess hätte finden bzw dessen Aufnahme beantragen können (RIS‑Justiz RS0044533 [T12]); dazu zählt auch die Zurverfügungstellung eines Augenscheinsgegenstands (vgl 2 Ob 2127/96z). Eine nachträglich erkannte Fehleinschätzung des Beweiswerts eines unterbliebenen Beweismittels kann nicht zur Wiederaufnahme nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO führen (RIS‑Justiz RS0117483 [T2]), weil die Wiederaufnahmsklage nicht dazu bestimmt ist, dass die Parteien von ihnen in der Prozessführung begangene Fehler beheben (RIS‑Justiz RS0044354).
2.3 Die Ansicht der Vorinstanzen, der Klägerin sei unter anderem deshalb ein Verschulden iSd § 530 Abs 2 ZPO vorzuwerfen, weil sie die Bedeutung der Beschädigungen an dem ihr im Hauptprozess jederzeit verfügbaren Fahrrad für die Rekonstruktion des Unfalls verkannt habe, ist jedenfalls vertretbar und nicht korrekturbedürftig. Das betrifft auch die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Klägerin ungeachtet der unmittelbar nach dem Unfall durchgeführten polizeilichen Ermittlungen, die sich nur auf das Strafverfahren bezogen, das unterlassene Vorbringen bzw Beweisanbot im Hauptprozess vorzuwerfen sei. Die damit verbundene Relativierung der im Zusammenhang mit dem Strafverfahren erfolgten Erhebungen korrespondiert durchaus mit dem klägerischen Standpunkt im Hauptprozess. Die Klägerin wies im Zusammenhang mit dem im Strafverfahren eingeholten Gutachten nämlich darauf hin, dass im Zivilverfahren andere Fragen zu klären seien, weshalb im Hauptprozess ein anderer Sachverständiger zu bestellen sei. Auch deshalb erscheint es vertretbar, wenn die Vorinstanzen davon ausgehen, dass sich die Klägerin nicht auf die polizeilichen Ermittlungen hätte verlassen dürfen.
3. Dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt, bedeutet keineswegs, dass die Entscheidung von der Lösung einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechtes abhängt. Besonderheiten der Fallgestaltung schließen eine richtungsweisende, die Rechtsentwicklung vorantreibende und für zukünftige Entscheidungen nutzbringende Judikatur des Obersten Gerichtshofs sogar eher aus (RIS‑Justiz RS0102181; Zechner in Fasching/Konecny 2 § 502 ZPO Rz 70). Der vom Berufungsgericht und der Klägerin herangezogene Umstand, dass eine höchstgerichtliche Judikatur zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehle, reicht daher nicht aus, um das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO darzustellen.
4. Entsprechendes gilt für den Hinweis, dass mit guten Argumenten auch die gegenteilige Rechtsansicht vertreten werden könnte. Die bloße Vertretbarkeit einer anderen Lösung wirft noch keine erhebliche Rechtsfrage auf; andernfalls müsste der Oberste Gerichtshof in jedem derartigen Fall die Sachentscheidung treffen (4 Ob 84/13a; RIS‑Justiz RS0116755; RS0114180 [T5]; Zechner in Fasching/Konecny² § 502 ZPO Rz 66 und § 508 ZPO Rz 9 mwN).
5. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision damit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben auf die Unzulässigkeit der Revision mangels erheblicher Rechtsfrage hingewiesen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)