OGH 7Ob171/14v

OGH7Ob171/14v26.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** T*****, vertreten durch Dr. Andreas König und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei D***** Versicherung AG *****, vertreten durch MMag. Christian Mertens, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 23. Juli 2014, GZ 4 R 87/14x‑11, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 7. April 2014, GZ 5 Cg 4/14p‑7, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.961,64 EUR (darin enthalten 326,94 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Parteien besteht eine Eigenheimversicherung, die auch eine Haftpflichtversicherung umfasst. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Haushaltsversicherung (ABH 2002 [981]) zugrunde. Diese lauten insoweit:

Art 8 Was gilt als Versicherungsfall?

1. Versicherungsfall ist ein Schadenereignis, das dem privaten Risikobereich entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen erwachsen oder erwachsen könnten.

...

Art 10 Welche Gefahren sind versichert?

Die Versicherung erstreckt sich auf Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens mit Ausnahme der Gefahr einer betrieblichen, beruflichen oder gewerbsmäßigen Tätigkeit, insbesondere

...

5. aus der nicht berufsmäßigen Sportausübung, ausgenommen die Jagd; ...

Der Kläger ist seit seinem 13. Lebensjahr Mitglied einer Alpenvereinssektion des Österreichischen Alpenvereins. Das Bergsteigen ist sein großes Hobby. Er unternimmt jedes Wochenende Berg‑ oder Skitouren. Im Jahr 1994 absolvierte er eine Ausbildung zum Alpinlehrwart (Instruktor für Hochalpintouren). Er ist kein staatlich geprüfter Bergführer und übt kein Gewerbe aus. Er ist neben seinem Beruf einmal im Monat als Ski‑ und Bergtourenführer für den Österreichischen Alpenverein tätig, wofür er kein Entgelt, sondern nur einen Unkostenersatz erhält. An den Touren können nur Mitglieder des Alpenvereins teilnehmen. Der Kläger wählt die Routen selbst aus. Das Tourenprogramm wird in einer Sitzung der Tourenführer festgelegt.

Am 18. und 19. 8. 2012 veranstaltete der Verein eine Tour auf die Reichenspitze, die der Kläger führte. Er und die weiteren fünf Teilnehmer verwendeten ihre Privatausrüstung. Am zweiten Tag war ein Aufstieg von der Zittauerhütte (Gemeindegebiet von Krimml) über das Wildgerloskees und die sogenannte Glatze zum Nordostgrad‑Ausläufer des Gablers geplant. Am Beginn des Gletschers ging die Gruppe angeseilt. Als die Seilschaft die Eisflanken (Glatze) unterhalb des Gablers querte, kam eine Teilnehmerin zu Sturz. Dadurch wurden vier weitere Teilnehmer der Seilschaft mitgerissen. Es kam zu einem Pendelsturz. Erst nach ca 10‑20 m (je nach Position) konnte der Sturz durch die zuvor angebrachten Eisschrauben gestoppt werden. Eine Teilnehmerin zog sich schwere Verletzungen zu.

Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren kam ein Sachverständiger zum Schluss, dass der Kläger den Pendelabsturz der Teilnehmer verhindern hätte können. Das Verfahren wurde diversionell erledigt und gemäß § 200 Abs 4 StPO gegen die Zahlung einer Geldbuße von 700 EUR eingestellt.

Die schwerverletzte Teilnehmerin begehrt vom Kläger Schadenersatz, der sie an die Beklagte als seine private Haftpflichtversicherin verwies. Die Beklagte lehnte die Deckung ab. Es besteht eine zugunsten des Klägers vom Österreichischen Alpenverein abgeschlossene Haftpflichtversicherung, die subsidiär Deckung gewähren würde.

Der Kläger begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm Deckung für den Schadenfall zu gewähren. Das ehrenamtliche Führen von Personen im alpinen Gelände sei eine Gefahr des täglichen Lebens.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Der verwirklichte Schaden sei keine Gefahr des täglichen Lebens. Es hätten sich ungewöhnliche Gefahren verwirklicht. Der Kläger habe als Seilführer eine Gefahrensituation geschaffen, in die ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer nicht hineingeraten könne.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Nach Art 10.5 ABH 2002 umfasse der Versicherungsschutz die nicht berufsmäßige Sportausübung. Das ehrenamtliche Führen von Personen im alpinen Gelände stelle keine so ungewöhnliche und gefährliche Tätigkeit dar, dass sie vom Versicherungsschutz ausgenommen wäre.

Das Berufungsgericht bestätigt die Entscheidung. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer könne Art 10.5 ABH 2002 nur so verstehen, dass jegliche hobbymäßige Sportausübung darunter falle, weil Extremsportarten nicht ausgenommen seien. Die „interpretatorische Spannung“ zu den „Gefahren des täglichen Lebens“ könne nicht dem Versicherungsnehmer aufgebürdet werden, weil es keine allgemeinen Standards dafür gebe, ab wann eine Sportausübung mit ungewöhnlichen Gefahren für andere behaftet sei. Daran ändere auch nichts, dass beim Aufstieg beschlossen worden sei, eine andere, ansonsten nicht begangene Route einzuschlagen (Nordwest statt Nordost). Die Beurteilung der Verhältnisse vor Ort zähle zu den üblichen Vorgängen bei einer Hochalpintour und führe nicht zu einer darüber hinausgehenden ungewöhnlichen Gefahr. Es sei dem Kläger nicht vorzuwerfen, dass er eine Situation geschaffen habe, für die nicht die geringste Notwendigkeit bestanden habe. Wie die Beklagte zugestehe, seien die anderen Teilnehmer der Gruppe selbst erfahrene Bergsportler gewesen. Es sei nicht bewusst oder geradezu mutwillig eine Gefahr herbeigeführt worden. Der Kläger verliere seine Eigenschaft als Privatperson nicht dadurch, dass er ehrenamtlich und unentgeltlich Touren für Vereinsmitglieder führe. Der Umstand, dass der Österreichische Alpenverein eine subsidiär deckungspflichtige Haftpflichtversicherung habe, habe auf die Deckungspflicht der Beklagten keinen Einfluss.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil sich das Berufungsgericht an die oberstgerichtliche Judikatur gehalten habe.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Der versicherungsrechtliche Begriff der „Gefahr des täglichen Lebens“ ist nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, dass davon jene Gefahren, mit denen überlicherweise im Privatleben eines Menschen gerechnet werden muss, umfasst sind (RIS‑Justiz RS0081099). Die Gefahr, haftpflichtig zu werden, stellt im Leben eines Durchschnittsmenschen nach wie vor eine Ausnahme dar. Deshalb will die Privathaftpflichtversicherung prinzipiell Deckung auch für außergewöhnliche Situationen schaffen, in die auch ein Durchschnittsmensch hineingeraten kann. Freilich sind damit nicht alle ungewöhnlichen und gefährlichen Tätigkeiten abgedeckt (RIS‑Justiz RS0081276). Für das Vorliegen einer Gefahr des täglichen Lebens ist nicht erforderlich, dass sie geradezu täglich auftritt. Vielmehr genügt es, wenn die Gefahr erfahrungsgemäß im normalen Lebensverlauf immer wieder, sei es auch seltener, eintritt. Es darf sich nur nicht um eine ungewöhnliche Gefahr handeln, wobei Rechtswidrigkeit oder Sorglosigkeit eines Vorhabens den daraus entspringenden Gefahren noch nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens nehmen. Voraussetzung für einen aus der Gefahr des täglichen Lebens verursachten Schadenfall ist nämlich eine Fehlleistung oder eine schuldhafte Unterlassung des Versicherungsnehmers (RIS‑Justiz RS0081070).

Der Oberste Gerichtshof hat auch schon ausgesprochen, dass die ehrenamtliche Mitarbeit eines Versicherungsnehmers bei einer Vereinsveranstaltung nicht dadurch zu einer gewerblichen oder betrieblichen Tätigkeit wird, weil er einer Person, die dafür Entgelt enthält, hilft und dass auch das bestimmungsgemäße Bedienen eines Hubstaplers zu den Gefahren des täglichen Lebens zählt, weil auch ein Durchschnittsmensch, der über eine Lenkberechtigung für Hubstapler verfügt, in eine mit dem Betrieb verbundene Gefahrensituation geraten kann (7 Ob 220/13y).

In weiteren Entscheidungen führte der Oberste Gerichtshof aus, die Ausübung eines Sports, wenn sie nicht berufsmäßig erfolge, diene der Erholung oder der körperlichen Ertüchtigung, gelte als Freizeitbeschäftigung oder Hobby und gehöre als solche einschließlich der Vorbereitungshandlungen grundsätzlich dem privaten Bereich an (RIS‑Justiz RS0081189). Das bewusste und mutwillige Schaffen einer Situation, die eine Brand‑ oder Explosionsgefahr mit sich bringe, gehöre bei Erwachsenen nicht zu den Gefahren des täglichen Lebens (RIS‑Justiz RS0081317). Plane der Versicherungsnehmer die Schadenszufügung von vornherein, so sei dies nicht vom versicherten Risiko umfasst (RIS‑Justiz RS0081051).

Dass der Kläger keine betriebliche, berufliche oder gewerbsmäßige Tätigkeit als Tourenführer ausübte, ist im Revisionsverfahren zu Recht nicht mehr strittig (vgl die bereits dargelegte Entscheidung 7 Ob 220/13y). Zu prüfen bleibt, ob die private Tätigkeit des Versicherungsnehmers als Seilführer bei Hochgebirgstouren vom Versicherungsschutz nach Art 10.5 ABH 2002 gedeckt ist.

Nach Art 10 ABH 2002 erstreckt sich der Versicherungsschutz auf die Gefahren des täglichen Lebens, wobei nach dem Wort „insbesondere“ unter anderem die nicht berufsmäßige Sportausübung, ausgenommen die Jagd, aufgezählt ist. Zutreffend erkannten die Vorinstanzen, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer (RIS‑Justiz RS0112256, RS0050063) davon ausgeht, dass damit ‑ schon wegen der Aufzählung nach „insbesondere“ ‑ die nicht berufsmäßige Sportausübung als zu den Gefahren des täglichen Lebens gehörend definiert ist. Diese Ansicht wurde auch zu den ABH 1973 (allerdings nicht mit identem Text) vertreten (7 Ob 141/00m). Da zudem vom Versicherungsschutz bei der nicht berufsmäßigen Sportausübung nur die Jagd ausdrücklich ausgenommen ist, muss darauf geschlossen werden, dass alle anderen Tätigkeiten, die von einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer als Sport betrachtet werden, vom Versicherungsschutz umfasst sind.

Hochgebirgstouren, sei es allein oder in Gruppen, sind gerade in Österreich nicht ungewöhnlich. Nicht wenige Menschen gehen dieser Freizeitbeschäftigung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft zu einem alpinen Verein oder auch unabhängig davon regelmäßig nach. Es ist daher davon auszugehen, dass für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer eine Hochgebirgstour zur Sportausübung und damit nach Art 10.5 ABH 2002 zu den versicherten Gefahren des täglichen Lebens zählt.

Die Tätigkeit des Tourenführers geht über die Sportausübung hinaus. Einen Führer können nämlich allenfalls zusätzliche Verhaltenspflichten treffen (vgl 1 Ob 293/98i; RIS‑Justiz RS0111144; Stabentheiner , Zum Tourenführer aus Gefälligkeit, JBl 2000, 273 ff). Bei der Ausübung von Sportarten in Gruppen ist es aber üblich und geradezu selbstverständlich, dass einer Person schlüssig oder ausdrücklich eine Führungstätigkeit übertragen wird. In eine solche Situation kann grundsätzlich jeder kommen, der diesen Sport ausübt. Die damit verbundene Verantwortung und erhöhte Gefahr einer Haftung ist daher nicht ungewöhnlich. Auch der Anführer einer Gruppe von Bergsteigern übt daher einen bedingungsgemäß zu den Gefahren des täglichen Lebens zählenden Sport im Sinn des Art 10.5 ABH 2002 aus.

Auch wenn sich der Kläger vor Ort entschloss, eine ungewöhnliche Route zu gehen, bedeutet dies nicht, dass er damit bereits bewusst eine unübliche, über das Tourenführen an sich hinausgehende Gefahrenlage geschaffen hat. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Führer auf konkrete Situationen reagiert und dabei von geplanten Vorhaben abkommt. Es ist nicht erkennbar, dass es der Kläger nicht primär angestrebt hätte, die Vereinsmitglieder wieder sicher zurückzubringen. Von einer bewussten Schadenzufügung kann keine Rede sein. Dass dem Kläger Fahrlässigkeit zur Last liegt, begründet ‑ wie dargelegt ‑ für sich allein noch nicht eine ungewöhnliche Gefahr, weil ohne diese der Schadenfall gar nicht eingetreten wäre.

Die Vorinstanzen haben die Rechtsfragen zutreffend gelöst. Der Revision ist ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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