OGH 12Os136/13m

OGH12Os136/13m23.1.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Jänner 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Sol und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Nagl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gyula S***** und einen anderen Angeklagten wegen Vergehen der Schlepperei nach § 114 Abs 1 FPG über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Gyula S***** und Jozsef H***** gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 22. März 2013, GZ 8 Hv 117/12y-73, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten Gyula S***** und Jozsef H***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche enthaltenden - Urteil wurden Gyula S***** und Jozsef H***** jeweils mehrerer Vergehen der Schlepperei nach § 114 Abs 1 FPG schuldig erkannt.

Danach haben sie am 28. März 2012 in H***** „die rechtswidrige Einreise von drei Fremden, nämlich der pakistanischen Staatsangehörigen Riasat A*****, Waqar Ah***** und Samehulla Sa*****, die keinen gültigen Aufenthaltstitel im Schengenraum haben, nach Österreich mit dem Vorsatz gefördert, sich und Dritte durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem sie die Genannten in Ungarn in ihren Kleintransporter aufnahmen und nach Österreich brachten“.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von den Angeklagten erhobenen, in einem gemeinsamen Schriftsatz ausgeführten und auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden verfehlen ihr Ziel.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4, welche im Übrigen die Angabe der Fundstellen in den Akten vermissen lässt; vgl RIS-Justiz RS0124172) wurden durch die Abweisung der Beweisanträge der Angeklagten keine Verteidigungsrechte (Art 6 Abs 3 lit b MRK) verletzt.

In der Hauptverhandlung am 22. März 2013 beantragten die Angeklagten die Vernehmung des Zeugen Djamil Rahman Sa***** sowie eine Gegenüberstellung „sämtlicher geschleppter Personen“ mit den vom Landesgericht Innsbruck verurteilten Sandor B***** und Andras D***** zum Beweis dafür, „dass auch die gegenständliche Schleppung sowie die sieben anderen Schleppungen, welche die beiden unmittelbar vor und unmittelbar nach dem gegenständlichen Zeitpunkt verübt haben, auch in diesem Fall die geschleppten Personen mit einem Pkw über die Grenze gebracht haben“ (ON 72 S 16). Dieser Beweisantrag legt nicht dar, warum zu erwarten sei, dass die Durchführung der begehrten Beweise die von den Antragstellern behaupteten Ergebnisse haben werden, sodass die Beschwerdeführer der Sache nach die im Hauptverfahren unzulässige Aufnahme von Erkundungsbeweisen anstrebten (RIS-Justiz RS0099453, RS0099353). Die Behauptung, das Mobiltelefon von Sandor B***** wäre „in unmittelbarer Nähe gleichzeitig“ eingeloggt gewesen, genügt zur Antragsbegründung nicht.

Das in der Nichtigkeitsbeschwerde nachgetragene Vorbringen zur Fundierung des Antrags ist prozessual verspätet und daher unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117).

Ebenso zielt der Antrag auf Beischaffung des Aktes AZ 35 Hv 102/12p des Landesgerichts Innsbruck und Vorlage der darin befindlichen Fotos von Sandor B***** und Andras D***** an die „nochmals zu ladenden Zeugen zur Identifizierung“ ..., wobei „ein Zeuge gesagt hat, der Fahrer des Kastenwagens hätte eine Halbglatze, sodass diese Personenbeschreibung auf Sandor B***** passt“ (ON 72 S 16), auf eine bloße Erkundungsbeweisführung ab.

Das gilt - insbesondere mit Blick auf die von der Tatzeit bis zur Hauptverhandlung vergangene Zeitspanne - auch für die begehrte - im Übrigen einen Ausschluss der Täterschaft gar nicht ermöglichende - DNA-Untersuchung an im Fahrzeug befindlichen Gegenständen „zum Beweis dafür, dass DNA-Spuren nur von den beiden Angeklagten und deren Familienmitgliedern vorgefunden werden können“ (ON 72 S 16 f; vgl auch RIS-Justiz RS0099226 [T1]).

Auch der Antrag auf Einholung eines „Kfz-Gutachtens“ zum Beweis dafür, „dass die Aussage des Zeugen K*****, er habe in einer Entfernung von 150 m den Kastenwagen zuerst gesehen und habe dann mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h unmittelbar aufgeschlossen, wobei er in diesem Zeitraum entgegenkommende Personen gesehen hat, nicht stimmen kann, da bei 80 km/h in der Sekunde 22,2 m gefahren werden und er bei seiner Darstellung auf den Kastenwagen auffahren hätte müssen“ (ON 72 S 17), wurde vom Erstgericht zu Recht abgewiesen. Der Beweisantrag legt nämlich nicht dar, warum eine (möglicherweise) unrichtige Entfernungs- oder Geschwindigkeitsangabe an der Glaubwürdigkeit der die Angeklagten konkret belastenden Angaben des angeführten Zeugen etwas ändern sollte (vgl US 9).

Weiters beantragten die Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung die Vernehmung der Zeugen Jozsef H*****, Jozsefine H***** und Krizstian F***** zum Beweis dafür, dass die Angeklagten am 28. März 2012 nach G***** fahren wollten, um dort Waren einzukaufen und bei einer Müllentsorgung Waren zu bekommen, sowie darüber, dass in deren Auto immer Decken und auch eine Gartenunterlage vorhanden wäre sowie dass es sich bei dem von der Polizei wahrgenommenen Wasserfleck um einen Ölfleck gehandelt habe (ON 57a S 45). Auch durch die Abweisung dieses Antrags wurden Verteidigungsrechte nicht verletzt. Bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabs war mit Blick auf die bereits vorliegenden Beweisergebnisse eine erfolgversprechende Bereicherung der zur Wahrheitsfindung führenden Prämissen nicht zu erwarten (vgl RIS-Justiz RS0116987, RS0107445). Soweit diesbezüglich als Beweisthema das Motiv der Angeklagten für ihre Fahrt nach Österreich angegeben wird, verkennen die Beschwerdeführer überdies, dass subjektive Meinungen, Ansichten, Wertungen, Schlussfolgerungen und ähnliche intellektuelle Vorgänge als solche nicht Gegenstand einer Zeugenaussage sein können, sondern nur die ihnen zu Grunde liegenden tatsächlichen Umstände (RIS-Justiz RS0097540, RS0097545).

Indem die Mängelrüge (Z 5), „um Wiederholungen zu vermeiden“, auf die Ausführungen zur Tatsachenrüge (Z 5a) verweist, verkennt sie den unterschiedlichen Anfechtungsrahmen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 471).

Soweit die Beschwerdeführer dem Erstgericht im Hinblick auf die Formulierung, wonach die Angeklagten, nachdem H***** am 28. März 2013 S***** abgeholt hatte, „in weiterer Folge“ die im Spruch genannten pakistanischen Staatsangehörigen in den Wagen aufnahmen, Undeutlichkeit der Konstatierungen zur Tatzeit (Z 5 erster Fall) vorwerfen, sind sie nicht im Recht und beziehen sich überdies nicht auf eine entscheidende Tatsache (RIS-Justiz RS0098557).

Weiters behaupten die Angeklagten inhaltlich einen Rechtsfehler mangels Feststellungen zum Tatort, übergehen dabei jedoch die Urteilsbegründung, wonach die Angeklagten die Fremden in ihren Kleintransporter von Ungarn über H***** nach Österreich brachten und sie im Gemeindegebiet von E***** aussteigen ließen (US 4 ff). Welche Feststellungen über diese hinaus erforderlich sein sollten, legen die Nichtigkeitswerber nicht dar (vgl RIS-Justiz RS0092073).

Die von der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) vermisste Begründung für die Konstatierung, wonach den Angeklagten ein Entgelt in nicht feststellbarer Höhe vom Auftraggeber der Schleppung versprochen worden ist und sie somit mit dem Vorsatz handelten, sich und Dritte unrechtmäßig zu bereichern (US 4 f), befindet sich auf US 10.

Indem die Angeklagten diesbezüglich kritisieren, die Feststellungen beruhten lediglich auf einer Vermutung, verkennen sie, dass Indizienbeweise nach der Strafprozessordnung zulässig und beim Leugnen des Angeklagten, wenn Tatzeugen oder sonstige unmittelbare Beweise fehlen, die einzige Beweisbasis für einen Schuldspruch sind. Sie bilden eine taugliche Grundlage des Schuldspruchs, wenn die aus ihnen gezogenen Schlüsse den Gesetzen folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen nicht widersprechen (RIS-Justiz RS0098249).

Entsprechendes gilt für die Feststellungen zum Vorsatz der Angeklagten, wonach die pakistanischen Staatsangehörigen keine Aufenthaltsberechtigung für die Europäische Union hatten (US 5). Das Schöffengericht hat die diesbezüglichen Feststellungen keineswegs unbegründet gelassen, sondern die Konstatierungen aus den äußeren Umständen der Tat abgeleitet (US 9; vgl RIS-Justiz RS0098671).

Indem die Mängelrüge (inhaltlich Z 5 zweiter Fall) vorbringt, die Tatrichter hätten „die sich aus dem beigeschafften Akt des LG Innsbruck ergebenden Beweisergebnisse“ nicht berücksichtigt, verkennt sie, dass Umstände, die in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen sind, keiner Erörterung bedürfen. Nach § 258 StPO dürfen Aktenstücke nur dann bei der Entscheidung berücksichtigt werden, wenn sie in der Hauptverhandlung vorgelesen oder vom Vorsitzenden vorgetragen worden sind (RIS-Justiz RS0098481; vgl das Vorbringen der Nichtigkeitswerber zu Z 4; ON 72 S 18; vgl auch RIS-Justiz RS0124172 [T4 und T5]). Sollte sich das Vorbringen auf in der Hauptverhandlung verlesene Teile des genannten Aktes (der Anklageschrift, von Teilen des Protokolls über die Hauptverhandlung und des vom Landesgerichts Innsbruck gefällten Urteils; ON 54 iVm ON 72 S 18) beziehen, ist den Rechtsmittelwerbern zu entgegnen, dass die gesetzliche Anordnung, die Nichtigkeitsgründe bestimmt zu bezeichnen (§ 285 Abs 1 zweiter Satz StPO), in den Fällen, in denen die eingewendete Nichtigkeit nach dem Gesetz aus den Akten zu entwickeln ist (hier Z 5 zweiter Fall), als logisch ersten Schritt bestimmter Bezeichnung die Notwendigkeit einschließt, die diesbezüglichen Fundstellen zu nennen. Demnach muss stets - unabhängig vom Umfang der Akten - die Aktenseite, auf der insoweit die argumentative Basis der Nichtigkeitsbeschwerde zu finden ist, exakt bezeichnet werden (RIS-Justiz RS0124172 [T4]). Die Behauptungen, wonach „zum fraglichen Zeitpunkt B***** in unmittelbarer Nähe eingeloggt war, offenbar von der ungarisch-serbischen Grenze noch in der Nacht angereist ist, dass seine Personenbeschreibung … auf die Täterschaft von B***** hinweist“, reichen nicht aus.

Z 5a will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- und subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780). Indem die Rechtsmittelwerber ausführen, Sandor B***** und Andras D***** wären vom Landesgericht Innsbruck „vom Vorwurf betreffend die gegenständliche Schlepperfahrt“ vom 28. März 2012 lediglich deshalb freigesprochen worden, weil es gegen die Rechtsmittelwerber bereits ein Verfahren in Eisenstadt gegeben habe, „zweifellos“ wäre diese Fahrt „B***** und D***** zuzurechnen“, gelingt es nicht beim Obersten Gerichtshof derartige erhebliche Bedenken zu wecken. Das gilt auch für das weitere Vorbringen, wonach „es nicht eine einzige Telefonverbindung gibt, welche auf eine Schleppung hindeuten würde“, es keinen Anhaltspunkt für ein Begleitfahrzeug gab, die drei pakistanischen Staatsangehörigen die Angeklagten bei der Gegenüberstellung nicht erkannt hatten, die Spuren im Auto nicht eindeutig auf „geschleppte Personen hindeuten“ würden und die Behauptung, die Fahrtroute wäre für eine Schlepperfahrt ungewöhnlich und die Angaben des Zeugen K***** nicht glaubwürdig. Damit wird nämlich die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung kritisiert.

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) die erstgerichtliche Konstatierung, wonach die Angeklagten wussten, dass die im Spruch genannten pakistanischen Staatsangehörigen keine Aufenthaltsberechtigung für die Europäische Union hatten (US 5), übergeht, verfehlt sie die prozessordnungskonforme Darstellung materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).

Die weitere, einen Rechtsfehler mangels Feststellungen behauptende, die Konstatierung zum bezahlten Entgelt (US 5) übergehende Rechtsrüge erklärt nicht, weshalb es darauf ankommen sollte, ob die Angeklagten tatsächlich ein Entgelt erhielten, wer ihre Auftraggeber waren und wann und in welcher Höhe ein Entgelt versprochen wurde.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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