Spruch:
Der Revision der klagenden und widerbeklagten Partei wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahingehend abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die Revision der zweitbeklagten und widerklagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Entscheidungsgründe:
Der Zweitbeklagte und Widerkläger war vom 28. 1. 1994 bis 15. 1. 2001 Geschäftsführer der I.*****gmbH (vormals H***** GmbH). Über das Vermögen der Gesellschaft wurde mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 27. 10. 2010 das Konkursverfahren eröffnet und der Erstbeklagte zum Masseverwalter bestellt.
Der Zweitbeklagte unterfertigte am 2. 5. 1994 in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer und als Gesellschafter der Gemeinschuldnerin sowie als Bürge eine Darlehenszusage über 105 Mio ATS.
Am 16. 6. 1994 erteilte die G***** Bank AG der Gemeinschuldnerin eine Haftungskreditzusage im Ausmaß von 20 Mio ATS zur Sicherstellung der Geschäftsverbindung zwischen der Sparkasse ***** und der G***** GmbH. Im Zusammenhang mit diesem Kreditvertrag unterfertigte der Zweitbeklagte am 17. 6. 1994 eine weitere Bürgschaftserklärung.
Am 25. 7. 1996 erteilte die G***** Bank AG der H***** GmbH eine Einmalkreditzusage, die dazu diente, den mit Vereinbarung vom 16. 6. 1994 eingeräumten Haftungskredit in einen Barkredit umzuwandeln. Ausdrücklich wurde vorgesehen, dass die vom Zweitbeklagten abgegebene Bürgschaftserklärung weiterhin gültig sein solle.
Am selben Tag unterfertigte der Zweitbeklagte einen weiteren Bürgschaftsvertrag. Darin wurde unter „Sicherstellung“ festgehalten, dass zur Sicherstellung sämtliche, im Rahmen der Geschäftsverbindungen bestellten Sicherheiten (die in der Folge näher angeführt waren) „weiterhin als Sicherstellung des gegenständlichen Kredits gültig“ seien.
Die Klägerin begehrt aus mehreren Kreditverträgen 363.364,17 EUR sA. Der Zweitbeklagte habe die Haftung als Bürge und Zahler gemäß § 1357 ABGB übernommen.
Die Beklagten bestritten das Klagebegehren und beantragten die Klagsabweisung. Hinsichtlich sämtlicher vom Zweitbeklagten im Zeitraum zwischen 9. 2. 1994 und 6. 2. 1995 abgegebenen Erklärungen werde mangelnde Geschäftsfähigkeit eingewendet, sodass die in diesem Zeitraum geschlossenen Verträge nichtig seien. Der Zweitbeklagte sei aufgrund seines Anfang 1994 diagnostizierten schweren Krebsleidens, der daran anschließenden intensiven Behandlungen sowie bereits vorangegangener familiärer Vorfälle dermaßen physisch und psychisch beeinträchtigt gewesen, dass er nicht als geschäftsfähig angesehen werden konnte.
In einer Widerklage begehrte der Zweitbeklagte, die klagende Partei schuldig zu erkennen, in die Löschung mehrerer von ihm bestellter Pfandrechte einzuwilligen. Weiters begehrte der Zweitbeklagte die Zahlung von 1.099.803,74 EUR.
Das Erstgericht erkannte im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren mit 363.364,17 EUR als zu Recht bestehend, die Compensandoforderungen als nicht zu Recht bestehend und verpflichtete davon ausgehend die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 363.364,17 EUR sA. Die Widerklage wies das Erstgericht zur Gänze ab. Dabei ging es im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:
Der Zweitbeklagte befand sich am 3. 12. 1993 im Allgemeinen Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried in stationärer Behandlung. Weitere Untersuchungen folgten am 6. 12. 1993. Vom 31. 1. 1994 bis 9. 2. 1994 befand er sich dort in stationärer Behandlung infolge eines malignen Non‑Hodgkin‑Lymphoms. Am 1. 2. 1994 wurde er operiert. Es handelt sich um eine schwere lebensbedrohliche somatische Erkrankung. Infolge dieser Diagnose kam es zu einem stationären Aufenthalt vom 14. 2. 1994 bis 16. 2. 1994 und Chemotherapien. Von diesem Aufenthalt wurde er im guten Allgemeinzustand entlassen.
Bei einem weiteren stationären Aufenthalt vom 8. 3. 1994 bis 10. 3. 1994 zeigte sich der Zweitbeklagte in besorgter Stimmungslage. Seit drei Tagen hatte er Haarausfall. Der dritte Chemotherapiezyklus fand vom 29. 3. bis 30. 3. 1994 statt. Die Stimmungslage wird von den Ärzten als adäquat beschrieben; er wurde im zufriedenstellenden Allgemeinzustand entlassen.
Jedenfalls ab März 1994 gingen dem Zweitbeklagten aufgrund der Chemotherapien die Haare aus. Der vierte Chemotherapiezyklus fand vom 26. 4. bis 27. 4. 1994 statt. Die Ärzte beschrieben die Stimmungslage des Zweitbeklagten als ängstlich.
Im September 1995 zeigte sich der Zweitbeklagte im Zuge einer neurologischen und psychischen Untersuchung als bei klarem Bewusstsein ohne Bewusstseinstrübung oder Störung der Merkfähigkeit. Er war persönlich, zeitlich und örtlich voll orientiert. Sein Verhalten war persönlichkeitsadäquat, zeigte aber bei guter Kontaktfähigkeit und Kontaktbereitschaft zwanghafte Ideen und Verhaltensweisen. Sein Gedankengang war geordnet, von normaler Schnelligkeit, zielgerichtet und kohärent, aber auf den eigenen Leidenszustand eingeengt und fixiert.
Der Zweitbeklagte ist eine hypomanische Persönlichkeit mit schwer neurotischer Persönlichkeitsstruktur. Bei hypomanischen Personen ist nicht selten ein Umkippen der Stimmungslage in Depressivität zu beobachten. Im Extremfall führt dies zu einer bipolaren Psychose. Seit 1990 leidet der Zweitbeklagte unter einem depressiven Syndrom mit deutlichen neurotischen Zügen, welches zu Beginn durch eine Untersuchungshaft und später durch eine Krebserkrankung zu erklären ist. Auch weist er eine vererbte Anlage zu Gemütserkrankungen auf. Im Zeitraum 1990 bis 1995 führte dies neben Angstzuständen bzw phobischen Zuständen zu Selbstvorwürfen, Schlafstörungen, Initiativverlust, Verlangsamungen, Niedergeschlagenheit, absolutem Pessimismus, ausgeprägtem Krankheitsgefühl sowie Selbstmordgedanken. Im Rahmen von Krebsleiden können wiederholt traurige Verstimmungen und sogar deutlich depressive Reaktionen beobachtet werden. Beim Zweitbeklagten ist die Depressivität aufgrund seiner vorbestehenden Persönlichkeitsstruktur mit vererbter Anlage besonders stark ausgeprägt. Das depressive Syndrom des Zweitbeklagten hat Krankheitswert. Es zeigt ein ausgeprägtes depressives Syndrom mit Angstzuständen bzw Phobien bei schwerer körperlicher Erkrankung (malignes Non‑Hodgkin‑Lymphomleiden) sowie ein gering ausgeprägtes abklingendes Polyneuropathiesyndrom nach intensiver Chemotherapie. Bei ihm liegt ein geistiges Gebrechen vor.
Trotz dieses geistigen Gebrechens und damit einhergehenden Zustände befand sich der Zweitbeklagte auch immer wieder in guter Stimmung und gutem Allgemeinzustand, insbesondere auch zwischen den Chemotherapiezyklen. Vor allem auch im Zeitraum 1993 bis 1996 hatte er immer wieder sehr initiative Zeiten und war extrem unternehmerisch tätig. Zu den hier wesentlichen Vertragszeitpunkten stand er unter keiner medikamentösen Beeinträchtigung, die ihn in seiner Einsichtsfähigkeit beeinträchtigte, und lagen keine schweren Organerkrankungen vor.
Der Zweitbeklagte hat schon vor 1993 größere Geschäfte als das „F*****geschäft“ abgeschlossen. Im Zeitraum 1993 bis weit nach 1996 wollte er mit den gegenständlichen Geschäften seine Familie absichern. Zwar machte er sich Sorgen um seinen Gesundheitszustand und ob das Geschäft in seinem Zustand nicht doch zu groß für ihn sei, doch verwarf er diese Gedanken wieder und unterschrieb alle Verträge im vollen Bewusstsein über Art und Konsequenzen dieser Geschäfte.
Der Zweitbeklagte verhandelte als Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin sowie anderer Gesellschaften über mehrere Jahre im Zusammenhang mit dem Kauf der „F*****‑Gruppe“ samt Liegenschaften. Dabei ging es um Liegenschaftskäufe in Millionenhöhe, dazugehörige Hypotheken und sonstige Sicherstellungen sowie Verhandlungen mit Lieferanten sowie das Auffinden von Interessenten.
Dazu führte das Erstgericht beweiswürdigend aus, der Zweitbeklagte sei Betreiber und Initiator eines unwahrscheinlich verflochtenen großen Unternehmensgefüges, in welchem er selbst immer wieder und noch immer Hauptrollen wie Geschäftsführerposition einnahm. Dies setze ein ungeheures unternehmerisches Aktionspotenzial voraus und unternehmerisches Streben, aktives, wohl überlegtes Tun und Handeln. Selbstverständlich seien Schicksalsschläge wie der Tod eines Elternteils und die Nachricht einer schweren Krebserkrankung die Psyche eines Menschen schwer belastende Situationen. Allerdings neigten nach der Lebenserfahrung in solchen Situationen die betroffenen Personen nicht dazu, ganze Imperien zu leiten, trotz Chemotherapien Vertragsverhandlungen zu führen und Verträge zu unterzeichnen und Überlegungen anzustellen, wer welche Liegenschaften zu welchen guten Preisen kaufen könnte etc. Vielmehr zeuge das Verhalten des Zweitbeklagten von einem Verhalten, welches er jahrelang in seinem Unternehmensimperium an den Tag gelegt habe. Der Zweitbeklagte habe auch nach Ende seines Zustands der angeblichen Geschäftsunfähigkeit nicht von sich aus die Verträge angefochten, sondern in der Folge weiter ähnliche Verträge unterschrieben.
Zusammenfassend sei daher nicht erwiesen, dass die geschäftliche Einsichtsfähigkeit des Zweitbeklagten beeinträchtigt gewesen wäre. Er habe davor und danach ähnliche Geschäfte geschlossen und habe genau gewusst, welche Konsequenzen sein Handeln zeitigen würde. Die Verträge seien gültig zustandegekommen. Die Passivlegitimation des Zweitbeklagten sei durch die vorgelegten Urkunden eindeutig nachvollziehbar. Einwendungen zur Höhe des Klagsanspruchs hätten nicht bewiesen werden können.
Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Streitteile teilweise Folge und sprach aus, dass das Klagebegehren gegen den Erstbeklagten zu Recht, gegen den Zweitbeklagten hingegen nur mit 116.708,28 EUR zu Recht bestehe. Davon ausgehend verpflichtete es den Erstbeklagten zur Zahlung von 363.364,17 EUR sA und den Zweitbeklagten zur Zahlung von 116.708,28 EUR sA; das Mehrbegehren wies es ab. Der Widerklage gab es hinsichtlich der begehrten Löschung des Pfandrechts für 95 Mio ATS statt; das Zahlungsbegehren und das Begehren auf Löschung der weiteren Pfandrechte wies es ab.
Nach Durchführung einer Beweiswiederholung traf es folgende Ersatzfeststellungen:
Im Zeitraum 9. 2. 1994 bis 6. 2. 1995 kam es im Zusammenhang mit der diagnostizierten Krebserkrankung zu wiederholten stationären Aufenthalten des Zweitbeklagten, chemotherapeutischen Behandlungen und im Jänner 1995 zusätzlich zu einer schweren Sepsis. Neben der lebensbedrohlichen Erkrankung des Zweitbeklagten trat im Zeitraum 9. 2. 1994 bis 6. 2. 1995 bei diesem eine schwere psychiatrische Beeinträchtigung auf. Diese äußerte sich in einem schweren depressiven Syndrom, das eine multifaktorelle Genese ‑ schwere körperliche Erkrankung, psychische Belastungen wegen familiärer Vorfälle, endogene Ursachen ‑ aufwies. Diese affektiven Störungen haben eine funktionelle Störung der Auffassungsgabe, der Merkfähigkeit und Konzentrationsleistung nach sich gezogen. Es ergab sich ein Symptomenkomplex aus gestörter Auffassungsgabe, reduzierter Merkfähigkeit und Konzentrationsleistung, wechselnder Antriebslage und Depressivität, welche dazu geeignet war, die Kritik‑ und Urteilsfähigkeit des Zweitbeklagten einzuschränken.
Die psychische Krankheit bedingte, dass der Zweitbeklagte nicht nur in seinem gemütsmäßigen, sondern auch im verstandesmäßigen Anteil seiner Persönlichkeit schwer beeinträchtigt war. Der Zweitbeklagte war im Zeitraum 9. 2. 1994 bis 6. 2. 1995 nicht in der Lage, sein rechtsgeschäftliches Verhalten kritisch und realitätsbezogen abzuschätzen und abzuwägen.
Diesen Sachverhalt würdigte es rechtlich dahin, dass der Zweitbeklagte im Zeitraum 9. 2. 1994 bis 6. 2. 1995 nicht in der Lage gewesen sei, die Tragweite der von ihm unterfertigten Verträge kritisch und realitätsbezogen abzuschätzen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln. In diesem Zusammenhang sei hervorzuheben, dass der Zweitbeklagte im Zusammenhang mit den Darlehensverträgen, die im Jahr 1994 unterfertigt wurden, nicht nur umfangreiche persönliche Haftungen in den Kauf nahm. Es sei für einen vernünftigen Menschen auch unschwer zu überblicken gewesen, dass die Abwicklung dieses Geschäfts ‑ allein die Übernahme der Führung der F*****‑Betriebe ‑ große Arbeitsbelastungen mit sich bringen würde, weshalb auch die Frage der Belastbarkeit und Fähigkeit, geschäftliche Verantwortung in der nächsten Zeit zu tragen, einzuschätzen gewesen sei.
Insbesondere die festgestellte mangelnde Kritikfähigkeit und der Mangel an realitätsbezogener Einschätzung führten dazu, die Geschäftsfähigkeit des Zweitbeklagten in einer für das abgeschlossene Geschäft relevanten Weise zu tangieren. Auch wenn der Zweitbeklagte grundsätzlich fähig gewesen sein möge, das Geschäft verstandesmäßig zu erfassen, so sei seine normale Freiheit zur Willensentschließung wegen der aufgetretenen geistigen Störung vorübergehend aufgehoben gewesen. Dass er vorher oder nachher auch ähnliche Geschäfte geschlossen habe, ändere nichts daran, dass der Zweitbeklagte in der relevanten Zeit nicht in der Lage gewesen sei, die Auswirkungen des rechtsgeschäftlichen Handelns selbstbestimmt und unbeeinträchtigt abzuwägen, die Tragweite der von ihm abgegebenen Erklärungen zu erfassen und danach zu handeln. Diese rechtliche Beurteilung führe jedenfalls zur Ungültigkeit der im Zeitraum 6. 2. 1994 bis 9. 2. 1995 vom Kläger geschlossenen Bürgschaftsverträge. Über diesen Zeitraum hinaus sei keine Geschäftsunfähigkeit behauptet worden. Soweit die Klage daher Zahlungsansprüche gegen den Zweitbeklagten auf Bürgschaftserklärungen in diesem Zeitraum stütze, sei sie abzuweisen.
Die Erklärung des Zweitbeklagten vom 25. 7. 1996 könne nur dahingehend verstanden werden, dass er hinsichtlich des im Jahr 1996 aufgenommenen Kredits die Bürgschaft so wie im Jahr 1994 formuliert übernehmen wollte. Diese Erklärung sei unzweideutig dahin zu verstehen, dass die dort angeführten, zu Gunsten der Widerbeklagten bereits einverleibten Pfandrechte für die im Jahr 1996 eingegangene Kreditverbindlichkeit haften sollten. Diese wirksame Erklärung des Zweitbeklagten führe dazu, dass die Pfandrechte im Rahmen der Kreditverbindlichkeit im Jahr 1996 gültig bestellt worden seien und die bereits einverleibten Pfandrechte für diese Kreditverbindlichkeit hafteten. Nur hinsichtlich des Pfandrechts aufgrund der Pfandurkunde vom 5. 5. 1994 für 95 Mio ATS sA könne sich der Zweitbeklagte auf die von ihm behauptete Geschäftsunfähigkeit stützen und insoweit die Löschung des einverleibten Pfandrechts begehren.
Die ordentliche Revision sei nicht zulässig. Die Beurteilung des Vorliegens der behaupteten Geschäftsunfähigkeit stelle eine Entscheidung im Einzelfall dar.
Rechtliche Beurteilung
Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Zur Revision der klagenden Partei:
1. Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt.
2. Die tatsächlichen Umstände und persönlichen Eigenschaften im Zeitpunkt der Abgabe einer Willenserklärung sind tatsächlicher Natur und irrevisibel. Die Schlussfolgerung, ob aufgrund dieser Umstände die Erklärungen des Revisionswerbers im vollen Gebrauch der Vernunft (§ 865 ABGB) abgegeben wurden, ist hingegen eine Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0014641). Die Beurteilung, ob eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt die Tragweite bestimmter Willenserklärungen verstandesmäßig erfassen konnte oder ob ihr diese Fähigkeit durch eine die Handlungsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit ausschließende geistige Störung fehlte, ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0117658).
3.1. Nur derjenige ist (voll) geschäftsfähig, der die Tragweite und Auswirkungen seines Handelns abschätzen und dieser Einsicht gemäß disponieren kann (RIS‑Justiz RS0009075 [T6, T8]; 2 Ob 146/00k). Die Handlungsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit ist schon dann ausgeschlossen, wenn die normale Freiheit der Willensentschließung durch eine auch nur vorübergehende geistige Störung aufgehoben ist, mag auch noch die Fähigkeit, das Rechtsgeschäft verstandesmäßig zu erfassen, vorhanden sein (RIS‑Justiz RS0014623). Geschäftsunfähigkeit ist nicht nur bei völliger Unfähigkeit zur Willensbildung gegeben; es reicht vielmehr aus, wenn eine durch Geisteskrankheit oder Geistesschwäche behinderte Person zur Willensbildung unfähig ist oder die Tragweite des konkreten Geschäfts nicht richtig abschätzen kann (1 Ob 574/88; 2 Ob 146/00k).
3.2. Eine bloße Gemütsaufregung reicht hingegen für Geschäftsunfähigkeit nicht aus (3 Ob 183/05s). Mangelnde Einsichtsfähigkeit ist nur zu berücksichtigen, wenn sie in einem krankhaften Geistesgebrechen begründet ist (RIS‑Justiz RS0014615 [T1]).
3.3. Sogar kolossaler psychischer Druck, eine Einschränkung im Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl aufgrund reaktiv depressiver Störung und das Fehlen von Energie, eine Unterschriftsleistung abzulehnen, wurde als nicht ausreichend für Geschäftsunfähigkeit angesehen (3 Ob 183/05s).
3.4. Als nicht ausreichend hat der Oberste Gerichtshof daher auch angesehen, wenn die Freiheit der Willensentschließung durch eine geistige Störung nur beeinträchtigt ist; dafür sei vielmehr erforderlich, dass der Rechtsgeschäftswille durch die geistige Störung „diktiert“ worden sei (1 Ob 572/90).
4.1. Geschäftsunfähig iSd § 865 ABGB sind aber nicht nur jene Personen, die den Gebrauch der Vernunft nicht haben und somit vollkommen unfähig sind, die Bedeutung rechtsgeschäftlicher Handlungen zu erkennen, sondern auch solche, die aufgrund Geisteskrankheit oder Geistesschwäche unfähig sind, die Tragweite eines bestimmten Geschäfts einzusehen (8 Ob 165/00y; 5 Ob 278/02x; 8 Ob 102/12a EF‑Z 2013, 78 = Zak 2013/175 mwN). In diesem Fall spricht man von partieller Geschäftsunfähigkeit (8 Ob 102/12a EF‑Z 2013, 78 = Zak 2013/175 mwN).
4.2. Für eine partielle Geschäftsunfähigkeit kommt es somit darauf an, ob der Beklagte bei der festgestellten Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in der Lage war, die Tragweite und die Auswirkungen des konkreten Rechtsgeschäfts abzuschätzen und dieser Einsicht gemäß zu disponieren (vgl RIS-Justiz RS0009075; 5 Ob 278/02x; 8 Ob 102/12a EF‑Z 2013, 78 = Zak 2013/175).
5.1. Nach mehreren Entscheidungen ist Geschäftsunfähigkeit eines an geistigen Störungen leidenden Vertragschließenden schon dann gegeben, wenn das in Betracht kommende Geschäft von diesen geistigen Störungen „tangiert“ wurde (RIS‑Justiz RS0014626). Die missverständliche Verwendung des Wortes „tangiert“ wurde im Schrifttum kritisiert ( Rummel in Rummel , ABGB³ § 865 Rz 3).
5.2. Mit dieser Judikaturlinie war aber nie gemeint, dass es für die Annahme von Geschäftsunfähigkeit ausreicht, wenn das in Betracht kommende Geschäft von der geistigen Störung in irgendeiner Form „berührt“ wurde. Vielmehr hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 8 Ob 102/12a (EF‑Z 2013, 78 = Zak 2013/175) klargestellt, dass zwischen dem mangelnden Verständnis und der im Anlassfall vorliegenden Intelligenzminderung ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muss; dies sei mit der Formulierung gemeint, dass das Geschäft von der geistigen Störung „tangiert“ worden sei.
5.3. Voraussetzung ist daher, dass sich die geistige Störung bei dem konkreten Geschäft überhaupt auf die geistigen Fähigkeiten des Betroffenen ausgewirkt hat. Zusätzlich muss für die Annahme von Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 865 ABGB aber auch eine bestimmte Intensität der Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten des Betroffenen vorliegen, die dazu führt, dass der Betroffene im Ergebnis tatsächlich nicht mehr in der Lage war, die Bedeutung und Tragweite des konkreten Rechtsgeschäfts zu überblicken. Die Freiheit zur Willensentschließung muss durch die geistige Störung „aufgehoben“ und nicht nur „tangiert“ gewesen sein, um Geschäftsunfähigkeit annehmen zu können ( Rummel in Rummel , ABGB³ § 865 Rz 3; vgl auch 3 Ob 183/05s). Ungültigkeit eines verpflichtenden Rechtsgeschäfts ist erst dann gegeben, wenn eine durch Geisteskrankheit oder Geistesschwäche bedingte vollkommene Unfähigkeit, die Tragweite eines bestimmten Geschäfts einzusehen, vorliegt ( Rummel in Rummel aaO § 865 Rz 3).
6.1. Berücksichtigt man die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen im Zusammenhang mit den Feststellungen des Erstgerichts, soweit diese keine Abänderung durch das Berufungsgericht erfuhren, so kann keinesfalls davon ausgegangen werden, dass sich der Zweitbeklagte in einem derartigen geistigen Zustand der Beeinträchtigung befand, dass er sein rechtsgeschäftliches Handeln überhaupt nicht mehr überblicken konnte (vgl auch 1 Ob 621/91; 1 Ob 574/88). Geschäftsunfähigkeit liegt jedoch nur bei völliger Aufhebung der Freiheit der Willensentschließung in Ansehung des konkreten Geschäfts vor; eine nur teilweise Beeinträchtigung oder Motivierung der Willensentschließung durch die geistige Störung reicht dafür nicht aus ( Rummel in Rummel , ABGB³ § 865 Rz 3).
6.2. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass der Zweitbeklagte in den Zeiträumen davor und danach ähnliche Geschäfte geschlossen hat und dem Abschluss der gegenständlichen Geschäfte jahrelange (somit auch nach dem Vorbringen des Zweitbeklagten nicht nur in die Zeit seiner angeblichen Geschäftsunfähigkeit fallende) Verhandlungen vorausgingen. All dies zeigt deutlich, dass dem Zweitbeklagten die Tragweite der abgeschlossenen Geschäfte bewusst war. Aus diesem Grund kann die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, der Beklagte sei zwischen 9. 2. 1994 und 6. 2. 1995 „nicht in der Lage, sein rechtsgeschäftliches Verhalten kritisch und realitätsbezogen abzuschätzen und abzuwägen“, nicht dahin verstanden werden, dass der Zweitbeklagte im Sinne der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vollkommen unfähig gewesen wäre, die Tragweite der gegenständlichen Geschäfte zu beurteilen. Die gegenteilige Ansicht des Berufungsgerichts würde letztlich dazu führen, dass nahezu alle Menschen mit schweren lebensbedrohlichen Erkrankungen, aber auch mit gravierenden familiären Problemen, schwerem Burn‑out, Arbeitsplatzverlust etc als geschäftsunfähig anzusehen wären, wenn die bloß eingeschränkte Kritik‑ und Urteilsfähigkeit ausreichen würde.
6.3. Zusammenfassend ist daher aus den Feststellungen der Vorinstanzen eine Geschäftsunfähigkeit des Zweitbeklagten im fraglichen Zeitraum nicht abzuleiten, sodass in Stattgebung der Revision der klagenden Partei das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen war.
Zur Revision des Zweitbeklagten:
Wie bei der Behandlung der Revision der klagenden Partei ausgeführt, ist davon auszugehen, dass der Zweitbeklagte im fraglichen Zeitraum geschäftsfähig war. Damit stellt sich aber die Frage, ob eine ungültige Pfandbestellung durch die Bezugnahme auf die Sicherheitenbestellung in einem späteren Vertrag saniert werden kann, im vorliegenden Fall nicht. Waren nämlich schon die ursprünglichen Pfandbestellungen gültig, besteht für die nunmehr vom Zweitbeklagten begehrte Löschung keine Grundlage.
Damit hängt die Entscheidung über die Widerklage aber nicht von Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität ab, sodass die Revision des Zweitbeklagten spruchgemäß zurückzuweisen war.
Zur Kostenentscheidung:
Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, weil die Kostenentscheidung vom Erstgericht vorbehalten wurde (§ 52 Abs 3 ZPO).
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