Spruch:
Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.603,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 933,90 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beklagten Parteien und die Marktgemeinde H***** hatten eine Bietergemeinschaft gebildet, die in dem zu E 27/82 des Bezirksgerichtes Schwechat geführten Zwangsversteigerungsverfahren am 5.1.1984 Liegenschaften, die im bücherlichen Eigentum der dortigen Verpflichteten Edeltraud S*****, der nunmehrigen Ehegattin des Klägers, standen, durch Zuschlag erwarb. Im Rahmen dieses Versteigerungsverfahrens behauptete der Kläger Rechte, die sich im wesentlichen auf den Heurigenbetrieb in einem auf diesen Grundstücken gelegenen Gebäude bezogen. Die ersteigerten Grundstücke wurden zwischen den beklagten Parteien dergestalt geteilt, daß die Erstbeklagte die Grundstücke 1549, 1551/1, 1749/1, 1749/2 und 1807 jeweils der KG H***** erhielt, während auf den Zweitbeklagten die Grundstücke 79 und 80 entfielen. Die Beklagten hatten Interesse daran, einerseits künftige Rechtsstreitigkeiten über diese Grundstücke abzuschneiden und andererseits einen möglichst frühen Räumungstermin gegen die Verpflichtete und den nunmehrigen Kläger zu erreichen. Es kam sodann zu einem Gespräch zwischen Edeltraud S***** (nunmehr W*****) und dem Kläger einerseits sowie dem Vertreter des Zweitbeklagten andererseits, das schließlich damit endete, daß am 8.8.1984 vor dem Bezirksgericht Schwechat ein prätorischer Vergleich zu GZ C 2190/84-2 abgeschlossen wurde, der vorher in der Kanzlei des Rechtsanwaltes formuliert worden war. Dieser Vergleich hatte folgenden Inhalt:
"I. Frau Diana W***** und Herr Günther W***** haben im Versteigerungsverfahren E 27/82 des Bezirksgerichtes Schwechat, in welchem die erstbeklagte Partei (Edeltraud S*****) die Verpflichtete war, erworben:
a) Frau Diana W***** die Grundstücke Nr.1549, Nr.1551/1, Nr.1749/1, Nr.1749/2 und Nr.1807 je LN der Kat.Gem. H***** und
b) Herr Günther W***** das Grundstück Nr.79 LN und 80 Baufläche ebenfalls im Bereich der Kat.Gem. H*****.
II. Die beiden Beklagten, Frau Edeltraud S***** und Herr Herbert W*****, erklären, daß sie an diesen oben näher bezeichneten Grundstücken ab sofort keine wie immer gearteten obligatorischen und dinglichen Ansprüche haben, daß Ansprüche dritter Personen in der aufgezeigten Art nicht bestehen und verpflichten sich, die im Punkt I bezeichneten Grundstücke bis spätestens 15.9.1984 geräumt, die Grundstücke jedoch nicht abgeerntet, an die kl. Parteien (Diana W***** und Günther W*****) unter Verzicht auf jedweden Räumungsaufschub aus welchem Titel immer zu übergeben.
Für den Fall der nicht pünktlichen Räumung sind die klagenden Parteien berechtigt, auch ohne gerichtliche Hilfe die zu räumenden Objekte zu übernehmen. Herr Herbert W***** behält sich Entschädigungsansprüche vor."
Auf jenen Grundstücken, die der Erstbeklagten zufielen, befanden und befinden sich keine Gebäude. Die Grundstücke wurden bis 15.9.1984 geräumt an die beklagten Parteien übergeben.
Der Kläger hatte im Jahr 1982 einen Schlaganfall erlitten, der eine motorische Sprachstörung und rechtsseitige Halbseitenlähmung zur Folge hatte. Im Zusammenhang mit dem Schlaganfall kam es zum Auftreten eines organischen Psychosyndroms, d.h. einer Minderung der intellektuellen Leistungsfähigkeit aufgrund der körperlichen Erkrankung mit Auffassungsstörung, Kritikschwäche, Störung der Gedächtnisleistungen und affektiver Labilität. Es fanden sich beim Kläger eine mittelgradige Demenz sowie die Zeichen eines mittel- bis hochgradigen organischen Psychosyndroms. Dieser Zustand war bereits 1982 gegeben. Aufgrund dieses Krankheitsbildes war der Kläger nicht in der Lage, die Tragweite der im Vergleich vom 8.8.1984 enthaltenen Erklärungen einzusehen und dieser Einsicht gemäß zu handeln.
Im erstinstanzlichen Verfahren hatte das Erstgericht gemäß § 6 a ZPO beim zuständigen Bezirksgericht die Einleitung des Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters für den Kläger angeregt. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 28.11.1986 zu AZl.1 SW 9/85 wurde das Sachwalterverfahren eingestellt, da eine geistige Behinderung die die Bestellung eines Sachwalters erforderlich mache, nicht vorliege.
Mit Klage vom 12.9.1984 begehrt der Kläger die Feststellung, daß der von ihm mit den beklagten Parteien am 8.8.1984 vor dem Bezirksgericht Schwechat geschlossene Vergleich unwirksam sei, weil er infolge eines Schlaganfalles und einer Hirnoperation nicht in der Lage gewesen sei, den Inhalt und die Tragweite der von ihm dabei abgegebenen Erklärungen zu erfassen. Er behauptete, ungekündigter Landpächter der von den beklagten Parteien erworbenen näher bezeichneten Grundstücke in der KG H***** zu sein.
Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Kläger bei Vergleichsabschluß zurechnungsfähig gewesen sei und an der begehrten Feststellung nach Befolgung des Räumungsvergleiches kein rechtliches Interesse habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und führte aus:
Ungeachtet des für den Prozeßrichter bindenden (gegenteiligen) Ergebnisses des Sachwalterschaftsgerichtes über die Zurechnungs- und Prozeßfähigkeit des Klägers, sei der Kläger nach den im Prozeß getroffenen Feststellungen im Vergleichszeitpunkt nicht geschäftsfähig gewesen, weil er die Tragweite seiner Erklärungen nicht einsehen habe können. Sein Begehren sei daher berechtigt, weil zudem Auswirkungen des Vergleiches auf die Rechtslage des Klägers nicht mit Sicherheit für alle Zukunft ausgeschlossen werden könnten.
Beide Beklagte erhoben gegen das Urteil des Erstgerichtes Berufung.
Das Gericht zweiter Instanz veranlaßte die erneute Überprüfung der Prozeßfähigkeit des Klägers durch das Sachwalterschaftsgericht. Daraufhin bestellte das Bezirksgericht Fünfhaus mit seinem Beschluß vom 22.4.1991, GZ 4 SW 11/91-6 (ON 69 des Prozeßaktes), für den Kläger einen einstweiligen Sachwalter in der Person des vordem als Verfahrenshilfeanwalt bestellten Rechtsanwaltes Dr.Alfred Stöger mit dem Aufgabenkreis der Vertretung des Klägers u.a. im vorliegenden Prozeß. Der einstweilige Sachwalter des Klägers genehmigte vor dem Berufungsgericht die bisherige Prozeßführung.
Das Berufungsgericht verwarf die Berufungen der Beklagten, soweit darin Nichtigkeit geltend gemacht wurde. Im übrigen gab es den Berufungen nicht Folge; es bewertete den Streitgegenstand über S 50.000,- und ließ die ordentliche Revision zu. In der Sache billigte es die Rechtsansicht des Erstgerichtes über die Geschäftsunfähigkeit des Klägers und vertrat die Auffassung, die vorliegende sogenannte materiellrechtliche Feststellungsklage (aus dem Klagsgrund des § 865 ABGB) bedürfe keines (Vorbringens und Nachweises eines) Feststellungsinteresses.
Die Revisionen der beklagten Parteien sind nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Soweit (ausdrücklich im Rechtsmittel des Zweitbeklagten, inhaltlich aber auch in jenem der Erstbeklagten) Nichtigkeit gemäß § 477 Abs.1 Z 5 ZPO gerügt wird, ist den Rechtsmittelwerbern mit dem Berufungsgericht zu erwidern, daß die vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens nach ständiger Rechtsprechung mit Revision nicht bekämpft werden kann (vgl SZ 59/104; JBl 1985, 38 u.a.). Im Berufungsverfahren war der Kläger durch den bestellten einstweiligen Sachwalter ordnungsgemäß vertreten. Eine relevante Aktenwidrigkeit liegt, wie der Oberste Gerichtshof prüfte, nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO).
Gemäß § 865 ABGB sind Personen, die den Gebrauch der Vernunft nicht haben, unfähig, ein Versprechen zu machen oder es anzunehmen. Darüber hinaus läßt die Rechtsprechung (SZ 63/35; ausführlich JBl.1977, 537; SZ 55/166; NZ 1987, 14 ua) mit Ehrenzweig AT 180 und Koziol-Welser8 I 52 auch eine durch Geisteskrankheit oder -schwäche bedingte vollkommene Unfähigkeit, die Tragweite eines bestimmten Geschäftes einzusehen, ausreichen, um dessen Ungültigkeit zu bejahen (ebenso Aicher in Rummel ABGB2 Rz 5 zu § 21; Steinbauer in ÖJZ 1985, 428; Iro in ÖBA 1986, 503; Welser in NZ 1987, 169; Rummel in Rummel ABGB2 Rz 3 zu § 865). Die tatsächlichen Umstände und persönlichen Eigenschaften im Zeitpunkt der Abgabe einer Willenserklärung sind tatsächlicher Natur und irrevisibel, erst die Schlußfolgerung, ob aufgrund dieser Umstände Erklärungen im Gebrauch der (vollen) Vernunft abgegeben wurden, ist rechtliche Beurteilung (NZ 1989, 38 ua). Unter diesen Gesichtspunkten kann in der von beiden Vorinstanzen aus dem festgestellten Sachverhalt gezogenen rechtlichen Schlußfolgerung, daß der Kläger beim Abschluß des vorliegenden Vergleiches nicht geschäftsfähig war, eine unrichtige rechtliche Beurteilung nicht erkannt werden. Daß dieses Ergebnis die Einheit der Rechtsordnung störe, weil das Sachwalterschaftsgericht vorerst die Prozeßfähigkeit (Handlungsfähigkeit) des Klägers durch den das Prozeßgericht bindenden (SZ 60/56 ua) Beschluß bejahte, kann schon angesichts der aufgrund der Anregung des Berufungsgerichtes erfolgten Bestellung eines einstweiligen Sachwalters für den Kläger nicht gesagt werden; darüber hinaus kommt es für die Entscheidung in der Sache selbst auf die Handlungsfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses vom 8.8.1984 an.
Das geltend gemachte Feststellungsbegehren wurzelt, wie schon das Berufungsgericht zutreffend erkannte, im materiellen Recht (EvBl 1956/289; JBl 1965, 420; NZ 1991, 9) sodaß es der Dartuung eines besonderen rechtlichen Interesses an der Feststellung im Sinne des § 228 ZPO nicht bedarf.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 46, 50 ZPO.
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