OGH 5Ob278/02x

OGH5Ob278/02x29.4.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann und Dr. Baumann und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** AG & Co, ***** vertreten durch Boller, Langhammer & Schubert Rechtsanwälte OEG in Wien, wider die beklagte Partei Christian Z*****, vertreten durch den Sachwalter Dr. Herbert Eisserer, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 6.439,51 sA (Revisionsinteresse EUR 5.991,95 sA), infolge der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 31. Juli 2002, GZ 35 R 166/02z-50, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 7. Dezember 2001, GZ 18 C 1524/98b-45, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 468,18 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 78,03 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 27. 9. 1996 schloss die Klägerin mit dem Beklagten einen Vertrag über die Zurverfügungstellung eines Mobiltelefonanschlusses zu einem monatlichen Grundentgelt sowie variablen Verbindungsentgelten. In der Folge stellte die Klägerin dem Beklagten die von ihm in Anspruch genommenen Leistungen - Herstellung und Aufrechterhaltung von Gesprächsverbindungen - mit insgesamt S 88.529,60 für den Zeitraum 10/96 bis 3/97 in Rechnung. Weil der Beklagte keine Zahlungen leistete, wurde das Vertragsverhältnis seitens der Klägerin am 13. 5. 1997 fristlos aufgelöst.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 27. 2. 1998, GZ 2 P 254/97s-11, wurde für den Beklagten ein Sachwalter zur Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten und zur Regelung aller finanziellen Angelegenheiten, die über den täglichen Lebensbedarf hinausgehen, bestellt. Beim Beklagten findet sich eine intellektuelle Minderbegabung, die grenzwertig der klinisch relevanten Störung einer sogenannten leichten Intelligenzminderung, auch Debilität genannt, entspricht. Insbesondere sind beim Beklagten das logische und rechnerische Verständnis, wie Kritikfähigkeit und zukunftsorientiertes Handeln in komplexen Angelegenheiten beeinträchtigt. Die beim Beklagten fassbare intellektuelle Minderbegabung beeinträchtigt das über den täglichen Lebensbedarf hinausgehende finanzielle Verständnis und das damit verbundene zukunftsorientierte und planerische Handeln.

Bei den in Frage stehenden Gesprächen - die Kosten der übrigen wurden dem Beklagten bereits im erstinstanzlichen Verfahren rechtskräftig auferlegt - handelt es sich um die Inanspruchnahme von Mehrwertdienstleistungen, nämlich um Anrufe bei Erotiktonbanddiensten.

Der Beklagte wurde bei seinen diesbezüglichen Anrufen auf eine Gebührenerhöhung hingewiesen, wobei allerdings nicht feststeht, in welcher Art, nämlich ob dahin, dass die für das jeweilige Telefongespräch anfallenden Kosten in Minuten- oder Sekundeneinheiten oder aber als Vielfaches des Ortstarifs bekanntgegeben wurden. Der Beklagte, der bei Gesprächsbeginn auf erhöhte Kosten hingewiesen wurde, war in der Lage, generell zu erfassen, dass diese Telefonate teurer sind als gewöhnliche Telefonate. Sein eingeschränktes rechnerisches Verständnis reichte allerdings nur dazu aus, die Kosten für kurze Telefonate, bei denen ihm zu Beginn des Gesprächs die Kosten pro Minute bekanntgegeben wurden, abzuschätzen. Bei längeren Telefonaten oder aber bei solchen, bei denen eine Erhöhung in Sekundeneinheiten oder in Form eines Vielfachen des Ortstarifs bekanntgegeben wurden, konnte er die ihm für ein konkretes Gespräch entstehenden Kosten nicht mehr erfassen.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten insgesamt EUR 6.439,51 für die gesamten Gesprächsgebühren mit der Begründung, der Beklagte sei trotz seines Geisteszustands im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages und der Inanspruchnahme der einzelnen Telefonleistungen in der Lage gewesen, die dadurch auflaufenden Kosten zu begreifen, weil er auf die Erhöhung der Gebühren bei Inanspruchnahme von Mehrwertdiensten jedenfalls hingewiesen worden sei. Die Anbieter von Mehrwertdiensten seien zum damaligen Zeitpunkt verpflichtet gewesen, zu Beginn jeder Verbindung den Gesprächspreis pro Minute anzugeben. Dieser Verpflichtung sei auch der weitaus überwiegende Teil der Anbieter nachgekommen, zumal sie bei einem etwaigen Zuwiderhandeln mit einer sofortigen Sperre ihrer Nummer zu rechnen gehabt hätten. Dem Beklagten wäre die Höhe der auflaufenden Entgelte auch nachvollziehbar gewesen, wenn die Tarifierung bei Beginn des Gesprächs in Sekunden oder anderen Einheiten angegeben worden sei. Selbst mit dem Sachwalterbestellungsbeschluss sei die Fähigkeit des Beklagten zum Abschluss des klagsgegenständlichen Geschäfts nicht eingeschränkt worden, weil die Benützung eines Handys zum täglichen Lebensbedarf zähle.

Der Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte Abweisung der Klage. Er gestand zu, sämtliche Telefonate selbst geführt zu haben, wobei ca 5 % auf normale Telefonverbindungen, ca 95 % hingegen auf Telefonate zu Mehrwertdienstleistungen entfallen seien. Er sei bei Abschluss des Vertrages jedenfalls nicht geschäftsfähig gewesen. Auf Grund seiner intellektuellen Minderbegabung sei er nicht in der Lage gewesen, die für die Inanspruchnahme von Mehrwertdienstleistungen auflaufenden Entgelte zu verstehen, unabhängig davon, ob die Verbindungsentgelte bei Gesprächsbeginn überhaupt, in Minuten, Sekunden oder anderen Einheiten bekanntgegeben worden wären. Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten, der Klägerin S 6.159,93 samt 4 % Zinsen seit 14. 7. 1998 zu bezahlen und wies das darüber hinausgehende Begehren (EUR 5.991,85 sA) sowie das über 4 % hinausgehende Zinsenbegehren ab. Der zwischen den Streitteilen abgeschlossene Vertrag über die Zurverfügungstellung eines mobilen Telefonanschlusses gegen ein monatliches Grundentgelt und variable Verbindungsentgelte je nach Inanspruchnahme sei ein Bezugsvertrag, bestehend aus einer Rahmenvereinbarung und auf Grund dieser Rahmenvereinbarung durch Abruf von Leistungen zustandegekommenen Einzelverträgen.

Beim Geisteszustand des Beklagten, der eine Sachwalterbestellung rechtfertigte, sei für jedes der vorliegenden einzelnen Geschäfte zu prüfen, ob es von der geistigen Störung tangiert worden sei, wobei darauf abzustellen sei, ob die geistigen Fähigkeiten des Beklagten gerade für den konkreten Akt ausreichend gewesen seien. Diese partielle Geschäftsunfähigkeit habe beim Beklagten bewirkt, dass er zwar den mit der Klägerin abgeschlossenen Rahmenvertrag über den mobilen Telefonanschluss erfasst habe, auch die Bedeutung einfacher im Inland geführter Telefonate, weil es sich dabei um weniger komplexe und somit die geistigen Fähigkeiten des Beklagten nicht übersteigende Angelegenheiten handelte. Die Tragweite von Anrufen bei Mehrwertdiensten habe er aber nicht erkannt. Wenn er auch, zu Beginn des Gesprächs auf erhöhte Kosten hingewiesen, wusste, dass das Telefongespräch teurer sei als ein gewöhnliches, so habe er doch nicht abschätzen können, um wieviel mehr es tatsächlich koste. Dies ausgenommen bei kurzen Gesprächen, bei denen er auf die Erhöhung in Minuteneinheiten hingewiesen worden sei. Es sei jedoch nicht erwiesen, dass der Beklagte in allen Fällen der Inanspruchnahme von Mehrwertdiensten zu Beginn auf die Erhöhung der Kosten in Minuteneinheiten hingewiesen worden sei. Die vertragsgemäß von der Klägerin erbrachten Leistungen der Herstellung und Aufrechterhaltung von Gesprächsverbindungen zu Mehrdienstleistungsunternehmen seien für den Beklagten somit ungültig, weil sie von der geistigen Störung des Beklagten insofern tangiert worden seien, als seine geistigen Fähigkeiten gerade für diese konkreten Akte nicht ausgereicht hätten. Das Erstgericht gab daher dem Klagebegehren im Umfang der Grundentgelte und der im Inland geführten Telefonate (ca 5 %) statt und wies das Mehrbegehren ab.

Einer dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung gab das Gericht zweiter Instanz nicht Folge.

Das Berufungsgericht gelangte ausgehend von der Komplexität des Vertragstextes samt AGB zur Rechtsansicht, dass der Beklagte wohl auch den Rahmenvertrag auf Grund der festgestellten geistigen Behinderung nicht habe erfassen können. Er habe nur die Hauptleistungspflichten der Vertragspartner erfasst, weshalb der Vertrag mit der Rechtsfolge der gesamten Nichtigkeit belastet sei. Eine Inanspruchnahme des Beklagten aus diesem Vertrag komme daher nicht in Betracht.

Wegen der partiellen Geschäftsunfähigkeit des Beklagten scheide aber auch eine Heranziehung des Beklagten aus dem Rechtsgrund des deliktischen Schadenersatzes für die Inanspruchnahme von Mehrwertdienstleistungen aus, weil bei Anwendung von § 1310 ABGB auf das Vermögen des Schädigers und des Geschädigten Rücksicht zu nehmen sei. Unter Zugrundelegung des Umstands, dass der Beklagte Notstandshilfebezieher sei und bei Abwägung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse sei eine Heranziehung des Beklagten zum Schadenersatz nicht angebracht. Auch nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen sei eine Inanspruchnahme des Beklagten nicht gerechtfertigt, weil ein objektiver Wert des Nutzens für den Beklagten nicht feststehe. Sei die Leistung aber für den Empfänger überhaupt wertlos, so gebühre - beim Geschäftsunfähigen unabhängig von seiner Redlichkeit - überhaupt kein Ersatz.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Haftung eines nur beschränkt Geschäftsfähigen für Leistungen von Mehrwertdienstanbietern im Wege der Telefonie fehle. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des zweitinstanzlichen Urteils im Sinn einer gänzlichen Klagsstattgebung. In eventu wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht berechtigt. Während die tatsächlichen Umstände und persönlichen Eigenschaften im Zeitpunkt der Abgabe einer Willenserklärung tatsächlicher Natur und damit irrevisibel sind, stellt die Schlussfolgerung, ob auf Grund dieser Umstände Erklärungen im Gebrauch der (vollen) Vernunft abgegeben wurden, rechtliche Beurteilung dar (NZ 1989, 38; EvBl 2000/96; RIS-Justiz RS0014641; zuletzt 10 Ob 274/02w). Gemäß § 865 ABGB sind Personen, die den Gebrauch der Vernunft nicht haben, unfähig, ein Versprechen zu machen oder es anzunehmen. Geschäftsunfähig im Sinne der genannten Gesetzesstelle sind aber nicht nur jene Personen, die den Gebrauch der Vernunft nicht haben und somit vollkommen unfähig sind, die Bedeutung rechtsgeschäftlicher Handlungen zu erkennen, sondern auch solche, die aufgrund Geisteskrankheit oder -schwäche unfähig sind, die Tragweite eines bestimmten Geschäftes einzusehen (SZ 63/35; ausführlich JBl 1977, 537; SZ 55/166; NZ 1987, 14 ua; zuletzt 8 Ob 165/00y mwN). In diesem Fall spricht man von partieller Geschäftsfähigkeit, deren Vorliegen, solange ein Sachwalter nicht bestellt ist, von Fall zu Fall geprüft werden muss (JBl 1977, 537; SZ 55/166 ua). Bei dieser Prüfung ist darauf abzustellen, ob die geistigen Fähigkeiten der Schutzperson gerade für den konkreten rechtsgeschäftlichen Akt ausreichend waren, wenn nicht, ist das Geschäft ungültig.

Es kommt also darauf an, ob der Beklagte bei der festgestellten Geistesschwäche in der Lage war, die Tragweite und die Auswirkungen des hier in Frage stehenden Dauerschuldverhältnisses abzuschätzen und dieser Einsicht gemäß zu disponieren (vgl RIS-Justiz RS0009075 ua). Nach den maßgeblichen Feststellungen war der Beklagte im fraglichen Zeitraum nur zu einem unmittelbaren Entscheidungs- und Denkprozess in der Lage, etwa die Kosten eines kurzen Telefonats bei exakter Angabe des Minutenpreises zu beurteilen, nicht aber zu einem zukunftsorientierten planerischen Handeln in einem Entscheidungsablauf. Ginge es also bloß um die Beurteilung eines einzelnen Telefonats, dessen Kosten dem Beklagten abschätzbar waren, stünde seine Geschäftsfähigkeit hiefür nicht in Frage. Anders ist jedoch der Vertrag über die Zurverfügungstellung eines Mobiltelefonanschlusses zu einem monatlichen Grundentgelt und variablen Verbindungsentgelten zu beurteilen. Um die Geschäftsfähigkeit des Beklagten dafür bejahen zu können, müsste ihm die Tragweite der damit verbundenen Kostenfolgen durch Herstellung und Aufrechterhaltung von Gesprächsverbindungen, welcher Art und Anzahl auch immer, möglich gewesen sein.

Unbeschadet der Komplexheit des Rahmenvertrags, den die zweite Instanz in den Vordergrund gestellt hat, geht es um eine Fähigkeit des Abschätzens der Möglichkeiten und der damit verbundenen Kosten, die durch Herstellung und Aufrechterhaltung von Gesprächsverbindungen in ihrer Gesamtheit entstehen.

Nach dem von den Vorinstanzen zugrunde gelegten Gutachten beeinträchtigt aber die beim Beklagten festgestellte Geistesschwäche das über den täglichen Lebensbedarf hinausgehende finanzielle Verständnis und das damit verbundene zukunftsorientierte und planerische Handeln. Daraus ergibt sich, dass beim Beklagten schon bei Abschluss des Vertrags über die Zurverfügungstellung eines Mobiltelefonanschlusses die geistigen Fähigkeiten nicht ausreichend waren, die Kommunikationsmöglichkeit, die ein Mobiltelefon bietet, gezielt und im Verhältnis seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einzusetzen, also in diesem Sinn in die Zukunft reichend planerisch tätig zu werden.

Im vorliegenden Fall ist daher dem Normzweck der §§ 21, 865 ABGB entsprechend das mangelnde Verständnis des Beklagten von der Tragweite des Geschäfts deshalb zu berücksichtigen, weil es in der geistigen Behinderung selbst seinen Grund hat (vgl Steinbauer in ÖJZ 1985, 428; Aicher in Rummel Rz 5 zu § 21 ABGB).

Für den Beklagten entstand aus diesem Geschäft keine Verbindlichkeit. Es muss daher nicht geprüft werden, ob der Beklagte bei einzelnen Telefonaten in der Lage war, die darauf entfallenden Kosten abzuschätzen. Der Vertrag kann nämlich in seiner Gesamtheit keinen Bestand haben.

Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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