OGH 8Ob102/12a

OGH8Ob102/12a24.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** K***** reg. Gen. m.b.H., *****, vertreten durch Binder Broinger Miedl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei K***** E*****, vertreten durch den Sachwalter Dr. Peter Lindinger, Rechtsanwalt in Linz, wegen 181.682,08 EUR sA und nunmehr Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 25. Juli 2012, GZ 1 R 96/12m‑118, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 865 ABGB sind Personen, die den Gebrauch der Vernunft nicht haben, unfähig, ein Versprechen zu machen oder es anzunehmen. Die Geschäftsfähigkeit ist etwa ausgeschlossen, wenn die normale Freiheit der Willensentschließung durch eine geistige Störung aufgehoben ist. Geschäftsunfähig iSd § 865 ABGB sind aber nicht nur jene Personen, die den Gebrauch der Vernunft nicht haben und somit vollkommen unfähig sind, die Bedeutung rechtsgeschäftlicher Handlungen zu erkennen, sondern auch solche, die aufgrund Geisteskrankheit oder Geistesschwäche unfähig sind, die Tragweite eines bestimmten Geschäfts einzusehen (8 Ob 165/00y; 5 Ob 278/02x). In diesem Fall spricht man von partieller Geschäftsunfähigkeit.

Die Klägerin verabsäumt es, zwischen dauernder und partieller Geschäftsunfähigkeit zu unterscheiden. Partielle Geschäftsunfähigkeit liegt vor, wenn eine geistig beeinträchtigte Person zwar nicht vollkommen geschäftsunfähig iSd § 865 Satz 1 ABGB ist, aber aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung die Tragweite bestimmter Geschäfte nicht beurteilen kann. Solange kein Sachwalter bestellt ist, muss von Fall zu Fall geprüft werden, ob das vorgenommene Geschäft von der geistigen Störung erfasst ist oder nicht. Rechtsgeschäfte in dem von der Behinderung betroffenen Bereich sind vor Bestellung eines Sachwalters nichtig (8 Ob 62/11t mwN).

Für eine partielle Geschäftsunfähigkeit kommt es somit darauf an, ob der Beklagte bei der festgestellten Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in der Lage war, die Tragweite und die Auswirkungen des konkreten Rechtsgeschäfts abzuschätzen und dieser Einsicht gemäß zu disponieren (vgl RIS‑Justiz RS0009075; 5 Ob 278/02x). Die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist typisch von den Umständen des Einzelfalls abhängig (RIS‑Justiz RS0117658).

2.1 Mit der Ansicht, dass nur eine psychische Krankheit eine (hier partielle) Geschäftsunfähigkeit begründen könne, ist die Klägerin nicht im Recht. Vielmehr unterscheidet die Rechtsprechung zwischen Geisteskrankheit und Geistesschwäche. In dem der Entscheidung 5 Ob 278/02x zugrunde liegenden Fall bestand beim dortigen Beklagten eine intellektuelle Minderbegabung im Sinn einer leichten Intelligenzminderung. Dadurch waren das über den täglichen Lebensbedarf hinausgehende finanzielle Verständnis und das damit verbundene zukunftsorientierte und planerische Handeln beeinträchtigt. Der Oberste Gerichtshof sprach dazu aus, dass beim Beklagten schon bei Abschluss des Vertrags die geistigen Fähigkeiten nicht ausreichend gewesen seien, um in die Zukunft reichend planerisch tätig zu werden. Dem Normzweck der §§ 21, 865 ABGB entsprechend sei das mangelnde Verständnis des Beklagten von der Tragweite des Geschäfts deshalb zu berücksichtigen, weil es in der geistigen Behinderung selbst seinen Grund habe.

2.2 Mit dem zuletzt dargestellten Hinweis wurde hervorgehoben, dass zwischen dem Mangel an Einsichtsfähigkeit und der Intelligenzminderung ein ursächlicher Zusammenhang besteht, das Geschäft von der geistigen Störung also „tangiert“ wurde (vgl RIS‑Justiz RS0014626; RS0014651).

So wie im Vergleichsfall besteht auch bei der hier Beklagten eine intellektuelle Minderbegabung mit gleichen negativen Auswirkungen auf die Einsichtsfähigkeit. Diese Minderbegabung ist sogar mit einer Einschränkung in der Willensbildung verbunden. Wenn das Berufungsgericht in dieser Konstellation den vorliegenden Sachverhalt als mit jenem der Entscheidung 5 Ob 278/02x vergleichbar beurteilt, stellt dies keine korrekturbedüftige Fehlbeurteilung dar.

Insgesamt gelingt es der Klägerin nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

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