OGH 1Ob572/90

OGH1Ob572/9024.10.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Theresia W***, Pensionistin, Winkeln 24, 4710 Grieskirchen, vertreten durch ihren Sachwalter Dr. Hans Hochleitner, emeritierter Rechtsanwalt in Eferding, dieser vertreten durch Dr. Johannes Hochleitner, Rechtsanwalt in Eferding, wider die beklagten Parteien

1. Karl K***, 2. Edith K***, beide Bankangestellte, Pfarrhofsiedlung 18, 4710 Grieskirchen, beide vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer, Rechtsanwalt in Wels, wegen Aufhebung eines Übergabsvertrages und Einwilligung in die Einverleibung (gegen beide Beklagte - Streitwert S 135.000) sowie Aufhebung eines Schenkungsvertrages und Leistung (gegen den Erstbeklagten - Streitwert S 557.034,26 sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 13. Dezember 1989, GZ 2 R 214/88-57, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 17. Juni 1987, GZ 2 Cg 36/86-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 19.619,82 (einschließlich S 3.269,97 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 25. Juni 1922 geborene Klägerin bewohnte seit dem Jahr 1967, zunächst gemeinsam mit ihrem am 27. April 1982 verstorbenen Ehegatten Otto W***, dann alleine das auf der im Erbweg in ihr Eigentum gelangten Liegenschaft EZ 351 KG Tollet errichtete Haus Grieskirchen, Winkeln 24. Der Einheitswert dieser Liegenschaft beträgt S 135.000. Nach der Verlassenschaftsabhandlung nach ihrem verstorbenen Ehegatten verfügte sie auch über ein in ihrem Eigentum stehendes Sparbuch der V*** Grieskirchen mit einer Einlage zum 31. Dezember 1982 von S 557.034,26.

Mit notariellem Übergabsvertrag vom 28. Jänner 1983 übergab sie ihre Liegenschaft je zur Hälfte an die Beklagten, einen Neffen ihres verstorbenen Ehegatten und dessen Ehegattin, im wesentlichen gegen das alleinige und ausschließliche Wohnungsrecht im ganzen Haus, die Alleinbenützung des Gartens, die ordentliche "Wart und Pflege" in Krankheits- und Gebrechlichkeitsfällen in dem Maße, wie sie einer Mutter von den Kindern zusteht, wobei über Verlangen der Übernehmer diese Wart und Pflege in deren eigenem Haus geleistet werden kann. Weiters verpflichteten sich die Übernehmer im Ablebensfall der Übergeberin zu einem ortsüblichen und standesgemäßen Leichenbegängnis mit Beisetzung und ordentlicher Erhaltung der Grabstätte. Die Übernehmer räumten der Übergeberin auch ein Veräußerungsverbot und ein Vorkaufsrecht ein. Auf Grund dieses Übergabsvertrages ist das Eigentumsrecht der beiden Beklagten in der EZ 351 KG Tollet je zur Hälfte einverleibt. Am 24. Jänner 1983 schenkte außerdem die Klägerin dem Erstbeklagten ihr Sparbuch der V*** Grieskirchen mit der Einlage von S 557.034,26 zum 31. Dezember 1982 und übergab es ihm ins Eigentum.

Vom Bezirksgericht Grieskirchen wurde am 22. Jänner 1986 zu SW 2/86 ein Sachwalterbestellungsverfahren eingeleitet. Mit rechtskräftigem Beschluß dieses Gerichtes vom 11. August 1986 wurde der Klägerin ein Sachwalter für alle Angelegenheiten gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB bestellt.

Die Klägerin begehrt gegenüber beiden Beklagten die Aufhebung des genannten Übergabsvertrages sowie die Einwilligung in die Einverleibung ihres Eigentumsrechtes und gegenüber dem Erstbeklagten die Aufhebung des Schenkungsvertrages über das Sparbuch und die Bezahlung des Einlagebetrages samt Nebengebühren. Sie brachte dazu vor, daß ihr im Zeitpunkt der beiden Rechtsgeschäfte die Geschäftsfähigkeit gemangelt habe. Sie habe bereits seit 1978 an Depressionen gelitten und sei deshalb in ärztlicher Behandlung gestanden. Durch den Tod ihres Ehegatten im April 1982 habe sich ihr Zustand verschlechtert. Die Vereinsamung habe in ihr die krankhafte Vorstellung vermehrt, daß sie das Haus und ebenso das vorher gemeinsame Sparbuch nicht mehr habe sehen wollen.

Die Beklagten beantragten Abweisung der Klagebegehren und wendeten im wesentlichen ein, die Klägerin sei beim Abschluß der Rechtsgeschäfte im Vollbesitz ihrer Geisteskräfte gestanden. Der mit ihr ausführlich vorbesprochene Übergabsvertrag und die damit im Zusammenhang stehende Schenkung des Sparbuches entsprächen dem freien Willen der Klägerin. Diese Vermögensübertragungen seien von ihr in der Folge auch anderen Personen gegenüber wiederholt begründet, bestätigt und anerkannt worden.

Das Erstgericht wies das gesamte Klagebegehren ab und stellte fest: Die Klägerin leide an einer depressiven Erkrankung des körperlichen Rückbildungsalters (Involutionsdepression), die mit einem leichten Intelligenzabbau verbunden sei. Sie weise einen sehr niedrigen Intelligenzquotienten von 76 auf. In einem bildungsfreien Untertest erreiche sie zwar den durchschnittlichen Wert von 97, in bildungsabhängigen Tests habe sie aber wie eine Schwachsinnge abgeschnitten. Ihre angeborene intellektuelle Begabung sei annähernd durchschnittlich gewesen, sie sei aber in einem ungewöhnlichen Ausmaß ungebildet. An intellektuellen Abbauzeichen bestehe eine Merkfähigkeitsschwäche und eine Neigung zum Zwangsweinen. Zu einem primären intellektuellen Tiefstand sei eine hirnorganische Wesensveränderung und ein leichter intellektueller Abbau hinzugetreten. Außerdem bestehe bei ihr eine depressive Geisteskrankheit mit Verstimmungszuständen. Durch ihren Hausarzt seien ihr in der Zeit von 1971 bis 1984 Medikamente (gegen die Depressionen) verordnet worden, welche sie aber nicht regelmäßig eingenommen habe. Im Jänner 1983 habe die Klägerin an einer endognen Depression gelitten, also an phasenhaften Verstimmungszuständen im Sinne einer depressiven Geisteskrankheit. Ihr Entschluß, ihre Liegenschaft an die Beklagten zu übergeben und ihr Sparbuch dem Erstbeklagten zu schenken, sei von dieser psychischen Erkrankung motiviert und diktiert gewesen. Sie habe jedoch bewußt wahrgenommen, daß sie ihre Liegenschaft veräußert und ihr Sparbuch dem Erstbeklagten geschenkt habe. Sie habe die Abwicklung dieser Geschäfte intellektuell erfassen und ihr Tun auch beurteilen können. Rechtlich folgerte das Erstgericht, wenngleich die Klägerin zum Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse unter einer endognen Depression gelitten habe, sei sie dennoch "durchaus" in der Lage gewesen, die Tragweite des abgeschlossenen Übergabs- und Schenkungsvertrages zu beurteilen.

Das Oberlandesgericht Linz gab in seiner Entscheidung vom 27. Jänner 1988, GZ 2 R 274/87-32, der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge. Daß die Entschlüsse der Klägerin zu diesen beiden Rechtsgeschäften auch durch ihre depressive psychische Erkrankung motiviert und diktiert gewesen seien, könne an der Rechtswirksamkeit dieser Verträge nichts ändern. Die Klägerin sei damit noch nicht unfähig gewesen, die Bedeutung und Tragweite der konkreten Geschäfte zu beurteilen. Diese seien daher nicht entscheidend von ihrer geistigen Störung tangiert gewesen. Infolge Revision der Klägerin faßte der Oberste Gerichtshof den Aufhebungsbeschluß vom 15. Juni 1988, GZ 1 Ob 574/88-36, auf dessen Inhalt verwiesen wird.

Das Gericht zweiter Instanz wiederholte das Beweisverfahren durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Univ.-Doz.Dr. Werner S*** und traf in teilweiser Abänderung und Ergänzung der erstinstanzlichen Feststellungen folgende Feststellungen:

Die depressive Grundstimmung der Klägerin habe ihre Willensbildung bei Übergabe ihrer Liegenschaft an die beiden Beklagten und die Schenkung ihres Sparbuchs an den Erstbeklagten nur leicht beeinträchtigt, jedoch nicht aufgehoben. Der Rechtsgeschäftswille sei dadurch beeinflußt, aber nicht diktiert oder in einem höheren Grad motiviert gewesen. Bei der Klägerin sei damals durchaus auch die Möglichkeit zu einer anderen Willensentscheidung gegeben gewesen. Sie habe damals gewußt, was sie getan habe.

Mit dem angefochtenen Urteil bestätigte das Gericht zweiter Instanz (erneut) das Urteil des Erstgerichtes. Auf Grund der teilweise übernommenen, teilweise neu getroffenen Feststellungen sei bei der Klägerin in den entscheidungswesentlichen Zeitpunkten die Freiheit zur Willensentschließung durch eine geistige Störung nicht aufgehoben, sondern nur leicht beeinträchtigt gewesen, so daß ihr Rechtsgeschäftswille zwar durch ihre depressive Grundstimmung beeinflußt, nicht aber diktiert oder in einem höheren Grad motiviert gewesen sei. Ihre Handlungs- und Geschäftsfähigkeit sei daher zu bejahen. Der Klägerin sei daher der Nachweis ihrer Geschäftsunfähigkeit beim Abschluß der umstrittenen Verträge nicht gelungen.

Weil die Revision schon wegen des Ausspruchs über das gegen den Erstbeklagten allein gestellte Klagebegehren auf Grund des Streitwertes zulässig sei, sei auch die Revision gegen den Ausspruch über das im Zulassungsbereich bewertete weitere Klagebegehren zuzulassen.

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobene Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt, wie die Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof ergab, nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Auf Grund der vom Berufungsgericht nach Beweiswiederholung getroffenen Feststellungen ist nunmehr im Sinne der Rechtsausführungen des Aufhebungsbeschlusses ON 36 klargestellt, daß die Klägerin im fraglichen Zeitpunkt anläßlich des Abschlusses der beiden von ihr angefochtenen Rechtsgeschäfte in ihrer Geschäftsfähigkeit nicht derart behindert war, daß sie als geschäftsunfähig anzusehen wäre oder doch die Folgen ihres rechtsgeschäftlichen Handelns nicht überblicken hätte können. Daß sie später ihre rechtsgeschäftlichen Verfügungen - nach "Aufklärung" durch dritte, dabei nicht bedachte Personen - bereut haben mag, kann an ihrer Handlungsfähigkeit im Zeitpunkt der Geschäftsabschlüsse im Sinne der oben dargelegten Feststellungen der Tatsacheninstanzen nichts mehr ändern, worauf auch die Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung zutreffend hinweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO.

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