Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch eines Tätigkeitsverbots nach § 220b Abs 2 StGB aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wels verwiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dr. Martin A***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./), des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II./), der Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB (III./1./) und der Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 zweiter Fall StGB (III./2./) schuldig erkannt.
Nach § 19a (richtig:) StGB wurden sichergestellte Datenträger, Computer und Kameras konfisziert und es wurde dem Angeklagten nach § 220b Abs 1 StGB jede Tätigkeit in einem Verein oder anderen Einrichtung, welche die Erziehung, Ausbildung oder Beaufsichtigung Minderjähriger einschließt, für die Dauer von fünf Jahren untersagt.
Nach dem Schuldspruch hat er in B***** und andernorts
I./ zwischen 2. und 15. August 2009 an dem am 26. September 2001 geborenen Lukas B***** eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem er in zwei Angriffen unter dessen Pyjamahose gegriffen und diesen am Penis berührt hat;
II./ durch die unter I./ gesetzte Tathandlung mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstanden hat, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person eine geschlechtliche Handlung vorgenommen;
III./ von 1. Mai 2004 bis 15. Juni 2011 in zahlreichen Angriffen pornographische Darstellungen von minderjährigen Personen, bei denen es sich jeweils um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen der Genitalien oder des Schambereichs Minderjähriger gehandelt hat, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen sollten
1./ hergestellt, und zwar im Sommer 2004, im Sommer 2005, im Sommer 2006 und in den Jahren 2009 und 2010 eine Vielzahl im Urteilstenor unter Verweis auf deren Speichernamen und die dem Akt angeschlossenen Lichtbildbeilagen angeführter Bilder, sowie Bild- und Videodateien;
2./ besessen, und zwar die unter 1./ angeführten Bilder sowie eine Vielzahl von weiteren, im Urteilstenor mit ihrer Fundstelle im Akt angeführten Bilder sowie Bild- und Videodateien.
Rechtliche Beurteilung
Ausschließlich gegen die Schuldsprüche I./ und II./ richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die fehlschlägt.
Die Tatsachenrüge (Z 5a) will nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Gegenstand der Tatsachenrüge sind demgemäß nur Feststellungen, angesichts derer gemessen an allgemeinen Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung qualifiziert naheliegt, die somit geradezu unerträglich sind (RIS‑Justiz RS0119583; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 391, 490). Indem der Beschwerdeführer der Beweiswürdigung der Tatrichter mit dem Hinweis auf das ‑ vom Schöffengericht eingehend berücksichtigte (US 12, US 14) ‑ nicht fertig gestellte aussagepsychologische Gutachten hinsichtlich Lukas B***** und auf Teile der Aussage des Genannten, lediglich seine eigenen Erwägungen zum Beweiswert der Aussage des genannten Zeugen gegenüberstellt, vermag er beim Obersten Gerichtshof keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken (RIS‑Justiz RS0118780).
Im Ergebnis bekämpft der Beschwerdeführer lediglich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung die Beweiswürdigung des Schöffengerichts.
Dass der Angeklagte bei der Vernehmung durch die Haft- und Rechtschutzrichterin angab, er habe mit der Hand auf das Glied B*****s gegriffen und dabei sinngemäß gefragt, was er denn da habe, was mit ihm los sei, wurde in den Entscheidungsgründen ausdrücklich berücksichtigt (US 13), sodass der Vorwurf der Nichtberücksichtigung der Aussage der Zeugin Mag. H***** (der Sache nach Z 5 zweiter Fall) versagt. Jener Teil deren Aussage, wonach der Angeklagte angegeben habe, die Berührung sei nicht aus sexuellen Motiven erfolgt, sondern um den Buben zur Rede zu stellen (ON 64 S 20 f), ist entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht gesondert erörterungsbedürftig.
Die Feststellungen zur Intensität und Dauer des Berührungskontakts vermissende Rüge (der Sache nach Z 9 lit a) leitet nicht methodisch vertretbar aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116565), warum weitere Konstatierungen über die Feststellungen, wonach der Angeklagte B***** auf den Penis griff, seine Hand wieder wegzog, als der Unmündige zu ihm sagte, dass er das nicht möge, und gleich darauf noch einmal hingriff (US 6 f), hinaus zur Annahme einer geschlechtlichen Handlung im Sinn des § 207 Abs 1 StGB, die bei nicht bloß flüchtiger sexualbezogener Berührung zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehöriger, somit dem männlichen oder weiblichen Körper spezifisch eigentümlicher Körperpartien des Opfers oder des Täters mit dem Körper des anderen vorliegt (RIS-Justiz RS0102141, RS0078135 [T1]), erforderlich wären.
Die den Vorsatz des Angeklagten, mit dieser Berührung eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorzunehmen, bestreitende Rüge (neuerlich der Sache nach Z 9 lit a), ignoriert die gerade gegenteiligen Urteilsannahmen (US 7) und wird solcherart nicht prozessordnungsgemäß zur Darstellung gebracht (RIS-Justiz RS0099810).
Die Subsumtionsrüge (Z 10) nimmt mit der Behauptung, es wäre „auch zu überprüfen, ob nicht ein Versuchsstadium vorgelegen hat“, keinen Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts mit dem festgestellten Sachverhalt US 6 f vor und übersieht im Übrigen, dass für die Tatbestandsmäßigkeit nach § 207 Abs 1 StGB die tatsächliche Vornahme einer geschlechtlichen Handlung an einer unmündigen Person angesichts der rechtlichen Gleichwertigkeit einer im Versuchsstadium verbliebenen Tat (§ 15 Abs 1 StGB) nicht entscheidend ist (RIS‑Justiz RS0122138). Solcherart verfehlt auch sie die gesetzmäßige Ausführung.
Die weitere sich gegen den Schuldspruch II./ richtende, ein Ausnutzen der Stellung als Autoritätsperson bestreitende Rüge vermisst Feststellungen, dass das Opfer im Tatzeitpunkt geschlafen habe, übergeht damit aber die gerade gegenteiligen Konstatierungen, wonach der Unmündige zum Angeklagten sagte, er möge das nicht, woraufhin der Angeklagte seine Hand wieder wegzog und gleich darauf noch einmal hingriff (US 7).
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Linz zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft folgt (§ 285i StPO).
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, dass dem Urteil dem Angeklagten zum Nachteil gereichende materielle Nichtigkeit in Ansehung des Ausspruchs nach § 220b Abs 2 StGB anhaftet, die in diesem Umfang eine Aufhebung des Urteils erfordert:
Das unbefristete Tätigkeitsverbot nach § 220b Abs 2 StGB stellt eine vorbeugende Maßnahme dar (Philipp in WK2 § 220b Rz 2), die zunächst voraussetzt, dass der Angeklagte eine nach dem Zehnten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB strafbare Handlung zum Nachteil einer minderjährigen Person begangen und im Tatzeitpunkt eine in § 220b Abs 1 StGB genannte Tätigkeit ausgeübt hat (Anlasstat). Besteht darüber hinaus die Gefahr, dass er bei Ausübung einer derartigen Tätigkeit strafbare Handlungen (mindestens zwei [arg aus Abs 2: „strafbare Handlungen“; vgl hiezu Ratz in WK2 § 23 Rz 28, Philipp in WK2 StGB § 220b Rz 7]) der genannten Art (also solche gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung Minderjähriger) mit schweren Folgen (vgl hiezu Ratz in WK2 § 21 Rz 27 f; Kirchbacher/Rami, WK‑StPO § 173 Rz 43) begehen werde (Prognosetaten), so ist das Tätigkeitsverbot auszusprechen. Da der Begriff „Gefahr“ nichts anderes meint als „Befürchtung“ im Sinn der §§ 21 bis 23 StGB, erfordert die Gefährlichkeitsprognose auch hier ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit für die Tatwiederholung (vgl RIS‑Justiz RS0090401; vgl auch Ratz in WK2 Vorbem §§ 21bis 25 Rz 4; in diesem Sinn auch der AB 106 BlgNR 24. GP 25, der eine „besonders hohe Gefahr“ anspricht).
Dem Ersturteil sind weder Annahmen zur Prognosetat noch zum Maß der Wahrscheinlichkeit für deren Begehung (RIS‑Justiz RS0118581, RS0113980, RS0128602) zu entnehmen.
Die demnach das Tätigkeitsverbot nach § 220b Abs 2 StGB betreffende Urteilsnichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO war von Amts wegen wahrzunehmen, weil sich die Berufung des Angeklagten bloß gegen den Ausspruch über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche richtet. Dem Berufungsgericht ist in einem solchen Fall zufolge Beschränkung auf die der Berufung unterzogenen Punkte die amtswegige Wahrnehmung von vorbeugenden Maßnahmen betreffenden Nichtigkeiten nach § 281 Abs 1 Z 11 StPO zugunsten des Angeklagten nicht möglich (vgl 13 Os 32/12y; Ratz, WK‑StPO § 294 Rz 10 und § 295 Rz 7 und 14).
In Ansehung der verfehlten Subsumtion der unter III./1./ angeführten Bilder und Videos auch unter III./2./ ist aber ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO entbehrlich, weil es dem Oberlandesgericht im Rahmen der Entscheidung über die Berufung des Angeklagten überlassen bleibt, zu berücksichtigen, dass der Besitz der von ihm hergestellten pornographischen Darstellungen eine vorbestrafte Nachtat bildet (RIS‑Justiz RS0127379; Philipp in WK2 § 207a Rz 33; vgl auch Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 22).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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