OGH 13Os32/12y

OGH13Os32/12y5.7.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Juli 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Temper als Schriftführerin in der Strafsache gegen Jürgen S***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 15. Dezember 2011, GZ 18 Hv 67/11g-44, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Einziehungserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Frohnleiten verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch ein unbekämpft gebliebenes Einziehungserkenntnis enthält, wurde Jürgen S***** jeweils mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (A/1/a und b; A/2/a und b) und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (B/1), jeweils eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und 3 erster Fall StGB (A/1/c) und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (B/2), des Vergehens (richtig: mehrerer Vergehen) des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (C), jeweils mehrerer Vergehen der pornografischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 3 zweiter Satz und Abs 4 Z 1 StGB (D/1), nach § 207a Abs 3 erster Satz und Abs 4 Z 3 lit a erster Fall StGB (D/2) und nach § 207a Abs 3 erster und zweiter Satz und Abs 4 Z 3 lit b StGB (D/3) sowie eines Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (E) schuldig erkannt.

Danach hat er in G***** und K*****

(A) außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an unmündigen Personen vorgenommen, und zwar

(1) in drei Angriffen von 1996 bis 2000 an der am 2. Dezember 1989 geborenen, sohin unmündigen Christin Sch*****, indem er

(a) sie im Jahr 1996 oberhalb der Kleidung im Genitalbereich intensiv betastete, streichelte und massierte,

(b) im Sommer 2000 ihr Leibchen hochzog, sie an der Brust betastete und leckte, ihre Hose und Unterhose hinunterzog, sie im Genitalbereich intensiv betastete, ihre Hände nahm, über dem Kopf festhielt und sie an der Scheide leckte,

(c) im Sommer 2000 ihre Hand nahm, zu seinem erigierten Penis führte, seine Hand über ihre legte und bis zur Ejakulation onanierte, was eine schwere Körperverletzung, nämlich eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung zur Folge hatte;

(2) in zahlreichen Angriffen von 2000 bis Februar 2005 an der am 1. März 1995 geborenen, sohin unmündigen Jasmin Sch*****, indem er

(a) sie im bekleideten wie im nackten Zustand im Genitalbereich intensiv betastete, streichelte und massierte,

(b) ihre Hand nahm, sie zu seinem erigierten Penis führte, seine Hand über ihre legte und bis zur Ejakulation onanierte;

(B) von 2001 bis Februar 2005 mit einer unmündigen Person, nämlich mit der am 1. März 1995 geborenen Jasmin Sch*****, den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er

(1) in zahlreichen Angriffen im Zuge von „Doktorspielen“ ihre nackte Scheide intensiv betastete und sie vaginal digital penetrierte;

(2) ab dem Jahr 2003 in etwa zehn Angriffen mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr vollzog, was eine schwere Körperverletzung, nämlich eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung zur Folge hatte;

(C) durch die unter A und B geschilderten Tathandlungen mit minderjährigen Personen, die seiner Aufsicht unterstanden, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber diesen Personen geschlechtliche Handlungen vorgenommen;

(D) von Dezember 2008 bis Juni 2011 sich pornografische Darstellungen unmündiger, mündiger minderjähriger und minderjähriger Personen durch Beziehen über das Internet verschafft und durch Speichern auf diversen Datenträgern bis zur Löschung der Dateien besessen, und zwar

(1) wirklichkeitsnahe Abbildungen geschlechtlicher Handlungen an unmündigen Personen und unmündiger Personen an anderen Personen, nämlich zahlreiche Bilddateien mit Darstellung unmündiger Mädchen beim Vaginal-, Oral- und Handverkehr mit Erwachsenen;

(2) wirklichkeitsnahe Abbildungen geschlechtlicher Handlungen an mündigen minderjährigen Personen und mündiger minderjähriger Personen an anderen Personen, nämlich zahlreiche Bilddateien mit Darstellungen mündiger minderjähriger Mädchen beim Vaginal-, Oral- und Handverkehr mit Erwachsenen, wobei es sich um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen, handelte;

(3) wirklichkeitsnahe Abbildungen der Genitalien und der Schamgegend Minderjähriger, nämlich zahlreiche Bilddateien mit Darstellungen mündiger und unmündiger minderjähriger Mädchen, die mit gespreizten Beinen ihre Vagina präsentieren, wobei es sich um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen, handelte;

(E) am 15. August 2011 Sabrina S***** mit zumindest einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er im Zuge einer verbalen Auseinandersetzung äußerte, er könne „sie ohnehin gleich umbringen“.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Entgegen der Verfahrensrüge wurden durch die Abweisung der Anträge auf Beiziehung eines medizinischen und eines kinderpsychologischen Sachverständigen, „da aus der kontradiktorischen Einvernahme der Christin und Jasmin Sch***** nicht hervorgehe, dass diese an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden“ (ON 43 S 39), Verteidigungsrechte nicht geschmälert. Denn der Antragsteller legte nicht dar, aus welchem Grund aus dem bloßen Aussageverhalten der Tatopfer Schlussfolgerungen auf das Fehlen der erwähnten Tatfolgen zu ziehen gewesen wären, womit der Antrag auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte. Das ergänzende Vorbringen in der Nichtigkeitsbeschwerde unterliegt dem sich aus dem Wesen des Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbot und ist daher unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Bleibt zum Schuldspruch A/1/c anzumerken, dass der unter dem Aspekt der §§ 1, 61 StGB bestehende Subsumtionsfehler - richtig wäre insoweit der günstigere § 207 Abs 3 erster Satz StGB idF BGBl I 1998/153 (Strafdrohung ein bis zehn Jahre) anstelle der geltenden Nachfolgebestimmung (Strafdrohung fünf bis 15 Jahre) anzuwenden gewesen - mit Blick auf den herangezogenen Strafsatz des § 206 Abs 3 erster Fall StGB keinen Nachteil iSd § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO darstellt. Gleiches gilt, soweit das Erstgericht rechtsirrig ein damit idealkonkurrierendes Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses (§ 212 Abs 1 StGB) nicht der zur Tatzeit geltenden Stammfassung, sondern (zu C) geltendem Recht (BGBl I 2004/15) unterstellte (instruktiv dazu 14 Os 129/10t, EvBl 2011/63, 421). An die insoweit fehlerhafte Subsumtion ist das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufung des Angeklagten nicht gebunden (RIS-Justiz RS0118870; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 27a).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - von einer nicht geltend gemachten, dem Angeklagten zum Nachteil gereichenden Nichtigkeit betreffend das Einziehungserkenntnis (§§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall, 285e erster Satz, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Einziehung setzt nämlich nach § 26 Abs 1 StGB voraus, dass diese vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des betroffenen Gegenstands geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Dabei spricht das Wort „geboten“ die Deliktstauglichkeit des Gegenstands an, die in Ansehung der Datenträger (der sichergestellten Computer, Laptops und Fotoapparate), auf welchen das zu den Schuldsprüchen D inkriminierte pornografische Bildmaterial gespeichert war (vgl US 5, 23), grundsätzlich zu bejahen ist (vgl RIS-Justiz RS0121298). Selbst in einem solchen Fall ist dem Berechtigten gemäß § 26 Abs 2 StGB angemessen Gelegenheit zu geben, diese besondere Beschaffenheit (vorliegend etwa durch Löschen dieser Daten) zu beseitigen (RIS-Justiz RS0121299; Ratz in WK² § 26 Rz 15). Feststellungen dazu oder zu einer fehlenden Möglichkeit der Beseitigung enthält das Urteil nicht (Ratz, WK-StPO § 285i Rz 4).

Diese Nichtigkeit war vom Obersten Gerichtshof von Amts wegen aufzugreifen, weil sich die Berufung des Angeklagten bloß gegen den Strafausspruch richtet. Dem Berufungsgericht ist in einem solchen Fall zufolge Beschränkung auf die der Berufung unterzogenen Punkte die amtswegige Wahrnehmung einer die vorbeugende Maßnahme betreffenden Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 StPO zugunsten des Angeklagten nicht möglich (vgl 14 Os 59/10y; 14 Os 83/10b, EvBl-LS 2010/162; Ratz, WK-StPO § 294 Rz 10 und § 295 Rz 7 und 14).

In Anbetracht der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Bezirksgerichts Frohnleiten für die demgemäß vorbehaltene (§ 443 Abs 2 StPO), gesondert zu treffende Entscheidung über den Antrag auf Einziehung (§§ 445 Abs 3, 445a StPO) war mit Verweisung an dieses Gericht vorzugehen (§ 288 Abs 2 Z 3 letzter Satz StPO; vgl RIS-Justiz RS0100318, RS0100271; Tipold, WK-StPO § 443 Rz 98 ff).

Der Kostenausspruch, der sich nicht auf die amtswegige Maßnahme bezieht (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte