OGH 7Ob229/12w

OGH7Ob229/12w23.1.2013

Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Mag. B***** S*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Hans Lehofer, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei E***** D*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Annemarie Stipanitz-Schreiner und Dr. Helmut Klement, Rechtsanwälte in Graz, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 10. Oktober 2012, GZ 1 R 265/12s‑64, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0070OB00229.12W.0123.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Die Verschuldenszumessung bei einer Scheidung kann in aller Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufwerfen, weil sie von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängt (RIS-Justiz RS0119414; RS0118125; RS0044188 [T5, T8, T12]; RS0043423 [T7, T9]; RS0057325 [T5]; RS0110837 [T1]). Ein überwiegendes Verschulden eines der Ehegatten ist nur dann auszusprechen, wenn der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich und evident hervortritt und das mindere Verschulden fast völlig in den Hintergrund tritt.

Rechtliche Beurteilung

Im vorliegenden Fall gab das Berufungsgericht der allein gegen den Verschuldensausspruch gerichteten Berufung der Revisionswerberin ‑ jene des Klägers ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens ‑ nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Es hat sich ausführlich mit der Frage des Verschuldensausmaßes auseinandergesetzt und ist zum vertretbaren Ergebnis eines gleichteiligen Verschuldens auf Seite der Beklagten gelangt.

Dazu hat es auf die Rechtsprechung verwiesen, wonach eine entschuldbare Reaktionshandlung nur dann in Betracht kommt, wenn sich ein Ehepartner als unmittelbare Folge eines grob ehewidrigen Verhaltens des anderen dazu hinreißen lässt, in einer verständlichen Gemütsbewegung, die die Zurechnung seines Handelns als Verschulden ausschließt, seinerseits Eheverfehlungen zu setzen; während körperliche Misshandlungen nicht als entschuldbare Reaktion angesehen werden können, insbesondere auch nicht gegenüber ‑ wie hier ‑ verbalen Provokationen (RIS-Justiz RS0057136 [insb T3]). Jede körperliche Misshandlung steht außerhalb des Rahmens, in dem Reaktionshandlungen auf vorangegangenes ehewidriges Verhalten des anderen Ehegatten im Zusammenleben normal gesitteter Eheleute noch verständlich und entschuldbar sein können und nicht als schwere Eheverfehlungen zu werten wären (RIS-Justiz RS0057136; RS0057020; 2 Ob 192/10i).

Die besondere Hervorhebung körperlicher Gewaltakte im Gesetzeswortlaut (§ 49 Satz 2 EheG) bedeutet, dass der Gesetzgeber in dieser Hinsicht einen objektiven, also insbesondere einen von der persönlichen Lebenssituation der Ehegatten unabhängigen Maßstab an das Verhalten der Ehegatten anlegen wollte. Jegliche Gewaltanwendung soll in Ehe und Familie prinzipiell verpönt sein. Die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Ehegatten in körperlicher und physischer Hinsicht durch den anderen stellt an sich bereits eine sehr schwere Eheverfehlung dar (vgl 9 Ob 33/03y).

Die Beurteilung, dass der Beklagten vor allem in den Jahren 2009 und 2010 „mehr oder weniger regelmäßige körperliche Angriffe“ auf den Kläger vorzuwerfen seien, die auch unter Berücksichtigung seines ehewidrigen Verhaltens grundsätzlich nicht als entschuldbare Reaktionshandlungen gewertet werden könnten, sondern ihrerseits schwere und zerrüttungskausale Eheverfehlungen darstellten, steht mit dieser Judikatur in Einklang und ist daher nicht zu beanstanden.

Stichworte