OGH 9Ob33/03y

OGH9Ob33/03y9.7.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hradil, Dr. Hopf, Dr. Schramm und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herbert G*****, Installateur, *****, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Gabriela G*****, Hausfrau, *****, vertreten durch Dr. Josef Wegrostek, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 21. Jänner 2003, GZ 42 R 714/02i-41, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 6. August 2002, GZ 10 C 39/01i-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Ausspruch der Scheidung als unangefochten von dieser Entscheidung unberührt bleiben, werden im Ausspruch über das Verschulden dahin abgeändert, dass sie insgesamt zu lauten haben:

"Die zwischen den Parteien am 15. 5. 1998 vor dem Standesamt ***** zu Nr ***** geschlossene Ehe wird aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers mit der Wirkung geschieden, dass sie mit Rechtskraft dieses Urteils aufgelöst ist.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.086,61 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin EUR 179,77 USt und EUR 8 Barauslagen) und die mit EUR 481,23 bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz (darin EUR 48,58 USt und EUR 189,75 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die anteilige Pauschalgebühr erster Instanz von EUR 43,50 binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 779,74 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 66,62 USt und EUR 380 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 15. 5. 1998 geheiratet. Der Ehe entstammen zwei Kinder, die am 23. 5. 1999 geborene Nadine und der am 5. 3. 2001 geborene Marcus. Es handelte sich beiderseits um die erste Ehe. Die Parteien sind österreichische Staatsbürger.

Der Kläger begehrte mit der am 29. 5. 2001 eingebrachten Klage die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten. Er warf ihr vor, äußerst streitsüchtig und grundlos eifersüchtig gewesen zu sein, sich seit längerer Zeit ihm gegenüber lieblos verhalten und ihn in ordinärster Weise beschimpft zu haben. Dadurch sei die Ehe unheilbar zerrüttet worden.

Die Beklagte bestritt das Klagevorbringen und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil die Ehe nicht zerrüttet sei. Vorsichtshalber stellte sie auch einen Mitschuldantrag und wendete ein, dass der Kläger mehrmals gewalttätig geworden sei, sodass sie sogar einmal Strafanzeige erstattet habe, dass er sie gröblichst beschimpft, außereheliche Beziehungen zu einer anderen Frau unterhalten, eigenmächtig die eheliche Gemeinschaft aufgelöst und den gemeinsamen PKW an sich genommen habe.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden beider Teile. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger, ein Installateur, machte es sich nach der Eheschließung zur Gewohnheit, nach Arbeitsschluss nicht sogleich nach Hause zu gehen, sondern zunächst regelmäßig zwischen 15.00 und 16.00 Uhr das Cafe "Z*****" im 11. ***** aufzusuchen, wo er seine Freunde traf. Der Kläger kam dann nach diesen Lokalbesuchen zwischen 16.00 und 17.00 Uhr nach Hause. Dies führte nach der Geburt des ersten Kindes der Parteien (Nadine) im Mai 1999 zu Streitigkeiten, weil die Beklagte vom Kläger erwartete, dass er gleich nach Arbeitsschluss nach Hause komme, um seiner Familie mehr Zeit zu widmen, zumal er nach dem Abendessen ohnedies regelmäßig mit seinem Schwiegervater "pfuschen" ging. (Letzteres erfolgte im Einvernehmen mit der Beklagten, weil die Parteien das Geld für den Ausbau des ehelichen Wohnhauses benötigten.) Die Beklagte legte auch deshalb besonderen Wert auf das rechtzeitige Heimkommen des Klägers, weil sie sich durch das Kleinkind, dessen Geburt eine Risikoschwangerschaft vorausgegangen war, überlastet fühlte und vom Kläger Unterstützung, etwa beim Besorgen der Einkäufe, erwartete.

Über Wunsch der Beklagten schränkte der Kläger vorübergehend die Lokalbesuche ein, ließ aber den Kontakt zu seinen Freunden, "die er als Teil seiner Familie betrachtete", nicht abreißen. Die Beklagte war mit diesen Freunden des Klägers nicht einverstanden. Der Kläger wiederum bemühte sich nicht, die Beklagte in seinen Freundeskreis zu integrieren. Er nahm die Beklagte weder ins besagte Cafe mit, noch schlug er ihr sonst gemeinsame Unternehmungen vor.

Die unterschiedlichen Positionen der Parteien führten zu immer häufigeren Streitigkeiten, wobei insbesondere die Beklagte auch in Gegenwart der Kinder sehr ausfällig werden konnte und den Kläger auch als "Oaschloch", "Hurenhäusl", "Trottel", "Drecksau" oder "Scheißkerl" bezeichnete. Im Zuge dieser Streitigkeiten fielen auch Schimpfworte des Klägers. (Diese wurden vom Erstgericht allerdings nicht näher festgestellt. Der Kläger räumt aber selbst in seiner Aussage ein, die Beklagte auch als "Oaschloch etc" bezeichnet zu haben ([ON 9, AS 35]).

Die Beklagte begann den Kläger immer öfter zu kontrollieren, rief regelmäßig nach Dienstschluss auf seinem Handy an und forderte von ihm Rechenschaft darüber, wo er gerade sei und wann er nach Hause kommen werde. Sie rief den Kläger aber auch untertags an, wo er sich gerade befinde, und beschimpfte ihn wüst und lautstark. Der Kläger wiederum log die Beklagte über seine Arbeitszeiten an bzw ließ sie diesbezüglich im Unklaren, um Freiräume für sich und die Zusammentreffen mit seinen Freunden zu schaffen. Je öfter die Beklagte dem Kläger in diesem Zusammenhang Unwahrheiten nachwies (oder zumindest glaubte, solche nachweisen zu können), desto mehr stieg ihr Misstrauen. Die Eifersucht der Beklagten beschränkte sich dabei aber nicht nur auf die Freunde des Klägers, sie unterstellte dem Kläger auch (sogar gegen ihre eigene Überzeugung), andere Frauen zu haben oder mit anderen Frauen "anzubandeln".

Die Parteien hatten bis etwa Mitte 2000 regelmäßig Geschlechtsverkehr.

Im Zuge eines Streits vor Weihnachten 2000 schlug der Kläger der damals gerade hochschwangeren Beklagten - es handelte sich abermals um eine Risikoschwangerschaft - auf den Bauch und sagte zu ihr, das Beste wäre, sie würde "abbangeln"; damit meinte er, das Beste wäre, sie würde sterben. Zu Weihnachten schrieb er ihr dann allerdings wieder eine Karte, dass er sich auf das Kind freue und hoffe, dass bei der Geburt alles gutgehen werde.

Im März 2001, nach der Geburt des zweiten Kindes (Marcus), würgte der Kläger die Beklagte. In den Streitigkeiten zwischen den Parteien war immer öfter von Scheidung die Rede. Die Parteien unternahmen keine Bemühungen, die ehelichen Streitigkeiten beizulegen bzw wieder eine gemeinsame Gesprächsbasis zu finden. Als die Streitigkeiten schließlich ihren Höhepunkt erreichten, verließ der Kläger im März/April 2001 für ein paar Tage das Haus und nächtigte auswärts.

Am 11. 5. 2001 gab der Kläger gegenüber der Beklagten vor, arbeiten zu gehen. Die Beklagte erfuhr jedoch von ihrem Bruder, dass der Kläger wieder einmal in seinem Stammcafe sei. Als der Kläger anschließend zur Wohnung seines Schwagers kam, öffnete ihm die Beklagte und begann ihn in Gegenwart der Tochter Nadine zu beschimpfen. Daraufhin packte der Kläger die Beklagte am Hals, würgte sie und warf sie zu Boden. Die Beklagte trug dabei eine leichte Rötung an der linken Halsseite davon, die drei Tage später bei der amtsärztlichen Untersuchung nicht mehr sichtbar war.

Am 18. 5. 2001 - rund zweieinhalb Monate nach der Geburt von Marcus - verließ der Kläger endgültig das eheliche Wohnhaus, ohne vorher eine Aussprache mit der Beklagten zu suchen. Er versuchte auch nicht auf andere Weise, irgendetwas zur Rettung der Ehe zu unternehmen. Auch die Beklagte unternahm nichts, sondern warf dem Kläger bei seinem Auszug Gegenstände aus dem Fenster nach und beschimpfte ihn. Der Kläger nahm bei seinem Auszug das Familienfahrzeug mit, das die Parteien im Juli 2000 mit den Mitteln beider Parteien auf den Namen der Beklagten angeschafft hatten, sodass die Beklagte, die zwei Kleinkinder zu versorgen hatte, kein Fahrzeug mehr hatte; dies, obwohl dem Kläger ohnedies noch ein Firmenfahrzeug zur Verfügung gestanden wäre, das er auch in seiner Freizeit nutzen konnte.

Bis zu seinem Auszug aus der Ehewohnung am 18. 5. 2001 hatte der Kläger keine außerehelichen Beziehungen zu anderen Frauen gehabt oder gesucht. Erst im Juli/August 2001 lernte er seine nunmehrige Freundin kennen.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass die Ehe der Parteien unheilbar zerrüttet sei. Dies zeige sich daran, dass weder der Kläger noch die Beklagte nach dem Auszug des Klägers aus der Ehewohnung irgendwelche Anstrengungen unternommen haben, die Ehe doch noch zu retten. Beide Parteien hätten den Willen zur Fortsetzung der Ehe verloren.

Die Beklagte habe schwere Eheverfehlungen dadurch gesetzt, dass sie den Kläger grundlos und sogar gegen ihre eigene Überzeugung verdächtigt habe, außereheliche Beziehungen zu anderen Frauen zu unterhalten bzw zu suchen. Sie sei auch auf die Freunde des Klägers eifersüchtig gewesen und habe den Kläger derart kontrolliert, dass er sich zu Recht eingeschränkt gefühlt habe. Die Beklagte habe in diesem Zusammenhang zahllose Streitigkeiten provoziert und ordinäre Schimpfworte, auch in Gegenwart der Kinder, verwendet. Selbst wenn man berücksichtige, dass einige der gebrauchten Ausdrücke als "milieubedingte Entgleisungen" zu werten seien, so sei doch die Häufigkeit und die Art dieser Schimpfworte gegenüber dem Ehepartner nicht mehr zu tolerieren und als schwere Eheverfehlung iSd § 49 EheG zu werten.

Dem stehe der Auszug des Klägers aus dem ehelichen Wohnhaus ohne vorherigen Versuch, den Wünschen der Beklagten nach mehr gemeinsamer Zeit entgegenzukommen, als schwere Eheverfehlung gegenüber, durch die die Ehe noch weiter zerrüttet worden sei. Wenn auch die Beklagte durch ihr inadäquates und inakzeptables Verhalten versucht habe, den Kläger zu mehr gemeinsamer Zeit zu bewegen, so sei der Kläger nicht berechtigt gewesen, ohne eigene Verhaltensänderung bzw ohne Bemühen um eine gemeinsame Lösung der Beklagten einfach den Rücken zu kehren. Diesbezüglich sei zu Lasten des Klägers auch zu berücksichtigen, dass sich die Beklagte zum Zeitpunkt seines Auszugs zweieinhalb Monate nach der Geburt des zweiten Kindes in einer psychischen Ausnahmesituation befunden habe. Weiters handle es sich bei den festgestellten Gewalttätigkeiten des Klägers gegen die Beklagte um schwere Eheverfehlungen, wobei zwar als mildernd die Provokationen der Beklagten, als erschwerend allerdings der Umstand zu werten gewesen sei, dass der Angriff des Klägers vom Dezember 2000 zu einer Schädigung des ungeborenen Kindes hätte führen können.

Bei einer Gegenüberstellung der Eheverfehlungen der beiden Parteien ergebe sich ein etwa gleichteiliges Verschulden. Daran ändere sich auch nichts durch die Aufnahme einer außerehelichen Beziehung des Klägers zu einer anderen Frau im Juli/August 2001, weil die Ehe der Parteien zu diesem Zeitpunkt bereits unheilbar zerrüttet und das Scheidungsverfahren bereits anhängig gewesen sei. Dies gelte auch für die Mitnahme des Familienfahrzeuges durch den Kläger.

Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und trat der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bei. Die Verfehlungen des Klägers würden nicht unverhältnismäßig schwerer wiegen als jene des Beklagten. Die Beklagte habe durch ihr Verhalten die Zerrüttung der Ehe ausgelöst, der Kläger habe sie endgültig gemacht. Es sei dem Erstgericht beizupflichten, dass sich keine Anhaltspunkte für einen erheblichen Unterschied des Verschuldens finden lassen, die einen überwiegenden Schuldausspruch zur Folge haben müssten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung dahin abzuändern, dass das überwiegende Verschulden des Klägers festgestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig, weil die Gewichtung der beiderseitigen Eheverfehlungen durch das Berufungsgericht nicht vertretbar ist; sie ist auch berechtigt.

Die Ehegatten sind nach § 90 Abs 1 ABGB zur "anständigen Begegnung" verpflichtet. Hier kommt besonders zum Ausdruck, dass die eheliche Lebensgemeinschaft von gegenseitigem Respekt und Rücksichtnahme aufeinander (§ 91 Abs 1 ABGB) geprägt ist (Stabentheiner in Rummel, ABGB³ § 90 Rz 8). Die Pflicht zum anständigen Umgang verbietet nicht Auseinandersetzungen oder Streitigkeiten, in denen es um Angelegenheiten des Alltags wie auch um Grundsätzliches gehen mag. Die Ehegatten sind aber verhalten, ihre Konflikte unter gegenseitiger Rücksichtnahme aufeinander auszutragen und nicht ausufern zu lassen. Gewalt ist dabei jedenfalls unzulässig (Hopf/Kathrein, Eherecht § 90 ABGB Anm 14). Gewalt ist mit dem Wesen der Ehe nicht in Einklang zu bringen. Im Übrigen hat jede Person Anspruch auf Wahrung ihrer körperlichen Unversehrtheit, also auch Anspruch darauf, dass ein anderer die Anwendung körperlicher oder psychischer Gewalt unterlässt (§ 16 ABGB; Aicher in Rummel, ABGB³ § 16 Rz 16 mwN ua).

Die Realität sieht freilich anders aus. Die Anwendung sogenannter häuslicher Gewalt ist nicht bloß Teil extremer Lebenssituationen, sondern in vielen Familien trauriger Alltag und eine der verbreitetsten Formen der Kriminalität (Dearing/Förg, Konferenzdokumentation "Polizeiarbeit gegen Gewalt an Frauen" 11; Dearing in Dearing/Haller/Liegl, Gewaltschutzgesetz 15, 37 f; Logar/Rösemann/Zürcher, Gewalttätige Männer ändern [sich] 9; Rangger, Gewaltschutzgesetz 35 f ua). Die Gewalt richtet sich dabei überwiegend gegen Frauen und/oder Kinder und kommt in allen gesellschaftlichen Schichten mit unterschiedlicher individueller Ausprägung vor (Mottl, ÖJZ 1997, 542).

Bei der UN-Menschenrechtskonferenz in Wien 1993 wurde ausdrücklich festgestellt, dass Gewalttaten an Frauen Menschenrechtsverletzungen sind und dass die Staaten für deren Beendigung verantwortlich sind (Logar in Logar/Rösemann/Zürcher aaO 17 f). Es besteht ein öffentliches Interesse an der gesamtgesellschaftlichen Ächtung von "Gewalt in der Familie". Dazu bedarf es der klaren Haltung staatlicher Organe (RV 252 BlgNR XX. GP 6, 11). Der Tendenz von Gewalttätern, Gewalt in der Familie zu verharmlosen, insbesondere durch vermeintliche Rechtfertigungen, vor allem durch Hinweise auf das "provozierende" Verhalten des Opfers, ist entschieden entgegenzutreten (Dearing/Förg aaO 57, 61; Dearing in Dearing/Haller/Liegl aaO 80, 82, 84; Rangger aaO 39).

Weil die bisherige Rechtslage (§ 382 Abs 1 Z 8 lit b und Abs 2 EO) für nicht ausreichend angesehen wurde, der Gewalt in Familien adäquat begegnen zu können, sah sich der Gesetzgeber schließlich veranlasst, das Gewaltschutzgesetz, BGBl 1996/759, zu erlassen (RV 252 BlgNR XX. GP 6; Zechner, Sicherungsexekution und Einstweilige Verfügung § 382b EO Rz 1 ua). Die neuen Regelungen in § 382b EO ("Schutz vor Gewalt in der Familie") stellen nun klar, dass jeder körperliche Angriff und jede ernsthafte und substantielle Drohung mit einem solchen dem Unzumutbarkeitserfordernis entspricht. Zum Unterschied von der alten Rechtslage genügt jetzt als Verfügungsgrund bereits eine einmalige und ihrer Art nach nicht völlig unbedeutende tätliche Entgleisung, weil das persönliche Recht auf Wahrung der körperlichen Integrität absolut wirkt (Zechner aaO § 382b EO Rz 3 mwN).

Durch das Gewaltschutzgesetz wurde die Möglichkeit, auf Gewalt in der Familie zu reagieren, deutlich erleichtert (s zur Evaluierung der Umsetzung Haller/Liegl in Dearing/Haller/Liegl, Gewaltschutzgesetz 167 ff). Gewalt in der Familie ist aber in unserer Gesellschaft nach wie vor ein aktuelles Problem. Der Gesetzgeber entschloss sich daher, auch im Scheidungsrecht den mit dem Gewaltschutzgesetz eingeschlagenen Weg fortzusetzen (Hopf/Stabentheiner, ÖJZ 1999, 821 [863]). Seit dem Eherechts-Änderungsgesetz (EheRÄG) 1999, BGBl I 1999/125, ist im neu eingefügten Satz 2 des § 49 EheG ausdrücklich die Zufügung körperlicher Gewalt als schwere Eheverfehlung angeführt. Bei ihr kommt es (anders als beim ebenfalls genannten "schweren" seelischen Leid) auf die Schwere der Beeinträchtigung grundsätzlich nicht an (Stabentheiner in Rummel aaO § 49 EheG Rz 4). Die besondere Hervorhebung körperlicher Gewaltakte im Gesetzeswortlaut bedeutet, dass der Gesetzgeber in dieser Hinsicht einen objektiven, also insbesondere einen von der persönlichen Lebenssituation der Ehegatten unabhängigen Maßstab an das Verhalten der Ehegatten anlegen wollte. Jegliche Gewalt soll in Ehe und Familie prinzipiell verpönt sein. Das gewalttätige Verhalten eines Ehegatten kann daher auch nicht als bloß „milieubedingte Entgleisung" entschuldigt werden (Hopf/Stabentheiner aaO 863). Jede körperliche Misshandlung steht außerhalb des Rahmens, in dem Reaktionshandlungen auf vorangegangenes ehewidriges Verhalten des anderen Ehegatten im Zusammenleben von Ehegatten noch verständlich und entschuldbar sein können, und ist als schwere Eheverfehlung zu werten (Stabentheiner in Rummel aaO § 49 EheG Rz 11; so zum Teil auch schon die Rechtsprechung vor dem EheRÄG 1999 RIS-Justiz RS0056787, RS0057020 ua).

Stellt bereits die einmalige Beeinträchtigung der körperlichen Integrität eines Ehegatten durch den anderen eine sehr schwere Eheverfehlung dar, so kommt ihr ein noch größeres Gewicht zu, wenn diese Beeinträchtigung - wie im vorliegenden Fall - zunehmend zu einem die eheliche Beziehung beherrschenden Zustand wird (RIS-Justiz RS0056787, zuletzt 5 Ob 15/99p), die Ehe also immer mehr zur "Gewaltbeziehung" wird (s zum Begriff Dearing/Förg aaO 53 ff; Dearing in Dearing/Haller/Liegl aaO 28 ff; Rangger aaO 33 f). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Gewaltausübung gegen die Ehefrau regelmäßig keine zufällige ist, sondern im Rahmen eines vielschichtigen Systems von Macht und Kontrolle erfolgt und die Zerstörung des Selbstwertgefühls und der Autonomie des Opfers beabsichtigt und bewirkt (Dearing/Förg aaO 13; Dearing in Dearing/Haller/Liegl aaO 35 ff; Logar/Rösemann/Zürcher aaO 9). Zutreffend macht die Revisionswerberin daher geltend, dass sie durch die Gewalttätigkeiten des Klägers in ihrer Würde verletzt wurde.

Richtig ist, dass ein an sich ehewidriges Verhalten keine Eheverfehlung ist, wenn es als entschuldbare Reaktionshandlung auf das Verhalten des anderen Ehegatten zu werten ist. Dies trifft aber nur auf solche Reaktionshandlungen zu, die in einem angemessenen Verhältnis zum vorausgegangenen ehewidrigen Verhalten des Partners stehen (Stabentheiner in Rummel aaO § 49 EheG Rz 15 mwN). Körperliche Misshandlungen können hingegen nicht als entschuldbare Reaktion angesehen werden (vgl 1 Ob 583/86; 8 Ob 510/87), insbesondere auch nicht gegenüber verbalen Provokationen (vgl 3 Ob 652/86). Die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen machen ein entsprechend hohes Aggressionspotential des Klägers deutlich, der die Beklagte nicht nur (zum Teil in Gegenwart der Tochter) mehrmals würgte und zu Boden warf, sondern auch nicht davor zurückschreckte, der Hochschwangeren auf den Bauch zu schlagen. Dass die begleitende Bemerkung gegenüber einer werdenden Mutter, das Beste wäre, sie würde "abbangeln", von besonderer Lieblosigkeit geprägt ist, braucht nicht weiter erörtert werden.

Den schweren Eheverfehlungen des Klägers stehen Handlungen der Beklagten gegenüber, die ihrerseits ebenfalls unzulässig waren, nicht mit dem Wesen der Ehe in Einklang zu bringen und daher gleichfalls als schwere Eheverfehlungen iSd § 49 EheG zu qualifizieren sind (vgl etwa zur unbegründeten Eifersucht RIS-Justiz RS0056648; zu den wiederholten groben Beschimpfungen RIS-Justiz RS0056652 ua). Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass die Verhaltensweisen der Beklagten zumindest zum Teil ihre Wurzel durchaus im Verhalten des Klägers hatten, das in der Feststellung des Erstgerichtes kulminiert, dass der Kläger seine (Kaffeehaus-)Freunde "als Teil seiner Familie" betrachtete. § 91 ABGB enthält als weiteren Grundpfeiler des Ehewirkungsrechts das Prinzip der einvernehmlichen partnerschaftlichen Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen steht es den Ehegatten zwar frei, ihre Lebensverhältnisse (zb auch die Freizeitgestaltung) autonom zu gestalten; sie sind jedoch verpflichtet, sich um das Einvernehmen des anderen Ehegatten zu bemühen (Hopf/Kathrein aaO § 91 ABGB Anm 1). Die Pflicht der Ehegatten zur anständigen Begegnung (§ 90 ABGB) beinhaltet auch, dass bei der Freizeitgestaltung Kompromisse geschlossen werden müssen, damit auch die Interessen und Wünsche des Partners bzw der Partnerin berücksichtigt werden. Jeder Ehegatte ist verpflichtet, sich seine persönlichen Interessen so einzuteilen, dass er auch entsprechend Zeit für den anderen Ehegatten aufbringen kann (RIS-Justiz RS0056053).

Richtig gingen die Vorinstanzen davon aus, dass bei der Abwägung des Verschuldens die beiderseitigen Eheverfehlungen in ihrem Zusammenhang gesehen werden müssen, wobei das Gesamtverhalten und nicht eine Gegenüberstellung der einzelnen Verfehlungen maßgeblich ist. Entscheidend ist nicht die Zahl der Eheverfehlungen, sondern der Grad ihrer Vorwerfbarkeit und ihr Schuldgehalt. Vor allem ist zu berücksichtigen, welche Partei mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe begonnen hat und wer den entscheidenden Beitrag zur Zerrüttung geleistet hat. Hat das schuldhafte Verhalten eines Teiles das des anderen nach sich gezogen, so ist dem Beitrag des ersten in der Regel größeres Gewicht beizumessen (Hopf/Kathrein aaO § 60 EheG Anm 4 mwN; Stabentheiner in Rummel aaO § 60 EheG Rz 3 mwN; RIS-Justiz RS0056597, RS0057223, RS0057303 ua). Den Vorinstanzen ist auch darin beizupflichten, dass der Ausspruch des Überwiegens des Verschuldens eines Ehegatten nur zulässig ist, wenn dessen Verschulden erheblich schwerer ist; der Unterschied muss offenkundig und augenscheinlich hervortreten (Hopf/Kathrein aaO § 60 EheG Anm 7 mwN; Stabentheiner in Rummel aaO § 60 EheG Rz 2; RIS-Justiz RS0057821, RS0057858 ua).

Dieser in den Grundsätzen richtig dargestellten Rechtslage werden die Rechtsausführungen der Vorinstanzen aber im Ergebnis nicht gerecht. Geht man nämlich von den getroffenen Tatsachenfeststellungen aus, so sind die Eheverfehlungen des Klägers von weitaus überwiegender Bedeutung für die unheilbare Zerrüttung der Ehe gewesen. Er hat nicht nur die ehelichen Streitigkeiten durch sein egoistisches Verhalten eingeleitet, er wurde auch mehrfach gegenüber seiner Ehegattin gewalttätig. Angriffe auf die körperliche Integrität eines Ehegatten durch den anderen sind aber - wie bereits ausgeführt - besonders schwer vorzuwerfen. Es kann nicht toleriert werden, dass Männer nach wie vor versuchen, ihre Probleme durch Gewalttätigkeiten gegenüber ihren Frauen zu lösen (vgl 7 Ob 697/89). Dazu kommt, dass der Kläger nur zweieinhalb Monate nach der Geburt des zweiten Kindes aus der Ehewohnung auszog und die Beklagte mit einem Säugling und einem erst zwei Jahre alten Kleinkind zurückließ und damit die Pflicht zum gemeinsamen Wohnen (§ 90 ABGB) verletzte (Stabentheiner in Rummel aaO § 49 EheG Rz 8 mwN). Spätestens mit diesem Zeitpunkt ist die unheilbare Zerrüttung der Ehe der Parteien anzunehmen (vgl Hopf/Kathrein aaO § 49 EheG Anm 7 mwN; RIS-Justiz RS0056832 ua). In Anbetracht dieser besonders schweren Gründe auf Seite des Klägers haben die Eheverfehlungen der Beklagten schon offenkundig und augenscheinlich ein geringeres Gewicht, wenn auch sie sich wie ein roter Faden durch die Ehe ziehen. Nach der Lage des Falles kommt dem Umstand, dass die Beklagte das egoistische Freizeitverhalten des Beklagten nach der Eheschließung gar nicht ausdrücklich als Eheverfehlung geltend machte, keine entscheidende Bedeutung zu. Die Beklagte konnte sich auf die Geltendmachung der vorgenannten Gründe beschränken. Es braucht auch nicht weiter auf die eigenmächtige Mitnahme des Familienfahrzeuges durch den Kläger eingegangen werden. In Stattgebung der Revision der Beklagten waren somit die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne des Ausspruchs des überwiegenden Verschuldens des Klägers abzuändern.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz gründet sich auf die §§ 43 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO. Bei überwiegendem Verschulden eines der Ehegatten ist die Ausmessung des Kostenersatzes dem begründeten Ermessen des Gerichtes zu überlassen, das hiebei auf die besonderen Umstände des Falles, insbesondere auf den Grad des Verschuldens Bedacht zu nehmen hat (8 Ob 8/02p). Danach entspricht es der Billigkeit, den gegenständlichen Prozesserfolg der Beklagten mit drei Viertel zu bewerten und dementsprechend dem Kläger die Hälfte der Kosten der Beklagten - mit Ausnahme der Gerichtsgebühren - aufzuerlegen (vgl 7 Ob 645/94). Die Gerichtsgebühren waren gemäß § 43 Abs 1 letzter Satz ZPO zu teilen. Die Vertagungsbitte der Beklagten vom 21. 8. 2001 (ON 7) und die Bekanntgabe der Beklagten vom 28. 1. 2002 (ON 18) waren lediglich nach TP 1 - und nicht wie verzeichnet nach TP 2 - zu honorieren. Die Ansätze der Tagsatzungen zur mündlichen Streitverhandlung vom 28. 6. 2001, 4. 10. 2001 und 17. 1. 2002 waren nach dem RATG richtigzustellen; letztere Tagsatzung dauerte im Übrigen nicht wie verzeichnet 6/2, sondern lediglich 3/2 Stunden.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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