OGH 9Ob52/12f

OGH9Ob52/12f17.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn in der Rechtssache der klagenden Partei J***** G*****, vertreten durch Dr. Hans Winkler, Rechtsanwalt in Villach, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt Wien, *****, vertreten durch Dr. Peter Schaden, Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, wegen 5.976,40 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 24. August 2012, GZ 4 R 242/12y-21, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 6. Juni 2012, GZ 21 C 909/11v-15, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 559,15 EUR (darin 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger verletzte sich am 23. Februar 2011 an der Schulter, konnte aber wegen seiner Herzmedikamentation nicht sogleich operiert werden. Am 28. Februar 2011 führte der Oberarzt in dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus ein Aufklärungsgespräch durch, bei dem er sich auch die Zähne und den Kiefer des Klägers ansah. Dieser bestätigte ausdrücklich, dass Vorderzähne locker seien. Der Oberarzt wies den Kläger darauf hin, dass es im Zuge der Intubation zu einer weiteren Lockerung kommen könne und die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung umso größer sei, je stärker die Vorschäden seien. Der Kläger antwortete, „dass er das wüsste und ohnehin vorhätte, diese Zähne richten zu lassen“, wobei er von einem Zeitraum von ein bis zwei Jahren ausging. Die Lockerheit stellte bis dahin kein Problem für ihn dar. Er war zur Festigung der Zähne aber auch schon in Behandlung. Seinen Zahnarzt konsultierte er vor der Operation nicht. Im Übrigen schenkte er der ärztlichen Aufklärung keine besondere Aufmerksamkeit. Er las auch den ausgehändigten Aufklärungsbogen ua mit Hinweisen auf ein Zahnverlustrisiko nicht. Durch die Intubation kam es trotz besonderer Vorsicht des Anästhesisten zu einer weiteren Lockerung der Zähne, die zu einer Beeinträchtigung beim Essen führte, sodass der Kläger Zahnbehandlungen in Höhe des Klagsbetrags vornehmen ließ. Sowohl die Voruntersuchungen als auch die Anästhesie erfolgten lege artis. Es hätte aber die Möglichkeit gegeben, die Zähne vor der Operation zahnärztlich zu fixieren oder einen Schutz anzufertigen, worauf der Kläger nicht hingewiesen wurde.

Der Kläger begehrte von der Beklagten die der Höhe nach unstrittigen Kosten der Zahnsanierung von 5.976,40 EUR sA. Dazu berief er sich auch auf eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht insofern, als die behandelnden Ärzte zwar die lockeren Zähne erkannt, ihn jedoch nicht darauf hingewiesen hätten, dass sie zahnärztlich fixiert werden hätten können (Spange), wodurch der Zahnschaden mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre.

Die Beklagte bestritt dies, beantragte Klagsabweisung und wandte ordnungsgemäße Aufklärung ein.

Das Erstgericht wies die Klage im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass die Voruntersuchung und die Aufklärung in ausreichendem Maße erfolgt seien. Wenn der Kläger den mündlichen und schriftlichen Risikohinweisen nicht genug Beachtung geschenkt und daher auch das Aufsuchen eines Zahnarztes unterlassen habe, könne dies nicht der Beklagten angelastet werden. Aus der unterbliebenen Mitteilung an den Kläger, dass ein Zahnarzt Vorkehrungsmaßnahmen treffen könnte, um einen weiteren Zahnschaden hintanhalten zu können, sei für den Kläger nichts zu gewinnen, zumal auch bei einer umfassend geforderten Aufklärung den Patienten immer ein Rest an Eigenverantwortung treffe. Der Kläger habe angegeben, die Zähne ohnehin richten lassen zu wollen. Die Aufklärungspflicht des Arztes dürfe nicht überspannt werden. Der Kläger habe zwischen der Aufklärung und der Operation auch ausreichend Zeit gehabt, weitere Erkundigungen bei einem Zahnarzt einzuholen. Selbst wenn man die ausreichende Aufklärung verneinte, sei die Klage abzuweisen, weil der Beklagten der Beweis gelungen sei, dass der Kläger die Zustimmung zur Operation auch bei ausreichender Aufklärung erteilt hätte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und gab der Klage statt. Die ärztliche Aufklärung sei umso umfassender vorzunehmen, je weniger der Eingriff vordringlich oder gar geboten sei. Dazu gehöre auch der Hinweis auf prophylaktische Maßnahmen zur Vermeidung oder zumindest größtmöglicher Hintanhaltung an sich typischer Operationsrisiken. Daran ändere auch die Aussage des Klägers nichts, dass er sich ohnedies die Zähne richten lassen wolle, weil ohne vorherige Information über Prophylaxe-Möglichkeiten und ohne Erklärung des Patienten, derartige Präventivmaßnahmen nicht in Anspruch nehmen zu wollen, keine vorbehaltslose Einwilligung in die allfällige Verwirklichung des ihm beschriebenen Operationsrisikos anzunehmen sei. Damit liege ein rechtswidriger Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Patienten vor. Die Beklagte habe nicht dargetan, dass sich der Kläger auch bei einem entsprechenden Hinweis auf zahnärztliche Vorbeugemaßnahmen zur Operation entschlossen hätte. Das Klagsvorbringen, dass die Ärzte keinen Hinweis auf die Möglichkeit einer Fixation etwa durch eine Spange gegeben hätten, wodurch der Schaden mit höchster Wahrscheinlichkeit verhindert hätte werden können, sei nur unkonkret bestritten worden und gelte damit als zugestanden. Dass der Zahnlockerungszustand auch bei präoperativer zahnärztlicher Vorsorge aufgetreten wäre, sei von der Beklagten ebenso wenig geltend gemacht worden wie dass er - im Sinn einer überholenden Kausalität - unabhängig von der Operation in naher Zukunft und gleich aufwändig sanierungsbedürftig eingetreten wäre. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Aufklärungspflicht über prophylaktische Maßnahmen zu Operationsrisiken fehle.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch unzulässig, weil zur Reichweite der ärztlichen Aufklärungspflicht für den vorliegenden Fall hinreichend gesicherte Rechtsprechung vorliegt. Davon ist hervorzuheben:

Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst (RIS-Justiz RS0123136 [T1]; vgl auch RS0038176). Grundlage für eine Haftung des Arztes oder des Krankenhausträgers wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht ist in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch den ärztlichen Eingriff eingegriffen wird. Der Patient muss in die jeweilige konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen. Voraussetzung für eine sachgerechte Entscheidung des Patienten ist eine entsprechende Aufklärung durch den Arzt. Fehlt es daran, so ist die Behandlung grundsätzlich rechtswidrig, auch wenn der Eingriff selbst medizinisch indiziert und lege artis durchgeführt worden ist (RIS-Justiz RS0118355 [T1]; vgl auch RS0026473, RS0026578, RS0026499, RS0026413, RS0026783).

Der Arzt muss nicht stets von sich aus alle theoretisch in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten oder Operationsmöglichkeiten mit dem Patienten erörtern, er muss ihn aber, um ihm eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen, über mehrere zur Wahl stehende diagnostisch oder therapeutisch adäquate Verfahren informieren und das Für und Wider mit ihm abwägen, wenn jeweils unterschiedliche Risiken entstehen können und der Patient eine echte Wahlmöglichkeit hat; eine solche Verpflichtung besteht gerade bei einem Unterschied im Risiko, in den Folgen, vor allem aber in der Erfolgssicherheit und der Schmerzbelastung (RIS-Justiz RS0026426).

Die ärztliche Aufklärungspflicht ist bei Vorliegen einer typischen Gefahr verschärft. Die Typizität ergibt sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, dass das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist (RIS-Justiz RS0026340).

Die Pflicht des Arztes zur Aufklärung ist umso umfassender, je weniger der Eingriff dringlich erscheint. Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung notwendig (RIS-Justiz RS0026772; vgl auch RS0026313, RS0026375).

Für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht trifft den Arzt beziehungsweise den Krankenhausträger die Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zu der ärztlichen Maßnahme erteilt hätte, geht es doch darum, dass der Arzt beziehungsweise Krankenhausträger das Vorliegen eines die Rechtswidrigkeit des Eingriffs ausschließenden Rechtfertigungsgrundes zu behaupten und zu beweisen hat (vgl RIS-Justiz RS0038485).

Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht ist eine Frage des Einzelfalls und als solche - abgesehen von auffälligen Fehlbeurteilungen - nicht revisibel (RIS-Justiz RS0026763 [T5]; RS0026529). Ein solche Fehlbeurteilung liegt jedoch nicht vor:

Zutreffend hat das Berufungsgericht dargelegt, dass angesichts der nach diesen Grundsätzen umfassend vorzunehmenden ärztlichen Aufklärungspflicht kein Zweifel bestehen kann, dass sie auch einen Hinweis auf adäquate prophylaktische Behandlungsschritte zur Vermeidung oder zumindest größtmöglichen Hintanhaltung an sich typischer Operationsrisiken zu beinhalten hat, weil dem Patienten erst dadurch eine ausreichende Grundlage für seine eigenverantwortliche Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen er ein Operationsrisiko auf sich zu nehmen bereit ist, geboten wird. Dass die Zustimmung eines Patienten zu einer Operation in Kenntnis des Operationsrisikos nicht dahin zu verstehen ist, dass er auf eine Aufklärung über das Operationsrisiko senkende Maßnahmen verzichtet hätte, geht schon daraus hervor, dass er in der Regel gar keine Kenntnis von solchen Maßnahmen hat. Erst dann könnte er aber auf sie verzichten. Die Erwägungen der Revision dahin, dass der Kläger die Schädigung seiner Zähne jedenfalls - sohin auch bei leichter Vermeidbarkeit (Spange) - in Kauf genommen hätte, gehen damit ins Leere.

Die Beklagte meint, der Kläger hätte nach den - in der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts dislozierten - Feststellungen die Operationseinwilligung jedenfalls auch bei einer noch weitergehenden Aufklärung erteilt. Das Berufungsgericht habe diese Feststellungen mit dem Argument, ihnen liege kein entsprechendes Vorbringen der Beklagten zugrunde, zu Unrecht als überschießend und daher unbeachtlich angesehen.

Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt (RIS-Justiz RS0042828). Das Vorbringen der Beklagten, dass der Kläger selbst bei entsprechender Aufklärung der Art des Eingriffs unter Narkose dennoch zugestimmt hätte (ON 6 AS 17), erfolgte zu einem Zeitpunkt, als das Fehlen eines Hinweises auf prophylaktische Behandlungsmaßnahmen noch nicht verfahrensgegenständlich war, sodass es vom Berufungsgericht auf den bis dahin thematisierten Umfang der Aufklärungspflicht bezogen werden konnte. Das schließt auch die geltend gemachte Aktenwidrigkeit aus.

Inwieweit das Klagsvorbringen, dass die behandelnden Ärzte dem Kläger keinen Hinweis auf die Möglichkeit einer prophylaktischen Fixierung der Zähne gegeben hätten, substantiiert bestritten wurde, wird auch in der Revision nicht dargelegt. Der Verweis auf die Ausführungen des Sachverständigen, dass die Aufklärung des Klägers ausreichend gewesen sei, stützt den Revisionsstandpunkt nicht, weil die Frage des Umfangs der ärztlichen Aufklärungspflicht eine Rechtsfrage ist (RIS-Justiz RS0026763). Schließlich liegt in den Ausführungen des Berufungsgerichts, dass der verfahrensgegenständliche Eingriff nicht vordringlich oder gar geboten gewesen sei, keine aufzugreifende Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Revision ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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