OGH 9ObA52/12f

OGH9ObA52/12f25.7.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon.‑Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Wolfgang Jelinek als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J***** B*****, Vertragsbediensteter, *****, vertreten durch die Korn & Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde B*****, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 18.563,15 EUR (Revisionsinteresse 7.612,06 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 16. Februar 2012, GZ 11 Ra 102/11s‑14, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. September 2011, GZ 17 Cga 75/11a‑9, teilweise bestätigt bzw teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Dass die Nachzahlung der Bezüge des Klägers im Jahr 2010 infolge der in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren der Parteien als nicht gerechtfertigt erkannten Entlassung des Klägers im Jahr 2008 progressionsbedingt zu einer erhöhten Steuerbelastung des Klägers führte, ist im vorliegenden Verfahren nicht weiter strittig. Dass ein derartiger „Lohnsteuerschaden“ vom rechtswidrig und schuldhaft handelnden Arbeitgeber nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen zu ersetzen ist, ist ebenfalls nicht zweifelhaft (vgl 8 ObS 4/03a; 9 ObA 106/04k ua). Ob den Arbeitgeber ein Verschulden an einem derartigen Schaden trifft, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, denen regelmäßig keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt (vgl 9 ObA 106/04k; RIS‑Justiz RS0087606, RS0105331, RS0110837 ua).

Das Berufungsgericht hat ein Verschulden der Beklagten verneint. Nach der Lage des Falls ging die Beklagte zunächst von einer Beendigung des Dienstverhältnisses infolge Entlassung des Klägers aus. Zu einer Weiterzahlung von Bezügen bestand daher für sie kein Anlass. Ab wann die Beklagte in der Folge erkennen musste, dass sich der Entlassungssachverhalt nicht so ereignet hat, wie sie dies zunächst aufgrund der Angaben eines Dritten angenommen hat, betrifft die besonderen Umstände des Einzelfalls. Eine allgemeingültige Aussage, dass der Arbeitgeber ab dem rechtskräftigen Freispruch des Arbeitnehmers im Strafverfahren zwingend von einer ungerechtfertigten Entlassung ausgehen und sogleich zur Nachzahlung der Bezüge schreiten muss, ist nicht möglich. Der Kläger war nicht nur von einem Strafverfahren betroffen; zwischen den Parteien war auch ein arbeitsgerichtliches Verfahren anhängig, in dem es um die Berechtigung der Entlassung des Klägers ging. Zivilgerichte sind an freisprechende strafgerichtliche Entscheidungen nicht gebunden (RIS‑Justiz RS0106015 ua). Der Revisionswerber betont im Übrigen selbst, dass er seinen Ersatzanspruch bezüglich des Lohnsteuerschadens nicht darauf stützt, dass die Beklagte mutwillig prozessiert habe. Zweifellos kann eine verspätete Zahlung der Bezüge den Dienstvertrag verletzen. Ob dies der Fall ist, hängt aber von den konkreten Umständen ab, die hier zunächst für eine Beendigung des Dienstverhältnisses durch Entlassung sprachen. Ob derjenige, der sich in einen Prozess eingelassen hat, bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, dass sein Prozessstandpunkt aussichtslos ist, hängt ebenfalls von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Hätte sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren der Parteien die Rechtfertigung der Entlassung des Klägers herausgestellt, wäre von keiner verspäteten Zahlung der Bezüge auszugehen. In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof schon wiederholt betont, dass bei der Beurteilung der Frage, ob die Bestreitung eines mit Klage geltend gemachten Anspruchs wider besseres Wissen oder unter Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt geschehen ist, grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen und vor allem zu berücksichtigen ist, dass das Recht jeder Partei, bei Meinungsverschiedenheiten die Hilfe der Gerichte in Anspruch zu nehmen, nicht mit einer abschreckenden Verantwortlichkeit für die Rechtsverteidigung belastet werden darf (RIS‑Justiz RS0022796 ua). Derjenige, der bei gehöriger Aufmerksamkeit seinem Prozessstandpunkt wenn auch nur geringe, aber doch gewisse Chancen einräumen kann, muss in der Lage sein, die Zweifel durch Anrufung der Gerichte zu klären (vgl 3 Ob 509/89 ua). Ist eine Partei mit ihrem Vorbringen bloß aus Beweisgründen nicht durchgedrungen, so ist ihr dies wegen der schweren Vorhersehbarkeit der richterlichen Beweiswürdigung in der Regel nur dann als schuldhafte Prozessführung anzulasten, wenn sie bewusst die Unwahrheit sagte oder ihre Prozessbehauptungen evident unhaltbar waren (vgl 5 Ob 261/02x ua). Von ersterem kann hier nicht ausgegangen werden; die Beurteilung der Unhaltbarkeit hängt wiederum von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab (vgl RIS‑Justiz RS0116109 ua).

Aus dem Rechtssatz, dass der Arbeitgeber „das Risiko der Entlassung“ trägt (vgl RIS‑Justiz RS0028971 ua), ist für den Standpunkt des Klägers nichts zu gewinnen. Zweifellos trug die Beklagte auch im vorliegenden Fall das Risiko der Entlassung. Dieses manifestierte sich darin, dass nach Abschluss der arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung der Parteien das gegenständliche Vertragsbedienstetenverhältnis als weiter aufrecht anzusehen war und daher die Beklagte die Bezüge des Klägers seit der Entlassung nachzuzahlen hatte, weil es ihr nicht gelungen war, den von ihr angenommenen Entlassungsgrund unter Beweis zu stellen. Daraus folgt aber nicht automatisch, dass die Beklagte auch einen allfälligen „Lohnsteuerschaden“ zu ersetzen hat. Dieser ist, wie bereits erwähnt, nur bei einem allfälligen Verschulden des Arbeitgebers zu ersetzen, das hier vom Berufungsgericht im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens mit vertretbarer Begründung verneint wurde. Aus der Frage, wann die erhöhten gesetzlichen Zinsen iSd § 49a ASGG (nicht) gebühren (vgl 8 ObA 306/01k ua), ist für den Standpunkt des Klägers in Bezug auf das Bestehen des geltend gemachten Schadenersatzanspruchs nichts zu gewinnen. Davon, dass sich das Berufungsgericht bei seiner rechtlichen Beurteilung über die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hinweggesetzt habe, kann hier nicht ausgegangen werden.

Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Stichworte