OGH 11Os165/11s

OGH11Os165/11s16.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Februar 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Marek und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Krasa als Schriftführer, in der Strafsache gegen Wolfgang B***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 6. Juni 2011, GZ 10 Hv 159/10v-107, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das Verfallserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Leoben verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil - das auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Teilfreisprüche enthält - wurde Wolfgang B***** der Verbrechen (richtig: des Verbrechens) des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB (I) und der Vergehen der falschen Beurkundung im Amt nach § 311 StGB (II) schuldig erkannt. Gemäß § 20 Abs 1, Abs 3 StGB wurde ein Geldbetrag für verfallen erklärt.

Inhaltlich des Schuldspruchs hat B***** - soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Belang - in J*****

I. in den Jahren 2002 bis 2009 als Gerichtsvollzieher des Bezirksgerichts J*****, sohin als Beamter (§ 74 Abs 1 Z 4 StGB), mit dem Vorsatz, dadurch andere an ihren Rechten zu schädigen, nämlich verpflichtete Parteien in ihrem Recht auf ordnungsgemäße Verbuchung der von ihnen geleisteten Barzahlungsbeträge auf die von ihren Gläubigern im Exekutionsweg betriebenen Forderungen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, wobei er durch seine Tat einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführte, indem er in zahlreichen Angriffen die über seine Aufforderung von im Ersturteil namentlich genannten 48 Personen bar an ihn abgeführten Beträge in Höhe von insgesamt zumindest 96.301,51 Euro nicht ordnungsgemäß zur Bedienung der offenen Forderungen verwendete, sondern ausschließlich für private Zwecke vereinnahmte.

Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO.

Dieser hatte im Hauptverfahren drei teils umfängliche Schriftsätze mit (unter anderem) diversen Beweisbegehren eingebracht (ON 64, 92 und 98), denen teilweise entsprochen wurde.

In der Hauptverhandlung am 6. Juni 2011 beschränkte er sich darauf, diese „schriftlichen Beweisanträge ... aufrecht zu erhalten“ (ON 106 S 31). Das Schöffengericht wies die Anträge ab (ON 106 S 33 f).

Die Verfahrensrüge (Z 4) greift lediglich die Anträge auf, „den am Verfahren als Zeugen beteiligten Privatpersonen aufzutragen, Einkommensnachweise vorzulegen, um zu belegen, dass ihnen die Berichtigung der behaupteten Zahlung aus wirtschaftlicher Sicht überhaupt möglich waren“ und „den am Verfahren als Zeugen beteiligten Einzelunternehmen aufzutragen, deren Buchhaltungsunterlagen, insbesondere deren Ein- und Ausgaberechnung, vorzulegen, da nicht nachvollziehbar ist, aus welchem Grund die behaupteten Zahlungen keinen Eingang in die Buchhaltung gefunden haben, obwohl sich dies steuermindernd ausgewirkt hätte“.

Rechtliche Beurteilung

Vorauszuschicken ist, dass als Anknüpfungspunkt für eine Verfahrensrüge in der Hauptverhandlung formell taugliche Beweisanträge mit einem deutlich und bestimmt vorgetragenen Begehren zu stellen sind, ein Verweis auf einen Schriftsatz muss diesen Kriterien genügen, um beachtlich zu sein (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 310, 311, 313; jüngst 11 Os 66/11g).

Soweit aus dem insofern vage gebliebenen Antrag erkennbar, zielten die zum Gegenstand der Verfahrensrüge gemachten Beweisführungen lediglich auf die spekulative Aufklärung ab, ob allenfalls von weiteren Beweisaufnahmen eine Bereicherung der Verfahrensergebnisse zu erwarten wäre. Sie wurden somit als lediglich auf eine Erkundung gerichtet zutreffend abgewiesen (RIS-Justiz RS0118123, RS0099841, RS0099353, RS0099421). Der Beschwerdeführer wäre zu einer Präzisierung seiner Anträge um so mehr verpflichtet gewesen, als es notorisch nicht zu jedem Einkommen auch einen (schriftlichen und aufbewahrten) Nachweis gibt und Ausgaben unter anderem dann nicht in eine Buchhaltung aufgenommen werden, wenn dazu korrespondierende Einnahmen nicht offen gelegt werden können oder sollen (vgl US 62).

Zielt überdies ein Beweisthema - wie hier - letztlich bloß in Richtung einer Überprüfung der Glaubwürdigkeit von Zeugen, betrifft der begehrte Verfahrensschritt nur dann einen erheblichen Umstand, der also geeignet ist, die Feststellungen entscheidender Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 340 f), wenn sich aus dem Antragsvorbringen ergibt, dass ein Zeuge etwa bereits wegen Verleumdung verurteilt wurde, zum Verfahrensgegenstand falsche Angaben gemacht hat oder sein bisheriges Verhalten eine habituelle Falschbezichtigungstendenz erkennen lässt (RIS-Justiz RS0120109, Fabrizy, StPO11 § 55 Rz 4).

Die über weite Strecken wie eine nur im Einzelrichterprozess gesetzlich vorgesehene Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde - die überdies trotz Antrags auf Urteilstotalaufhebung keinerlei Vorbringen zum Schuldspruch II erstattet - war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Dieses ist bei seiner Entscheidung über die Berufung des Angeklagten nicht an die verfehlte (vgl 13 Os 17/07k, SSt 2007/33) Subsumtion der zu I. beschriebenen Delinquenz als eine Mehrzahl von Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt gebunden (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 27a; RIS-Justiz RS0090885, RS0118870). Trotz der Annahme des Zusammentreffens „einer Vielzahl von Verbrechen“ als besonderen Erschwerungsumstand (US 158 - statt richtig der Tatwiederholung, vgl Ebner in WK² § 33 Rz 3) war ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO deshalb entbehrlich.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde musste sich der Oberste Gerichtshof überdies von einer weiteren nicht geltend gemachten, dem Angeklagten allerdings zum Nachteil gereichenden Nichtigkeit betreffend das Verfallserkenntnis überzeugen (§§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, 281 Abs 1 Z 11 StPO).

Das Erstgericht hat nämlich die vermögensrechtliche Anordnung auf § 20 StGB idF des sKp BGBl I 2010/108 gestützt, wiewohl tatzeitbedingt die davor geltende Fassung der genannten Bestimmung anzuwenden gewesen wäre (eingehend zum Günstigkeitsvergleich 11 Os 83/11g, EvBl 2011/150, 1026).

Da der Berufung des Angeklagten lediglich ein gegen die Strafe gerichteter Anfechtungswille zu entnehmen ist, war die das Verfallserkenntnis betreffende Nichtigkeit bereits vom Obersten Gerichtshof von Amts wegen aufzugreifen, weil dem Berufungsgericht zufolge Beschränkung auf die der Berufung unterzogenen Punkte die amtswegige Wahrnehmung dieser Nichtigkeit zu Gunsten des Angeklagten verwehrt ist (vgl neuerlich 11 Os 83/11g). Somit kommt (§ 445 Abs 2 StPO) dem Einzelrichter die betreffende Entscheidung zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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