OGH 13Os17/07k

OGH13Os17/07k2.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Mai 2007 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz und Dr. Schwab, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Mag. Lendl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Frizberg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Josef R***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 und 2 zweiter Satz StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Schöffengericht vom 23. Oktober 2006, GZ 20 Hv 17/06d-25, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der zu I. genannten Taten nach § 302 Abs 2 zweiter Satz StGB, in der zu I. gebildeten Subsumtionseinheit nach § 302 Abs 1 und Abs 2 zweiter Satz StGB und demnach auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Leoben verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen die die Erledigung seiner Nichtigkeitsbeschwerde betreffenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Josef R***** wurde des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 und 2 zweiter Satz StGB (I) und mehrerer Vergehen der Amtsanmaßung nach § 314 zweiter Fall StGB (II) schuldig erkannt. Danach hat er „in G*****

I. von 1996 bis März 2005 als Leiter der Geschäftsabteilung 7 Hv des Landesgerichtes für Strafsachen G*****, somit als Beamter, mit dem Vorsatz, die Republik Österreich sowie Antragsteller und Parteien, Parteienvertreter und Verfahrensbeteiligte in ihrem Recht auf eine den Verfahrensvorschriften entsprechende Bearbeitung und Erledigung von Aktenanfällen, Anträgen und Rechtsmitteln ohne unnötigen Aufschub in angemessener Zeit, weiters auf Strafverfolgung, Einhebung von Geldstrafen und Kostenersatz, Aktualisierung und Vollständigkeit von Strafregisterdaten sowie die Bewirkung des Eintrittes tilgungsrechtlicher Folgen, teils auch an Vermögensrechten zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen (§§ 43 Abs 1, 2 und 3, 44 Abs 1 BDG 1979; §§ 108, 110 Geo - betr Einlaufstücke; §§ 216 ff, 231 iVm § 230 Abs 22, 234, 241, 484, 489, 490, 493 Geo - betr Einbringung, Erlass, Stundung, Herabsetzung von Geldstrafen und dazu gehörende Registerführung; §§ 171, 360, 527, 534, 535 Geo - betr Fristenvormerk; §§ 167, 174 Geo - betr Aktenaufbewahrung und -rekonstruktion, §§ 33, 50, 172, 359, 365, 370, 378 Abs 2 Geo - betr Register und die hiezu korrespondierenden Bestimmungen des VJ-Online Handbuches sowie JABl Nr 21/2001 - ADV Register Redesign) wissentlich missbraucht, wobei er durch die Taten einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführte, indem er

1. zumindest 574 Einlaufstücke zu zwischen 1993 und 2004 angefallenen Akten nicht bearbeitete;

2. in zumindest 44 Fällen bei zwischen 1997 und 2001 angefallenen Akten offene Geldstrafen unbearbeitet ließ, wobei er an nicht eingebrachten Geldstrafen einen Schaden von 69.504,08 Euro = 956.396,99 ATS zum Nachteil des Bundes herbeigeführt hat;

3. in zumindest 637 Fällen bei zwischen 1991 und 2002 angefallenen Akten Fristvormerke zur endgültigen Strafnachsicht unerledigt ließ;

4. in zumindest 84 Fällen bei zwischen 1991 und 2001 angefallenen und in Verstoß geratenen Akten deren Verlust durch Unterlassen der Mitteilung an den Richter zum Zweck der Veranlassung der Aktenrekonstruktion iSd BGBl 1927/248 iVm § 174 Abs 1 Z 8 Geo aufrecht hielt bzw förderte und

5. in zumindest 7 Fällen bei zwischen 1996 und 2001 angefallenen Akten unrichtige Eintragungen in Registern und Amtsbehelfen tätigte, wobei er in den beiden letzterwähnten Punkten 4. und 5. an nicht eingebrachten Geldstrafen einen Schaden von insgesamt 48.256,22 Euro = 664.020 ATS zum Nachteil des Bundes herbeigeführt hat (Schaden daher insgesamt 117.760,33 Euro);

II. zwischen 1999 und 2002 in seiner zu I. beschriebenen Eigenschaft dadurch, dass er eigenmächtig hinsichtlich Zahlungspflichtigen Ratenzahlungen und Fristsetzungen zu Geldstrafen einräumte, hinsichtlich Sachverständigen Gebühren bestimmte und hinsichtlich geldbußepflichtigen Parteien Fristen zu diversionellen Erledigungen verlängerte, ohne dazu befugt zu sein, Handlungen vorgenommen, die nur vom Leiter der Gerichtsabteilung, somit nur Kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden durften."

Rechtliche Beurteilung

Der - ausdrücklich allein gegen den zu II. ergangenen Schuldspruch wegen Vergehen der Amtsanmaßung nach § 314 zweiter Fall StGB - aus Z 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu. Die Behauptung fehlender Feststellungen zur subjektiven Tatseite (nominell Z 5, der Sache nach Z 9 lit a) übergeht die aus US 16 f ersichtliche Konstatierung, wonach der Angeklagte bei den zu II. genannten Handlungen „jeweils - wenn nicht sogar gewusst - für ernstlich möglich gehalten und sich damit abgefunden" hat, „dass ihm die erforderliche Amtsstellung fehlt und er zu den von ihm gesetzten hoheitlichen Handlungen (Zahlungsstundungen, Ratenzahlungsgewährungen etc) nicht befugt war."

Der Vermögensschaden, der dem - unbekämpft gebliebenen - Schuldspruch wegen Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 und 2 zweiter Satz StGB zugrunde liegt, hat für jenen wegen Vergehen der Amtsanmaßung nach § 314 StGB keine Bedeutung. Insoweit stellt die Mängelrüge (Z 5) demnach keine entscheidende Tatsache in Frage. Dazu kommt, dass ein vermögensrelevanter Schaden, um im Sinn des § 302 Abs 2 zweiter Satz StGB qualifizierend zu wirken, kein dauernder sein muss (vgl auch RIS-Justiz RS0094383, RS0094678, RS0094683, RS0099015, RS0094565; Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 146 Rz 74, § 153 Rz 36, § 156 Rz 20).

Soweit die Beschwerde eine Subsumtion der dem Schuldspruch wegen Amtsanmaßung zugrunde liegenden Taten als Verbrechen des Amtsmissbrauchs nach § 302 StGB anstrebt, kommt dem Angeklagten die dafür erforderliche Rechtsmittellegitimation nicht zu, weil eine derartige rechtliche Unterstellung angesichts des gegenüber § 314 StGB erhöhten Strafsatzes zum Nachteil des Beschwerdeführers erfolgen müsste (§ 282 Abs 2 StPO; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 655). Soweit sich das - allerdings Tateinheit postulierende - Vorbringen als behauptete Verdrängung begangener Amtsanmaßung durch real konkurrierenden Amtsmissbrauch begreifen lässt, stützt es sich erneut bloß auf die - vom Schöffengericht jedoch bejahte - Negation des Tatvorsatzes und verzichtet auf darüber hinausgehende, einer sachbezogenen Erwiderung zugängliche Argumente.

Schließlich wird nicht klar, weshalb die behauptete Einbringlichkeit verhängter Geldstrafen, deren mangelnde „Bearbeitung" dem Schuldspruch wegen Amtsmissbrauchs zugrunde liegt, an jenem wegen Amtsanmaßung etwas ändern sollte (Z 10).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof davon überzeugt, dass zum Nachteil des Angeklagten in Betreff der Subsumtion der zu I. genannten Taten nach § 302 Abs 2 zweiter Satz StGB das Gesetz unrichtig angewendet wurde (§ 290 Abs 1 zweiter Satz [§ 281 Abs 1 Z 9 lit a und 10] StPO).

Feststellungen, welche die rechtliche Annahme eines tatsächlichen, den Betrag von 50.000 Euro übersteigenden Vermögensschadens ermöglichen würden, sind den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen. Die kursorischen Konstatierungen, wonach es hinsichtlich der Einbringung „von Geldstrafen und Pauschalkosten" bei „44 Akten" zu einer „Schadenssumme von 69.504,08 Euro" gekommen sei (I/2; vgl US 9

f) und der Angeklagte „Vollzüge von Geldstrafen im Ausmaß von 48.255,22 Euro durch den zuständigen Richter nicht veranlasste" (I/5; US 13), genügen dafür schon deshalb nicht, weil bei Uneinbringlichkeit von Geldstrafen (vgl § 12 Abs 1 GEG) die Ersatzfreiheitsstrafe in Vollzug zu setzen ist. Dass aber sämtliche Geldstrafen, bei deren Einbringlichmachung Malversationen des Angeklagten stattgefunden haben, einbringlich gewesen wären, haben die Tatrichter nicht festgestellt.

Da der Oberste Gerichtshof derzeit in ständiger Rechtsprechung die rechtliche Annahme von Vollendung statt Versuch aus Z 10 wahrnimmt (vgl aber Ratz, WK-StPO § 281 Rz 645), ist Urteilsaufhebung und Rückverweisung nicht zu umgehen (§§ 285e erster Satz, 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO).

Seit der Einführung der Schadensqualifikation des § 302 Abs 2 zweiter Satz StGB durch BGBl I 2001/130 gilt für Amstmissbrauch der Zusammenrechnungsgrundsatz nach § 29 StGB, weshalb die zu I. verwirklichten strafbaren Handlungen (erneut) zu einer Subsumtionseinheit nach § 302 Abs 1 oder nach § 302 Abs 1 und 2 zweiter Satz StGB zusammenzufassen sein werden.

Die nur die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde, nicht aber die amtswegige Maßnahme betreffende Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO (vgl Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12).

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