OGH 11Os66/11g

OGH11Os66/11g30.6.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Juni 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Sadoghi als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gerd M***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 2, 148 zweiter Fall und 15 StGB sowie einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 24. Jänner 2011, GZ 122 Hv 149/10s-49, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A II, demgemäß in der Zusammenfassung der strafbaren Handlungen im Schuldspruch A nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 2, 148 zweiter Fall und 15 StGB zu einer Subsumtionseinheit und im Strafausspruch aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache in diesem Umfang an das Erstgericht verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde ebenso wie die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld zurückgewiesen.

Zur Erledigung der Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Gerd M***** des Verbrechens des (teils versuchten, teils vollendeten) gewerbsmäßig „teils“ schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 (ergänze: erster Fall), Abs 2, 148 zweiter Fall und 15 StGB (A) und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (B) schuldig erkannt.

Danach hat er zu nachgenannten Zeiten in Wien

A) mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich bzw Dritte unrechtmäßig zu bereichern, Nachgenannte durch Täuschung über Tatsachen sowie unter Verwendung falscher Urkunden, „falscher Daten und anderer solcher Beweismittel“ (Pkt I./) zu folgenden Handlungen verleitet, wodurch diese am Vermögen geschädigt wurden (Pkt I./a) und geschädigt werden sollten (Pkt I./b und II./), wobei er in der Absicht handelte, sich durch die wiederkehrende Begehung solcher (gemeint: schwerer - vgl US 5) Betrugshandlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, und zwar

I./ am 26. Mai 2009 Verfügungsberechtigte der D***** unter Vortäuschung, zahlungsfähiger und zahlungswilliger Vertragspartner zu sein, sowie unter Vorspiegelung einer falschen Identität, indem er einen Reisepass und drei gefälschte Lohnbestätigungen, lautend auf Peter M***** vorlegte, zur Eröffnung eines Kontos und Ausgabe zumindest zweier Kreditkarten mit eingeräumter Dispositionsbefugnis und indem er in weiterer Folge in der Zeit von 6. August 2009 bis 22. Dezember 2009

a) mit der Kreditkarte mit der Nummer ***** 8709 Umsätze in Höhe von 22.750 Euro tätigte und

b) mit der Kreditkarte mit der Nummer ***** 0768 Umsätze in der Höhe von 22.902 Euro zu tätigen versuchte, die Kreditkarte aufgrund der Umsätze zu Pkt a) jedoch gesperrt wurde;

II./ zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt zwischen 19. und 20. August 2010 unter Vortäuschung der Vermittlung eines Kredits über einen Internetkreditvermittler in Höhe von 1.200 Euro Annalisa B***** zur Herausgabe ihrer Kontodaten verleitet, wobei aufgrund mangelnder Deckung des Kontos von B***** ein Einzug zu Lasten deren Kontos und eine Überweisung zugunsten des Angeklagten in Höhe von 598,59 Euro unterblieb;

B) nachts zum 28. August 2008 eine Urkunde, über die er nicht verfügen durfte, unterdrückt, wobei er mit dem Vorsatz handelte zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts oder Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde, indem er im C***** den Reisepass des Peter M***** an sich nahm.

Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO.

Deren Erledigung ist vorauszuschicken, dass - offenbar ausgehend von einem Irrtum im Tenor der Anklageschrift ON 27 S 3 (richtig ebendort S 9 mit den entsprechenden Aktenfundstellen) - im Ersturteil die beiden eingesetzten Kreditkarten verwechselt wurden: Nach den in den Akten erliegenden Urkunden (ON 2 S 33 ff und ON 22 S 53 ff) blieb es nämlich bei der Karte mit der Endnummer 8709 (und nicht bei der mit der Endnummer 0768) beim Versuch (genau umgekehrt US 2, 4). Diese Vertauschung von vollendeten und versuchten Angriffen tangiert allerdings keine entscheidende Tatsache (12 Os 119/06a [vS], EvBl 2007/130, 700; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 645; zur Einordnung des Gesamtgeschehens als Betrug - und nicht als Untreue - vgl 14 Os 69/07i, SSt 2008/1, mwN).

Rechtliche Beurteilung

Der Verfahrensrüge (Z 4) ist grundsätzlich entgegenzuhalten, dass Beweisanträge in der Hauptverhandlung mündlich mit einem deutlich und bestimmt vorgetragenen Begehren zu stellen sind und der Verweis auf einen Schriftsatz (hier ON 48 S 25 mit Bezug auf ON 37) diesen Kriterien genügen muss, um beachtlich zu sein (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 310, 311 und 313 mit Nachweisen aus der Judikatur).

Beweisthemen müssen sich auf entscheidende Tatsachen oder erhebliche Tatumstände, also auf solche, die nach Denkgesetzen und Lebenserfahrung nicht gänzlich ungeeignet sind, den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache, das heißt für Schuldspruch oder Subsumtion relevante Tatsachenfeststellungen zu beeinflussen, beziehen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 340 f; 11 Os 74/07b uva).

Gemäß § 55 Abs 1 letzter Satz StPO muss im Beweisantrag (soweit dies nicht auf der Hand liegt) angegeben werden, aus welchen Gründen zu erwarten ist, dass die Durchführung des begehrten Beweises das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erbringen kann (RIS-Justiz RS0099453, RS0099189).

Schließlich sind nicht im Antrag enthaltende, sondern erst in der Nichtigkeitsbeschwerde nachgetragene Argumente zur Fundierung des Beweisbegehrens prozessual verspätet, somit unzulässig und daher unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099117, RS0099618; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Im Einzelnen bleibt zu erwidern:

Die „Originalkreditkartenanträge“, deren Beischaffung zum Beweis dafür beantragt wurde, dass die darauf ausgewiesenen Schriftzüge nicht vom Angeklagten stammen (ON 48 S 29), liegen in ON 24 (und in Kopie in ON 2 S 40, 41) vor. Dem mit dem selben Thema gestellten Antrag auf Einholung eines „graphologischen“ (gemeint: schriftkundlichen bzw schriftvergleichenden) Gutachtens fehlt es im Hinblick auf die in den Urkunden enthaltenen bloß rudimentären Schriftzüge an einem entsprechenden Tauglichkeitsvorbringen hinsichtlich der erwünschten Expertise zu der in Rede stehenden Nachahmungsfälschung (treffend das Erstgericht ON 48 S 29 und US 10 f).

Der Zeuge Ali Ba***** (ON 48 S 25) hätte Angaben dazu machen sollen, „dass keinerlei Beträge tatsächlich ausbezahlt wurden“. Damit wird (wie oben dargetan) keine entscheidende Tatsache angesprochen. Dies gilt - soweit überhaupt ein diesbezügliches Beweisthema erkennbar ist (ON 37 S 5, 11) - auch für einen informierten Vertreter der D*****.

Die auf vor allem Kontounterlagen des Zeugen W***** bezogenen Anträge (ON 37 S 3 ff) lassen einen Zusammenhang mit erheblichen Tatsachen nicht ersichtlich werden.

Aus welchem Grund der Zeuge „Wa***** jun.“ Auskunft geben könnte, „dass sich der Angeklagte und der Zeuge W***** im Mai 2008 kennengelernt haben und dass ihm [dem Angeklagten] weder Schriftstücke der D***** zugestellt wurden noch der Reisepass des Zeugen M***** in der Wohnung war noch sonstige Hinweise auf ein strafbares Verhalten des Angeklagten gegeben waren“, legte der Antrag (ON 48 S 25) ebensowenig dar wie den Bezug zu entscheidenden Tatsachen. Letzteres gilt gleichermaßen für das Beweisthema, „dass die Ritsch-Ratsch-Maschine (= Kreditkartenmaschine) sich nicht im Thego befunden hat, sondern im Firmenbüro des Herrn W***** und der Angeklagte weder über einen Schlüssel verfügte noch sonst Zutritt zu diesem Lokal hatte oder haben konnte“ (ON 48 S 25), wozu die Zeugen Br*****, Du***** und H***** geführt wurden, und die behauptete Suche des Zeugen W***** nach einem Teilhaber für eine zu gründende Gesellschaft, zu der die Zeugin Mag. We***** befragt werden sollte (ON 37 S 5).

Den Ausführungen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zu den Abbuchungen von den Kreditkartenkonten genügt als Erwiderung der Hinweis auf die eingangs erwähnte - rechtlich bedeutungslose (was der Beschwerdeführer letztlich auch erkennt, wenn er erwähnt, ihm könne „kein [vollendeter] Betrug vorgeworfen werden“) - Verwechslung durch das Erstgericht. Eine - behauptete - Deckung durch „die Ba*****“ hätte auch nur eine Schadensüberwälzung bedeutet, was jedoch die Subsumtion nicht berührt (Kirchbacher in WK² § 146 Rz 60 mwN).

Die Kritik von tatrichterlichen Feststellungen („Annahmen“) als aktenwidrig verkennt das Wesen dieses nur die Begründungsebene betreffenden Nichtigkeitsgrundes (Z 5 fünfter Fall) grundlegend (Fabrizy, StPO10 § 281 Rz 47; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 393, 467).

Die Plausibilitätserwägungen zum Schuldspruch B sind keine Darstellung einer formalen Nichtigkeit des angefochtenen Urteils (das sich gerade mit diesem Problemkreis ausführlich auseinandersetzt - US 7 ff), sondern Bekämpfung der Glaubwürdigkeit des Zeugen M*****, wie sie nur die im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht normierte Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld ermöglicht.

Das Vorbringen, „insbesondere hätte [ein] informierter Vertreter der C***** befragt werden können, ob die vom Zeugen M***** geschilderte Vorgangsweise überhaupt vorkommen könne“, ist weder das einer Mängelrüge noch lässt es sich - mangels Bezugnahme auf eine Antragstellung in der Hauptverhandlung - als Verfahrensrüge verstehen.

Hinsichtlich der Umsätze auf den Kreditkartenkonten ist der Tatsachenrüge (Z 5a) mit den bisher dazu angestellten Erwägungen zu antworten.

Der Vorwurf „schwerwiegender Bedenken, dass das Gericht seiner Verpflichtung zur amtswegigen Erforschung der Wahrheit im genügenden Ausmaß nachgekommen ist“, verkennt die Subsidiarität (RIS-Justiz RS0114036, RS0115823) der Aufklärungsrüge (Z 5a) gegenüber der Verfahrensrüge (Z 4), auf deren Erledigung somit zu verweisen ist.

Nur zum Schuldspruch A II./ kommt der Nichtigkeitsbeschwerde (Z 5 zweiter Fall; Z 5a) Berechtigung zu: Nach dem Urteilsspruch erschlich der Angeklagte am 19. oder 20. August 2009 die Kontodaten der Annalisa B***** . Mit diesen veranlasste er einen Einziehungsauftrag zu Lasten von deren Konto (US 2 und 4). Aus ON 19 S 11 = ON 22 S 97 ergibt sich das Datum des Einziehungsauftrags mit 27. August 2010. Obwohl sich der Angeklagte ab 26. August 2010 12:20 Uhr in Haft befand (US 2), fehlt im Ersturteil jede Auseinandersetzung mit der genauen Tatzeit (US 4, 8 - vgl allerdings die Hypothese ON 27 S 13), was nach Lage des Falles Unvollständigkeit der Entscheidungsgründe bewirkt. Unerörtert blieb übrigens auch die Zuordnung der im Beleg aufscheinenden Kontonummer zum Angeklagten.

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war daher das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im Schuldspruch A II./, demzufolge in der gemäß § 29 StGB gebildeten Subsumtionseinheit des Schuldspruchs (Ratz, WK-StPO § 289 Rz 10; 12 Os 179/10f ua) sowie im Strafausspruch aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§ 285e StPO). Im zweiten Rechtsgang wird die aufgelöste Subsumtionseinheit nach § 29 StGB - mit oder ohne das Faktum B***** - neu zu bilden sein (RIS-Justiz RS0116734).

Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde jedoch - ebenso wie die in den Verfahrensgesetzen gegen kollegialgerichtliche Urteile gesetzlich nicht vorgesehene Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (die zu ON 50 angemeldet wurde) - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO).

Auf eine Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe hat der Angeklagte verzichtet (ON 52 S 13), was einer Rückziehung des in diesem Umfang angemeldeten Rechtsmittels (ON 50) entspricht.

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche (Verurteilung zur Zahlung von 21.625,06 Euro an die Privatbeteiligte D***** aufgrund des Schuldspruchs A I./) waren die Akten dem Oberlandesgericht zuzuleiten (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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