OGH 10ObS3/12g

OGH10ObS3/12g14.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Prof. Mag. Dr. Thomas Keppert (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Mag. Johannes Rainer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Oktober 2011, GZ 12 Rs 139/11i-10, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Zulassungsbeschwerde wendet sich gegen die Beurteilung, dass aus objektiver Sicht keine Anhaltspunkte vorlägen, wonach die Arbeiten des selbständig erwerbstätigen Klägers bei der Errichtung des Hauses seiner Ehefrau im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit erbracht wurden, und dass eigenwirtschaftliche Gesichtspunkte im Vordergrund gestanden seien. Nach Auffassung des Revisionswerbers lägen bei objektiver Betrachtung überwiegende betriebliche Gesichtspunkte vor, auch wenn man von einer späteren „Eigennutzung“ ausgehe. Außerdem stehe selbst eine sogenannte „gemischte Tätigkeit“ unter Versicherungsschutz, sofern die betrieblichen Interessen gegenüber den privaten „nicht völlig in den Hintergrund“ treten. Ein ausschließlich privater Charakter der Verrichtungen liege nicht vor. Das unfallbringende Ereignis sei im Rahmen der Herstellung bzw Verbesserung der Situation am Arbeitsplatz (nämlich der Arbeitsbeleuchtung) erfolgt, an dem auch „Kerntätigkeiten“ des Klägers (Abmessungen wegen einer vorgesehenen Schaltermontage) vollzogen worden seien.

Mit diesen Ausführungen wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgezeigt:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 175 Abs 1 ASVG müssen sich Arbeitsunfälle im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Der Unfallversicherungsschutz der in der Unfallversicherung teilversicherten selbständig Erwerbstätigen wird nach § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG durch die Mitgliedschaft zu einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft erworben. Er erstreckt sich daher auf Tätigkeiten, die in einem oben geschilderten inneren Zusammenhang mit dem Gewerbebetrieb stehen, der die Grundlage der Kammermitgliedschaft bildet. Dazu zählen alle jene Tätigkeiten, die unmittelbar der Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung der selbständigen Existenz dienen. Es ist nach objektiven Gesichtspunkten zu prüfen, ob sich die Tätigkeit als zur Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung der selbständigen Existenz tauglich darstellt und ob sie vom Handelnden subjektiv auch in dieser Intention entfaltet wurde (10 ObS 96/99m, SSV-NF 13/53 mwN ua; RIS-Justiz RS0083633; RS0084368; RS0084388).

2. Entscheidend für den Versicherungsschutz ist daher auch bei selbständig Erwerbstätigen, ob sich das Verhalten als Ausübung der Erwerbstätigkeit darstellt (10 ObS 108/08t, SSV-NF 22/59 ua).

2.1. Im vorliegenden Fall steht dazu fest, dass der Kläger die (umfangreichen) Elektroinstallationstätigkeiten, welche schließlich zum Unfall (Sturz von einer Leiter) führten, außerhalb seiner gewerberechtlichen Befugnisse (über eine Gewerbeberechtigung als „Elektrotechniker“ verfügt er nicht) ausgeübt hat.

3. Eine selbständige Tätigkeit ohne Gewerbeberechtigung stand früher ganz allgemein nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl 10 ObS 2111/96, SSV-NF 10/52). Soweit allerdings seit dem ASRÄG 1997, BGBl I 1997/139, durch eine unbefugte Gewerbeausübung eine Pflichtversicherung als „neuer Selbständiger“ iSd § 2 Abs 1 Z 4 GSVG begründet wird, besteht auch für sie der Schutz der Unfallversicherung (vgl Tomandl in Tomandl, SV-System 13. Erg.-Lfg 281).

3.1. Die Ansicht, dass durch eine durch die Erteilung einer Gewerbeberechtigung erworbene Kammermitgliedschaft der Versicherungsschutz für alle gewerblichen Tätigkeiten erworben werde, auch wenn sie mit dem Betrieb, der die Grundlage der Kammermitgliedschaft ist, nicht im Zusammenhang stehen und unberechtigt entfaltet werden, findet im Gesetz keine Deckung (RIS-Justiz RS0083617; 9 ObS 8,9/87, SSV-NF 1/14; vgl auch 10 ObS 64/88, SSV-NF 2/79 und 10 ObS 154/88, SSV-NF 2/85 ua).

4. Auch wenn der Unfallversicherungsschutz für selbständig Erwerbstätige nach der Rechtsprechung nicht nur auf berufsspezifische Tätigkeiten eingeschränkt ist (vgl 10 ObS 2390/96, SSV-NF 10/112 mwN), fehlt hier jedenfalls die Voraussetzung, dass die vom Kläger zum Unfallszeitpunkt verrichtete Tätigkeit in einem engen Zusammenhang mit seinem Gewerbebetrieb stand und wesentlich betrieblichen Zwecken diente. Bei objektiver Betrachtung standen beim Kläger vielmehr eigenwirtschaftliche Gesichtspunkte im Vordergrund (vgl 10 ObS 2390/96, SSV-NF 10/112; 10 ObS 306/00y, SSV-NF 15/26 ua).

4.1. Nach ständiger Rechtsprechung steht der Versicherte aber - auch nach den Grundsätzen, die bei so genannten „gemischten Tätigkeiten“ maßgebend sind - dann nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn für die unfallbringende Verrichtung im Wesentlichen seine eigenwirtschaftlichen Interessen maßgeblich sind und die auch vorhandenen betrieblichen Interessen nur einen völlig im Hintergrund stehenden Nebenzweck des Handelns bilden (RIS-Justiz RS0084271 [T17]; 10 ObS 4/10a, SSV-NF 24/8).

4.2. Ein Abgrenzungskriterium für die Frage, ob eine Tätigkeit auch wesentlich betrieblichen Interessen zu dienen bestimmt war, ist, ob diese Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre (Krasney in SGB VII-Komm [9. Lfg Oktober 2011] § 8 Rz 50; 10 ObS 102/10p).

4.3. Dies ist hier schon deshalb zu verneinen, weil der Kläger als selbständiger Radio- und Fernsehtechniker (heute: „Kommunikationselektroniker“) bzw Kleinhändler mit Radios, Fernsehgeräten sowie Elektrowaren in seinem Betrieb „üblicherweise“ gar keine Elektroinstallationsarbeiten anbietet, im Rahmen der Errichtung des - mittlerweile auch von ihm selbst bewohnten - Einfamilienhauses seiner Ehefrau hingegen die „gesamte Elektrokabelverlegung, sämtliche Schaltermontagen, die Fernsehinstallationen, die komplette Satelliteninstallation und Netzwerktechnik sowie W-LAN-Technik“ durchgeführt und ihr die Arbeitstätigkeiten lediglich mit einem von 60 EUR auf 36 EUR (jeweils zzgl USt) reduzierten Stundensatz verrechnet hat.

5. Es liegen aber auch keine geschützten sogenannten „unternehmensfremden Gefälligkeitsleistungen“ (vgl Tomandl in Tomandl, SV-System, 13. Erg.-Lfg, 281 mwN) vor, weil solche nur dann unter Versicherungsschutz stehen, wenn sie als Kundendienstleistungen eng mit dem Betrieb oder der Erwerbstätigkeit zusammenhängen; was insbesondere dann der Fall ist, wenn sie in unmittelbarer Verbindung zu bestimmten, kurz vorher getätigten oder unmittelbar bevorstehenden Geschäftsabschlüssen stehen (10 ObS 2390/96, SSV-NF 10/112). Hier handelt es sich jedoch um einen Gefälligkeitsdienst des Klägers für seine Frau im eigenen Interesse und nicht im Interesse seines Betriebs.

5.1. Die Beurteilung, dass der Kläger, der nicht - wie sonst - auf die im Rahmen der gewerberechtlichen Befugnisse ausgeübte Tätigkeit zurückgriff, als er (ungeachtet der fehlenden Gewerbeberechtigung als „Elektrotechniker“) Installationsarbeiten durchführte (und zwar für seine Ehefrau und an Beleuchtungskörpern, die sie gar nicht bei ihm, sondern direkt in diversen Einrichtungshäusern gekauft hatte), dadurch im Wesentlichen eigenwirtschaftliche Interessen, also betriebsfremde Zwecke verfolgte, hält sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechung (vgl 10 ObS 102/10p). Da die - in der Berufung unbekämpft gebliebene - Tatsachengrundlage für diese Beurteilung ausreicht, sind die begehrten weiteren Feststellungen für die Frage des Unfallversicherungsschutzes ohne Belang.

5.2. Der Unfallversicherungsschutz und auch die Frage, ob ein in die betriebliche Sphäre gehöriges besonderes Risiko zum Unfall geführt hat, können immer nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (10 ObS 2/11h; 10 ObS 63/11d).

5.3. Die Verneinung der Qualität des in Rede stehenden Unfalls als Arbeitsunfall iSd § 175 Abs 1 ASVG, weil die zum Unfall führende Tätigkeit von der den Versicherungsschutz begründenden Gewerbeberechtigung nicht gedeckt war, weicht - wie eben dargelegt - nicht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ab.

5.4. Die außerordentliche Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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