OGH 10Ob49/10v

OGH10Ob49/10v17.8.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 31. März 2004 geborenen Maya-Luna G***** und der am 5. November 2006 geborenen Jona Maria G*****, beide *****, beide vertreten durch das Land Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Linz, Amt für Soziales, Jugend und Familie, Hauptstraße 1, 4040 Linz), wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters Richard K*****, vertreten durch Mag. Johannes Welzl, Rechtsanwalt in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 12. November 2009, GZ 15 R 281/09p-U60, womit infolge Rekurses des Vaters der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 18. Juni 2009, GZ 4 PU 68/09d-54, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Text

Begründung

Die am 31. 3. 2004 geborene Maya-Luna G***** und die am 5. 11. 2006 geborene Jona Maria G***** sind die Töchter von Dr. Claudia G***** und Richard K*****. Die Eltern leben seit Oktober 2007 getrennt; ihre Ehe wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 25. 9. 2009 im Einvernehmen geschieden. Die beiden Kinder wohnen seit der Trennung bei der Mutter und werden von ihr betreut.

Mit Beschluss vom 18. 6. 2009 setzte das Erstgericht den vom Vater für seine Töchter zu leistenden monatlichen Unterhalt mit je 191 EUR ab 1. 11. 2007 fest. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren der Kinder auf Leistung von je 300 EUR wurde ebenso abgewiesen wie das auf einen monatlichen Unterhalt von nur 110 EUR je Kind gerichtete (Mehr-)Begehren des Vaters.

Das Erstgericht stellte fest, dass der Vater ab 1. 11. 2007 (als Kellner) ein monatliches Nettoeinkommen von 1.500 EUR, 12 mal jährlich, erzielen könnte. Er übt seit 1. 11. 2007 ein überdurchschnittliches Besuchsrecht aus, indem er sein Besuchsrecht an rund 140 Tagen pro Jahr wahrnimmt.

In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Erstgericht von einer monatlichen Unterhaltsbemessungsgrundlage von 1.500 EUR aus und berechnete nach der Prozentsatzmethode (15 %) einen monatlichen Unterhalt von 225 EUR je Kind. Es berücksichtigte weiter, dass ein über ein durchschnittliches Besuchsrecht von einem Tag pro Woche zuzüglich Ferienbesuchsrecht hinausgehendes Besuchsrecht zu einer Reduktion der Unterhaltsverpflichtung führe. Die ersparten Aufwendungen der Mutter müssten dabei nicht konkret ermittelt werden, sondern könnten durch eine pauschale Unterhaltsminderung um 10 % pro zusätzlichem wöchentlichen Besuchstag berücksichtigt werden. Im gegenständlichen Fall ergebe sich ein „übermäßiges“ Besuchsrecht des Vaters im Ausmaß von rund 1,5 Tagen über dem durchschnittlichen Besuchsrecht pro Woche, was mit einem Abzug von 15 % abzugelten sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Dem Standpunkt des Vaters, aufgrund des einvernehmlich festgelegten ausgedehnten Besuchsrechts zu seinen Kindern sei ihm die Aufnahme einer Ganztagsbeschäftigung nicht zumutbar, könne nicht gefolgt werden. Ein maßstabsgerechter Familienvater würde nicht einer Halbtags-, sondern einer Ganztagsbeschäftigung nachgehen, um zum Wohl der Kinder deren materielle Bedürfnisse abdecken zu können; eine Ganztagsbeschäftigung sei im Übrigen auch mit dem ausgedehnten Besuchsrecht vereinbar. Unter Berücksichtigung des Ferienbesuchsrechts nehme der Vater im Monat rund 20 Tage keine Kinderbetreuung vor und könne in dieser Zeit uneingeschränkt einer Erwerbstätigkeit, etwa als Kellner mit flexibler Arbeitszeit, nachgehen. Zutreffenderweise sei der Vater auf das von ihm erzielbare Einkommen als Kellner mit Ganztagsbeschäftigung angespannt worden. Die überdurchschnittliche Besuchsrechtsausübung des Vaters sei im Einzelfall mit einem Abzug von 15 % entsprechend den Grundsätzen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung angemessen berücksichtigt worden.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs nachträglich mit der Begründung zu, dass vom Obersten Gerichtshof noch nicht geklärt sei, ob das Rekursgericht eine Verletzung der Anleitungspflicht im erstinstanzlichen Verfahren (in Bezug auf die Anrechnung von Transferleistungen) von Amts wegen aufzugreifen habe.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Unterhaltsfestsetzung in Höhe von 110 EUR monatlich je Kind. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die Kinder haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen berechtigt.

Die Revisionsausführungen des Vaters lassen sich kurz dahin zusammenfassen, dass das Rekursverfahren mangelhaft geblieben sei, weil das Rekursgericht nicht von Amts wegen den Umstand aufgegriffen habe, dass der Vater in erster Instanz nicht zu einem Vorbringen in Richtung steuerlicher Entlastung (infolge Anrechnung der von der Mutter bezogenen Familienbeihilfe) angeleitet worden sei. Außerdem werde unter Bedachtnahme auf das niedrige Alter der Kinder mit einem Abzug von bloß 15 % (und nicht 30 %) das ausgedehnte Besuchsrecht des Vaters nicht genügend berücksichtigt. Das Ausmaß des Besuchsrechts mache letztlich eine Ganztagsbeschäftigung des um das Wohl seiner Kinder bemühten rechtschaffenen Vaters unzumutbar.

Dazu wurde erwogen:

1. Auszugehen ist davon, dass die Vorinstanzen die Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht aufgrund eines wirklich vom Vater erzielten Einkommens, sondern auf der Grundlage des Anspannungsgrundsatzes nach dem erzielbaren Einkommen ermittelt haben.

1.1. Die vom Vater angestrebte teilweise Anrechnung des Bezugs der Familienbeihilfe durch die Mutter auf die Geldunterhaltspflicht des Vaters ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch dann vorzunehmen, wenn die Unterhaltsbemessungsgrundlage nach dem Anspannungsgrundsatz ermittelt wird (3 Ob 40/02g ua). Einen ausdrücklich darauf abzielenden Antrag setzt die gesetzlich gebotene steuerliche Entlastung nicht voraus (1 Ob 208/03z = RIS-Justiz RS0117800 [T1]).

1.2. Allerdings hat der Vater die Minderung seiner Unterhaltspflicht infolge des Bezugs von Transferleistungen durch die Mutter nicht in seinem Rekurs gegen die erstinstanzliche Entscheidung geltend gemacht. Nach der Rechtsprechung kann auch im Außerstreitverfahren ein Mangel des erstgerichtlichen Verfahrens, welcher im Rekurs nicht beanstandet wurde, im Revisionsrekurs nicht mehr nachgetragen werden (1 Ob 186/08x; RIS-Justiz RS0043111 [T18, T22]).

1.3. Inwieweit allerdings ein im Rekurs nicht geltend gemachter und vom Rekursgericht nicht behandelter Verfahrensmangel erster Instanz einen Verfahrensmangel des Rekursverfahrens darstellen kann, hängt davon ab, ob das Rekursgericht diesen Verfahrensmangel von Amts wegen hätte aufgreifen müssen (Fucik/Kloiber, AußStrG, § 66 Rz 3). Infolge des im Außerstreitverfahren allgemein geltenden Untersuchungsgrundsatzes bei der Sammlung der Entscheidungsgrundlagen (§ 16 AußStrG) sind über die in § 55 Abs 3 AußStrG genannten hinaus alle Rechtsmittelgründe von Amts wegen aufzugreifen, sofern dafür gewisse Anhaltspunkte erkennbar werden und sie die Richtigkeit der Entscheidung potenziell zu hindern geeignet sind (Klicka in Rechberger, AußStrG, § 55 Rz 3).

1.4. Das Erstgericht hat festgestellt, dass der Vater ab 1. 11. 2007 (als Kellner) ein monatliches Nettoeinkommen von 1.500 EUR, 12 mal jährlich, erzielen könnte. Da in diesem Fall das Bruttojahreseinkommen über 10.000 EUR liegt, ist nicht ausgeschlossen, dass eine Anrechnung der öffentlichrechtlichen Transferleistungen (Familienbeihilfe) zu einer Reduktion des vom Vater zu leistenden Geldunterhalts führt (vgl 6 Ob 44/07z = RIS-Justiz RS0121799 [T3] = RS0117084 [T10] = RS0117015 [T18]). Diesen Umstand hätten die Vorinstanzen im Sinne der höchstgerichtlichen Rechtsprechung von Amts wegen wahrzunehmen gehabt (siehe oben 1.1.).

2. Ob die Voraussetzungen für eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen vorliegen, ist immer aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (RIS-Justiz RS0007096; RS0113751 [T9]). Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, der Vater sei im Rahmen der Anspannung zur Aufnahme einer Ganztagsbeschäftigung gehalten und könne diese auch mit dem ausgedehnten Besuchsrecht vereinbaren, steht in Einklang mit der höchstgerichtlichen Judikatur (2 Ob 79/05i).

3. Da Unterhaltsentscheidungen grundsätzlich Ermessensentscheidungen sind (1 Ob 88/09m = RIS-Justiz RS0047419 [T23]), ist es nicht möglich, allgemein verbindliche Prozentsätze für Abschläge für übermäßige Betreuungsleistungen des geldunterhaltspflichtigen Elternteils festzulegen (8 Ob 62/04g). Im Rahmen des Ermessens neigt die Rechtsprechung dazu, in der Regel den Unterhaltsanspruch altersunabhängig um 10 % pro wöchentlichem Betreuungstag, der über ein übliches Ausmaß hinausgeht, zu reduzieren (8 Ob 62/04g, 10 Ob 11/04x; RIS-Justiz RS0047452). Zu 7 Ob 178/06m wurde eine Reduktion der Geldunterhaltspflicht des Vaters um 20 % gebilligt, wenn die Kinder insgesamt in etwa 1/3 der Zeit vom Vater betreut werden. Die vom Erstgericht vorgenommene, vom Rekursgericht bestätigte Reduktion um 15 % hält sich innerhalb des der Rechtsprechung offen stehenden Ermessensspielraums. Das Rekursgericht hat im Übrigen bereits darauf hingewiesen, dass bei der Berechnung des über das übliche Maß hinausgehenden Ausmaßes des Besuchsrechts auch das Ferienbesuchsrecht zu bedenken ist. Die Entscheidung der Vorinstanzen zur Reduktion der Geldunterhaltspflicht hält sich im Rahmen der angeführten höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

4. Da es zur Frage der Anrechnung von Transferleistungen auf den Unterhaltsanspruch der Kinder (Punkt 1.) noch ergänzender Feststellungen bedarf, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben; die Pflegschaftssache ist zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

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