Spruch:
1. Die Bezeichnung der klagenden Partei wird auf „U***** B***** A***** AG" berichtigt.
- 2. Die Rekursbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
- 3. Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
4. Die Kosten des Rekurses bilden weitere Verfahrenskosten. Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die Änderung der Firma der klagenden Partei ergibt sich aus dem Firmenbuch (FN *****, Handelsgericht Wien). Die Parteibezeichnung war daher gemäß § 235 Abs 5 ZPO zu berichtigen.
2. Der Rekurs gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem es eine Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen hat, ist einseitig (RIS-Justiz RS0043760; RS0098745; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1980; E. Kodek in Rechberger, ZPO3 § 519 Rz 7; G. Kodek, Zur Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens, ÖJZ 2004, 534 [540]; 2 Ob 148/06p [unter Abl der Bedenken Zechners in Fasching/Konecny² § 519 ZPO Rz 75 f und § 521a ZPO Rz 14]; zuletzt 9 Ob 62/08w). Die Rekursbeantwortung der Klägerin (ON 164) war daher - unbeschadet jener Teile des Schriftsatzes, die erkennbar als Stellungnahme zum Verfahrenshilfe- und Wiedereinsetzungsantrag gekennzeichnet sind - zurückzuweisen.
3. Mit der am 19. April 1990 eingebrachten Klage begehrte die Rechtsvorgängerin der Klägerin Zahlung von 3.001.038,34 ATS aus einem der Beklagten und ihrem Ehegatten, dem vormals Zweitbeklagten, im Jahre 1988 zugezählten Darlehen. In der mündlichen Streitverhandlung vom 24. Jänner 1991 erging auf Antrag der Klägerin ein Anerkenntnisurteil, das an den Verfahrenshelfer der Beklagten am 5. März 1991 zugestellt und dessen Vollstreckbarkeit am 28. März 1991 bestätigt wurde (ON 12).
Mit Beschluss vom 13. April 1995 wurde für die (nunmehr allein) Beklagte ein Sachwalter bestellt, dem das Anerkenntnisurteil - seinem Antrag entsprechend - am 14. März 1996 neuerlich zugestellt wurde. Am 20. März 1996 stellte die nunmehr durch ihren Sachwalter vertretene Beklagte den Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und brachte vor, sie sei bereits seit dem Jahre 1987 geschäftsunfähig gewesen. Der Abschluss des Kreditvertrags und das Anerkenntnis des Klagsanspruchs seien unwirksam gewesen; das Verfahren sei daher nichtig. Auch die Zustellung des Anerkenntnisurteils an ihren Verfahrenshelfer sei nicht rechtswirksam erfolgt, weil die Beklagte nicht durch einen gesetzlichen Vertreter vertreten gewesen sei (ON 20).
Am 11. April 1996 (Postaufgabe) erhob die Beklagte zudem durch ihren Sachwalter Berufung wegen Nichtigkeit gegen das Anerkenntnisurteil vom 24. Jänner 1991 (ON 22).
Dem Rekurs der Beklagten gegen die Beschlüsse des Erstgerichts vom 27. März und 16. April 1996, mit denen der Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung ab- und die Berufung als verspätet zurückgewiesen wurde, gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 17. Dezember 1996 Folge, hob beide Beschlüsse auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung zur Frage der Geschäftsfähigkeit der Beklagten auf.
Der Oberste Gerichtshof bestätigte diese Entscheidung am 11. September 1997 zu 6 Ob 145/97k (ON 31) und führte in seiner damaligen Begründung aus, unter der behaupteten Voraussetzung der Prozessunfähigkeit der Beklagten wären sowohl die Abgabe eines Anerkenntnisses als auch die Zustellung des Anerkenntnisurteils an den Verfahrenshelfer einer unerkannt prozessunfähigen Partei unwirksam. Die Zivilprozessordung eröffne der von einer Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO betroffenen Partei nach Bewirkung einer wirksamen Zustellung, ohne einen Zwang in der einen oder anderen Richtung auszuüben, das Wahlrecht, entweder eine Nichtigkeitsberufung oder die Nichtigkeitsklage zu erheben.
Das Sachwalterschaftsverfahren der Beklagten wurde am 19. 10. 2000 wieder eingestellt (ON 75, ON 146), seither ist sie wieder durch Verfahrenshelfer vertreten.
Nach Durchführung eines umfangreichen Beweisverfahrens (einschließlich Einholung eines psychiatrischen Gutachtens) hob das Erstgericht mit Beschluss vom 6. März 2003 die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Anerkenntnisurteils auf. Die Beklagte sei bereits bei Einleitung des Verfahrens prozessunfähig gewesen, der Vertretungsmangel bei Abgabe des Anerkenntnisses habe auch nicht durch die Zustellung des Urteils an den Verfahrenshelfer geheilt werden können. Diese Entscheidung erwuchs - abgesehen von einer Abänderung im Kostenpunkt - in Rechtskraft.
Mit Beschluss vom 28. August 2003 unterbrach das Erstgericht das anhängige Verfahren und regte die Überprüfung der Voraussetzungen einer neuerlichen Sachwalterbestellung für die Beklagte gemäß § 6a ZPO an. Das daraufhin eingeleitete Pflegschaftsverfahren wurde am 13. März 2008 ohne Bestellung eines Sachwalters wieder eingestellt. Am 23. April 2008 beantragte die Klägerin die Fortsetzung des unterbrochenen Berufungsverfahrens.
3.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht die Nichtigkeitsberufung der Beklagten als verspätet zurück.
Der Oberste Gerichtshof habe in der Entscheidung eines verstärkten Senats vom 18. Dezember 2001 - in Abkehr von der bis dahin herrschenden Judikatur - ausgesprochen, dass eine während des Verfahrens unerkannt gebliebene Prozessunfähigkeit nur bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft des Urteils mit Nichtigkeitsberufung gemäß § 477 Abs 1 Z 5 ZPO geltend gemacht werden könne, danach stehe nur mehr die Nichtigkeitsklage nach § 529 Abs 1 Z 2 ZPO zu Gebote. Die innerprozessuale Bindung im Sinne der § 499 Abs 2, § 511 Abs 1 ZPO an die im Aufhebungsbeschluss vom 17. Dezember 1996 geäußerte Rechtsansicht sei damit weggefallen. Bei Erhebung der Nichtigkeitsberufung durch den Sachwalter am 11. April 1996 sei die vierwöchige Berufungsfrist bereits verstrichen gewesen. Mit ihrem Rekurs strebt die Beklagte die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht an (ON 163).
3.2. Der angefochtene Beschluss wurde dem Beklagtenvertreter am 11. Dezember 2008 zugestellt. Im Rechtsmittelverfahren gegen ein Anerkenntnisurteil hat die verhandlungsfreie Zeit auf Beginn und Ablauf der Notfristen keinen Einfluss, sodass die vierzehntägige Rekursfrist im vorliegenden Fall am 29. Dezember 2008 endete (§ 225 Abs 2, § 521 Abs 1 ZPO).
Der Rekursschriftsatz wurde zwar an diesem Tag zur Post gegeben, er war allerdings unrichtig an das Berufungsgericht adressiert.
Ebenfalls am 29. Dezember 2008 um 20:29 Uhr hat der Beklagtenvertreter jedoch eine Gleichschrift des Rekursschriftsatzes per Telefax an den Faxanschluss des Erstgerichts übersandt (Teilnehmernummer 01/52152-3810; Faxprotokoll bei Eingabe vom 20. Februar 2009), wo der Rekurs um 20:30 Uhr eingegangen ist (ON 162). Wird ein Rechtsmittelschriftsatz an das unzuständige Gericht übermittelt, werden die Tage des Postlaufs in die Rechtsmittelfrist eingerechnet (Gitschthaler in Rechberger, ZPO³ §§ 124 bis 126 ZPO Rz 14 f mwN; 6 Ob 15/08m ua). In diesem Fall kann die befristete Prozesshandlung nur dann als rechtzeitig angesehen werden, wenn sie noch innerhalb der offen stehenden Frist beim zuständigen Gericht einlangt. Bei Telefaxeingaben wird die gemäß § 75 Z 1 ZPO erforderliche Angabe der Adresse des Gerichts durch die konkrete Nummer des Empfangsgeräts des Gerichts ersetzt, jedenfalls aber ergänzt. Bei der Übermittlung durch Telefaxeingabe kommt es nicht auf die auf dem Schriftstück aufscheinende Adresse, sondern auf die ins Sendegerät des Übermittlers eingegebene Faxnummer des Empfangsgeräts, einschließlich der konkreten Nebenstelle, an (RIS-Justiz RS0123334). Da der Rekurs am letzten Tag der 14-tägigen Frist über den dem Erstgericht zugewiesenen Faxanschluss eingegangen ist, bleibt die unrichtige Bezeichnung des Adressatgerichts unschädlich und gilt der Rekurs als rechtzeitig erhoben.
Er ist auch berechtigt.
3.3. Der geltend gemachte Mangel des Berufungsverfahrens im Sinne des § 503 Z 2 ZPO lag nicht vor. Das Verbot von Überraschungsentscheidungen bedeutet nicht, dass das Gericht seine Rechtsansicht vor der Entscheidung kundtun muss; anderes gilt nur, wenn rechtserhebliche Tatsachen nicht vorgebracht wurden (RIS-Justiz RS0122749). Gemäß § 84 Abs 2 ZPO ist die unrichtige Benennung eines Rechtsmittels, eines Rechtsbehelfs oder von Gründen unerheblich, wenn das Begehren deutlich erkennbar ist. Diese Bestimmung bietet aber keine Grundlage für die Umdeutung einer Nichtigkeitsklage nach § 529 Abs 1 Z 2 ZPO in eine Berufung wegen Nichtigkeit. Diese Rechtsbehelfe mögen zwar im Wesentlichen das gleiche Ziel verfolgen, richten sich aber an verschiedene Gerichtsinstanzen und divergieren in ihren prozessualen Voraussetzungen. Die der Rekurswerberin vorschwebende amtswegige Umdeutung oder eine Verbesserung eines Rechtsmittels in eine (Nichtigkeits-)Klage kommt nicht in Betracht. Auch § 182a ZPO verpflichtet das Gericht - abgesehen von der besonderen Belehrungspflicht in bezirksgerichtlichen sowie arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren (G. Kodek in Fasching/Konecny2 § 432 ZPO Rz 8 f, 18 ff, 29 ff, § 435 ZPO Rz 6 f) - nicht dazu, eine Partei zu einer Änderung oder einer Einschränkung ihres Begehrens anzuleiten (Zechner in Fasching/Konecny² § 503 ZPO Rz 135;
Delle-Karth, ÖJZ 1993, 23; 1 Ob 284/01y SZ 74/198 [2001] = JBl 2002,
385; 1 Ob 356/98d SZ 72/28 [1999]; 1 Ob 144/97a SZ 70/199 [1997] =
JBl 1998, 308 = EvBl 1998/59 mwN).
3.4. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Wegfall der innerprozessualen Bindung der Gerichte an die in einem Aufhebungsbeschluss dargelegte rechtliche Beurteilung (§ 499 Abs 2, § 511 Abs 1 ZPO), wenn sich nachträglich der Tatbestand (MietSlg 50.775) oder die maßgebliche Rechtslage ändern, sind grundsätzlich zutreffend. Einer Änderung der Rechtslage ist es insbesondere auch gleichzuhalten, wenn in der Zwischenzeit ein verstärkter Senat des Obersten Gerichtshofs in einer anderen Rechtssache in der von der Bindung erfassten Leitlinie eine abweichende Entscheidung gefällt hat (RIS-Justiz RS0043723, RS0007010; 5 Ob 105/97w; RZ 1977/15; Feldner, ÖJZ 2002, 224; E. Kodek in Rechberger ZPO³ § 511 Rz 1; Zechner aaO § 511 ZPO Rz 12 ua).
Die im ersten Rechtsgang vom Rekursgericht ausgedrückte und vom Obersten Gerichtshof zu 6 Ob 145/97k bestätigte Rechtsansicht wurde während des laufenden Verfahrens durch die Entscheidung eines verstärkten Senats vom 18. Dezember 2001, 1 Ob 6/01s überholt. Nach der nunmehr bindenden Spruchpraxis bewirkt auch die Zustellung einer Entscheidung an die während des gesamten Verfahrens unerkannt prozessunfähige Partei - wenn dabei die Vorschriften des Zustellrechts eingehalten wurden - den Beginn der Rechtsmittelfrist und nach deren Verstreichen den Eintritt der formellen Rechtskraft im Sinne des § 529 Abs 1 Z 2 und Abs 2 und des § 534 Abs 2 Z 2 und Abs 3 ZPO. Die Zustellung an den gesetzlichen Vertreter der prozessunfähigen Partei bildet keine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Erhebung der Nichtigkeitsklage aus dem Grund des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO (dazu krit ua Jelinek in Fasching/Konecny² § 529 ZPO Rz 91 ff). Der vorliegende Fall ist allerdings durch außergewöhnliche Umstände gekennzeichnet, die zu einer völlig atypisch langen Verfahrensdauer geführt haben. Zum Zeitpunkt der zitierten Entscheidung des verstärkten Senats war alleine das Berufungsverfahren bereits mehr als fünf Jahre anhängig. Nun sind Verfahrensgesetze, sofern nicht ausdrücklich eine andere Regelung getroffen wurde, immer nach dem letzten Stand anzuwenden (Fasching LB2 Rz 130; SZ 55/17; SZ 63/223; NZ 1996, 44; 8 Ob 89/06f). Eine „Rückwirkung" von Verfahrensgesetzen auf Verfahrensschritte, die zu einem Zeitpunkt vor Inkrafttreten einer neuen Verfahrensregelung gesetzt wurden, kommt ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung aber nicht in Betracht. (RIS-Justiz RS0008733 [T10]).
Zum Zeitpunkt der Vornahme der hier zu beurteilenden Verfahrenshandlung, nämlich der Nichtigkeitsberufung im Jahre 1996, herrschte in Rechtsprechung und Lehre allgemein der Grundsatz, dass die Zustellung an eine prozessunfähige Partei unwirksam ist (6 Ob 145/97k; s dazu Stumvoll in Fasching/Konecny² ErgBd § 13 ZustG Rz 7, 8 mwN). Für jene Verfahrensarten, in denen eine Nichtigkeitsklage oder ein Nichtigkeitsantrag nicht vorgesehen ist, hat der Oberste Gerichtshof an diesem Grundsatz auch nach der Entscheidung seines verstärkten Senats 1 Ob 6/01s ausdrücklich festgehalten (6 Ob 82/07p [Außerstreitverfahren alt]; 3 Ob 204/00x [Exekutionsverfahren]). Im Lichte dieser auch im ersten Rechtsgang bestätigten Rechtsprechung ist die vorliegende Berufung - unter der vom Berufungsgericht auf Grundlage der Bescheinigungsergebnisse des durchgeführten Zwischenverfahrens zu beurteilenden Voraussetzung der Prozessunfähigkeit der Beklagten - rechtzeitig. Wollte man nun aufgrund einer erst mehrere Jahre später neu bewerteten Verfahrensrechtslage die Rechtzeitigkeit der Berufung ex post neu beurteilen, würde dies nach den Umständen des Einzelfalls zum geradezu unhaltbaren Ergebnis der Vernichtung des Verfahrensaufwands von insgesamt 13 Jahren und zum Verlust einer bereits in der Vergangenheit erworbenen prozessualen Rechtsposition führen. Das Berufungsgericht wird daher im weiteren Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund über die Berufung der Beklagten zu entscheiden haben.
4. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 2 ZPO.
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