OGH 8Ob89/06f

OGH8Ob89/06f18.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin W***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Georg Mittermayer, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der Klägerin Stadt W*****, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Robert S*****, vertreten durch SchneideR´S-Rechtsanwalts-KEG in Wien, wegen 63,65 EUR sA, über den Rekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 14. März 2006, GZ 37 R 845/05x-17, womit aus Anlass der Berufung des Beklagten das Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 2. September 2005, GZ 27 C 345/04g-11, als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Berufungsgerichtes wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neue Entscheidung über die Berufung des Beklagten aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt 63,65 EUR sA. Dem Beklagten sei mit Rechnung vom 6. 8. 2003 für Gaslieferungen insgesamt ein Betrag von 1.111,88 EUR vorgeschrieben worden. Darin sei einerseits eine Gebrauchsabgabe nach dem Wiener Gebrauchsabgabengesetz in Höhe von 27,35 EUR brutto für die Netznutzung enthalten. Dieser Betrag stehe der Klägerin als Netzbetreiberin zu. Andererseits enthalte die Rechnung eine ebenfalls nach dem Wiener Gebrauchsabgabengesetz zu beurteilende Gebrauchsabgabe für die Energielieferung in Höhe von 31,94 EUR brutto. Diese Gebrauchsabgabe könne von der Energielieferantin, der W***** KG gemäß deren AGB auf den Beklagten überwälzt werden. Die Lieferantin habe diese Forderung an die Klägerin zum Inkasso abgetreten. Zuzüglich vom Beklagten verursachter Bankspesen von 4,36 EUR ergebe sich der Klagebetrag. Die Gebrauchsabgaben seien immer schon an die Kunden überwälzt worden.

Der Beklagte wendet ein, dass weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Grundlage für die Verrechnung der Gebrauchsabgaben bestehe. Darüber hinaus sei der Anwendungsbereich des Wiener Gebrauchsabgabengesetzes auf das Landesgebiet von Wien beschränkt. Die von der Klägerin erbrachten Netzdienstleistungen und die von der Lieferantin erbrachten Lieferungen bezögen sich jedoch auf das in Niederösterreich gelegene Haus des Beklagten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren nach Durchführung eines Beweisverfahrens statt. Es stellte fest, dass der Beklagte seit 1. 2. 1994 ständig Gas von der Lieferantin bzw deren Rechtsvorgängerin bezog. Die Klägerin versendete im Dezember 2002 ein Schreiben an den Beklagten und teilte mit, dass ihre neuen Allgemeinen Bedingungen für den Netzzugang zu Verteilleitungen mit Bescheid der Energie-Control-Kommission vom 19. 12. 2003 genehmigt wurden. Der Beklagte widersprach diesen Bedingungen nicht. Bereits im November 2002 hatte die Lieferantin ihre Kunden über die Änderung ihrer Allgemeinen Bedingungen für die Lieferung von Erdgas verständigt. Auch diesen widersprach der Beklagte nicht.

Rechtlich ging das Erstgericht zusammengefasst davon aus, dass die der Klägerin bzw der Lieferantin vorgeschriebenen Gebrauchsabgaben aufgrund der jeweiligen AGB überwälzt werden könnten. Das Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung des Beklagten das Urteil des Erstgerichtes und das vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück.

Es erachtete, dass gemäß § 21 Abs 1 Elektrizitätswirtschafts- und Organisationsgesetz (ElWOG) in Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Netzzuganges die Energie-Control-Kommission entscheide. Nach § 21 Abs 2 ElWOG seien die Gerichte in allen übrigen Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen, insbesondere die anzuwendenden Bedingungen und Systemnutzungstarife, entscheidungsbefugt. Eine Klage könne aber erst nach Zustellung des Bescheides der ECK im obligatorischen Streitschlichtungsverfahren eingebracht werden. Die Zuständigkeit des Gerichtes stelle somit eine sukzessive Kompetenz dar. Unter „übrigen Streitigkeiten" im Sinne des § 21 Abs 2 ElWOG seien insbesondere zivilrechtliche Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern zu verstehen. Eine solche Streitigkeit sei auch Gegenstand dieses Verfahrens. Da die Missachtung sukzessiver Kompetenz eine Frage der Rechtswegzulässigkeit berühre, sei die Klage unter Nichtigerklärung des dennoch geführten Verfahrens zurückzuweisen.

Der dagegen von der Klägerin erhobene Rekurs ist zulässig (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO) und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gegenstand des Verfahrens ist einerseits ein von der Klägerin als Netzbetreiberin (§ 6 Z 33 Gaswirtschaftsgesetz - GWG - BGBl I Nr 121/2000; zuletzt geändert durch BGBl I Nr 106/2006) gegenüber dem Beklagten als Netzzugangsberechtigten (§ 6 Z 36 GWG) geltend gemachter Anspruch. Andererseits ist Gegenstand der Klage ein - der Klägerin nach ihren Behauptungen abgetretener - Anspruch der Gaslieferantin. Beide geltend gemachten Ansprüche beziehen sich inhaltlich auf Vorschreibungen nach dem Wiener Gebrauchsabgabengesetz.

Die vom Berufungsgericht zitierte Bestimmung des § 21 ElWOG ist hier nicht einschlägig, weil sich die Klage auf Gaslieferungen (und deren Netzzugang), nicht aber auf die dem Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz - (ElWOG) unterliegende Übertragung und Versorgung von Elektrizität bezieht.

Einschlägig ist somit vielmehr das bereits erwähnte GWG. Dessen § 21 idF vor BGBl I Nr 106/2006 (Fassung BGBl I Nr 148/2002) lautet unter dem Titel „Streitbeilegungs- und Schlichtungsverfahren" wörtlich wie folgt:

„1) Ausgenommen in den Fällen des § 19 Abs 1 sowie in jenen Fällen, in denen eine Zuständigkeit des Kartellgerichtes besteht, entscheiden über Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen, insbesondere die anzuwendenden Netzbedingungen und der Höhe des Systemnutzungsentgelts, die ordentlichen Gerichte.

2) Eine Klage wegen Ansprüchen, die sich auf eine Verweigerung des Netzzuganges gemäß § 19 Abs 4 gründen, kann erst nach Rechtskraft dieser Entscheidung eingebracht werden; sind die Parteien ident und bildet eine solche Entscheidung eine Vorfrage für das gerichtliche Verfahren, so ist dieses bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung oder einer Entscheidung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts über eine gegen diese Entscheidung eingebrachte Beschwerde zu unterbrechen.

3) Jede Partei hat das Recht, bei Streitigkeiten gemäß Abs 1 die Energie-Control GmbH als Schlichtungsstelle anzurufen, sofern es sich nicht um eine Angelegenheit handelt, über die die Erdgas-Control-Kommission zu entscheiden hat. Diese hat innerhalb von sechs Wochen eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen oder den Parteien ihre Ansicht zum herangetragenen Fall mitzuteilen. Die Erdgasunternehmen sind verpflichtet, an einem solchen Verfahren mitzuwirken und alle zur Beurteilung der Sachlage erforderlichen Auskünfte zu erteilen sowie Unterlagen vorzulegen. Die Möglichkeit, den ordentlichen Rechtsweg zu beschreiten, bleibt unberührt."

Anders als § 21 Abs 2 ElWOG sah daher § 21 GWG idF vor BGBl I Nr 106/2006 - mit Ausnahme von Ansprüchen, die sich auf eine Verweigerung des Netzzuganges gründen - kein verpflichtendes Streitbeilegungs- oder Schlichtungsverfahren für zivilrechtliche Ansprüche vor. Die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung 4 Ob 287/04s (= RZ 2006/5 = EvBl 2005/161 = ecolex 2005/280 [kritisch Rabl]), in welcher ausgesprochen wurde, dass ein Bereicherunganspruch des Netzzugangsberechtigten (Stromabnehmer) gegen den Netzbetreiber, gerichtet auf Rückforderung einer dem Systemnutzungstarif zugeschlagenen Gebrauchsabgabe, erst nach Anrufung der Energie-Control-Kommission gerichtlich geltend gemacht werden könne, ist daher auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Der bereits zitierte § 21 GWG wurde durch BGBl I Nr 106/2006 (nun im Wesentlichen gleichlautend mit § 21 ElWOG idF BGBl I Nr 106/2006) dahin geändert, dass er - unter der Überschrift „Streitbeilegungsverfahren" - wörtlich lautet wie folgt:

„1) In Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Netzzuganges entscheidet - soferne keine Zuständigkeit des Kartellgerichts.... vorliegt - die Energie-Control-Kommission.

2) In allen übrigen Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen, insbesondere die anzuwendenden Bedingungen und Systemnutzungstarife, entscheiden die Gerichte. Eine Klage eines Netzzugangsberechtigten kann erst nach Zustellung des Bescheides der Energie-Control-Kommission im Streitschlichtungsverfahren gemäß § 16 Abs 1 Z 20 E-RBG innerhalb der in § 16 Abs 3a E-RBG vorgesehenen Frist eingebracht werden.

3) Unbeschadet der Bestimmung des Abs 2 kann eine Klage wegen Ansprüchen, die sich auf eine Verweigerung des Netzzuganges gründen, erst nach Rechtskraft der Entscheidung der Regulierungsbehörde über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Netzzuganges eingebracht werden; bildet eine solche Entscheidung eine Vorfrage für das gerichtliche Verfahren, so ist dieses bis zur Rechtskraft der Entscheidung der Regulierungsbehörde zu unterbrechen."

Die insbesondere im hier interessierenden Punkt (§ 21 Abs 2 GWG) vorgenommene Änderung erfolgte parallel mit der Änderung des § 21 Abs 2 ElWOG. Die Materialien halten zur Änderung des § 21 ElWOG fest (ErläutRV BlgNR 1411 22. GP 26): „....In seinem Beschluss vom 14. März 2005, GZ 4 Ob 287/04, hat der Oberste Gerichtshof ausgeführt, dass in Streitigkeiten zwischen Netzbetreibern und Netzzugangsberechtigten den Parteien der Rechtsweg bis zur Beendigung des Streitbeilegungsverfahrens versperrt ist. Diese Judikatur entspricht durchaus auch den in Art 23 Abs 5 der Richtlinie 2003/54/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG umschriebenen Anspruch eines Betroffenen auf Durchführung eines Verfahrens durch die Regulierungsbehörde in jenen Fällen, in denen ein Netzzugangsberechtigter durch das Verhalten eines Übertragungs- oder Verteilernetzbetreibers beschwert ist. Das gilt jedoch nicht für Rechtsansprüche, die dem Grunde und der Höhe nach feststehen. Da davon auszugehen ist, dass derartige Ansprüche mit den Instrumenten der ZPO mit einem geringeren Aufwand durchgesetzt werden können, werden diese Forderungen vom Streitschlichtungsverfahren künftig ausgenommen und können unmittelbar in einem ordentlichen Rechtsweg geltend gemacht werden."

Mangels entsprechender Übergangsbestimmungen trat § 21 GWG mit dem der Kundmachung folgenden Tag - somit dem 28. 6. 2006 - in Kraft. ( § 76b GWG iVm § 78b Abs 3 GWG). Die Materialien (ErläutRV BlgNR 1411 22. GP 40) halten dazu fest, dass von dem unmittelbaren Inkrafttreten jene Bestimmungen betroffen sind, deren Umsetzung in der Praxis keine organisatorischen Vorkehrungen benötigen.

Inhaltlich behandelt § 21 GWG verfahrensrechtliche Vorschriften. Grundsätzlich sind Verfahrensgesetze immer nach dem letzten Stand anzuwenden. Ein laufendes Verfahren ist daher, soweit nicht Übergangsvorschriften etwas anderes bestimmen, vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Vorschrift an nach neuen Verfahrensgesetzen fortzusetzen und zu beenden (1 Ob 584/85; Fasching, Lb² Rz 130). Eine „Rückwirkung" von Verfahrensgesetzen auf Verfahrensschritte, die - wie hier - zu einem Zeitpunkt vor Inkrafttreten einer neuen Verfahrensregelung gesetzt wurden, kommt hingegen ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung nicht in Betracht. Für die Beurteilung, ob der am 6. 10. 2004 eingebrachten Klage die Missachtung einer vorgeschalteten Kompetenz einer Regulierungsbehörde entgegensteht, ist daher § 21 GWG in der Fassung vor BGBl I Nr 106/2006 maßgeblich. Dieser sah für die hier geltend gemachten Ansprüche keine sukzessive Kompetenz vor.

Im Übrigen wäre die berufungsgerichtliche Entscheidung auch unter Zugrundelegung der Geltung des § 21 GWG idF BGBl I Nr 106/2006 verfehlt: Mit der hier zu beurteilenden Klage wird gerade kein Anspruch des Netzzugangsberechtigten gegen den Netzbetreiber im Sinne des § 21 Abs 2 GWG idF BGBl I Nr 106/2006 geltend gemacht: Vielmehr geht es um Ansprüche des Netzbetreibers bzw des Lieferanten gegen den Netzzugangsberechtigten.

Das Berufungsgericht wird daher - unter Abstandnahme von dem gebrauchten Klagezurückweisungsgrund - inhaltlich über die vom Kläger erhobene Berufung zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO: Der Beklagte hat den Einwand der Unzulässigkeit des Rechtswegs nicht erhoben. Es handelt sich somit nicht um einen selbständigen Zwischenstreit.

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