OGH 6Ob145/97k

OGH6Ob145/97k11.9.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bank ***** AG, ***** vertreten durch Brandstetter, Politzer & Pritz Partnerschaft KEG, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Elfriede K*****, vertreten durch Mag.Werner Suppan, Rechtsanwalt in Wien als bestellter Sachwalter, wegen 3,001.038,34 S, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 17.Dezember 1996, GZ 11 R 132/96d, 11 R 133/96a-28, womit die Beschlüsse des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 27.März 1996, GZ 22 Cg 94/90-21, und vom 16.4.1996, GZ 22 Cg 94/90-23, aufgehoben wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Hypothekarklage vom 19.4.1990 begehrte die Klägerin von der vormals Erstbeklagten Elfriede K***** und ihrem Ehemann, dem Zweitbeklagten Stefan K*****, 3,001.038,34 S aus einem im Jahr 1988 eingeräumten Darlehen. Die Beklagten seien ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen.

Nach Klageanmerkung und dem Auftrag an die Beklagten zur Erstattung einer Klagebeantwortung in der ersten Tagsatzung stellte die Erstbeklagte einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe, die ihr unter anderem durch Beigebung eines Rechtsanwaltes bewilligt und samt Bestellungsdekret zugestellt wurde. Der Verfahrenshelfer erstattete eine Klagebeantwortung, anerkannte aber dann ebenso wie der Zweitbeklagte in der mündlichen Streitverhandlung vom 24.1.1991 im Beisein der Erstbeklagten das Klagebegehren. Auf Antrag der Klägerin erging ein Anerkenntnisurteil, das dem Vertreter der Erstbeklagten am 5.3.1991 zugestellt und dessen Rechtskraft und Vollstreckbarkeit am 28.3.1991 bestätigt wurde.

Mit Beschluß vom 13.4.1995 wurde für die (nach Rechtskraft des Anerkenntnisurteiles gegenüber dem Zweitbeklagten nunmehr allein) Beklagte im Zuge des Exekutionsverfahrens ein Sachwalter bestellt. Dieser beantragte die neuerliche Zustellung des Anerkenntnisurteiles an ihn, welche am 14.3.1996 erfolgte.

Mit Antrag vom 20.3.1996 begehrte die Beklagte vertreten durch den Sachwalter die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung mit dem Vorbringen, nach einem (vorgelegten) Sachverständigengutachten sei sie bereits seit 1987 geschäftsunfähig gewesen. Der Abschluß des Kreditvertrages und das Anerkenntnis des Klageanspruches seien unwirksam und das Verfahren nichtig. Auch die Zustellung des Anerkenntnisurteiles sei nicht rechtswirksam erfolgt, weil die Beklagte nicht durch einen gesetzlichen Vertreter vertreten gewesen sei.

Am 12.4.1996 erhob die Beklagte unter Hinweis auf ihre Geschäftsunfähigkeit und mangelnde Vertretung im Verfahren eine Nichtigkeitsberufung gegen das Anerkenntnisurteil.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung mit der Begründung ab, das Anerkenntnisurteil sei dem Verfahrenshelfer der Beklagten wirksam zugestellt worden, dieser sei berechtigt gewesen, im Namen der von ihm vertretenen Partei gerichtliche Entscheidungen entgegenzunehmen. Die Erteilung der Vollstreckbarkeitsbestätigung sei nicht gesetzwidrig erfolgt. Im wesentlichen mit der gleichen Begründung wies das Erstgericht auch die Nichtigkeitsberufung als verspätet zurück.

Das Rekursgericht gab den Rekursen der Beklagten gegen beide Beschlüsse Folge, hob diese auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Ein in Gegenwart beider Parteien verkündetes Anerkenntnisurteil werde nach § 416 Abs 3 ZPO mit der Verkündung den Parteien gegenüber wirksam. Die Zustellung habe auf den Lauf der Frist keinen Einfluß. Die Wirksamkeit könne aber nur dann eintreten, wenn nicht geschäftsfähige anwesende Parteien auch gesetzmäßig vertreten seien. Treffe dies nicht zu, so habe es bei der allgemeinen Regelung des § 464 Abs 2 ZPO zu verbleiben, daß das Urteil erst mit der Zustellung der Ausfertigung wirksam werde. Ein Verfahrenshelfer sei zwar zur Entgegennahme von Zustellungen gerichtlicher Entscheidungen berechtigt, dies setze aber die Wirksamkeit des Bestellungsverfahrens voraus. Treffe dies nicht zu, sei die Zustellung nur an den "scheinbar" Vertretenen erfolgt, daher nur Scheinrechtskraft eingetreten. In einem solchen Fall habe die Partei das Wahlrecht, nach erneuter, wirksamer Zustellung (hier an den Sachwalter der Beklagten) Nichtigkeitsberufung oder nach Eintritt der Rechtskraft Nichtigkeitsklage zu erheben. Da das Pflegschaftsgericht im Sinne des § 6 a ZPO nicht rückwirkend entscheiden könne und Feststellungen fehlten, ob die Beklagte im Zeitpunkt der Fällung des Anerkenntnisurteiles geschäftsfähig gewesen sei, müsse diese Frage im fortgesetzten Verfahren, etwa durch Beiziehung eines Sachverständigen geklärt werden.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil zu den entscheidungsrelevanten Fragen, ob bei einer prozeßunfähigen Partei die Zustellung an einen Verfahrenshilfeanwalt wirksam sei und damit rechtskräftig werden könne, bzw ab wann in einem solchen Fall bei Fällung eines Anerkenntnisurteiles die Berufungsfrist laufe, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.

Rechtliche Beurteilung

Dem Rekurs der Klägerin kommt keine Berechtigung zu.

Es entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß die Vorstellung einer "Scheinrechtskraft" abzulehnen ist. Eine Entscheidung kann nur entweder rechtskräftig oder nicht rechtskräftig sein (SZ 47/99 ua). Der Sachwalter hat unter Berufung auf ein psychiatrisches Gutachten in seinem Zustellantrag und in seiner Nichtigkeitsberufung behauptet, die Beklagte sei schon seit dem Jahr 1987 nicht mehr geschäftsfähig gewesen. War eine Partei bereits während des Verfahrens handlungsunfähig und damit prozeßunfähig, aber nicht gesetzlich oder bereits seit Eintritt der Prozeßunfähigkeit vertreten, dann liegt Nichtigkeit vor. Gleiches gilt auch, wenn eine zum Zeitpunkt des Prozesses nicht besachwalterte Partei nach Eintritt der Prozeßunfähigkeit einem gewillkürten Vertreter Prozeßvollmacht erteilt und dieser den Rechtsstreit namens des Prozeßunfähigen geführt hat (SZ 51/93). Dies trifft auch dann zu, wenn eine bereits prozeßunfähige Partei einen Antrag auf Beistellung eines Verfahrenshelfers gestellt hat und diesem Antrag stattgegeben wurde und der Verfahrenshelfer in der Folge für die prozeßunfähige Partei eingeschritten ist. Ein Verfahrenshelfer kann unter dieser Voraussetzung die Partei, für die er auf ihren ohne ausreichende gesetzliche Vertretung gestellten Antrag bestellt wurde, nicht rechtsgültig vertreten. Das im Beisein der Beklagten und ihres Verfahrenshelfers, der anders als ein mit Prozeßvollmacht ausgestatteter Anwalt ohne Zustimmung der Partei nicht zu Sachdispositionen, also auch nicht zur Abgabe eines Anerkenntnisses befugt ist, gefällte Anerkenntnisurteil wäre daher - die Geschäftsunfähigkeit der Beklagten vorausgesetzt - ihr gegenüber nicht im Sinne des § 416 Abs 3 ZPO wirksam geworden. Gleiches gilt für die Zustellung des Anerkenntnisurteiles an den Verfahrenshelfer. War dieser mangels ausreichender gesetzlicher Vertretung nicht auf wirksamen Antrag der Beklagten bestellt, konnte auch eine gesetzmäßige Zustellung an ihn nicht erfolgen. Eine Bestätigung der Vollstreckbarkeit entspricht nicht mehr dem Gesetz, wenn sich herausstellt, daß die Zustellung der Entscheidung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist. War die Beklagte schon zum Zeitpunkt der Einleitung des Prozesses prozeßunfähig, dann konnte der mit Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO behaftete Vertretungsmangel der Beklagten bei Abgabe des Anerkenntnisses auch nicht durch die Zustellung des Anerkenntnisurteiles an den Verfahrenshelfer geheilt werden.

Die Zivilprozeßordnung eröffnet der von einem Nichtigkeitsfall nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO betroffenen Partei nach Bewirkung einer wirksamen Zustellung (§ 416 ZPO), ohne einen Zwang in der einen oder anderen Richtung auszuüben, das Wahlrecht, entweder eine Nichtigkeitsberufung oder die Nichtigkeitsklage zu erheben (SZ 46/13 ua, zuletzt JBl 1980, 161). An dieser Rechtsprechung hat auch die in JBl 1996, 734 veröffentlichte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, in der die Möglichkeit der Erhebung einer Nichtigkeitsklage schon dann bejaht wurde, wenn die Frage des Eintrittes der "Rechtskraft bzw Scheinrechtskraft" strittig ist, nichts geändert, weil am Wahlrecht der betroffenen Partei, nach wirksamer Zustellung fristgerecht eine Nichtigkeitsberufung zu erheben, festgehalten wurde.

Zu Recht hat das Berufungsgericht dem Erstgericht daher aufgetragen, die Richtigkeit der Behauptungen der Beklagten, für die sie beweispflichtig ist, vor seiner neuerlichen Entscheidung zu überprüfen, denn entgegen der Ansicht der Klägerin in ihrem Rekurs ist eine Bejahung der Prozeßfähigkeit der Beklagten zum fraglichen Zeitpunkt aufgrund des bisherigen Akteninhaltes noch nicht mit ausreichender Sicherheit möglich. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs wird es zweckmäßig sein, dem Prüfverfahren auch die Klägerin beizuziehen.

Der Ausspruch über den Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte