OGH 3Ob204/00x

OGH3Ob204/00x27.2.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei V***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Michael Schneditz-Bolfras, Rechtsanwalt in Gmunden, wider die verpflichtete Partei Verlassenschaft nach Ing. Hans S*****, vertreten durch die erbserklärte Erbin Marlene M*****, wegen 536.349,64 S (= 38.978,05 EUR) sA, infolge Revisionsrekurses der betreibenden Partei gegen des Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 24. Mai 2000, GZ 22 R 210/00i-185, womit infolge Rekurses der säumigen Ersteherin Franziska G*****, vertreten durch die Sachwalterin Sybille Perfler-Aichinger, diese vertreten durch Mag. Georg Derntl, Rechtsanwalt in Perg als Verfahrenshelfer, der Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom 30. März 2000, GZ 12 E 2219/95i-182 abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die betreibende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Pregarten vom 24. 6. 1996 wurde für die am 15. 4. 1912 geborene Franziska G***** (im Folgenden nur Betroffene) ein Rechtsanwalt als Sachwalter zur Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten, insbesondere in einem Verfahren des Bezirksgerichts Pregarten, beigegeben. Ohne weitere Erhebungen wurde über Antrag des Sachwalters die Sachwalterschaft mit Beschluss vom 17. 6. 1997 beendet. Am 8. 6. 1998 verständigte das Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht gemäß § 6a ZPO das Bezirksgericht Pregarten, worauf nach Durchführung eines Sachwalterschaftsverfahrens mit Beschluss vom 14. 7. 1998 der Sohn der Betroffenen zum Sachwalter zur Besorgung aller Angelegenheiten der Betroffenen bestellt wurde. Dieser wurde allerdings nach Unzukömmlichkeiten bei einer Abrechnung und Aufdeckung des Umstands, dass er seine Mutter trotz bestehender Sachwalterschaft im vorliegenden Exekutionsverfahren als Bieterin vertreten hatte, mit Beschluss vom 8. 1. 2000 seines Amtes enthoben. Nunmehr ist für die Betroffene eine andere Sachwalterin bestellt. Im vorliegenden Exekutionsverfahren fand am 26. 2. 1997 die Versteigerungstagsatzung betreffend eine Wohnung und eine Garage statt. Bei dieser Tagsatzung trat der Sohn der Betroffenen als mit notariell beglaubigter Vollmacht vom 4. 9. 1996 (zu diesem Zeitpunkt war die Betroffene besachwaltert) ausgewiesener Vertreter seiner Mutter als Bieter auf, er legte als Vadium ein Sparbuch mit einem Guthaben von 100.000 S und gab mit 1,06 Mio S das höchste Gebot ab, worauf das Exekutionsgericht an die Betroffene vorbehaltlich der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung den Zuschlag erteilte. Nach Einlangung der Bestätigung der zuständigen Grundverkehrskommission übernahm die Betroffene persönlich (während aufrechter Bestellung eines Sachwalters) am 13. 5. 1997 den schriftlich ausgefertigten Zuschlag. Mangels Zahlung des Meistbots wurde mit Beschluss vom 3. 7. 1997 die Wiederversteigerung auf Kosten und Gefahr der Betroffenen als säumige 1.Ersteherin bewilligt, die Zustellung dieses Beschlusses - zu Recht an sie persönlich verfügt und der entsprechende Gerichtsbrief von Heidi G***** als Postbevollmächtigte übernommen. Ein dagegen von der Betroffenen durch einen Verfahrenshelfer eingebrachter Rekurs blieb erfolglos. Beim neuerlichen Versteigerungstermin am 29. 4. 1998 beteiligte sich der Sohn der Betroffenen im eigenen Namen als Bieter und gab mit 910.000 S das höchste Gebot ab. Da wiederum Zahlungen auf das Meistbot ausblieben, bewilligte das Exekutionsgericht mit Beschluss vom 18. 9. 1998 die Wiederversteigerung auf Kosten und Gefahr des Sohnes der Betroffenen als säumigen 2.Erstehers. Sein dagegen erhobener Rekurs blieb erfolglos. Beim dritten Versteigerungstermin am 4. 4. 1999 gab sodann ein Kaufmann aus Innsbruck mit 780.000 S das höchste Gebot ab, ihm wurde der Zuschlag erteilt.

Mit Beschluss vom 3. 9. 1999 stellte das Erstgericht den Ausfall am Meistbot in Ansehung der Betroffenen mit 536.349,64 S, davon 233.621,51 S zur ungeteilten Hand mit ihrem Sohn, und in Ansehung desselben mit 233.621,51 S zur ungeteilten Hand mit der Betroffenen fest und sprach aus, die betreibende Partei und jede der übrigen auf das Meistbot gewiesenen Personen könnten zur Hereinbringung dieses Betrages, soweit er nicht aus den Vadien berichtigt werde, nach Rechtskraft dieses Beschlusses auf das Vermögen der beiden säumigen Ersteher zugunsten der Verteilungsmasse Exekution führen. Dieser Beschluss wurde mit zwei RSb-Sendungen (Formular 4 zu § 22 ZustG [GeoForm 30a]) adressiert an die Betroffene und ihren Sohn jeweils unter der Anschrift *****, zugestellt und jeweils am 8. 9. 1999 von einem (einer) Postbevollmächtigten für RSb-Briefe, G***** .... (Vorname unleserlich), übernommen.

Das Exekutionsgericht erteilte über Antrag der betreibenden Partei in Ansehung des Beschlusses vom 3. 9. 1999 am 20. 10. 1999 die Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung und bewilligte am 5. 11. 1999 der betreibenden Partei zugunsten der Verteilungsmasse gegen die Betroffene und ihren Sohn die Forderungsexekution nach § 294a EO und die Fahrnisexekution sowie gegen den Sohn der Betroffenen die Exekution durch zwangsweise Pfandrechtsbegründung ob einer näher bezeichneten Liegenschaft.

Am 9. 2. 2000 beantragte die durch ihre nunmehrige Sachwalterin vertretene Betroffene die Aufhebung der Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung des erstinstanzlichen Beschlusses vom 3. 9. 1999 nach § 7 Abs 3 EO mit der Begründung, alle Verfahrensschritte des vorliegenden Exekutionsverfahrens seien, soweit sie davon betroffen sei, unwirksam und nichtig. Dies gelte jedenfalls bis zur rechtswirksamen Bestellung ihres Sohnes als Sachwalter für alle ihre Angelegenheiten; aufgrund bestehender Interessenkollision seien jedoch auch die von ihrem Sohn nach dessen Sachwalterbestellung für seine Mutter gesetzten Handlungen und Rechtsakte nichtig.

Die betreibende Partei sprach sich gegen den Antrag aus. Der Beschluss seien den Sachwalter der Betroffenen zugestellt und dagegen kein Rechtmittel erhoben worden. Inwieweit der Sachwalter seine Pflichten ordnungsmäß erfüllt habe, sei hier nicht zu prüfen. Das Erstgericht wies den Antrag ab. Da der Sohn der Betroffenen im Zeitpunkt der (auch) an ihn am 3. 9. 1999 angeordneten und am 8. 9. 1999 durchgeführten Zustellung Sachwalter seiner Mutter gewesen sei, sei diese Zustellung an sie rechtswirksam.

Das Rekursgericht gab dem Antrag statt und erachtete den ordentlichen Revisionsrekurs als zulässig.

Die Zustellung sei ein rechtlich geregeltes Verfahren, das aus zwei zu unterscheidenden Akten, nämlich der Zustellverfügung und dem eigentlichen Zustellvorgang bestehe. Erstere sei von der Behörde zu treffen und habe ua den Empfänger festzulegen. Der eigentliche Zustellvorgang führe die Zustellverfügung aus. Sowohl die Zustellverfügung als auch deren Durchführung seien Verfahrensakte, die rechtswirksam nur gegen Prozessfähige gesetzt werden könnten. An handlungsunfähige Personen dürfe eine Zustellung nicht verfügt werden, die Behörde habe vielmehr den gesetzlichen oder bestellten Vertreter als "Empfänger" festzulegen. Eine an einen Handlungsunfähigen "vorgenomme" Zustellung löse keine Rechtswirkungen aus. Für die Betroffene sei im Zeitpunkt der Zustellung ihr Sohn als Sachwalter für alle Angelegenheiten bestellt gewesen. Die Zustellung hätte daher an die Betroffene zuhanden ihres Sohnes als Sachwalter oder an diesen als Sachwalter der Betroffenen erfolgen müssen. Selbst wenn man die Meinung verträte, auch dann, wenn die Zustellverfügung einen Empfänger festlege, der prozess- und handlungsunfähig sei, könne die Zustellung dann geheilt werden, wenn der gesetzliche oder bestellte Vertreter die Sendung tatsächlich erhalte, sei im konkreten Fall insofern nichts gewonnen, als keinerlei Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Sohn der Betroffenen nicht nur für die ihn "in eigener Sache" bestimmte Sendung, sondern auch die für seine Mutter bestimmte Sendung als deren Vertreter auch tatsächlich in die Hand bekommen habe. Daher sei in Ansehung der Betroffenen nicht von einer rechtswirksamen Zustellung des Beschlusses vom 3. 9. 1999 auszugehen und demnach die gesetzwidrig erfolgte Bestätigung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Beschlusses gemäß § 7 Abs 3 EO aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rsp des Obersten Gerichtshofs zur Frage, inwieweit § 7 Abs 3 EO auch auf in Exekutionsverfahren ergangene Titel anzuwenden sei, nicht aufgefunden werden könne und dieser Frage im Hinblick auf die Judikatur zur Nichtzulässigkeit der Nichtigkeitsklage (vgl 3 Ob 91/00d) im Exekutionsverfahren eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Der Revisionsrekurs der betreibenden Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Das Rechtsmittelverfahren nach § 7 Abs 3 EO richtet sich nach den Vorschriften des Titelverfahrens, hier somit zufolge der Verweisungsnorm des § 78 EO nach der ZPO. Der Auffassung der Rechtsmittelwerberin, der Zulässigkeitsausspruch der zweiten Instanz wäre entbehrlich gewesen, ist mit dem Hinweis auf § 528 ZPO zu begegnen, wonach auch bei einem Entscheidungsgegenstand von mehr als S 260.000 S und einer abändernden zweitinstanzlichen Entscheidung ohne Zulässigkeitsausspruch nur der außerordentliche Revisionsrekurs zulässig ist.

Gemäß § 7 Abs 3 erster Satz EO ist die gesetzwidrig oder irrtümlich erteilte Bestätigung der Vollstreckbarkeit von dem Gerichte, dass sie erteilt hat, ua auf Antrag eines Beteiligten durch Beschluss aufzuheben. Durch die Entscheidung des erkennenden Senats vom 26. 4. 2000, 3 Ob 91/00d, mit der die Zurückweisung eines Antrags der Betroffenen in Analogie zu § 529 Abs 1 Z 2 ZPO mehrere, sie betreffende Beschlüsse des vorliegenden Exekutionsverfahrens für nichtig zu erklären, durch das Rekursgericht bestätigt wurde, wurde nicht auch mit Rechtskraft- und Ausschließlichkeitswirkung darüber entschieden, dass oder ob die Zustellung des hier maßgeblichen Beschlusses vom 3. 9. 1999 gesetzwidrig war. Denn mit der Entscheidung, dass ein Nichtigkeitsantrag (analog zur Nichtigkeitsklage zu § 529 Abs 1 Z 2 ZPO) im Exekutionsverfahren nicht zulässig ist, wurde noch nicht darüber abgesprochen, ob die Zustellung eines Beschlusses an eine prozessunfähige Partei (Person) gesetzwidrig war. Mit dem Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung nach § 7 Abs 3 EO werden andere Ziele verfolgt (8 Ob 104/97w, 175/98p = SZ 71/113 = EvBl 1998/209; Kodek in Rechberger2 § 529 ZPO Rz 1; Jakusch in Angst, EO § 7 Rz 114), soll doch in diesem Verfahren nur die Vollstreckbarkeitsbestätigung - ohne Eingriff in das weitere Verfahren - beseitigt werden; darin wird regelmäßig bei Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage die raschere und kostengünstigere Möglichkeit zur Abhilfe gesehen (1 Ob 109/01p = RdW 2002, 27).

Beteiligter iSd § 7 Abs 3 EO ist nun nicht nur der im Titelverfahren zu einer Leistung verpflichtete, sondern auch der, der - wie der säumige Ersteher - erst im Exekutionsverfahren durch das Exekutionsgericht als "Titelgericht" zu einer Leistung verpflichtet wurde. Auch im Exekutionsverfahren durch das Exekutionsgericht geschaffene Exekutionstitel unterliegen somit dem Regime des § 7 Abs 3 EO.

Eine Bestätigung ist zunächst nicht gesetzwidrig oder irrtümlich iS dieser Gesetzesstelle, wenn sie formell der Aktenlage entsprach. Dies entspricht aber dann nicht mehr dem Gesetz, wenn sich herausstellt, dass ihr ein der Wirklichkeit nicht entsprechender Sachverhalt zugrundegelegen ist, etwa, wenn der Exekutionstitel dem Titelschuldner nicht rechtswirksam zugestellt worden war und daher die Vollstreckbarkeit des Titels tatsächlich nicht eingetreten ist. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, dass dann, wenn die Rechtswidrigkeit der Zustellung auf mangelnde Prozessfähigkeit zurückgeführt wird, jedenfalls ein Vorgehen nach § 7 Abs 3 EO grundsätzlich zur Rechtsdurchsetzung geeignet ist (SZ 71/113 mwN). Aus der eingangs dargestellten Aktenlage des vorliegenden Exekutionsverfahrens und in Ansehung der Betroffenen eingeleiteten Pflegschafts-/Sachwalterschaftsverfahrens geht hervor, dass die Betroffene im erstinstanzlichen Verfahren bis Jänner/Februar 2000 wie eine vollhandlungs- und prozessfähige Verfahrensbeteiligte (soweit hier relevant: als ausfallersatzpflichtige säumige Ersteherin) behandelt wurde, während für sie tatsächlich seit 14. 7. 1998 ihr Sohn zur Besorgung aller Angelegenheiten als Sachwalter bestellt war, wenngleich diese Umstände dem Exekutionsgericht vorerst nicht bekannt (gegeben worden) waren. Aufgrund dieser Tatsachen hätte somit nach dem Gesetz die Zustellung des Beschlusses vom 3. 9. 1999 nicht an die Betroffene (persönlich), sondern an den für sie bestellten Sachwalter als gesetzlichen Vertreter angeordnet und sodann auch durchgeführt werden müssen. Der Rechtsauffassung des Rekursgerichts, dass sowohl die Zustellverfügung vom 3. 9. 1999, als auch die Zustellung selbst vom 8. 9. 1999 nicht gesetzmäßig waren, und der Umstand, dass der gleiche Beschluss auch an den Sohn der Betroffenen als ebenfalls säumigen und ausfallsersatzpflichtigen 2.Ersteher zugestellt wurde, keine Sanierung dieser gesetzwidrigen Zustellung an die Betroffene bewirkte, ist iS der dazu auch zutreffend zitierten Lehre und Rechtsprechung (zuletzt vor allem 10 ObS 87/92 = SSV-NF 6/52 und 10 ObS 202/98y = SZ 71/204 = JBl 1999, 262 = DRdA 1999, 459 [Binder]; RIS-Justiz RS0083644, RS0083642; Gitschthaler in Rechberger2, § 87 ZPO Rz 6 mwN) voll beizupflichten. Gerade weil mit diesem Beschluss der konkrete Ausfall am Meistbot und die Zahlungspflicht (ua) der Betroffenen als säumige Ersteherin festgestellt wurde und dieser Beschluss der Titel für eine Exektionsführung gegen sie ist (§ 155 Abs 2 EO; vgl dazu auch Angst in Angst, EO § 155 Rz 10 mwN), kann ihr entgegen der im Rechtsmittel vertretenen Auffassung ein rechtliches Interesse an der Aufhebung der gesetzwidrig erteilten Vollstreckbarkeitsbestätigung nicht abgesprochen werden. Auf Fragen der formellen und materiellen Kollision der Interessen der Betroffenen als 1.Ersteherin und ihres Sohnes ist nicht mehr einzugehen.

Der Revisionsrekurs der betreibenden Partei muss erfolglos bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 EO iVm §§ 50, 40 ZPO (Unterliegen in einem Zwischenstreit).

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