OGH 3Ob212/08k

OGH3Ob212/08k19.11.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hans Lehofer und Mag. Bernhard Lehofer, Rechtsanwälte in Graz, wider die verpflichtete Partei Leonid V*****, vertreten durch Kupferschmid & Kuntner, Rechtsanwälte in Graz, wegen 183.756,30 EUR sA, infolge Rekurses der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 22. Juli 2008, GZ 4 R 220/08i-9, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-West vom 5. Juni 2008, GZ 111 E 376/08i-6, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Soweit sich der Rekurs gegen die Aufhebung der erstinstanzlichen Abweisung des Aufschiebungsantrags in Ansehung der betriebenen Forderung von 3.756,30 EUR sA richtet, wird er zurückgewiesen.

2. In Ansehung der betriebenen Forderung von 180.000 EUR sA wird dem Rekurs hingegen Folge gegeben und die Rekursentscheidung dahin abgeändert, dass die erstinstanzliche Abweisung des Aufschiebungsantrags der verpflichteten Partei wiederhergestellt wird.

Die verpflichtete Partei hat der betreibenden Partei die mit 2.347,38 EUR (darin 391,23 EUR USt) bestimmten Rekurskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Verpflichtete wurde strafgerichtlich verurteilt. Er ist aufgrund a) des rechtskräftigen Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 16. November 2007, AZ 10 Hv 210/05f, schuldig, der betreibenden Partei 180.000 EUR zu bezahlen, und b) aufgrund des Beschlusses desselben Strafgerichts vom 17. Dezember 2007 weitere 3.756,30 EUR. Der betreibenden Partei wurde aufgrund dieser Titel die Exekution gemäß §§ 331 ff EO durch Pfändung des Geschäftsanteils des Verpflichteten an einer GmbH bewilligt. An den Verpflichteten wurde das Gebot erlassen, sich jeder Verfügung über den Geschäftsanteil zu enthalten, der Drittschuldnerin wurde ein Leistungsverbot erteilt. Die Entscheidung über den Verwertungsantrag wurde vorbehalten.

Am 2. Juni 2008 stellte der Verpflichtete den Antrag, die Exekution durch Pfändung und Verwertung des Geschäftsanteils gemäß § 42 Abs 1 Z 2 EO aufzuschieben. Der Aufschiebungsantrag wurde auf die mit einem Schriftsatz vom 26. Mai 2008 beantragte Wiederaufnahme des Strafverfahrens gestützt. Die Fortführung der Exekution wäre für den Verpflichteten mit der Gefahr eines unersetzlichen oder schwer zu ersetzenden Vermögensnachteils verbunden.

Das Erstgericht wies den Aufschiebungsantrag ab. Zwar liege ein gesetzlicher Aufschiebungsgrund vor. Die Gefahr eines mit der Fortsetzung der Exekution verbundenen, nicht oder nur schwer ersetzbaren Nachteils sei erst nach Bewilligung der Verwertung des Geschäftsanteils offenkundig. Vor diesem Zeitpunkt bestehe keine durch die Aufschiebung beseitigbare Gefahr.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Verpflichteten Folge und hob den erstinstanzlichen Beschluss zur Verfahrensergänzung auf. Es verneinte die relevierte Nichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung und führte in der Sache im Wesentlichen aus, dass bei der Exekution auf den Geschäftsanteil an einer GmbH die Vermögensgefährdung schon vor der Bewilligung der Verwertung offenkundig sei und daher nicht weiter behauptet und bescheinigt werden müsse. Dies gehe aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs AZ 3 Ob 106/97b hervor. Die Aufschiebung könne also bewilligt werden. Sie sei aber gemäß § 44 Abs 2 Z 3 EO vom Erlag einer angemessenen Sicherheit abhängig zu machen. Diese diene dem Zweck, dem betreibenden Gläubiger einen Fonds zu verschaffen, aus dem ihm ein allenfalls durch die Aufschiebung entstandener Schaden ersetzt werden könne. Da die Pfändung bewirkt sei, könne die Auferlegung „voller Sicherheit" in analoger Heranziehung des § 43 Abs 2 EO nicht in Betracht kommen, weil es sich nicht um eine noch nicht vollzogene Exekution handle. Für die Bestimmung der Höhe der Sicherheit fehle es an einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage. In der Entscheidung 3 Ob 207/99h habe der Oberste Gerichtshof die Bewertungsregeln der Fahrnisexekution herangezogen. Es müsse der Geschäftsanteil geschätzt werden.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. In der Entscheidung 3 Ob 207/99h sei vom Obersten Gerichtshof offenbar erwogen worden, von der Entscheidung 3 Ob 106/97b allenfalls abgehen zu wollen und eine Aufschiebung so wie im Zwangsversteigerungsverfahren erst unmittelbar vor oder erst nach Erlassung des Versteigerungsedikts für zulässig zu erachten.

Mit ihrem Rekurs beantragt die betreibende Partei die Abänderung dahin, dass die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt werde.

Der Verpflichtete beantragt mit seiner Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen bzw dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der betreibenden Partei ist teilweise absolut unzulässig, teilweise zulässig und berechtigt.

I. In Ansehung der betriebenen Forderung von 3.756,30 EUR sA ist der Rekurs absolut unzulässig:

Wird aufgrund mehrerer Exekutionstitel zur Hereinbringung verschiedener Forderungen Exekution geführt, so werden die einzelnen Ansprüche bei Beurteilung der Frage der Zulässigkeit des Revisionsrekurses gesondert behandelt. Dies gilt sogar dann, wenn die dem Titel zugrunde liegenden Forderungen im rechtlichen Zusammenhang stehen (RIS-Justiz RS0002316; RS0002246). Wegen des unter 4.000 EUR liegenden Werts des Entscheidungsgegenstands ist der Rekurs in Ansehung dieser betriebenen Forderung jedenfalls unzulässig (§ 528 Abs 2 Z 1 ZPO iVm § 78 EO).

II. Zum Aufschiebungsantrag in Ansehung der betriebenen Forderung von 180.000 EUR:

Entscheidungswesentlich ist die Frage, ob im Exekutionsverfahren zur Hereinbringung einer Geldforderung durch Pfändung und Verwertung eines Geschäftsanteils an einer GmbH der Verpflichtete bei seinem auf die Wiederaufnahme des Titelverfahrens (hier ein Strafverfahren) gestützten Aufschiebungsantrag (§ 42 Abs 1 Z 2 EO) die Gefahr eines unersetzlichen oder schwer zu ersetzenden Vermögensnachteils (§ 44 Abs 1 EO) konkret zu behaupten und zu bescheinigen hat. Der betreibenden Partei wurde bislang nur die Pfändung des Geschäftsanteils bewilligt, die Entscheidung über den Verwertungsantrag aber vorbehalten. Die Rekurswerberin steht auf dem Standpunkt, dass eine Aufschiebung - wie im Zwangsversteigerungsverfahren - erst ab Erlassung des Versteigerungsedikts in Frage komme. Die verpflichtete Partei ist dagegen der Ansicht, wegen des mit dem Verkauf des Geschäftsanteils verbundenen Verlusts sämtlicher Gesellschafterrechte sei der drohende Vermögensnachteil wie in der Fahrnisexekution evident. Dazu ist folgendes auszuführen:

1. Zur Offenkundigkeit des Vermögensnachteils des Aufschiebungswerbers:

a) In der Fahrnisexekution:

Der Oberste Gerichtshof bejaht diese Offenkundigkeit (RIS-Justiz RS0001745). Es bedürfe nicht der Behauptung und Bescheinigung einer Gefahr, wenn Aufschiebungsgründe vorliegen, weil bei der Versteigerung von Fahrnissen häufig nicht der Preis erzielt wird, der zur Wiederbeschaffung der Gegenstände erforderlich ist (RIS-Justiz RS0001564). Diese Offenkundigkeit wird selbst in der frühen Phase des Exekutionsverfahrens bejaht, wo noch keine Gegenstände gepfändet wurden. Die Aufschiebung wird dann aber nur gegen Sicherheitsleistung bewilligt (3 Ob 114/86 = SZ 59/204; 3 Ob 207/99h = RpflE 2000/80 = ecolex 2000, 650; Deixler-Hübner in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO, § 44 Rz 3 mwN).

b) In der Zwangsversteigerung:

Auch hier hielt der Oberste Gerichtshof zunächst für alle Phasen des Exekutionsverfahrens (also schon ab der Exekutionsbewilligung) den Vermögensnachteil des Aufschiebungswerbers wegen der Gefahr der Erzielung eines unter dem Schätzwert liegenden Erlöses (Verschleuderungsgefahr) für offenkundig (RIS-Justiz RS0001677), seit der Entscheidung 3 Ob 134/89 = RZ 1990/60, 146, vertritt der Oberste Gerichtshof allerdings die Auffassung, dass dies nur für die Zeit ab unmittelbar bevorstehender Versteigerung gilt (3 Ob 154/02x mwN aus Lehre und Rechtsprechung). Die Vornahme der Schätzung führe noch nicht zu einem offenkundigen Vermögensnachteil.

c) Im Exekutionsverfahren nach den §§ 331 ff EO durch Pfändung und Verwertung des Geschäftsanteils an einer GmbH:

Der Entscheidung 3 Ob 106/97b = JBl 1997, 602 = RpflE 1997/126 = RdW 1997, 599 lag eine Exekutionsbewilligung durch Pfändung und Verwertung zugrunde. Der Oberste Gerichtshof bejahte die Offenkundigkeit des Vermögensnachteils des Aufschiebungswerbers, weil der Verkauf des Geschäftsanteils zum Verlust sämtlicher Gesellschafterrechte führe, daher der Vermögensnachteil „wie bei der Fahrnisexekution" evident sei. Denn der Verpflichtete könne den veräußerten Geschäftsanteil nicht ohne weiteres wieder erlangen und es müsse auch befürchtet werden, dass bei der Verwertung nicht der wahre Wert erzielt werde.

Der Entscheidung 3 Ob 207/99h lag nur eine bewilligte Pfändung des Geschäftsanteils an einer GmbH zugrunde. Mangels Anfechtung ging es dort nur um die Höhe der Sicherheitsleistung. Der Oberste Gerichtshof enthielt sich deshalb einer Stellungnahme, ob die Aufschiebung, so wie in einem Zwangsversteigerungsverfahren, erst unmittelbar vor oder erst nach Erlassung des Versteigerungsedikts hätte bewilligt werden dürfen.

2. Der erkennende Senat gelangt in teilweiser Abkehr von der Entscheidung 3 Ob 106/97b aus folgenden Gründen zu einer Gleichschaltung der Bescheinigungserfordernisse wie im Zwangsversteigerungsverfahren:

a) Die Verwertung eines GmbH-Geschäftsanteils geschieht durch Verkauf (§ 332 EO; RIS-Justiz RS0087047; RS0004163). Die Offenkundigkeit des Vermögensnachteils ist wegen der schon angeführten erschwerten Wiedererlangungsmöglichkeit nach Verkauf und der Verschleuderungsgefahr gegeben. Fraglich ist aber, ob dies schon dann gilt, wenn - wie hier - erst die Pfändung, nicht aber schon die Verwertung bewilligt wurde, demgemäß noch keine Schätzung vorliegt und eine Versteigerung des Geschäftsanteils noch nicht unmittelbar bevorsteht. Im Zwangsversteigerungsverfahren wird der Vermögensnachteil des Aufschiebungswerbers erst für die Phase nach der Schätzung der Liegenschaft und unmittelbar vor der Versteigerung als offenkundig erachtet.

b) Dies könnte natürlich auch für die Fahrnisexekution vertreten werden, wie dies in der älteren oberstgerichtlichen Judikatur auch der Fall war (3 Ob 14-16/91 = SZ 64/88; dazu Jakusch in Angst, EO2, § 44 Rz 5a, der die nunmehrige Rechtsprechung als „etwas zu großzügig" ansieht). Zwischen der Fahrnisexekution und der Zwangsversteigerung, aber auch der Exekution durch Pfändung und Verwertung eines Geschäftsanteils an einer GmbH bestehen in der Verfahrenspraxis Unterschiede, auch wenn für den Verkauf des Geschäftsanteils die Bestimmungen über den Verkauf gepfändeter beweglicher Sachen maßgeblich sind (§ 332 Abs 2 EO). Die Verwertung (der Verkauf) erfolgt in der Fahrnisexekution wesentlich rascher als in der Zwangsversteigerung (die Schätzung erfolgt häufig erst beim Versteigerungstermin: § 275 Abs 1 EO). Sowohl in der Zwangsversteigerung, aber auch im Verwertungsverfahren nach den §§ 331 ff EO ist stets vor der Versteigerung ein Schätzungsgutachten einzuholen. Die Schätzung wird im Regelfall immer komplexer sein als in der Fahrnisexekution. Bei der Verwertung eines Geschäftsanteils einer GmbH hat der Sachverständige ein Unternehmen zu bewerten. Wegen der daraus resultierenden längeren Verfahrensdauer stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines sofortigen Stillstands des Exekutionsverfahrens durch Bewilligung der Aufschiebung, wenn auch im Aufschiebungsverfahren die Einholung eines Gutachtens als Grundlage der Festsetzung der Höhe der Sicherheitsleistung erforderlich ist, worauf das Rekursgericht unter Hinweis auf die Entscheidung 3 Ob 184/88 = SZ 62/23 zutreffend hinwies. Die Notwendigkeit einer Sicherheitsleistung und der hiefür notwendigen Schätzung lässt der Verpflichtete unbekämpft. Für das Zwangsversteigerungsverfahren erachtete die Leitentscheidung 3 Ob 134/89 die parallele Abwicklung des den Aufschiebungsgrund bildenden Verfahrens (Oppositionsverfahren; Wiederaufnahmsverfahren ua) und des Exekutionsverfahrens als sinnvoller als die Aufschiebung schon im Frühstadium des Exekutionsverfahrens. Diese Erwägung ist auch für das Verfahren nach den §§ 331 ff EO maßgeblich. Die dargelegten Unterschiede im Verfahrensablauf rechtfertigen daher folgenden Rechtssatz: Bei der Pfändung und Verwertung des Geschäftsanteils einer GmbH (§§ 331 ff EO) ist ein Vermögensnachteil des die Aufschiebung des Exekutionsverfahrens beantragenden Verpflichteten erst in einem Verfahrensstadium offenkundig und braucht daher nicht behauptet und bescheinigt werden, wo bereits ein Schätzungsgutachten vorliegt und daher der Verkauf des Geschäftsanteils unmittelbar bevorsteht. In einem so weit fortgeschrittenen Verfahrensstadium erübrigt sich im Aufschiebungsverfahren die Einholung eines Schätzungsgutachtens. Die schon vorliegende Schätzung kann bei der Bestimmung der Höhe der Sicherheitsleistung herangezogen werden. Wenn der Verpflichtete die Aufschiebung schon in der Anfangsphase des Exekutionsverfahrens beantragt, hat er den durch die Fortsetzung des Verfahrens drohenden Vermögensnachteil konkret zu behaupten und zu bescheinigen.

Dies führt zur teilweisen Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Im Zwischenstreit über die Aufschiebung hat der Verpflichtete der obsiegenden betreibenden Partei die Rekurskosten zu ersetzen (§§ 41 und 50 Abs 1 ZPO iVm § 78 EO), hier auf der Basis von 180.000 EUR als Bemessungsgrundlage.

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