OGH 7Ob298/05g

OGH7Ob298/05g8.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Dominik-Giannino P*****, geboren am 21. März 1988, über die Revisionsrekurse des Minderjährigen, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie - Rechtsfürsorge, Bezirke 12, 13, 23, Rößlergasse 15, 1230 Wien, und des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27. September 2005, GZ 45 R 337/05z-50, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 11. Mai 2005, GZ 4 P 288/01w-44, infolge Rekurses des Minderjährigen abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Den Revisionsrekursen wird teilweise Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der für die Zeit vom 1. 10. 2004 bis 31. 3. 2006 gewährte monatliche Unterhaltsvorschuss von EUR 167,15 erst mit Ablauf des Monats Jänner 2005 und lediglich auf monatlich EUR 129 herabgesetzt wird.

Text

Begründung

Dem Minderjährigen wurden mit Beschluss des Erstgerichtes vom 1. 12. 2004 auf die Unterhaltsverpflichtung seines Vaters gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG für die Zeit vom 1. 10. 2004 bis 31. 3. 2006 Vorschüsse in der Höhe von monatlich EUR 167,15 gewährt.

Mit Beschluss vom 11. 5. 2005 setzte das Erstgericht diese Vorschüsse mit Ablauf des November 2004 auf monatlich EUR 84,20 herab. Dabei ging es davon aus, dass über das Vermögen des Vaters zu 21 S 22/04m des Bezirksgerichts Fünfhaus am „29. 11. 2004" [richtig: 13. 1. 2005] das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet worden sei, dieser zuletzt nur ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von EUR 854,45 inklusive anteiliger Sonderzahlungen bezogen habe und außer für seinen Sohn Dominik noch für die am 2. 11. 1994 geborene, offensichtlich immer noch in seinem Haushalt lebende Elena W***** geldunterhaltspflichtig sei.

Rechtlich beurteilte es diesen Sachverhalt - der Entscheidung 1 Ob 191/01x (SZ 74/138) folgend - dahin, dass als Maßstab für eine bescheidene Lebensführung nach § 5 Abs 1 und 2 KO, auf die sich auch die Unterhaltsberechtigten einzuschränken hätten, das Existenzminimum nach der jeweils geltenden Existenzminimumverordnung diene. Die Tilgung von Unterhaltsansprüchen sei daher nur aus der jeweiligen Differenz der Existenzsminima nach §§ 291b Abs 2 EO und 291a EO möglich, welche im vorliegenden Fall EUR 159,95 betrage und auf die beiden Unterhaltsverpflichtungen anteilig aufzuteilen sei, sodass sich für den minderjährigen Dominik EUR 84,20 (52,63 %) ergäben. Gegen eine diesen Betrag übersteigende Unterhaltsverpflichtung bestünden „begründete Bedenken" gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG. Die Vorschüsse seien daher mit dem auf den Eintritt des Herabsetzungsgrundes (Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens) folgenden Monatsersten (§ 19 Abs 1 UVG) auf EUR 84,20 herabzusetzen. Mit dem angefochtenen Beschluss änderte das Rekursgericht diese Entscheidung über Rekurs des Minderjährigen dahin ab, dass es den diesem gewährten Unterhaltsvorschuss ab 1. 12. 2004 lediglich auf monatlich EUR 134 reduzierte. Es setzte sich mit der zu 1 Ob 191/01x begründeten neueren oberstgerichtlichen Judikatur zu den Auswirkungen der Konkurseröffnung auf die gesetzlichen Unterhaltspflichten des Gemeinschuldners kritisch auseinander und vertrat dazu den Standpunkt, dass diese Rechtsprechungsänderung im Hinblick auf ihre „vielfältigen" (vom Rekursgericht aufgezeigten) Auswirkungen auf das bisherige System der Unterhaltsjudikatur „offensichtlich noch weiterer Überlegungen" bedürfe. Dass der Oberste Gerichtshof durch seine jüngere Rechtsprechung auch eine - nach Meinung des Rekurssenates im Sinne einer Gleichbehandlung aller Unterhaltsschuldner erforderliche - Änderung seiner allgemeinen Judikatur zur Berücksichtigung von Schulden eines (nicht im Konkurs befindlichen) Unterhaltspflichtigen beabsichtigt habe, sei der neuen Judikatur nicht zu entnehmen. Unter diesen Umständen sehe sich der Rekurssenat nicht in der Lage, der durch die Entscheidung 1 Ob 191/01x ausgelösten oberstgerichtlichen Rechtsprechung zu folgen. Ausgehend von einem monatlichen Durchschnittsnettoeinkommen des Vaters von EUR 854,45 und mangels berücksichtigungswürdiger Schulden erscheine eine Herabsetzung des gewährten Unterhaltsvorschusses daher lediglich auf einen Betrag von EUR 134 monatlich gerechtfertigt. Dabei seien die sich nach der Prozentkomponente ergebenden monatlichen Unterhaltsansprüche von EUR 171 (für Dominik) und EUR 154 (für Elena) aliquot derart gekürzt, dass dem Vater im Sinne der Ausführungen zur Belastbarkeitsgrenze ein monatlicher Betrag von rund EUR 600 verbleibe. Der Revisionsrekurs sei im Hinblick auf die aufgezeigte Abweichung von der jüngsten oberstgerichtlichen Rechtsprechung zulässig.

Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionsrekurse des Bundes und des Minderjährigen. Der Bund begehrt die Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichtes. Der Minderjährige bekämpft den Zeitpunkt der Herabsetzung und beantragt auszusprechen, dass der Unterhaltsvorschuss erst ab 1. 2. 2005 auf EUR 134 herabgesetzt werde.

Revisionsrekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsrekurse sind zulässig und auch berechtigt.

Zum Revisionsrekurs des Minderjährigen:

Der Revisionsrekurswerber bekämpft den Beschluss des Rekursgerichtes nur hinsichtlich des Zeitpunktes der Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse. In der Begründung der Rekursentscheidung werde ausgeführt, dass die Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens erst mit Beschluss vom 13. 1. 2005 (und nicht schon am 29. 11. 2004) erfolgt sei (sodass begründete Bedenken im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG infolge Insolvenz des Vaters erst ab 1. 2. 2005 bestehen könnten), im Spruch der Entscheidung sei dies aber dann doch nicht berücksichtigt.

Da diesen Ausführungen Berechtigung zukommt, ist dem Revisionsrekurs des Minderjährigen Folge zu geben und die begehrte Richtigstellung auf den nach § 19 Abs 1 UVG zutreffenden Zeitpunkt für die Herabsetzung der Vorschüsse vorzunehmen.

Zum Revisionsrekurs des Bundes:

Gemäß §§ 19 Abs 1 und 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG sind die Unterhaltsvorschüsse herabzusetzen oder einzustellen, wenn nach § 7 Abs 1 UVG die Vorschüsse teilweise zur Gänze zu versagen sind. Dies ist nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG dann der Fall, wenn in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 UVG begründete Bedenken bestehen, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist. Der aufgrund eines Exekutionstitels gewährte Vorschuss soll damit der jeweiligen materiellrechtlichen Unterhaltspflicht entsprechen. § 7 Abs 1 UVG soll vor allem einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Unterhaltsvorschüssen vorbeugen (RIS-Justiz RS0076391 [T7 und T8]; 3 Ob 257/05y mwN; zuletzt: 7 Ob 289/05h).

Die Vorinstanzen haben zutreffend erkannt, dass nach der neueren ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs schon durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Unterhaltspflichtigen - dem die Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens gleichzuhalten ist - begründete Bedenken im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG dahin bestehen, dass eine titelmäßig festgestellte Leistungspflicht von der materiellen Rechtslage abweicht (RIS-Justiz RS0076080); hat doch der Schuldner danach für sich und jene Personen, die ihm gegenüber einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch haben, nur mehr Anspruch auf Überlassung der für eine bescheidene Lebensführung erforderlichen Mittel (RIS-Justiz RS0113298 [T5]; RS0076405 [T2]; 1 Ob 242/02y, 3 Ob 1/05a). Die Unterhaltsbemessungsgrundlage wird also aufgrund des im Schuldenregulierungsverfahren festgelegten Zahlungsplanes verändert. Die danach zurückzuzahlenden Schulden sind grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig; dient doch der Zahlungsplan gerade dazu, die Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nach seiner Erfüllung wiederherzustellen (RIS-Justiz RS0115448 [T1]; 1 Ob 86/04k = SZ 2004/77; 1 Ob 176/04w; 7 Ob 279/05p).

Diese Grundsätze hat der erkennende Senat, der sich der zitierten Rechtsprechung bereits in der Entscheidung 7 Ob 279/05 angeschlossen hat, auch in dem zuletzt gefassten Beschluss vom 15. 2. 2006, 7 Ob 289/05h (betreffend die im Revisionsrekurs des Bundes genannte Pflegschaftssache) fortgeschrieben.

Demgemäß beruft sich der Revisionsrekurswerber zu Recht darauf, dass die Entscheidung des Erstgerichtes eine der eben dargestellten Rechtsprechung folgende Berechnung enthält, sodass gegen eine diesen Betrag übersteigende Unterhaltsverpflichtung begründete Bedenken (§ 7 Abs 1 Z 1 UVG) bestehen (RIS-Justiz RS0115703 [T2]), und die Unterhaltsvorschüsse herabzusetzen sind. Dass der Konkurs des Unterhaltsschuldners per se seine Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, ist nämlich mittlerweile als „allgemein anerkannt" zu betrachten (Kolmasch, Die aktuellen variablen Werte im Kindesunterhaltsrecht, Zak 2006/8, 8 ff [9] mwN). Auch die Ausführungen des Rekursgerichtes geben keinen Anlass, davon abzugehen. Bei der Prüfung der Bedenken nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG, dass eine titelmäßig festgestellte Leistungspflicht von der materiellen Rechtslage abweicht, ist daher im vorliegenden Fall - nach der neuen und bereits herrschenden Judikatur (RIS-Justiz RS0119114; zuletzt: 1 Ob 186/05t) - wie folgt vorzugehen:

Es ist die von der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang eingeführte „besondere Belastungsgrenze" für unselbständig Erwerbstätige (Kolmasch aaO) zu ermitteln, nämlich die Differenz der Existenzminima nach § 291b Abs 2 EO und § 291a EO, also (wie bereits das Erstgericht erkannt hat) jene Einkommensportion, die dem Zugriff der Unterhaltsgläubiger vorbehalten ist (RIS-Justiz RS0115703 [T1]; 1 Ob 191/01x; 2 Ob 160/02x; 8 Ob 50/04t; zuletzt: 1 Ob 186/05t und 7 Ob 279/05p). Die Summe der monatlichen Unterhaltsleistungen, zu denen der Gemeinschuldner während des Konkurs- bzw Schuldenregulierungsverfahrens verpflichtet ist, darf diese Differenz nicht übersteigen, um sicherzustellen, dass der Unterhaltsschuldner trotz des mit der Konkurseröffnung verbundenen Verlustes der Verfügungsgewalt über den pfändbaren Teil seines Einkommens seinen eigenen Lebensunterhalt bestreiten kann (Kolmasch aaO). Es ist also zu berücksichtigen, dass dem Unterhaltspflichtigen gemäß § 291b Abs 2 EO 75 % des Freibetrages nach § 291a EO zu verbleiben hat, wobei ihm aber - dies hat das Erstgericht nicht erkannt - für jene Person, die Exekution wegen einer Forderung nach § 291b Abs 1 EO führt, ein Unterhaltsgrund- und ein Unterhaltssteigerungsbetrag nicht gebührt (8 Ob 50/04t; so auch: Schwimann/Kolmasch Unterhaltsrecht³, 51 f [FN 423]). Nach dieser Bestimmung darf das Unterhaltsexistenzminimum somit nicht um Unterhaltsgrund- und -steigerungsbeträge für Kinder erhöht werden, deren Unterhaltsanspruch gerade in Hinblick auf eine geminderte Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners geprüft wird. Hier trifft den Vater des Minderjährigen auch noch die Sorgepflicht für seine Tochter Elena geboren am 2. 11. 1994. Beim Unterhaltsexistenzminimum ist daher nur eine (weitere) Unterhaltspflicht zugrundezulegen, während das Existenzminimum unter Berücksichtigung der beiden gesetzlichen Unterhaltspflichten zu ermitteln ist (Kolmasch, Die aktuellen variablen Werte im Kindesunterhaltsrecht, Zak 2006/8, 8 ff [9]; vgl auch 6 Ob 51/04z und 6 Ob 284/02m [wo das Existenzminimum bei drei bzw zwei Unterhaltspflichten herangezogen wurde, weil jeweils auch noch weitere gesetzliche Sorgepflichten des Unterhaltsschuldners vorlagen]).

Demnach ergibt sich ein Differenzbetrag von EUR 245,15, der auf die beiden Unterhaltsverpflichtungen des Vaters aufzuteilen ist. Der Unterhaltsvorschuss für den mj Dominik beträgt also gerundet EUR 129, weshalb auch dem Revisionsrekurs des Bundes Folge zu geben und wie im Spruch zu entscheiden war.

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