OGH 6Ob284/02m

OGH6Ob284/02m21.5.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 10. August 1984 geborenen Manuela H***** und des am 2. März 1988 geborenen mj Andreas H*****, über den Revisionsrekurs des Vaters Leopold H*****, vertreten durch Dr. Franz Amler und Dr. Michael Schwarz, Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen den Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgericht vom 4. September 2002, GZ 37 R 222/02a-80, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 5. August 2002, GZ 1 P 2532/95p-75, teilweise abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss, der in seinem bestätigenden Teil (Unterbrechung des Unterhaltserhöhungsverfahrens) als unangefochten unberührt bleibt, wird im Übrigen dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichtes zur Gänze wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Die ehelichen Kinder Manuela und Andreas verblieben nach der Scheidung der Ehe ihrer Eltern im Jahr 1988 in Obsorge der Mutter. Ihr Vater war zu Unterhaltsleistungen von monatlich 1.500 S für Andreas auf Grund des Scheidungsvergleiches und von monatlich 2.250 S für Manuela auf Grund des Beschlusses des Erstgerichtes vom 20. 9. 1990 verpflichtet. Infolge einer mit der Mutter getroffenen Vereinbarung zahlte er jedoch zuletzt 4.500 S monatlich für Manuela und 4.000 S für Andreas. Weil er die Zahlungen im Jänner 2001 zunächst einstellte, begehrte der Unterhaltssachwalter die gerichtliche Festsetzung der zwischen den Eltern vereinbarten Unterhaltsbeiträge ab 1. 1. 2001. Da der Vater während des Unterhaltserhöhungsverfahrens den begehrten Unterhalt für die Monate Jänner, Februar, März und Mai 2001 nachzahlte, zog der Unterhaltssachwalter den Antrag für diese Monate zurück. Der Vater beantragte die Abweisung des Unterhaltserhöhungsbegehrens, weil er im Konkurs und beschäftigungslos sei.

Das Erstgericht erhöhte die monatlichen Unterhaltsbeiträge für Andreas ab 1. 2. 2002 auf 147 EUR und wies das Mehrbegehren von 143 EUR ab. Hinsichtlich Manuela wies es das Erhöhungsbegehren zur Gänze ab. Es sprach weiters aus, dass das Unterhaltserhöhungsverfahren für den Zeitraum vom 1. 4. 2001 bis 30. 4. 2001 und vom 1. 6. 2001 bis 31. 1. 2002 unterbrochen sei. Es traf folgende Feststellungen:

Der Vater betrieb seit 1994 ein nicht protokolliertes Übersiedlungs- und Delogierungsunternehmen, woraus er zuletzt monatliche Durchschnittseinkünfte von 2.180 EUR erzielte. Er war auch Gesellschafter einer auf seinen Namen lautenden Offenen Erwerbsgesellschaft, die seit Februar 2001 ein Tanzlokal betrieb. Über deren Vermögen wurde am 19. 11. 2001 das Konkursverfahren eröffnet. Seit 17. 1. 2002 ist der Vater auch persönlich in Konkurs. Die Konkursmasse in beiden Verfahren reicht nicht einmal aus, um die Masseforderungen zu befriedigen. Das Tanzlokal ist seit Anfang Juli 2001 geschlossen. Seit 23. 4. 2002 bezieht der Vater Unterstützungen seitens des Arbeitsmarktservices. Er hat den Beruf eines Bürokaufmannes erlernt, diesen Beruf aber nie ausgeübt. Er war überwiegend als Vertreter im Verkauf tätig. Der Vater hätte als Angestellter im Jahr 2001 über ein monatliches Nettoeinkommen inklusive anteiliger Sonderzahlungen von 1.500 EUR und im Jahr 2002 über ein solches von 1.600 EUR verfügen können. Es ist von seiner nicht eingeschränkten Arbeitsfähigkeit auszugehen.

In rechtlicher Hinsichtlich führte das Erstgericht aus, dass im Zeitpunkt der Konkurseröffnung anhängige Unterhaltsverfahren durch die Konkurseröffnung hinsichtlich des Zeitraumes vor der Konkurseröffnung unterbrochen würden, die gesetzliche Unterhaltsansprüche für die Zeit nach Konkurseröffnung aber keine Konkursforderungen seien und daher auch während des Konkursverfahrens gegen den Gemeinschuldner anhängig gemacht und fortgesetzt werden könnten. Hinsichtlich der Höhe der Unterhaltsleistungen nach Konkurseröffnung folgte es den in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 17. 8. 2001, 1 Ob 191/01x, dargelegten Grundsätzen. Erziele der Gemeinschuldner eigenes Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit, falle nur das seine bescheidene Lebensführung ermöglichende Existenzminimun gar nicht in die Konkursmasse, in die dagegen das den unpfändbaren Freibetrag übersteigende Nettoeinkommen einzubeziehen sei. Die Tilgung von Unterhaltsschulden sei daher nur aus der jeweiligen Differenz der Existenzminima nach § 291b Abs 2 EO und § 291a EO möglich, also aus jener Einkommensportion, die dem Zugriff der Unterhaltsgläubiger vorbehalten sei, habe doch der Unterhaltsberechtigte keinen Anspruch auf Gewährung des laufenden Unterhaltes. Es sei daher von folgenden, für eine bescheidene Lebensführung notwendigen, durch den Gemeinschuldner als Unterhaltsschuldner gewöhnlich auch finanzierbaren monatlichen Unterhaltsbeträgen auszugehen: Fiktives monatliches Nettoeinkommen

1.600 EUR; Existenzminimum bei zwei Unterhaltspflichtigen 1.241 EUR; Unterhaltsexistenzminimum 930,75 EUR; Differenz der Existenzminima 310,25 EUR. Dieser Gesamtunterhaltsbetrag entspreche der Leistungsfähigkeit eines Gemeinschuldners als Unterhaltsschuldner, der für zwei unterhaltsberechtigte Kinder zu sorgen habe. Bei Aufteilung dieses Betrages auf die beiden Kinder im Verhältnis der prozentuell zu bemessenden Unterhaltsbeträge ergäben sich monatlich 163 EUR für Manuela und 146 EUR für Andreas. Dies bedeute, dass mit dem derzeit festgesetzten Unterhaltsbeitrag von 163,51 EUR für Manuela die Leistungsfähigkeit bereits ausgeschöpft sei. Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Unterhaltssachwalters teilweise Folge. Es bestätigte den Unterbrechungsbeschluss, erhöhte aber die monatlichen Unterhaltsbeiträge in Entsprechung des Rekursantrages auf 320 EUR für Manuela und auf 288 EUR für Andreas. Die vom Erstgericht herangezogene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 1 Ob 191/01x lasse die zu § 292b EO ergangene Rechtsprechung außer Acht, wonach dem Unterhaltspflichtigen im Einzelfall auch nur jener (allenfalls erheblich unter dem Unterhaltsexistenzminimum liegende Betrag) zu verbleiben habe, der zur Erhaltung seiner Körperkräfte und seiner geistigen Persönlichkeit notwendig sei. Gehe man von einem solchen Mindestbetrag von 500 EUR pro Monat aus und ziehe man diesen Betrag vom Existenzminimum für andere als Unterhaltsforderungen ab, so verbleibe ein Betrag von 794 EUR, der jedenfalls ausreiche, um die Unterhaltsansprüche der beiden Kinder im Umfang des Rekursantrages zu erfüllen. Die begehrten Unterhaltsbeiträge seien auch nach folgender Berechnung angemessen: Bei Nichtzulangen des nach Abzug des gemäß § 291b EO verbleibenden Existenzminimums für die Befriedigung laufender Unterhaltsansprüche müssten sich alle Unterhaltsberechtigten und der Unterhaltspflichtige den Fehlbetrag angemessen teilen. Ziehe man als für die Bedarfsdeckung notwendige Beträge für Manuela und Andreas die Regelbedarfssätze (338 EUR und 288 EUR) und für den Vater den Richtsatz für die Gewährung der Ausgleichszulage gemäß § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG - abzüglich des Krankenversicherungsbeitrages in Höhe von 3,75 % - von 708,47 EUR heran, ergebe sich ein zur gesamten Bedarfsdeckung erforderlicher Betrag von 1.334,47 EUR. Das Unterhaltsexistenzminimum von 1.294 EUR entspreche rund 97 % des Gesamtbedarfs, woraus sich rein rechnerisch Unterhaltsbeiträge für Manuela von 327,75 EUR und für Andreas von 279,27 EUR ergäben. Der Revisionsrekurs sei infolge der Abweichung dieser Rekursentscheidung von den in der Entscheidung 1 Ob 191/01x entwickelten Grundsätzen zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der ordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat in mehreren jüngst ergangenen Entscheidungen die Rechtsprechung, dass konkursrechtliche Maßnahmen auf die Festsetzung der Unterhaltsverpflichtung des Vaters gegenüber seinem Kind keinen Einfluss haben (7 Ob 330/99a) und dass es für die Festsetzung der Unterhaltsverpflichtung im Konkurs des Unterhaltspflichtigen belanglos sei, ob und in welcher Höhe dem Gemeinschuldner vom Masseverwalter nach § 5 Abs 1 oder 2 KO etwas überlassen werde (1 Ob 639/90 = EvBl 1991/64 [283]; 6 Ob 517/91 ua) nicht mehr aufrechterhalten. Er hat in der von den Vorinstanzen zitierten (in einem Unterhaltsvorschussverfahren ergangenen) Entscheidung 1 Ob 191/01x vielmehr dargelegt, dass die Konkurseröffnung nicht nur die Einbringlichkeit einer titulierten Unterhaltsschuld beeinflusse, sondern in geradezu typischer Weise auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Gemeinschuldners als Grundlage für die Bemessung des laufenden Unterhaltes verringere. Der Gemeinschuldner habe nach Konkurseröffnung für sich und jene Personen, die gegen ihn einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch hätten, nur mehr Anspruch auf Überlassung der für eine bescheidene Lebensführung erforderlichen Mittel. Das diesen Rahmen übersteigende Einkommen des Gemeinschuldners fließe, gleichviel ob die Mittel nach § 5 Abs 1 oder § 5 Abs 2 KO zur Verfügung stünden, in die Konkursmasse. Der Oberste Gerichtshof folgte insofern der Vorentscheidung 7 Ob 330/99a, die diese Grundsätze bereits zum Ausdruck brachte. Er stellte nunmehr aber auch klar, dass die Regelbedarfssätze auf den - mehr als nur den Aufwand für eine bescheidene Lebensführung deckenden - Verbrauchsausgaben einer aus zwei Erwachsenen und zwei Kindern bestehenden Durchschnittsfamilie beruhten und daher nicht Maßstab für den Geldaufwand für eine solche bescheidene Lebenshaltung seien. Es müsse ein anderer objektiver Maßstab für die Beurteilung der Kosten einer bescheidenen Lebensführung gefunden werden. Dieser Maßstab sei das Existenzminimum nach der jeweils geltenden Existenzminimum-Verordnung (ExMinV), weil mit dem Existenzminimum schon begrifflich niemals mehr als eine bescheidene Lebensführung finanzierbar sein könne. Bei einem Gemeinschuldner, der eigenes Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigeit beziehe, gelangte der Oberste Gerichtshof daher zu den hier bereits vom Erstgericht dargestellten Unterhaltsbemessungsgrundsätzen. Der Oberste Gerichtshof hat eine auch im vorliegenden Fall sinngemäß heranzuziehende konkrete Berechnung angestellt, wobei er im Gegensatz zu den Ausführungen des Rekursgerichtes nicht übersehen hat, dass gemäß § 3 Abs 1 und Abs 2 ExMinV unterschiedliche Tabellen zur Anwendung kommen, je nachdem, ob der Verpflichtete Sonderzahlungen erhält oder nicht. In der zitierten Entscheidung wurde vielmehr ausgeführt, dass allfällige geringfügige Ungenauigkeiten im Bereich von Sonderzahlungen bei der Berechnung der für eine bescheidene Lebensführung notwendigen, durch den Gemeinschuldner als Unterhaltsschuldner gewöhnlich auch finanzierbaren monatlichen Unterhaltsbeträge (im Sinne einer wünschenswerten Vereinfachung) zu vernachlässigen seien. Die derart errechneten Unterhaltsbeträge entsprächen der typischen Leistungsfähigkeit eines Gemeinschuldners, der für Unterhaltsberechtigte zu sorgen habe. Demzufolge könne die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen eines Unterhaltsschuldners im Regelfall nur insofern als bloßes Problem der Einbringlichkeit der (bevorschussten) Unterhaltsforderung verstanden werden, als er auch nicht jene Beträge zahle, die seiner typischen Leistungsfähigkeit entsprächen. Diese Grundsätze hat der Oberste Gerichtshof in seinen Entscheidungen 1 Ob 38/02y und 1 Ob 242/02y fortgeschrieben. In letzterer Entscheidung hat er auch klargestellt, dass sich zwar der Unterhaltsschuldner "strengsten Einschränkungen" bei der Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse gefallen lassen müsse; ob der Unterhaltsschuldner in Extremfällen dazu verhalten sein könne, mit einem unter dem "Unterhaltsexistenzminimum" liegenden Betrag sein Auslangen zu finden (vgl RIS-Justiz RS0047455), müsse nicht näher beleuchtet werden, weil ein solcher Extremfall nicht vorliege. Dies gilt auch für den hier zu beurteilenden Sachverhalt. Die Annahme des Rekursgerichtes, der Vater könne sogar noch mit 500 EUR monatlich seine notwendigsten Lebensbedürfnisse befriedigen, beruht auf keiner entsprechenden Sachverhaltsgrundlage. Ein für alle Beteiligten billiges Ergebnis wird auch hier nur dann erzielt, wenn die Tilgung der Unterhaltsschuld aus der Differenz der Existenzminima nach § 291b Abs 2 EO und § 291a EO, also aus jener Einkommensportion erfolgt, die dem Zugriff der Unterhaltsgläubiger vom Gesetz her vorbehalten ist. Mit der zweiten vom Rekursgericht herangezogenen Berechnungsmethode (Addition der Regelbedarfssätze und des Richtsatzes für die Gewährung der Ausgleichszulage und prozentuelle Aufteilung dieses Betrages auf den Unterhaltsschuldner einerseits und die Unterhaltsberechtigten andererseits) wird im Fall des Konkurses des unterhaltspflichtigen Vaters schon deshalb kein billiges Ergebnis erzielt, weil, wie in der Entscheidung 1 Ob 191/01x ausgeführt wurde, die Regelbedarfssätze mehr als nur den Aufwand für eine bescheidene Lebensführung decken.

Eine Rückkehr zur Rechtsprechung, dass die Konkurseröffnung ohne Einfluss auf die Höhe der Unterhaltsverpflichtung gegenüber Kindern sei, ist auch im vorliegenden Fall nicht angezeigt. Die früheren Entscheidungen trugen dem Umstand nicht entsprechend Rechnung, dass das den unpfändbaren Freibetrag übersteigende Nettoeinkommen in die Konkursmasse einzubeziehen ist. Dem Vater verbliebe auch dann, wenn er bei entsprechendem Einsatz seiner Kräfte die vom Erstgericht festgestellten Beträge ins Verdienen brächte, nicht mehr als das Existenzminimum. Für die im Wege der Anspannungstheorie ermittelte Bemessungsgrundlage sind daher dieselben Erwägungen heranzuziehen, die in den zitierten Entscheidungen 1 Ob 191/01x, 1 Ob 38/02y und 1 Ob 242/02y maßgebend waren. Es macht auch keinen wesentlichen Unterschied, ob die Angemessenheit eines Unterhaltstitels gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG zu prüfen oder über einen Antrag auf Änderung des Unterhaltstitels zu entscheiden ist. Die auf Grund des unterschiedlichen Alters der Kinder - der unterschiedlichen Prozentsätze, die ihnen nach der Rechtsprechung von der Unterhaltsbemessungsgrundlage zustehen - vorgenommene quotenmäßige Aufteilung des für die Kinder gemeinsam zur Verfügung stehenden Betrages begegnet keinen Bedenken (vgl 1 Ob 242/02y). Es ist daher der Beschluss des Erstgerichtes (zur Gänze) wiederherzustellen.

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