OGH 2Ob160/02x

OGH2Ob160/02x12.6.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Denise G*****, in Obsorge der Mutter Barbara G*****, das Kind vertreten durch das Stadtjugendamt Salzburg, Magistratsabteilung 3, St. Julien-Straße 20, über den Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 3. April 2002, GZ 21 R 35/02x-44, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Salzburg vom 9. Jänner 2002, GZ 20 P 2212/95s-37, in der berichtigten Fassung des Beschlusses vom 15. Jänner 2002, GZ 20 P 2212/95s-38, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die mj Denise G***** entstammt der im Einvernehmen am 5. April 1990 geschiedenen Ehe von Barbara und Willibald G*****. Die Mutter ist mit der Obsorge alleine betraut.

Der Vater war zuletzt mit Beschluss des Erstgerichtes vom 5. 10. 1998 verpflichtet gewesen, seit 1. 1. 1998 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 3.800 für seine Tochter zu bezahlen.

Am 8. 1. 2002 beantragte die Mutter namens des Kindes die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe, weil über das Vermögen des keinen Kindesunterhalt leistenden Vaters am 10. 1. 2002 zu S 569/01 beim Landesgericht Salzburg der Konkurs eröffnet worden und demnach eine Exekutionsführung unmöglich geworden sei.

Das Erstgericht gewährte dem Kind Unterhaltsvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von monatlich EUR 276,15 (= S 3.800), jedoch höchstens in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 lit c erster Fall, § 108f ASVG für die Zeit vom 1. 1. 2001 bis 31. 12. 2003; das Kind habe Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG. Mit Berichtigungsbeschluss vom 15. 1. 2002 dehnte das Erstgericht den Gewährungszeitraum von Amts wegen auf die Zeit vom 1. 1. 2002 bis 31. 12. 2004 aus.

Dagegen richtete sich der Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz mit dem Antrag, den Vorschussantrag abzuweisen; hilfsweise wurde der Antrag gestellt, lediglich Unterhaltsvorschüsse in Höhe des Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen von EUR 210 zu gewähren.

Das Rekursgericht gab diesem Rechtsmittel teilweise Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluss dahingehend ab, dass der mj Denise G***** ein Unterhaltsvorschuss gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG für die Zeit vom 1. 1. 2002 bis 31. 12. 2004 in Höhe von monatlich EUR 75 gewährt und ein Unterhaltsvorschussmehrbegehren von monatlich EUR 201,15 abgewiesen wurde.

Rechtlich führte es aus, dass Vorschüsse bei Titelvorschussanträgen nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG ausnahmsweise ganz oder teilweise zu versagen seien, wenn begründete Bedenken gegen den aufrechten materiellen Bestand des zu bevorschussenden gesetzlichen Unterhaltsanspruchs im titelmäßigen Ausmaß bestünden. Der gewährte Vorschuss dürfe darüber hinaus dem in § 6 Abs 1 UVG angeführten Betrag nicht überschreiten. Begründete Bedenken nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG dahin, dass die titelgemäße Leistungspflicht von der materiellen Rechtslage abweiche, könnten im Allgemeinen schon durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Unterhaltspflichtigen entstehen, habe doch der Gemeinschuldner danach für sich und jene Personen, die gegen ihn einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch hätten, nur mehr Anspruch auf Überlassung der für eine bescheidene Lebensführung erforderlichen Mittel. Dies gelte jedenfalls so weit, als der zuvor erwirkte Unterhaltstitel monatliche Leistungen zum Inhalt habe, die den Rahmen einer bescheidenen familiären Lebensführung sprengten, fließe doch das diesen Rahmen übersteigende Einkommen des Gemeinschuldners, gleichviel, ob ihm Mittel nach § 5 Abs 1 oder § 5 Abs 2 KO zur Verfügung stünden, in die Konkursmasse. Insofern beeinflusse also die Konkurseröffnung nicht nur die Einbringlichkeit einer titulierten Unterhaltsschuld, sondern verringere in geradezu typischer Weise auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Gemeinschuldners als Grundlage des laufenden Unterhalts. Bei Beurteilung einer "bescheidenen Lebensführung" sei aus Gründen der Gleichbehandlung aller Unterhaltsberechtigten ein objektiver Maßstab anzulegen. Maßstab dazu bilde das Existenzminimum nach der jeweils geltenden Existenzminimumverordnung, weil mit dem Existenzminimum schon begrifflich niemals mehr als eine bescheidene Lebensführung finanzierbar sein könne. Nicht beigetreten werden könne der Ansicht, dem Unterhaltsschuldner sei es nach den Anspannungskriterien ohne weiteres zumutbar, auch nach Eröffnung des Konkurses über sein Vermögen weiterhin das Einkommen zu erzielen, das er schon vor der Konkurseröffnung gehabt habe. Der Anspannungsgrundsatz solle bloß gewährleisten, dass die Unterhaltsbemessungsgrundlage der tatsächlichen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners angepasst werde, solle sich doch dieser seiner Leistungspflicht nicht dadurch entziehen können, dass er die nach seinen Kräften zumutbare Erzielung deutlich höherer Einkünfte schuldhaft unterlasse. Die Anspannung auf ein fiktives Einkommen in Höhe des bisherigen Realeinkommens könne nur dann erfolgen, wenn dem Unterhaltspflichtigen ein Verschulden daran anlastbar sei, dass er das seinen persönlichen Verhältnissen und der Arbeitsmarktlage nach mögliche Einkommen real nicht mehr erziele. Nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG müsste nur eine hohe Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht nicht mehr bestehe oder der Leistungspflicht des Schuldners nicht mehr entspreche. Derart "begründete Bedenken" dahin, dass die titulierte Unterhaltsschuld von der gesetzlichen Unterhaltspflicht zufolge einer wesentlichen Umstandsänderung abweiche, könnten allein durch die Tatsache der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Unterhaltsschuldners erweckt werden. Solange die Aktenlage nichts Gegenteiliges nahelege, sei zu unterstellen, dass ein Unternehmer, über dessen Vermögen der Konkurs eröffnet worden sei, wie jedem anderen der allgemeine Arbeitsmarkt offenstehe, soweit dessen Arbeitskraft nicht mehr notwendigerweise im Unternehmen gebunden sei. Es könne angenommen werden, dass ein solcher Arbeitssuchender im Regelfall zumindest als Arbeiter eine Beschäftigung finde und damit ein solches Nettoeinkommen erzielen könne, das dem mittleren Einkommen von Arbeitern entspreche. Erziele der Gemeinschuldner ein eigenes Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit, so falle das nur eine bescheidene Lebensführung ermöglichende Existenzminimum nicht in die Konkursmasse, in die dagegen das den unpfändbaren Freibetrag übersteigende Nettoeinkommen einzubeziehen sei. Die Tilgung von Unterhaltsschulden sei daher nur aus der jeweiligen Differenz der Existenzmimima nach den §§ 291 Abs 2 EO und 291a EO möglich, also aus jener Einkommensportion, die dem Zugriff der Unterhaltsgläubiger vorbehalten sei. Für den Vater ergebe sich ein fiktives monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.229,31 (= S 16.915,66); das Existenzminimum bei vier Unterhaltspflichten betrage EUR 1.194,20, das Unterhaltsexistenzmimimum bei vier Unterhaltspflichten betrage EUR 895,65, weshalb die Differenz der Existenzmimima EUR 298,55 betrage. Dieser Betrag sei durch vier (Anzahl der Sorgepflichten) zu dividieren, weshalb sich gerundet ein Betrag von EUR 75 ergebe. In dieser Höhe seien die zu gewährenden Unterhaltsvorschüsse festzulegen.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei für zulässig zu erklären, da die oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Beurteilung der Kosten einer bescheidenen Lebensführung eines Gemeinschuldners nicht einheitlich sei; es fehle auch oberstgerichtliche Rechtsprechung dazu, welche Unterhaltsbeiträge der typischen Leistungsfähigkeit eines Gemeinschuldners entsprächen, wenn diesen mehrere Sorgepflichten träfen.

Der Unterhaltssachwalter begehrt in seinem Revisionsrekurs die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses; hilfsweise wird hinsichtlich der Abweisung des Unterhaltsvorschussmehrbegehrens von EUR 201,15 ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Zutreffend hat das Rekursgericht darauf verwiesen, dass die ursprüngliche Rechtsprechung, die Unterhaltsbemessungsgrundlage bleibe durch die Konkurseröffnung unberührt, in der letzten Zeit geändert wurde (1 Ob 191/01x = ZIK 2002, 57 = ÖA 2002, 88; 1 Ob 38/02y; 1 Ob 242/02y). Im Allgemeinen entstehen schon durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Unterhaltspflichtigen begründete Bedenken im Sinn des § 7 Abs 1 Z 1 UVG dahin, dass eine titelmäßig festgestellte Leistungspflicht von der materiellen Rechtslage abweicht, hat doch der Gemeinschuldner danach für sich und jene Personen, die ihm gegenüber einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch haben, nur mehr Anspruch auf Überlassung der für eine bescheidene Lebensführung erforderlichen Mittel (1 Ob 38/02y). Nach der nunmehrigen Rechtsprechung kann daher der Unterhaltspflichtige im Regelfall auf das "mittlere Einkommen von Arbeitern" (ZIK 2002, 57) verwiesen werden. Nach der ebenfalls herrschenden Rechtsprechung ist als Maßstab für die Kosten einer bescheidenen Lebensführung das Existenzminimum der geltenden Existenzminimumverordnung heranzuziehen (ZIK 2002, 57; RIS-Justiz RS0115703).

Zutreffend ist das Rekursgericht vom Bestehen von vier Unterhaltspflichten ausgegangen. Gegenteiliges ergibt sich aus dem Akteninhalt nicht. Auch der Revisionsrekurs behauptet nicht, dass die Unterhaltspflicht des Vaters für seine Ehefrau, die im (nicht mehr maßgebenden) Unterhaltstitel als bestehend angenommen wurde, in der Zwischenzeit weggefallen sei. Die Prüfung des Fortbestehens einer im Exekutionstitel festgesetzten Unterhaltspflicht gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG geht nicht so weit, wie das amtswegige Verfahren zur Festsetzung einer Unterhaltspflicht. Es sind vielmehr nur jene Umstände wahrzunehmen, die auf Grund der Aktenlage, eines entsprechenden Vorbringens im Antrag ohne weitwendige Ermittlungen erkennen lassen, dass der Unterhaltsschuldner den Unterhalt überhaupt nicht oder nicht mehr im bisherigen Ausmaß schuldet (siehe Fucik, AußStrG2, Anmerkung zu § 7 UVG und die dort angeführte Rechtsprechung). Dass zwischenzeitig eine Unterhaltspflicht weggefallen sei, hat die Minderjährige auch nicht im Vorschussantrag behauptet.

Auch der vom Rekursgericht vorgenommenen Berechnungsmethode ist zuzustimmen, wonach die Differenz zwischen dem Existenzminimum und dem Unterhaltsexistenzminimum als Grundlage des für eine bescheidene Lebensführung notwendigen Unterhalts heranzuziehen ist. Diese hat auch der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 1 Ob 191/01x (ZIK 2002, 57 = ÖA 2002, 88) herangezogen. Die im Revisionsrekurs vorgenommene Berechnung (AS 195), die nur auf den Unterschiedsbetrag des Existenzminimums der ExMinV 2002 bei keiner Unterhaltspflicht und bei 4 Unterhaltspflichten abstellen will, entspricht nicht dieser Rechtsprechung, weil sich daraus nicht die Einkommensportion ergibt, die dem Zugriff der Unterhaltsgläubiger vorbehalten ist. Daher können für diese Berechnung auch nicht die Regelbedarfsätze maßgebend sein, die das Rechtsmittel an anderer Stelle (AS 199) reklamiert. Unmaßgeblich sind nach der dargestellten Rechtsprechung auch allenfalls höhere kollektivvertragliche Gehälter in der Branche des Unterhaltsschuldners. Es geht hier nicht um die Frage des an sich vom Gemeinschuldner erzielbaren Arbeitseinkommens, sondern um die Ermittlung der für eine bescheidene Lebensführung erforderlichen Mittel, die ihm gemäß § 5 Abs 1 KO zu überlassen sind.

Dass dem Unterhaltspflichtigen ein Verschulden anzulasten ist, dass er das nach seinen persönlichen Verhältnissen und der Arbeitsmarktlage nach mögliche Einkommen real nicht mehr erzielt, ist der Aktenlage ebenfalls nicht zu entnehmen. Im Sinne der gewünschten Gleichbehandlung aller Unterhaltsberechtigten kann auch nicht von den für das Bundesland Salzburg geltenden Fürsorgevorschriften ausgegangen werden. Vielmehr ist, wie bereits wiederholt ausgesprochen wurde, als Maßstab für die Kosten einer bescheidenen Lebensführung die trotz Eröffnung des Konkurses über den Unterhaltsschuldner dennoch zu tragen sind, das Existenzminimum nach der jeweils geltenden Existenzminimumverordnung heranzuziehen.

Da die Entscheidung des Rekursgerichtes der nunmehrigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entspricht, war dem unberechtigten Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.

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