OGH 3Ob324/04z

OGH3Ob324/04z30.6.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadtgemeinde S*****, vertreten durch Saxinger, Chalupsky, Weber & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Linz, wider die beklagte Partei P***** GmbH & Co KEG, *****, vertreten durch Dr. Bernhard Huber und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Vertragsaufhebung und 100.289,50 EUR sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 9. November 2004, GZ 6 R 206/04t‑43, womit das Urteil des Bezirksgerichts Schärding vom 21. Mai 2004, GZ 2 C 2135/03h‑38, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2005:0030OB00324.04Z.0630.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

 

Begründung:

 

Die klagende Stadtgemeinde als Bestandnehmerin und die beklagte KEG als Bestandgeberin schlossen am 29. September 2000 einen „Mietvertrag" über eine von der Zweitgenannten zu errichtende Tief(park)garage zu einem wertgesicherten monatlichen „Hauptmietzins" von umgerechnet 13.928 EUR zuzüglich Umsatzsteuer. Die Bestandnehmerin erklärte einen Kündigungsverzicht für 40 Jahre und verpflichtete sich, den Bestandgegenstand auf eigene Kosten in sehr gutem Zustand zu erhalten und allfällige Beschädigungen unverzüglich zu beheben.

Die klagende Partei begehrte die rückwirkende Aufhebung (in eventu die Feststellung der Nichtigkeit) dieses Vertrags sowie die Rückzahlung der Hälfte des im ersten Betriebsjahr gezahlten Bestandzinses (von 100.289,50 EUR). Diese Begehren stützte sie auf Verkürzung über die Hälfte des wahren Werts sowie auf Sittenwidrigkeit wegen Missverhältnisses der vertraglich vereinbarten Leistungen, jedoch ausdrücklich nicht auf die Vorschriften über die Geschäftsunfähigkeit, des Wuchergesetzes sowie § 879 Abs 2 ABGB (also auf Leichtsinn, Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung ihrer Organe).

Das Erstgericht, das weder die Höhe des auf dem Markt üblichen Bestandzinses für eine derartige Tiefgarage noch die einer „marktüblichen Immobilienrendite" feststellen konnte, wies das Klagebegehren ab, die zweite Instanz gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Die Vorinstanzen beurteilten den Vertrag zwischen den Parteien als Pachtvertrag. Der klagenden Stadtgemeinde sei nach Ansicht auch des Berufungsgerichts wegen der unbekämpften Nichtfeststellbarkeit des maßgebenden marktüblichen Bestandzinses der ihr obliegende Beweis für eine Verkürzung iSd § 934 ABGB misslungen. Schon deshalb seien auch die Voraussetzungen einer Sittenwidrigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB nicht erwiesen.

 

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei ist nicht zulässig.

Während sie im Zusammenhang mit § 879 ABGB erst gar nicht versucht, das Vorliegen erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO zu begründen, scheitert dieses Ansinnen für den Vertragsaufhebungsgrund der laesio enormis schon daran, dass schon aufgrund der starken Betonung des atypischen Charakters des zu beurteilenden Vertrags durch die klagende Partei entgegen ihrer Behauptung vom Vorliegen eines nicht verallgemeinerungsfähigen Einzelfalls ausgegangen werden muss, was mangels einer hier nicht vorliegenden erheblichen Fehlbeurteilung die Einstufung als erhebliche Rechtsfrage hindert. Dass es für die Qualifikation eines Vertrags als Lokalmiet- oder Unternehmenspachtvertrag auf die Gesamtheit der Umstände des Einzelfalls ankommt, hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen (MietSlg 25.112 = HS 8.059 uva; RIS‑Justiz RS0031183); nach der stRsp zum Leasing ist für die Abgrenzung, ob eher Kauf- oder Bestandvertrag vorliegt, das Überwiegen der in die eine oder andere Richtung deutenden Umstände wesentlich („individuelle Gestaltung": EvBl 1982/68; RIS‑Justiz RS0020007); nichts anderes gilt demnach auch für die Abgrenzung von Pachtvertrag und dem von der klagenden Partei bevorzugten „Vertrag sui generis mit starker kaufrechtlicher Komponente". Dass angeblich Verträge „solcher Art" vielfach vereinbart werden, ist kein tragfähiges Gegenargument, weil nicht einmal behauptet wird, diese Verträge hätten (zumindest im Wesentlichen) denselben Inhalt wie der vorliegende.

Das Fehlen einer Kaufoption - von kaufrechtlichen Elementen kann nur in Ansehung der Erhaltungspflicht gesprochen werden - deutet zudem eindeutig in Richtung Bestandvertrag (vgl 1 Ob 2141/96a = SZ 69/171), als welcher er auch - wenn auch irrig als Mietvertrag - von den Parteien bezeichnet wurde. Die Überwälzung der Erhaltungspflicht auf den Bestandnehmer ist außerhalb hier nicht anwendbarer, zwingender Rechtsnormen (insbesondere des MRG) nach stRsp zulässig und führte in keinem der vom Obersten Gerichtshof entschiedenen Fälle zur Annahme eines atypischen Vertrags (3 Ob 633/85 = MietSlg 38.182; 7 Ob 600/89 = MietSlg 41.101 [zum Pachtvertrag]; 6 Ob 42/02y mwN = MietSlg 54.133; RIS‑Justiz RS0021233). Die offenbar betriebswirtschaftliche Beurteilung des Vertragszwecks als „Vollamortisation der Gesamtinvestitionskosten" ist mit zivilrechtlichen Kategorien nicht erfassbar. Für die laesio enormis kommt es nach § 934 ABGB eben auf das Verhältnis der Leistung zum gemeinen Wert der Gegenleistung an und daher auch beim Bestandvertrag nicht auf irgendwelche Vertragslauf- oder Amortisationszeiten. Deren Relevanz vermag somit die klagende Partei nicht darzulegen. Deren Missverständnis tritt schon in der Klage zutage, wenn davon die Rede ist, Bestandverträge seien (anders als der vorliegende) auf „Verzinsung des eingesetzten Kapitals" gerichtet, was mit dem Vertragszweck nach Zivilrecht nichts zu tun hat, vielmehr nur ein Motiv beschreiben kann. Der Bestandgeber schuldet eben nicht Überlassung des Objekts „bis zur Vollamortisation" und der Bestandnehmer nicht „die zum Wertverzehr führende Nutzungsdauer", woher immer die klagende Partei solche Kategorien nimmt, sondern im Austauschverhältnis stehen iSd § 1090 ABGB bei Periodenzinsvereinbarung (vgl § 1100 ABGB) Gebrauchsüberlassung und Mietzinszahlung (je pro Zeiteinheit); die Vertragsdauer kann allenfalls für die Kalkulation von nicht periodisch zu leistenden Zusatzentgelten eine Rolle spielen, keinesfalls aber für die Berechnung des Werts der periodischen Leistungen.

Auch auf die Errichtungskosten eines Mietgegenstandes kann es demnach für die Beurteilung eines Bestandvertrags nach § 934 ABGB nicht ankommen. Die Substanz und deren Herstellungskosten sind eben nicht Gegenstand eines Bestandvertrags. Für den „gemeinen Wert" des Gebrauchs kommt daher - anders als teilweise zum Kauf vertreten wird, für den bei Fehlen eines Marktpreises auf den „Gestehungskostenwert" abgestellt wird (Gschnitzer in Klang² IV/1 558; ähnlich obiter 4 Ob 536/83 = RZ 1984/29, worin aber bei einem Perlenkollier der „Kostenwert" als von der Natur der Sache her auszuscheiden beurteilt wurde; 1 Ob 2342/96x) - die Berücksichtigung der Errichtungskosten nicht in Betracht, haben diese doch zB mit der für die Höhe des Bestandzinses so wichtigen Komponente der Lage (etwa im Hinblick auf Verkehrsanbindung, Kundenfrequenz etc; vgl § 16 Abs 2 Z 4 MRG) nicht das Geringste zu tun. Auf die angeführten Belege - solcher entbehrt das Rechtsmittel gänzlich - hat sich demnach die klagende Partei zu Recht nicht berufen. Die angefochtene Entscheidung entspricht auch der zutreffend zitierten Rsp, wonach beim Bestandvertrag das marktübliche Entgelt [bzw der angemessene Hauptmietzins nach § 16 Abs 1 MRG] (1 Ob 606/91 = SZ 64/183 = JBl 1992, 319; 8 Ob 567/93 = JBl 1994, 823 = MietSlg 45/17; ebenso Binder in Schwimann² § 934 Rz 12; Reischauer in Rummel³ § 934 Rz 3) maßgeblich ist.

Haben somit die Vorinstanzen zu Recht die Kalkulation der Amortisationsdauer unberücksichtigt gelassen, steht die Abweisung des Klagebegehrens - weil der klagenden Partei der Nachweis eines nicht einmal die Hälfte desjenigen ihrer Leistung erreichenden Werts der Gegenleistung misslang (vgl § 935 vierter Halbsatz ABGB dort: „nicht mehr"; s dazu Gschnitzer aaO 567) - im Einklang mit der bisherigen Rsp und Lehre (2 Ob 579/84 = RZ 1985/40; 8 Ob 2177/96x; 1 Ob 2342/96k; 558; Reischauer, aaO § 935 Rz 4).

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

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