OGH 1Ob217/04z

OGH1Ob217/04z12.4.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Bydlinski, Dr. Veith und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Mag. Silvia R*****, 2. Mag. Siegfried R*****, 3. Ingrid R*****, vertreten durch Dr. Hans Rieger, Rechtsanwalt in Bad Ischl, wider die beklagte Partei K***** Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Peter Mair, Rechtsanwalt in Bad Ischl, wegen EUR 41.107,43 sA (erstklagende Partei) und Feststellung (Streitwert für erstklagende Partei EUR 2.000, für zweitklagende und drittklagende Partei je EUR 4.000), infolge außerordentlicher Revisionen der erstklagenden Partei und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. Juli 2004, GZ 1 R 58/04m-27, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I. Der „ergänzendes Vorbringen" zu ihrer außerordentlichen Revision beinhaltende Schriftsatz der erstklagenden Partei wird zurückgewiesen.

II. Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Zu I.: Die Erstklägerin erstattete mit Schriftsatz vom 23. 9. 2004 ergänzendes Vorbringen zu ihrer außerordentlichen Revision, die sie am Tag davor zur Post gegeben hatte. Die Ergänzung sei integrierender Bestandteil ihrer außerordentlichen Revision.

Nach ständiger Rechtsprechung steht jeder Partei nur eine einzige Rechtsmittelschrift zu, während weitere Rechtsmittelschriften, Nachträge oder Ergänzungen selbst dann unzulässig sind, wenn sie innerhalb der gesetzlichen Frist angebracht werden (RIS-Justiz RS0041666). Der das „ergänzende Vorbringen" enthaltende Schriftsatz der Erstklägerin erweist sich demnach wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels als unzulässig. Zu II.

a) Zur Revision der beklagten Partei:

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fallen unter die Pistensicherungspflicht des Liftunternehmers die nach der Verkehrsauffassung erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen, um dessen Vertragspartner vor künstlichen oder natürlichen Gefahrenquellen im unmittelbaren Bereich des von ihm eröffneten Schiverkehrs zu schützen (1 Ob 246/02m). Der Halter einer Schiabfahrt ist demnach nicht verpflichtet, Maßnahmen zum Schutz der Schifahrer vor jeder möglichen Pistengefahr zu ergreifen (1 Ob 41/00m mwN; RIS-Justiz RS0023233). Nur atypische Gefahren erfordern Sicherungsmaßnahmen. Atypisch ist eine Gefahr dann, wenn sie unter Bedachtnahme auf das Erscheinungsbild und den angekündigten Schwierigkeitsgrad der Piste auch für einen verantwortungsbewussten Schifahrer unerwartet auftritt oder nur schwer abwendbar ist. Das betrifft vor allem Hindernisse, die ein Schifahrer nicht ohne weiteres erkennen oder trotz Erkennbarkeit nur schwer vermeiden kann (1 Ob 41/00m mwN; RIS-Justiz RS0023417). Art und Umfang der Sicherungspflicht bestimmen sich nach dem Verhältnis zwischen Größe und Wahrscheinlichkeit der atypischen Gefahr sowie deren Abwendbarkeit durch verantwortungsbewusstes Verhalten des Pistenbenützers einerseits und den Einsatz von nach der Verkehrsanschauung adäquaten Sicherungsmitteln durch den Pistenhalter andererseits (1 Ob 22/04y; RIS-Justiz RS0023237). Die Verpflichtung zur Pistensicherung erstreckt sich nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch auf den Pistenrand, weil mit dem Sturz eines Schifahrers über den Pistenrand hinaus jederzeit, also auch bei mäßiger Geschwindigkeit, gerechnet werden muss (1 Ob 583/89, 6 Ob 661/94; 4 Ob 299/98v; je mwN). Atypische Gefahrenquellen sind daher auch dann zu sichern, wenn sie sich knapp neben der Piste befinden (8 Ob 1685/92; 4 Ob 299/98v). Es wurde auch bereits ausgesprochen, dass bei Schipisten, die bis auf wenige Meter an abbrechende Felsen, Steilflanken oder ähnliche Geländeformationen heranführen, geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen sind (1 Ob 401/97w; 1 Ob 41/00m; 8 Ob 26/03m ua).

Dem Berufungsgericht ist bei Anwendung dieser Grundsätze keine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen, wenn es im Fehlen einer Absicherung der Absturzstelle durch die beklagte Partei eine Verletzung der Pistensicherungspflicht erkannte:

Der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 27. 10. 1993, 7 Ob 577/93, auf die sich die Revisionswerberin beruft, lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem ein Schifahrer beim Abschwingen auf einem nahezu geradlinig verlaufenden Schiweg verkantete und über die sich neben der talseitigen Pistenbegrenzung befindliche Böschung stürzte. Im vorliegenden Fall musste der Verunfallte eine Rechtskurve durchfahren, um von der Abfahrtspiste in die den Hang querende und sich über eine 25 m lange Wegstrecke von 20 m auf 4,5 m Breite trichterförmig verengende Zufahrt zur Liftstation zu gelangen, wobei unterhalb der vom talseitigen Pistenrand dieser Zufahrt abfallenden Böschung schneefreie und ungesicherte Steine und Felsstücke unterschiedlicher Größe lagen. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die in der Entscheidung 7 Ob 577/93 vertretene Rechtsauffassung sei mangels Vergleichbarkeit der tatsächlichen Umstände auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, hält sich im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums.

Auch aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 23. 10. 2003, 6 Ob 240/03t, sind keine Erkenntnisse zu gewinnen, die eine Korrektur der Rechtsansicht des Berufungsgerichts aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit erfordern würden. Das Wissen eines durchschnittlichen und verantwortungsbewussten Schifahrers um die ihn außerhalb der Piste erwartenden Gefahren ändert nichts an der Verpflichtung des Pistenhalters, solche Gefahrenquellen entweder zu beseitigen oder durch zumutbare Maßnahmen abzusichern, sofern sie unmittelbar neben dem Pistenrand gelegen und - wie hier die ungesicherten Steine und Felsstücke am Fuße der rund 4 m hohen, steilen Böschung - für einen herannahenden Schifahrer nicht erkennbar sind.

b) Zur Revision der erstklagenden Partei:

Der Oberste Gerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass selbst auf fahrtechnische Fehler zurückzuführende Stürze von Schiläufern noch nicht rechtlich vorwerfbar sind, dem Schifahrer jedoch ein dem Sturz vorausgegangenes vermeidbares Fehlverhalten zur Last fallen kann, das den Sturz herbeigeführt hat und deshalb als einleitende Fahrlässigkeit zu beurteilen ist (5 Ob 182/99x; RIS-Justiz RS0109663, RS0023465, RS0111453). Als fahrtechnische Fehler kommen etwa das Verkanten (5 Ob 182/99x, 7 Ob 289/00a uva), die Einhaltung einer für das Fahrkönnen zu hohen Geschwindigkeit oder unkontrolliertes Fahren (1 Ob 401/97w; RIS-Justiz RS0023465) in Betracht. Auch die nicht durch das Fahrverhalten Dritter beeinträchtigte Einhaltung einer Fahrlinie, die zu einem unfreiwilligen Abkommen von der Piste führt, ist als ein Verschulden indizierender Fahrfehler des Schifahrers zu qualifizieren (vgl 1 Ob 75/00m; 10 Ob 170/00y; auch Pichler, Zur Beweislast für Mitverschulden in Pistensicherungsfällen, in ZVR 1999, 362 ff). Beweist nun der Schädiger einen Verstoß des Geschädigten aufgrund eines fahrtechnischen Fehlers - also einen typischen, Sorglosigkeit gegenüber eigenen Rechtsgütern indizierenden Geschehnisablauf -, ist damit prima facie auch der für die Annahme eines Mitverschuldens erforderliche Sorgfaltsverstoß bewiesen (7 Ob 289/00a mwN). Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Verunglückte „in gemäßigtem Tempo sowie aufrechter Haltung und ohne erkennbar in einer Sturzposition zu sein, in einer zur Liftzufahrt etwas schräg (also nicht im rechten Winkel) verlaufenden Spur vor dem Beginn des Absperrnetzes über den Pistenrand hinausgefahren" ist. Die Einschätzung eines derartigen Fahrverhaltens als „typisches Bild eines unkontrollierten Fahrens", das prima facie eine eigene Sorglosigkeit (etwa Unaufmerksamkeit) indiziert, stellt keine auffallende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts dar. Unter diesen Umständen wäre es aber an der Erstklägerin gelegen gewesen, Umstände darzutun, die das Abkommen von der Piste als unvermeidbar oder unvorhersehbar erkennen und damit das indizierte Verschulden ihres Ehemanns ausschließen ließen. Dazu verwies sie aber nur auf die schlechten Pistenverhältnisse (Steine in der Kurveninnenseite), also auf Umstände, mit denen vor allem gegen Ende des Winters jeder geübte Schifahrer rechnen und seine Fahrweise darauf einstellen muss (vgl 5 Ob 182/99x; 7 Ob 289/00a). Dieses Vorbringen war daher von vornherein nicht geeignet, die indizierte Fahrlässigkeit des Verunglückten zu entkräften.

c) Zu beiden Revisionen:

Die Verschuldensabwägung richtet sich stets nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (7 Ob 289/00a; 8 Ob 26/03m uva). In der Annahme gleichteiligen Verschuldens liegt keine gravierende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste.

Da es der Lösung von Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung nicht bedarf, sind beide außerordentlichen Revisionen zurückzuweisen.

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