OGH 4Ob31/05w

OGH4Ob31/05w5.4.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Lothar Wiltschek, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Verlagsgruppe N***** GmbH, *****, vertreten durch Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Veröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 50.000,00 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 20. Dezember 2004, GZ 15 R 186/04i-8, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Gemeinschaftsrechtsbezug:

Nach Auffassung der Beklagten ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Verhältnis zwischen § 9a Abs 2 Z 8 UWG und Art 30 EGV auch auf einen Sachverhalt mit reinem Inlandsbezug anzuwenden. Die Vorinstanzen hätten jedoch im Widerspruch zu dieser Rechtsprechung keine Untersuchung des österreichischen Pressemarkts zur Frage vorgenommen, ob die Beklagte mit kleinen Presseunternehmen im Wettbewerb stehe, von denen angenommen werden könne, dass sie keine vergleichbaren Preise aussetzten. Das Rekursgericht habe auch nicht die Rechtsprechung des EGMR zu Art 10 EMRK beachtet, „nach der die Dominanz des Wettbewerbsrechts zu Gunsten der Medienfreiheit zurückgedrängt" werde.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass Urteile des Europäischen Gerichtshofs die Gerichte der Mitgliedstaaten auch für andere Fälle binden und objektives Recht schaffen; insoweit werde § 12 ABGB eingeschränkt (RIS-Justiz RS0109592). Fehlt es - wie im vorliegenden Fall - an einem grenzüberschreitenden Bezug des Sachverhalts, wird eine allfällige Inländerdiskriminierung zwar weder vom allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art 6 EGV noch auch von anderen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen erfasst, doch ist sie einer mitgliederstaatlichen Regelung zugänglich. Das Gemeinschaftsrecht ist der Frage der Inländerdiskriminierung, das heißt der Benachteiligung von Inländern gegenüber Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die von ihren Rechten aufgrund des Gemeinschaftsrechts Gebrauch gemacht haben, nämlich neutral gegenüber eingestellt und verbietet eine Diskriminierung von Inländern durch nationale Rechtsvorschriften nicht (EuGH C-206/91 = ZER 1994/216; EuGH C-419/92 ua = ecolex 1994, 734; 4 Ob 364/97a = ÖBl 1998, 250 - NEWS-GEWINNSPIELE; 8 ObA 238/98b = SZ 71/192). Es hindert daher das nationale Gericht nicht daran, die Inländerdiskriminierung etwa am Gleichheitsgrundsatz auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen (EuGH C-419/92 ua; 4 Ob 364/97a - NEWS-GEWINNSPIELE; Knobl, Inländerdiskriminierung aus verfassungsrechtlicher Sicht, FS Rill 293 f [330]; Mayer, Die österreichische Grundrechtsordnung nach dem EU-Beitritt, AnwBl 1996, 152 ff [155, 158]). Sowohl der Verfassungsgerichtshof (B 592/96 = EuGRZ 1997, 362) als auch der Oberste Gerichtshof (4 Ob 364/97a - NEWS-GEWINNSPIELE) haben deshalb auch schon ausgesprochen, dass eine Schlechterstellung österreichischer Staatsangehöriger gegenüber Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten vermieden werden solle.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (C-368/95 = ÖBl 1997, 229 - LAURA; vgl dazu Hödl, Die Folgen des EuGH-Urteils "Familiapress" für § 9a UWG; Gamerith, Erste Vorabentscheidung des EuGH zum UWG, ÖBl 1997, 145) und des Obersten Gerichtshofs (4 Ob 364/97a - NEWS-GEWINNSPIELE; 4 Ob 26/99y = ÖBl 1999, 240 - TV Movie; 4 Ob 249/98s = ÖBl 1999, 197 - LAURA) handelt es sich bei dem für Printmedien in Österreich generell geltenden Verbot von Zugaben in Form der Einräumung einer Teilnahmemöglichkeit an Gewinnspielen nach § 9a Abs 2 letzter Satz UWG um eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art 28 EGV. Das Verbot ist daher nur anwendbar, wenn es durch das Ziel der Erhaltung der Medienvielfalt gerechtfertigt ist und dieser Zweck nicht durch weniger beschränkende Maßnahmen erreicht werden kann. Das Gericht hat aufgrund einer Untersuchung des österreichischen Pressemarkts zu beurteilen, ob Zeitschriften, die mit Preisausschreiben, Rätseln oder Gewinnspielen eine Gewinnchance eröffnen, mit kleinen Presseunternehmen in Wettbewerb stehen, die sich derartige Verkaufsanreize nicht leisten können. Außerdem ist zu prüfen, ob solche Gewinnchancen einen Kaufanreiz auslösen, der zu einer Verlagerung der Nachfrage führen kann.

Die zu prüfenden Fragen betreffen nicht den anspruchsbegründenden Sachverhalt, wie ihn der Kläger auch sonst zu behaupten und zu beweisen hat, sondern die von den Verhältnissen auf dem nationalen Pressemarkt und von der Eignung des Gewinnspiels, zu einer Verlagerung der Nachfrage zu führen, abhängige Anwendbarkeit des § 9a Abs 1 Z 1 und Abs 2 Z 8 UWG. Ob eine Norm anwendbar ist, hat das Gericht als Teil der rechtlichen Beurteilung zu prüfen.

Das Gericht wird, soweit die Verhältnisse auf dem Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt nicht notorisch sind, regelmäßig Sachverständigengutachten einzuholen haben, um feststellen zu können, ob unter den Mitbewerbern kleine Presseunternehmen sind, die sich derartige Gewinnspiele nicht leisten können. Die Einholung von Sachverständigengutachten ist mit dem Zweck des Provisorialverfahrens nicht vereinbar. Mit einstweiliger Verfügung können daher Gewinnspiele ausländischer und um eine Inländerdiskriminierung zu vermeiden auch inländischer Zeitungen und Zeitschriften nur verboten werden, wenn das Gericht die Verhältnisse auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt so weit kennt, dass die Marktposition der österreichischen Konkurrenzunternehmens glaubhaft, dh wahrscheinlich ist, oder wenn der Kläger entsprechende Bescheinigungen erbringt (4 Ob 26/99y TV Movie; s auch 4 Ob 249/98s LAURA).

Mit dieser Rechtsprechung steht die angefochtene Entscheidung im Einklang. Die Vorinstanzen haben zu Recht darauf verwiesen, dass die Verhältnisse auf dem relevanten österreichischen Zeitschriftenmarkt gerichtsbekannt sind. Die von der Beklagten erwähnte „beachtenswerte Weiterentwicklung des Zeitschriftenmarktes" hat (noch) nicht dazu geführt, dass sämtliche kleineren Verlage, die Zeitschriften mit einem der Zeitschrift „News" vergleichbarem Inhalt anbieten, vom Markt verschwunden wären.

Keine erhebliche Rechtsfrage macht die Beklagte auch insoweit geltend, als sie auf die Entscheidung des EGMR vom 11. Dezember 2003 (= ÖJZ 2004/14) verweist. Gegenstand dieser Entscheidung ist das Verhältnis zwischen einer Werbung durch Vergleich des Preises zweier Tageszeitungen und der Freiheit der Meinungsäußerung im Sinne des Art 10 EMRK. Im vorliegenden Fall geht es um einen Verstoß gegen das Zugabenverbot durch die Veranstaltung von Gewinnspielen. Die Veranstaltung von Gewinnspielen ist kein Fall einer Meinungsäußerung, wie sie Art 10 EMRK schützt. Eine „Medienfreiheit", wie sie die Beklagte als „Freiheit der Medien, durch Zugabenaktionen neue Leser zu generieren und an sich zu binden", definiert, wird durch Art 10 EMRK nicht garantiert. Selbst wenn aber die Ankündigung von Zugaben als Mittel kommerzieller Werbung der Meinungsäußerungsfreiheit unterstellt würde, wäre für die Beklagte nichts gewonnen. Das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit wird im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des EGMR nur durch unverhältnismäßige Maßnahmen verletzt; dass ein zur Sicherung der Medienvielfalt erlassenes Zugabenverbot nicht unverhältnismäßig ist, ist offenkundig.

2. Gewinnspiele als Zeitungsbestandteil:

Die Beklagte verweist darauf, dass in Österreich erhältliche deutsche Zeitschriften regelmäßig Gewinnspiele ankündigten. Die Veranstaltung von Gewinnspielen und deren Ankündigung auf der Titelseite sei zu einem Zeitungsbestandteil geworden. Gewinnspiele seien Teil des Unterhaltsangebots von Zeitschriften. Österreichische Zeitungs- und Zeitschriftenverlage stünden nicht nur in Konkurrenz zu deutschen Printprodukten, sondern auch zu elektronischen Medien. Es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob Gewinnspiele als Zeitungsbestandteile zu betrachten seien.

Der Oberste Gerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, dass bei der Beurteilung, ob eine „Zugabe" zu einer Zeitung vorliegt, auf die sich wandelnde Verkehrsauffassung Bedacht zu nehmen ist (4 Ob 329/99g = MR 2000, 110 KLASSIK-CD; 4 Ob 117/00k = ÖBl 2000, 268 ZIGUENERKARTEN; 3 Ob 60/01x). Dass sich die Verkehrsauffassung in dem von der Beklagten behaupteten Sinn geändert hätte, ist aber weder notorisch noch dem bescheinigten Sachverhalt zu entnehmen. Für deutsche Zeitschriften gelten in Österreich im Übrigen die gleichen Beschränkungen wie für inländische Zeitschriften.

3. Die einzelnen Zugaben:

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO nicht vor, wenn lediglich zu beurteilen ist, ob der ausgespielte Preis geeignet ist, einen entsprechenden Anlockeffekt zu bewirken (4 Ob 178/99a), ob der Wert eines Reklamegegenstands so weit herabgemindert wurde, dass die Verhältnismäßigkeit zum Wert der Hauptware gegeben ist (4 Ob 45/00x - SONNENFINSTERNISBRILLE I), oder ob die Ankündigung einer alternativen Teilnahmemöglichkeit den gleichen Auffälligkeitswert hat wie die Zugabenankündigung (4 Ob 136/00d = ÖBl 2000/111 - GRATIS-VIDEO). Gleiches gilt für die Frage, ob ein konkretes Gewinnspiel Teil einer längeren Serie von Gewinnspielen ist oder - nach einem gewissen Abstand - der Beginn einer neuen Serie, weil auch dieser Frage keine Bedeutung über den Einzelfall hinaus zukommt. Es liegt daher keine erhebliche Rechtsfrage vor, soweit die Beklagte darzulegen versucht, dass sämtliche inkriminierten Aktionen („Schnipp-Schnapp-Aktion"; „Traumhaus"- und „Urlaubsgewinnspiel"; „Fußball-EM-Gewinnspiel") keine unzulässigen Zugaben gewesen seien.

4. Umfang der Unterlassungsverpflichtung:

Grundsätzlich erachtet der Oberste Gerichtshof bei Verstößen gegen das Zugabenverbot durch kostenlose Sachzugaben in ständiger Rechtsprechung eine allgemeine Fassung des Unterlassungsgebots schon deshalb für gerechtfertigt, weil es dem Unternehmer bei Auswahl der Zugabe im Allgemeinen nicht so sehr auf die besondere Beschaffenheit der Ware, sondern auf ihren Wert ankommt und er das Verbot einer bestimmten Zugabe nur allzu leicht durch Verwendung einer anderen - nicht einmal ähnlichen - Ware als Zugabe umgehen könnte (4 Ob 17/91 = ÖBl 1991, 105 - HUNDERTWASSER-PICKERLN II; 4 Ob 16/91 = ÖBl 1991, 108 - SPORT-SONNENBRILLE; 4 Ob 364/97a - NEWS-GEWINNSPIELE; 4 Ob 28/03a = ÖBl 2004/9). Maßgebend ist damit immer, mit welchen Verstößen in Zukunft zu rechnen ist. Die Ankündigung und Gewährung von Sachzugaben rechtfertigt nicht die Befürchtung, der Beklagte werde in Zukunft auch Zugaben zu Scheinpreisen abgeben oder Gewinnspiele veranstalten. Insoweit ist das Unterlassungsgebot daher auf die tatsächliche Tathandlung zu beschränken (4 Ob 204/00d = SZ 73/162 - 10 MILLIONEN-GEWINNSPIEL; 4 Ob 248/00z = ÖBl 2001, 169 - SONNENFINSTERNISBRILLE IV; 4 Ob 278/00m = ÖBl 2002, 23 - RIESENGEWINNSPIEL; 4 Ob 28/03a).

Die Vorinstanzen haben sich bei Formulierung des Unterlassungsgebots an den Grundsätzen dieser Rechtsprechung und insbesondere an der Entscheidung 4 Ob 204/00d - 10 MILLIONEN-GEWINNSPIEL orientiert. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt daher auch insoweit nicht vor.

5. Die Beklagte rügt zuletzt noch, die Vorinstanzen hätten zu Unrecht keine Sicherheitsleistung aufgetragen. Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 4 Ob 249/98s - LAURA eine Sicherheitsleistung angeordnet hat. Begründet wurde der Auftrag damit, dass nicht mit ausreichender Sicherheit beurteilt werden könne, ob die Annahmen über die Marktverhältnisse und die mögliche Nachfrageverlagerung tatsächlich zuträfen; diese Frage werde vielmehr erst im Hauptverfahren endgültig geklärt werden können, in welchem das Erstgericht die erforderlichen Gutachten einzuholen haben werde. Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass ihm die Verhältnisse auf dem maßgeblichen Markt für Unterhaltungszeitschriften von der Art der Zeitschrift „Laura" - und die tatsächlichen Auswirkungen der in „Laura" veranstalteten Gewinnspiele auf die Nachfrage nach anderen Frauenzeitschriften vergleichbaren Inhalts - nicht bekannt seien. Im vorliegenden Fall handelt es sich hingegen um Zeitschriften, die sich mit Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und dergleichen befassen; auf diesem Zeitschriftenmarkt sind die Verhältnisse wie oben dargelegt und soweit für die Entscheidung erheblich gerichtsbekannt.

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