OGH 7Ob69/04d

OGH7Ob69/04d31.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des am ***** geborenen Paul B*****, vertreten durch den Sachwalter Dr. Lothar G*****, Rechtsanwalt in Feldkirch, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin Mag. Evelin M*****, vertreten durch Dr. Hermann Rieder, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgericht vom 13. Jänner 2004, GZ 3 R 3/04w-57, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung

Für den nun 85-jährigen Paul B***** (im Folgenden Betroffener) und dessen Ehefrau Friederike B***** wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 16. 7. 2002 Dr. Lothar G*****, Rechtsanwalt in Feldkirch zum Sachwalter für alle Angelegenheiten bestellt (§ 273 Abs 3 Z 3 ABGB). Friederike B***** ist am 21. 10. 2002 verstorben. Sie hat in einem im Verlassenschaftsverfahren zu 12 A 531/02z BG Feldkirch kundgemachten, vom 27. 6. 2001 datierenden Testament den Betroffenen als Erben eingesetzt und die gemeinsame eheliche Tochter Mag. Evelin M*****, geborene B***** auf den Pflichtteil gesetzt.

Die Tochter (im Folgenden Antragstellerin) beantragte, ihr bzw ihrem rechtsfreundlichen Vertreter Einsicht in die Pflegschafts-(Sachwalterschafts-)akten ihrer Eltern 19 P 39/02h und 19 P 40/02g je BG Feldkirch zu gewähren. Im Hinblick auf die zeitliche Nähe der Testamentserrichtung und der Sachwalterbestellung bestünden Zweifel an der Gültigkeit des Testamentes, die ohne Kenntnis des Inhaltes der Pflegschaftsakten nicht beurteilt werden könne.

Der Sachwalter des Betroffenen stimmte einer Akteneinsicht nicht zu. Das Erstgericht wies den Antrag ab.

Das von der Antragstellerin angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Berücksichtige man, dass der Betroffene unter Berufung auf die Gültigkeit des Testamentes am 12. 6. 2003 eine bedingte Erbserklärung abgegeben habe und die Akteneinsicht dazu diene, Umstände zu erheben, die möglicherweise eine Klage auf Anfechtung des Testamentes zur Folge hätten, könne unter Bedachtnahme auf den Schutz des Betroffenen eine Akteneinsicht nicht bewilligt werden. Vielmehr würde durch die Bewilligung der Akteneinsicht der bestehende Schutz auf personenbezogene Daten ins Gegenteil verkehrt, wenn der Antragstellerin ein ihr sonst (ohne das Sachwalterschaftsverfahren) [nicht] offen stehende Möglichkeit geschaffen würde, ihre Lage im künftigen Rechtsstreit zu verbessern.

Zur Stützung seiner Rechtsansichten berief sich das Rekursgericht auf die oberstgerichtlichen Entscheidungen 4 Ob 125/97d, 4 Ob 208/02w; 8 Ob 71/03d und 1 Ob 205 206/74, EFSlg 23.514/1 = SZ 41/141. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, da die Voraussetzungen für die Zulassung im Hinblick auf die von ihm zitierte Rechtsprechung nicht vorlägen.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Antragstellerin erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 14 Abs 1 AußStrG unzulässig.

Nach stRsp sind auf die Akteneinsicht im Außerstreitverfahren die Bestimmungen des § 219 ZPO und des § 170 Geo sinngemäß anzuwenden (Danzl, Komm Geo Anm 3c zu § 170 wmN; SZ 47/141; JBl 1973, 581; RdW 1999, 79; 1 Ob 109/02i; 4 Ob 208/02w; 7 Ob 48/03i ua). Danach können Dritte mit Zustimmung aller Parteien in den Akt Einsicht nehmen; ohne Zustimmung der Parteien kann ihnen Akteneinsicht nur gewährt werden, wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen. Im Bereich des Außerstreitverfahrens erfährt das Recht des am Verfahren nicht Beteiligten auf Akteneinsicht allerdings insoweit eine Modifikation, als auf Wesen und Zweck des Verfahrens Bedacht zu nehmen ist. Die Eigenart der in diesem Verfahren abzuwickelnden Angelegenheiten liegt nämlich darin, dass vielfach Familien- oder Vermögensverhältnisse offen gelegt werden, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und daher schützenswert sind. Aus dem Grundrecht auf Datenschutz ergibt sich, dass jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten hat, soweit er daran ein schutzwürdiges Interesse, insbesondere im Hinblick auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, hat (§ 1 Abs 1 DSG; 8 Ob 511/93 mwN; 4 Ob 125/97d; 4 Ob 208/02w; 7 Ob 48/03i). Für den Bereich des Sachwalterrechtes tritt noch hinzu, dass der Gesetzgeber in § 248 AußStrG eine differenzierte Regelung der Verständigung getroffen hat. Zwar wird durch diese Regelung die Möglichkeit der Gewährung von Akteneinsicht auch im Sachwalterschaftsverfahren nicht ausgeschlossen, doch erfährt sie insoweit eine Einschränkung, als sie dann nicht zu bewilligen ist, wenn bereits durch die im Gesetz vorgesehene Verständigung den vom Antragsteller glaubhaft gemachten rechtlichen Interesse hinreichend Rechnung getragen werden kann (8 Ob 511/93, RIS-Justiz RS0008863). Einen Schutzmechanismus sieht das Außerstreitgesetz auch in seinem § 2 Abs 3 Z 10 vor: Danach hat das Gericht ua keine "zu der Teilnehmenden Sicherheit" (dh zur Sicherheit der Parteien und Beteiligten) nötige Vorsicht zu vernachlässigen. Diese Bestimmung macht es dem Gericht nicht nur zur Pflicht, alle zur Wahrung der körperlichen Integrität der Verfahrensparteien erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, sondern auch den ihnen zukommenden Grundrechtsschutz zu gewährleisten (1 Ob 109/02i; 4 Ob 208/02w; RIS-Justiz RS0116604). Gemäß Art 8 MRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist der Begriff "Privatleben" nicht eng auszulegen: Die Achtung des Privatlebens umfasse insbesondere auch das Recht, Beziehungen mit anderen Menschen zu knüpfen und zu entwickeln. Auch Daten mit Bezug auf das "Privatleben" unterlägen dem Schutz des Art 8 MRK (EGMR, 16. 2. 2000, ÖJZ 2001, 1 [MRK], MWH). Wie der Oberste Gerichtshof ua in der bereits erwähnten Entscheidung 7 Ob 48/03i betont hat, ist in diesem Zusammenhang auch noch die durch Art IV KindRÄG 2001, BGBl I 2000/135, mit Wirkung vom 1. 7. 2001 erfolgte Neufassung des § 209 AußStrG zu berücksichtigen. Danach dürfen Auskünfte über die Vermögensverhältnisse eines Pflegebefohlenen nur den betroffenen Pflegebefohlenen und ihren gesetzlichen Vertretern, nicht aber sonstigen Personen erteilt werden. Die damit im Interesse der Geheimhaltung der Vermögensverhältnisse der beteiligten Minderjährigen verfügte Beschränkung der gerichtlichen Auskünfte erstreckt sich nach den Gesetzesmaterialien (BlgNR 21. GP RV 296) auch auf die Akteneinsicht und verdrängt insoweit die Regelungen der Geo. Das damit statuierte ausnahmslose Weitergabeverbot personenbezogener Daten gegenüber Dritten betrifft zwar ausdrücklich nur die Vermögensverhältnisse (minderjähriger) Pflegebefohlener; die dieser Regelung zugrundeliegende Wertung ist aber auch in Sachwalterschaftsverfahren beachtenswert (vgl 4 Ob 208/02w). Mit diesen Grundsätzen steht die gegenständliche Entscheidung in Einklang. Soweit die Revisionsrekurswerberin geltend macht, ihr müsse schon im Hinblick darauf, dass sie die einzige, pflichtteilsberechtigte Tochter sei, Akteneinsicht gewährt werden, ist sie darauf hinzuweisen, dass der Oberste Gerichtshof erst jüngst wiederholt (4 Ob 208/02w und 8 Ob 71/03d) ausgesprochen hat, dass auch nahen Angehörigen die Akteneinsicht zu verweigern ist, wenn es - wie hier - um Daten geht, die den Geisteszustand einer Verfahrenspartei in einem Verfahren zur Überprüfung, ob ein Sachwalter zu bestellen ist, betreffen (vgl auch 7 Ob 48/03i). In 8 Ob 71/03d wurde auch besonders betont, dass einem künftigen Prozessgegner eines Pflegebefohlenen keine Akteneinsicht in den Pflegschaftsakt zu gewähren ist (RIS-Justiz RS0116925 [T 1]). Nicht stichhältig ist auch der Einwand der Revisionsrekurswerberin, ihr müsse es doch möglich sein, durch Akteneinsicht die auflaufenden Kosten des Sachwalters zu überprüfen. Abgesehen davon, dass dies neuerungsweise vorgebracht wird und schon deshalb unbeachtlich ist, wird übersehen, dass es sich beim Sachwalterschaftsverfahren um ein amtswegiges Rechtsfürsorgeverfahren handelt und die Bestimmung der Belohnung des Sachwalters dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtes obliegt (RIS-Justiz RS0048959). Betreffend die verstorbene Ehegattin des Betroffenen ist noch zu bemerken, dass das Sachwalterschaftsverfahren mit dem Ableben des Besachwalteten endet. Da die Rechte des Besachwalteten auf dessen Erben übergehen, hat dieser ein rechtliches Interesse, in die Rechnung des Sachwalters Einsicht zu nehmen (RIS-Justiz RS0106077). Daraus ließe sich im vorliegenden Fall also nur ein Einsichtsrecht des Vaters herleiten. Da dieser selbst besachwaltet ist und sein Sachwalter auch jener der verstorbenen Ehefrau war, wäre also allenfalls ein Kollisionskurator zu bestellen (vgl RIS-Justiz RS0048964).

Der Revisionsrekurswerberin gelingt es sohin nicht, einen tauglichen Grund für die Zulassung ihres außerordentlichen Rechtsmittels aufzuzeigen. Ihr daher unzulässiger Revisionsrekurs muss zurückgewiesen werden.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 16 Abs 4 AußStrG iVm § 510 Abs 3 ZPO).

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