OGH 4Ob208/02w

OGH4Ob208/02w15.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des am ***** geborenen Wolfgang S*****, infolge Revisionsrekurses seiner Kinder 1. KR Wolfgang S*****, 2. Ulrike S*****, beide vertreten durch Dr. Dieter Huainigg und Mag. Gunter R. Huainigg, Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 19. Juli 2002, GZ 4 R 173/02m-29, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 17. April 2002, GZ 3 P 109/01x-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Das beim Erstgericht geführte Verfahren zur Überprüfung, ob für Wolfgang S***** ein Sachwalter zu bestellen ist, wurde auf Anregung von zwei der insgesamt vier Kinder des Betroffenen (der nunmehrigen Rechtsmittelwerber) eingeleitet. Diese beantragten mit am 28. 3. 2002 eingelangtem Schriftsatz (ON 17), ihrem Rechtsvertreter Akteneinsicht insbesondere über das Ergebnis der Erstanhörung und das mittlerweile eingeholte psychiatrische Sachverständigengutachten zu gewähren. Sie hätten nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein rechtliches Interesse, dass ihr testamentarisches und gesetzliches Erbrecht nicht durch rechtsunwirksame, zumindest aber anfechtbare Handlungen ihres Bruders Mag. Walter S*****, in dessen Obhut sich der gemeinsame Vater befinde, geschmälert werde. Ihr Bruder setze den Vater mit der unwahren Behauptung, nur er kümmere sich um ihn, unter psychischen Druck und versuche zu verhindern, dass Dritte objektive Wahrnehmungen über den Geisteszustand des Vaters machten.

Der gem. § 238 Abs 1 AußStrG bestellte Verfahrenssachwalter sprach sich gegen den Antrag aus.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Akteneinsicht ab. Seien die Interessen Pflegebefohlener zu wahren, hätten Dritte grundsätzlich kein Einsichtsrecht in einen Sachwalterbestellungs- oder Betreuungsakt. Hier hätten die Antragsteller zur Begründung ihres Antrags nur eigene Interessen angeführt, weshalb sie von einer Akteneinsicht ausgeschlossen seien.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Akteneinsicht durch Dritte in einem Sachwalterbestellungsverfahren fehle. Vor Abschluss eines Verfahrens zur Prüfung der Voraussetzungen der Bestellung eines Sachwalters stünde der Persönlichkeitsschutz für den Betroffenen und datenschutzrechtliche Erwägungen einer Akteneinsicht Dritter entgegen, weil andernfalls persönliche Belange des Betroffenen vor Dritten offen ausgebreitet würden. Die Rücksichtnahme auf die Persönlichkeits- und Privatsphäre des Betroffenen habe - vor allem angesichts der immer möglichen Verfahrenseinstellung ohne Sachwalterbestellung - absoluten Vorrang vor der Wahrung wirtschaftlicher und rechtlicher Interessen Dritter.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Einschreiter ist nicht berechtigt. Die Rechtsmittelwerber verweisen auf ihr Interesse, sich durch die begehrte Akteneinsicht ein objektives Bild vom Geisteszustand ihres Vaters machen zu können, dies insbesondere im Hinblick auf die Wirksamkeit eines Liegenschaftsübergabevertrags zwischen ihrem Vater und einem ihrer Brüder und daraus allenfalls resultierende Pflichteilergänzungsansprüche. Dazu ist zu erwägen:

Nach ständiger Rechtsprechung sind auf die Akteneinsicht im Außerstreitverfahren die Bestimmungen des § 219 ZPO und des § 170 GeO sinngemäß anzuwenden (SZ 47/141; JBl 1973, 581; 8 Ob 511/93; RdW 1999, 79; 1 Ob 109/02i). Danach können Dritte mit Zustimmung aller Parteien in den Akt Einsicht nehmen; ohne Zustimmung der Parteien kann ihnen Akteneinsicht nur gewährt werden, wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen. Dabei ist auf Wesen und Zweck des Außerstreitverfahrens Bedacht zu nehmen.

Im Außerstreitverfahren werden vielfach Familien- und Vermögensverhältnisse offengelegt, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Aus dem Grundrecht auf Datenschutz ergibt sich, dass jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten hat, soweit er daran ein schutzwürdiges Interesse, insbesondere im Hinblick auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, hat (§ 1 Abs 1 DSG; 8 Ob 511/93 mwN und 4 Ob 125/97d zum Sachwalterverfahren).

Auch das Außerstreitgesetz selbst sieht in seinem § 2 Abs 3 Z 10 einen Schutzmechanismus vor: Danach hat das Gericht unter anderem keine zu der Teilnehmenden Sicherheit nötige Vorsicht zu vernachlässigen. Diese Bestimmung macht es dem Gericht nicht nur zur Pflicht, alle zur Wahrung der körperlichen Integrität der Verfahrensparteien erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, sondern auch den ihnen zukommenden Grundrechtsschutz zu gewährleisten (1 Ob 109/02i). Gemäß Art 8 MRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist der Begriff "Privatleben" nicht eng auszulegen:

Die Achtung des Privatlebens umfasse insbesondere auch das Recht, Beziehungen mit anderen Menschen zu knüpfen und zu entwickeln. Auch Daten mit Bezug auf das "Privatleben" unterlägen dem Schutz des Art 8 MRK (EGMR, 16. 2. 2000, ÖJZ 2001/1 [MRK] mwH).

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang zuletzt auch die durch Art VI KindRÄG 2001, BGBl I 2000/135, mit Wirkung vom 1. 7. 2001 erfolgte Neufassung des § 209 AußStrG. Danach dürfen Auskünfte über die Vermögensverhältnisse eines Pflegebefohlenen nur den betroffenen Pflegebefohlenen und ihren gesetzlichen Vertretern, nicht aber sonstigen Personen erteilt werden. Dieses ausnahmslose Weitergabeverbot personenbezogener Daten gegenüber Dritten betrifft zwar ausdrücklich nur die Vermögensverhältnisse Pflegebefohlener; die dieser Regelung zugrundeliegende Wertung lässt sich aber auch auf den hier zu entscheidenden Fall anwenden: Es ist kein Grund zu erkennen, weshalb einem Dritten ohne Zustimmung des Betroffenen der Zugang zu solchen - gegenüber den Vermögensverhältnissen viel sensibleren - Daten möglich sein soll, die den Geisteszustand einer Verfahrenspartei in einem Verfahren zur Überprüfung, ob ein Sachwalter zu bestellen ist, betreffen.

Bei der im Sachwalterverfahren besonders sorgfältig vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen einerseits und dem glaubhaft zu machenden rechtlichen Interesse des Dritten andererseits zeigt sich, dass der Antrag der Einschreiter nach den dargestellten Grundsätzen nicht berechtigt ist. Ein konkretes Interesse, Akteneinsicht insbesondere über das Ergebnis der Erstanhörung und das mittlerweile eingeholte psychiatrische Sachverständigengutachten zu nehmen, haben die Antragsteller nicht darlegen können. Der Hinweis auf ihre Befürchtung, in ihren zukünftigen Erbaussichten geschmälert werden zu können, reicht hiefür nicht aus.

Dem Revisionsrekurs ist ein Erfolg zu versagen.

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