OGH 8Ob71/03d

OGH8Ob71/03d26.6.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer, Dr. Spenling und Dr. Kuras und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des am 7. November 1912 geborenen Erwin B*****, Pensionist, ***** vertreten durch den gemäß § 273 ABGB bestellten Sachwalter Mag. Albin H*****, Rechtsanwalt in Innsbruck, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Sachwalters gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 17. April 2003, GZ 51 R 47/03s-28, womit über Rekurs des Alois F*****, vertreten durch Dr. Bernhard Waldhof, Rechtsanwalt in Innsbruck, der Beschluss des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 1. April 2003, GZ 5 P 60/02x-25, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Über Anregung einer Diplomsozialarbeiterin wurde beim Erstgericht ein Verfahren zur Überprüfung, ob für Erwin B***** ein Sachwalter zu bestellen ist, geführt.

Mit Beschluss des Erstgerichtes vom 16. 7. 2002 wurde ein Neffe des Betroffenen zum einstweiligen Sachwalter gemäß § 238 Abs 1 AußStrG bestellt.

Nach Einholung eines psychiatrisch-neurologischen Gutachtens erfolgte mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichtes vom 28. 12. 2002 die Bestellung des nunmehrigen Revisionsrekurswerbers zum Sachwalter. Das Erstgericht betraute den Sachwalter gemäß § 273 Abs 3 Z 2 ABGB mit der Regelung der finanziellen Angelegenheiten, der Vertretung bei Ämtern, Behörden und Gerichten und der Gewährleistung der persönlichen Fürsorge.

Am 24. 3. 2003 beantragte Alois F***** die Gewährung von Akteneinsicht, insbesondere in das eingeholte Gutachten. Er brachte dazu vor, der Betroffene habe ihm vor ca fünf Jahren die (im Wohnungseigentum stehende) Garageneinheit top AE G 1 im Objekt Anton Ederstraße 3, 5, 7 geschenkt und die Garagenschlüssel ausgehändigt. 2001 sei ein schriftlicher Schenkungsvertrag ausgefertigt und in der Folge von beiden Vertragsparteien bei einem Notar gefertigt worden. Die Aufnahme eines Notariatsaktes sei infolge der tatsächlichen Übergabe der Garageneinheit entbehrlich gewesen. Schließlich sei die grundbücherliche Abwicklung des Schenkungsvertrages erfolgt.

Am 5. 3. 2003 habe der Geschenknehmer davon Kenntnis erlangt, dass für den Betroffenen ein Sachwalter bestellt worden sei. Gleichzeitig mit dieser Verständigung sei die Aufforderung zur Rückabwicklung des Schenkungsvertrages ergangen. Der Geschenknehmer habe ein rechtliches Interesse daran, die gutachterlichen Einschätzungen betreffend die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen einzusehen, weil erst danach beurteilt werden könne, ob dem Betreiben des Sachwalters auf Rückabwicklung des Schenkungsvertrages zu folgen sei.

Der Sachwalter sprach sich gegen die Gewährung von Akteneinsicht aus.

Das Erstgericht wies den Antrag ab.

§ 219 ZPO sei sinngemäß anzuwenden. Allerdings erfahre das Recht eines Dritten auf Akteneinsicht im Außerstreitverfahren insoweit eine Modifikation, als auf Wesen und Zweck des Verfahrens Bedacht zu nehmen sei. In Außerstreitverfahren würden vielfach Familien- oder Vermögensverhältnisse offengelegt, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und daher schützenswert seien. Dabei sei auch § 1 Abs 2 DSG zu beachten. Der Zweck des Schutzes der Pflegebefohlenen würde geradezu ins Gegenteil verkehrt, wenn einem künftigen Prozessgegner gerade wegen der Führung eines Pflegschaftsverfahrens eine ihm sonst nicht offenstehende Möglichkeit, seine Lage im künftigen Rechtsstreit zu verbessern, geboten würde.

Das Rekursgericht gab dem dagegen von Alois F***** erhobenen Rekurs teilweise Folge und änderte den Beschluss des Erstgerichtes dahin ab, dass ihm Akteneinsicht, beschränkt auf jene Aktenstücke, die die Geschäfts(un)fähigkeit des Betroffenen betreffen, gewährt werde. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Rechtlich ging das Rekursgericht davon aus, dass Alois F***** jedenfalls ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht habe. Das Recht auf Akteneinsicht erfahre im konkreten Fall jedoch eine weitere Einschränkung, weil sie dann nicht mehr zu bewilligen sei, wenn bereits durch die im Gesetz vorgeschriebene Verständigung (§ 248 AußStrG) dem vom Antragsteller glaubhaft gemachten rechtlichen Interesse hinreichend Rechnung getragen werden könne. Im vorliegenden Fall sei jedoch dem Einsichtswerber mit der Verständigung über die Bestellung eines Sachwalters für den Betroffenen unter Mitteilung seines Wirkungskreises nicht ausreichend gedient. Es lasse sich nicht entnehmen, seit wann und warum die beschränkte Geschäftsfähigkeit des Betroffenen bestehe und ob diese auch den Zeitraum des strittigen Schenkungsvertrages betreffe. Die Akteneinsicht diene dem Zweck, den Einsichtswerber in die Lage zu versetzen, die Beweislage für sich günstiger zu gestalten.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Sachwalter erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, insbesondere von der Entscheidung 4 Ob 208/02w = EvBl 2003/29 abwich. Er ist auch berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung sind auf die Akteneinsicht im Außerstreitverfahren die Bestimmungen des § 219 ZPO und des § 170 Geo sinngemäß anzuwenden (RIS-Justiz RS0005803; JBl 1973, 581; EvBl 2003/29; 1 Ob 109/02i). Danach können Dritte mit Zustimmung aller Parteien in den Akt Einsicht nehmen; ohne Zustimmung der Parteien kann ihnen Akteneinsicht nur gewährt werden, wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen. Das Recht auf Akteneinsicht erfährt im Bereich des Außerstreitverfahrens insoweit eine Modifikation, als dabei auf Wesen und Zweck des Außerstreitverfahrens Bedacht zu nehmen ist. Im Außerstreitverfahren werden vielfach Familien- und Vermögensverhältnisse offengelegt, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Aus dem Grundrecht auf Datenschutz ergibt sich, dass jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten hat, soweit er daran ein schutzwürdiges Interesse, insbesondere im Hinblick auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, hat (§ 1 Abs 1 DSG; 8 Ob 511/93; EvBl 2003/29; siehe auch RIS-Justiz RS0008863).

Auch das Außerstreitgesetz selbst sieht in seinem § 2 Abs 3 Z 10 einen Schutzmechanismus vor: Danach hat das Gericht unter anderem keine zur Sicherheit der Teilnehmenden nötige Vorsicht zu vernachlässigen. Diese Bestimmung macht es dem Gericht nicht nur zur Pflicht, alle zur Wahrung der körperlichen Integrität der Verfahrensparteien erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, sondern auch, den ihnen zukommenden Grundrechtsschutz zu gewährleisten. Gemäß Art 8 MRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist der Begriff "Privatleben" nicht eng auszulegen: Die Achtung des Privatlebens umfasse insbesondere auch das Recht, Beziehungen mit anderen Menschen zu knüpfen und zu entwickeln. Auch Daten mit Bezug auf das "Privatleben" unterliegen dem Schutz des Art 8 MRK (EvBl 2003/29 mH auf EGMR 16. 2. 2000 ÖJZ 2001/1 [MRK]).

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang zuletzt auch die durch Art VI KindRÄG 2001 BGBl I 2000/135 mit Wirkung vom 1. 7. 2001 erfolgte Neufassung des § 209 AußStrG. Danach dürfen Auskünfte über die Vermögensverhältnisse eines Pflegebefohlenen nur den betroffenen Pflegebefohlenen und ihren gesetzlichen Vertretern, nicht aber sonstigen Personen erteilt werden. Dieses ausnahmslose Weitergabeverbot personenbezogener Daten gegenüber Dritten betrifft zwar ausdrücklich nur die Vermögensverhältnisse Pflegebefohlener; die dieser Regelung zugrunde liegende Wertung lässt sich aber auch auf den hier zu entscheidenden Fall anwenden: Es ist kein Grund zu erkennen, weshalb einem Dritten ohne Zustimmung des Betroffenen der Zugang zu solchen - gegenüber den Vermögensverhältnissen viel sensibleren - Daten möglich sein soll, die den Geisteszustand einer Verfahrenspartei in einem Verfahren zur Überprüfung, ob ein Sachwalter zu bestellen ist, betreffen (EvBl 2003/29).

Dabei ist hier insbesondere zu berücksichtigen, dass der Antragsteller ohnedies im Sinne des § 248 Abs 1 bzw 3 AußStrG über die Sachwalterbestellung verständigt wurde. Das Erstgericht ist in diesem Zusammenhang zutreffend davon ausgegangen, dass der Zweck des Schutzes des Betroffenen geradezu ins Gegenteil verkehrt würde, wenn einem künftigen Prozessgegner gerade wegen der Führung eines Sachwalterschaftsverfahrens eine ihm sonst nicht offenstehende Möglichkeit, seine Lage im künftigen Rechtsstreit zu verbessern, geboten würde (SZ 47/141).

Dem berechtigten Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und der erstgerichtliche Beschluss wieder herzustellen.

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