OGH 7Ob48/03i

OGH7Ob48/03i19.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der am 4. April 1919 geborenen Sophie B*****, über den Revisionsrekurs der Kristina S*****, vertreten durch Dr. Reinhard Kohlhofer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. Dezember 2002, GZ 42 R 615/02f-82, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Hietzing vom 24. September 2002, GZ 11 P 94/01i-78, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Für die nun 83-jährige Sophie B***** (im Folgenden Betroffene) wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 8. 7. 1999 Dr. Thomas H*****, Rechtsanwalt in Wien, zum Sachwalter für alle Angelegenheiten (§ 273 Abs 3 Z 3 ABGB) bestellt, weil die Betroffene zufolge ihres ausgeprägten demenziellen Zustandes nicht in der Lage ist, ihre Angelegenheiten ohne die Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen.

Mit Schriftsatz vom 29. 7. 2002 begehrte der mit schriftlicher Vollmacht ausgewiesene anwaltliche Vertreter der Kristina S***** (im Folgenden Antragstellerin), die ihrem Vorbringen nach eine Nichte der Betroffenen ist, die (Herstellung und) Übermittlung von 22, nach Ordnungsnummern und Seitenangaben bezeichneten, Aktenkopien auf seine Kosten. Laut Aktenvermerk vom 24. 7. 2002 hatte die "Kanzlei Dr. Kohlhofer" zuvor an diesem Tag (laut einem weiteren Aktenvermerk vom 18. 9. 2002: ohne Wissen der zuständigen Richterin) "Akteneinsicht genommen".

Mit Beschluss vom 31. 7. 2002 wies das Erstgericht diesen Antrag mit der Begründung ab, die Antragstellerin sei nicht Partei des Verfahrens.

Mit Schriftsatz vom 16. 9. 2002 wiederholte die Antragstellerin daraufhin unter Vorlage einer Erklärung des Sachwalters, seine Einwilligung zur Akteneinsicht und Anfertigung von Aktenkopien zu erteilen, ihren Antrag auf Übermittlung der betreffenden Aktenkopien. Die Betroffene habe wiederholt die Absicht geäußert, bei ihr in Polen Aufenthalt nehmen zu wollen. Um die Ernsthaftigkeit dieser Erklärung beurteilen zu können, sei es notwendig, Rückschlüsse über die Dispositionsfähigkeit der Betroffenen ziehen zu können. Dies sei nur aufgrund einer gründlichen Akteneinsicht möglich.

Das Erstgericht wies den Antrag (neuerlich) ab. Die Antragstellerin habe im Sachwalterschaftsverfahren keine Parteistellung und - im Hinblick auf die vorgebrachte Antragsbegründung - auch kein rechtliches Interesse an den, den geistigen Zustand der Betroffenen betreffenden Aktenteilen. Offenbar habe die Antragstellerin ein massives Interesse an den Vermögensverhältnissen der Betroffenen. Darüber dürften nur einem Betroffenen und seinem gesetzlichen Vertreter, nicht aber sonstigen Personen Auskünfte erteilt werden. Die Zustimmung des Sachwalters zur Akteneinsicht sei unbeachtlich, da die Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht nicht in dessen Kompetenz liege.

Das von der Antragstellerin angerufene Rekursgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz, wobei es aussprach, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Mangels Regelung des Rechtes auf Akteneinsicht im Außerstreitgesetz sei § 219 ZPO sinngemäß anzuwenden. Die Akteneinsicht Dritter werde im Außerstreitverfahren grundsätzlich viel restriktiver gehandhabt als im Zivilprozess. Das Recht auf Information habe, insbesondere im Pflegschaftsverfahren, vor der Persönlichkeitssphäre Halt zu machen. Die Ausschließung der Öffentlichkeit werde in nichtstreitigen Angelegenheiten auch gerade damit gerechtfertigt, dass vielfach Familien- und Geschäftsinteressen verletzt würden, wenn intime Familien- und Vermögensverhältnisse allgemein bekannt würden. Das nur im Interesse des Pflegebefohlenen geführte Pflegschaftsverfahren sei ein rein internes, von dessen Vorgängen nur die Parteien, nicht aber Außenstehende allgemein Kenntnis nehmen dürften. Dies gelte insbesondere für Pflegschaftsverfahren, in denen Rechnungen zu legen und zu prüfen seien.

Der Antragstellerin sei es nicht gelungen, ein rechtliches Interesse an den den geistigen Zustand betreffenden Aktenteilen glaubhaft zu machen. Ein Wunsch der Betroffenen, bei der Antragstellerin in Polen zu leben, sei nicht objektiviert. Ein solcher beabsichtigter Aufenthaltswechsel wäre aber auch nicht ausreichend, um ein rechtliches Interesse der Antragstellerin am Gesundheitszustand und an den Vermögensverhältnissen der Betroffenen glaubhaft zu machen.

Die Zustimmung des Sachwalters zur Akteneinsicht und Anfertigung von Aktenkopien sei unbeachtlich, weil die von der Antragstellerin gewünschte Information über den Gesundheitszustand und die Vermögensverhältnisse der Betroffenen Bereiche der Persönlichkeitssphäre beträfen, an deren Wahrung die Betroffene ein berechtigtes Interesse habe, sodass hierüber lediglich die Parteien, nicht aber Außenstehende Kenntnis nehmen dürften. Obwohl der Sachwalter die Betroffene in allen Angelegenheiten vertrete, könne er nicht wirksam seine Zustimmung dazu erklären, dass die Antragstellerin als Außenstehende Einsicht in Bereiche der Persönlichkeitssphäre der Betroffenen erlange, da dies zu einer Schädigung der Interessen der Betroffenen führen könnte.

Seinen Ausspruch der Zulässigkeit des Revisionsrekurs begründete das Rekursgericht damit, dass zur Frage der Zustimmung des Sachwalters zur Akteneinsicht keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs existiere.

Die Antragstellerin macht in ihrem Revisionsrekurs unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, die Entscheidungen der Vorinstanzen in antragsgemäßem Sinne abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Die Antragstellerin hält im Revisionsrekurs daran fest, einen Anspruch auf die begehrten Aktenkopien zu haben, weil sie ein rechtliches Interesse daran habe. Aber auch wenn man dies verneine, stehe ihr das Recht auf Akteneinsicht jedenfalls schon deshalb zu, weil der Sachwalter, der für die Betroffene auftrete, einer Einsichtnahme in den Akt und der Anfertigung von Aktenkopien ausdrücklich zugestimmt habe. Der Sachwalter habe die Rechte der Betroffenen wahrzunehmen; dies jedenfalls solange, als er nicht erkennbar gegen Interessen der Betroffenen verstoße oder das Gesetz ausdrücklich die Verbindlichkeit einer Rechtshandlung von der Zustimmung des Gerichtes abhängig mache.

Diesen Ausführungen kann aus folgenden Erwägungen nicht beigepflichtet werden:

Nach ständiger Rechtsprechung sind auf die Akteneinsicht im Außerstreitverfahren die Bestimmungen des § 219 ZPO und des § 170 GeO sinngemäß anzuwenden (SZ 47/141; JBl 1973, 581; RdW 1999, 79; 1 Ob 109/02i; 4 Ob 208/02w ua). Danach können Dritte mit Zustimmung aller Parteien in den Akt Einsicht nehmen; ohne Zustimmung der Parteien kann ihnen Akteneinsicht nur gewährt werden, wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen. Im Bereich des Außerstreitverfahrens erfährt das Recht des am Verfahren nicht Beteiligten auf Akteneinsicht allerdings insoweit eine Modifikation, als auf Wesen und Zweck des Verfahrens Bedacht zu nehmen ist. Die Eigenart der in diesem Verfahren abzuwickelnden Angelegenheiten liegt nämlich darin, dass vielfach Familien- oder Vermögenverhältnisse offengelegt werden, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und daher schützenswert sind. Aus dem Grundrecht auf Datenschutz ergibt sich, dass jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten hat, soweit er daran ein schutzwürdiges Interesse, insbesondere im Hinblick auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, hat (§ 1 Abs 1 DSG; 8 Ob 511/93 mwN; 4 Ob 125/97d; 4 Ob 208/02w). Für den Bereich des Sachwalterrechtes tritt noch hinzu, dass der Gesetzgeber in § 248 AußStrG eine differenzierte Regelung der Verständigung getroffen hat. Zwar wird durch diese Regelung die Möglichkeit der Gewährung von Akteneinsicht auch im Sachwalterschaftsverfahren nicht ausgeschlossen, doch erfährt sie insoweit eine Einschränkung, als sie dann nicht zu bewilligen ist, wenn bereits durch die im Gesetz vorgesehene Verständigung den vom Antragsteller glaubhaft gemachten rechtlichen Interesse hinreichend Rechnung getragen werden kann (8 Ob 511/93, RIS-Justiz RS0008863).

Einen Schutzmechanismus sieht das Außerstreitgesetz auch in seinem § 2 Abs 3 Z 10 vor: Danach hat das Gericht unter anderem keine "zu der Teilnehmenden Sicherheit" (dh zur Sicherheit der Parteien und Beteiligten) nötige Vorsicht zu vernachlässigen. Diese Bestimmung macht es dem Gericht nicht nur zur Pflicht, alle zur Wahrung der körperlichen Integrität der Verfahrensparteien erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, sondern auch den ihnen zukommenden Grundrechtsschutz zu gewährleisten (1 Ob 109/02i; 4 Ob 208/02w, RIS-Justiz RS0116604). Gemäß Art 8 MRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist der Begriff "Privatleben" nicht eng auszulegen: Die Achtung des Privatlebens umfasse insbesondere auch das Recht, Beziehungen mit anderen Menschen zu knüpfen und zu entwickeln. Auch Daten mit Bezug auf das "Privatleben" unterlägen dem Schutz des Art 8 MRK (EGMR, 16. 2. 2000, ÖJZ 2001, 1 [MRK] mwH).

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch noch die durch Art VI KindRÄG 2001, BGBl I 2000/135, mit Wirkung vom 1. 7. 2001 erfolgte Neufassung des § 209 AußStrG. Danach dürfen Auskünfte über die Vermögensverhältnisse eines Pflegebefohlenen nur den betroffenen Pflegebefohlenen und ihren gesetzlichen Vertretern, nicht aber sonstigen Personen erteilt werden. Die damit im Interesse der Geheimhaltung der Vermögensverhältnisse der beteiligten Minderjährigen verfügte Beschränkung der gerichtlichen Auskünfte erstreckt sich nach den Gesetzesmaterialien (NR GP XXI RV 296) auch auf die Akteneinsicht und verdrängt insoweit die Regelungen der Geo. Das damit statuierte ausnahmslose Weitergabeverbot personenbezogener Daten gegenüber Dritten betrifft zwar ausdrücklich nur die Vermögensverhältnisse (minderjähriger) Pflegebefohlener; die dieser Regelung zugrunde liegende Wertung ist aber auch in Sachwalterschaftsverfahren beachtenswert (vgl 4 Ob 208/02w).

Ausgehend von diesen grundsätzlichen Erwägungen ist zunächst der Ansicht der Revisionsrekurswerberin zu widersprechen, es sei ihr gelungen, ein rechtliches Interesse am Erhalt der begehrten Aktenkopien glaubhaft zu machen. Reicht doch ein allgemeines öffentliches Interesse an Information bzw ein reines Informationsbedürfnis des Einsichtbegehrenden selbst nicht aus, sondern muss das rechtliche Interesse ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse oder über Interessen der Information, der Pietät, des Anstands oder der Ethik hinausreicht (4 Ob 553/95; 9 Ob 237/98p, RIS-Justiz RS0079198). Das rechtliche Interesse an der Akteneinsicht muss konkret gegeben sein. Die Einsichtnahme unter Abschriftnahme muss Bedeutung für die rechtlichen Verhältnisse des Dritten haben und die Kenntnis des betreffenden Akteninhaltes muss sich auf die privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des Dritten günstig auswirken (vgl RIS-Justiz RS0037263). Eigene Interessen sind den in § 219 Abs 2 ZPO geforderten rechtlichen Interessen nicht gleichzusetzen (RIS-Justiz RS0037272).

Hier wird von der Revisionsrekurswerberin lediglich geltend gemacht, sie müsse im Hinblick auf den von der Betroffenen mehrfach geäußerten Wunsch, zu ihr nach Polen zu ziehen, sich ein Bild darüber verschaffen, wie die Betroffene in Wien gelebt habe, um ihre Dispositionsfähigkeit richtig einschätzen zu können; dies sei nur aufgrund einer gründlichen Akteneinsicht möglich. Abgesehen davon, dass die Vorinstanzen die behaupteten Absichten der Betroffenen nicht als bescheinigt angesehen haben, reicht das damit bekundete bloße Informationsbedürfnis der Antragstellerin, mag diese auch die Nichte der Betroffenen sein, keineswegs aus. Dass das Recht auf Akteneinsicht entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin nicht schon aufgrund eines nahen verwandtschaftlichen Verhältnisses zu bejahen ist, hat der Oberste Gerichtshof bereits zu 4 Ob 208/02w in einem Sachwalterschaftsverfahren hinsichtlich den Geisteszustand des Betroffenen betreffenden Daten ausgesprochen (wobei es sich dort sogar um die Kinder des Betroffenen handelte).

Mangels eines rechtlichen Interesses der Antragstellerin an der Ausfolgung der betreffenden Aktenkopien bleibt zu prüfen, ob die erklärte Einwilligung des Sachwalters zur Akteneinsicht und Anfertigung von Aktenkopien als Zustimmung der Partei im Sinne des § 219 ZPO angesehen werden kann und damit genügt, der Antragstellerin ein Recht auf Akteneinsicht bzw die begehrten Aktenkopien zu verschaffen. Dies ist unter Berücksichtigung des Wesens und des Zwecks des Sachwalterschaftsverfahrens und aus dem bereits erläuterten Blickwickel des § 2 Abs 3 Z 10 AußStrG heraus, der ua den Persönlichkeitsschutz des Betroffenen dem Gericht besonders anheimstellt, zu verneinen: Zwar ist der Sachwalter im vorliegenden Fall aufgrund der im Bestellungsbeschluss erfolgten Festlegung des Wirkungskreises nach § 273a Abs 3 Z 3 ABGB in allen Angelegenheiten der Betroffenen vertretungsbefugt. Nach stRsp gehört es allerdings ganz allgemein zu den Aufgaben des Pflegschaftsgerichts (bzw Sachwalterschaftsgerichts), die Tätigkeit des gesetzlichen Vertreters der unter dem besonderen Schutz der Gesetze stehenden Personen (§ 21 Abs 1 ABGB) zu überwachen, die Gesetzmäßigkeit und die Zweckmäßigkeit der von ihm getroffenen oder in Aussicht genommenen Rechtshandlungen zu prüfen und dazu bindende Weisungen zu erteilen. Das Gericht hat dabei die Tätigkeit des gesetzlichen Vertreters ganz allgemein in geeigneter Weise zu überwachen und ihn gegebenenfalls auch über die Folgen der in Aussicht genommenen Schritte bzw von deren Unterbleibens zu belehren bzw aufzuklären; das gilt jedenfalls dann, wenn es - auf welche Weise immer - davon Kenntnis erlangt, dass die rechtliche oder wirtschaftliche Sphäre des Pflegebefohlenen gefährdet erscheint (SZ 61/231; RZ 19990/111; SZ 65/108; 2 Ob 116/98t ua).

Im Sinne dieser Pflichten ist auch die vom Sachwalter erteilte Zustimmung zur Akteneinsicht bzw zur Herstellung von Aktenkopien durch einen am Verfahren nicht beteiligten Dritten durch das Sachwalterschaftsgericht zu prüfen. Diese Überprüfung lässt im vorliegenden Fall aber nach der Aktenlage keinen Umstand erkennen, der nach den eben angestellten Erwägungen das Begehren der Antragstellerin rechtfertigen könnte. Dass es Gründe gäbe, die den Sachwalter über das von der Antragstellerin genannte Motiv hinaus zur Einwilligung veranlasst hätten, hat die Antragstellerin gar nicht behauptet.

Da sich die angefochtene Entscheidung damit frei von Rechtsirrtum erweist, ist dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.

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