Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden, soweit das Klagebegehren auf Gewährung einer Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum von 1. 12. 2000 bis 30. 9. 2001 abgewiesen wurde, als Teilurteil bestätigt.
Im Übrigen werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Sozialrechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 2. 9. 1944 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt und bis zum Stichtag (1. 12. 2000) 506 Leistungsmonate erworben. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag liegen 150 Beitragsmonate. In diesen Monaten war der Kläger als Ladearbeiter bei der Firma VCI Fracht Import am Flughafen Wien-Schwechat beschäftigt. Er musste die Frachtstücke aus Flugzeugen entladen und auf Paletten aufbauen. Dabei traten Gewichtsbelastungen von täglich 35 bis 40 kg, maximal von 40 bis 50 kg auf, in Einzelfällen - wenn ein Stapler aus räumlichen Gründen nicht einsetzbar war - aber auch von 50 bis 60 kg. Auch gebückte Arbeitshaltungen kamen vor. Die Tätigkeit war eine rein manuelle Hilfskrafttätigkeit ohne Kundenkontakte, jedoch fallweise unter Zeitdruck.
Nach dem Berufsbild übernehmen Frachtgutlader am Flughafen einfache Wartungs- und Hilfstätigkeiten beim Be- und Entladen der Flugzeuge. Sie tanken das Flugzeug auf, verladen die Frachtgüter und das Gepäck und sortieren es auf Förderbänder. Zusätzlich fahren sie die Fluggäste zum Flugzeug. Dabei handelt es sich um mittelschwere, fallweise schwere körperliche Arbeit im Stehen und Gehen. Die sprachliche Kommunikation spielt keine wesentliche Rolle.
Die von ihm zuletzt ausgeführte Tätigkeit als Lader am Flughafen ist dem Kläger nicht mehr möglich, da sein medizinisches Leistungskalkül unter Berücksichtigung der auf dem Arbeitsmarkt vorherrschenden Arbeitsbedingungen mehrfach überschritten wird. Dem Kläger sind nur mehr leichte und mittelschwere Arbeiten möglich, wobei feinstmotorische Tätigkeiten linksseitig ebenso wie alle Tätigkeiten auszuschließen sind, bei denen die sprachliche Kommunikation eine wesentliche Rolle spielt. Auch Arbeiten im Produktionsbereich einer Fabrik sowie Arbeiten, die unter einem über ein durchschnittliches Maß hinausgehenden Zeitdruck zu verrichten sind, ausgeschlossen.
Mit dem Leistungskalkül des Klägers vereinbar ist eine Arbeit bei Leergutannahmen in Zentrallagern von Großhandelsunternehmen. Dabei übernimmt ein Hilfsarbeiter das Leergut, sortiert es und stellt es geordnet wieder ab, zB Plastikkisten mit leeren Plastikflaschen. Das Kalkül geht über eine mittelschwere Belastung nicht hinaus. Im Vergleich zu einem Frachtgutlader am Flughafen sind die Güter weniger schwer und es herrscht kein Zeitdruck. Das geistige Anforderungsprofil ist ähnlich wie bei einem Frachtgutlader im Flugverkehr. Die sprachliche Kommunikation spielt keine wesentliche Rolle. Überdurchschnittlicher Zeitdruck kommt nicht vor. In Österreich gibt es hiefür mehr als 100 Arbeitsplätze.
Dem Kläger wären auch Tätigkeiten als Präger, Presser, Stanzer und Portier möglich.
Mit Bescheid vom 6. 3. 2001 lehnte die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter den Antrag des Klägers vom 21. 11. 2000 auf Zuerkennung der Invaliditätspension ab.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene, auf Zuerkennung der Invaliditätspension ab dem Stichtag (1. 12. 2000) gerichtete Klage im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass der Kläger betreffend den Zeitraum von 1. 12. 2000 bis 30. 9. 2001 noch in der Lage sei, diverse Hilfsarbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten, etwa als Präger, Presser, Stanzer oder Portier. Ab dem 1. 10. 2001 sei die Invalidität nach § 255 Abs 4 ASVG zu beurteilen. Allerdings könnte er in seiner bisherigen Tätigkeit als Hilfsarbeiter mit Gütermanipulation verbleiben. Beim Verweisungsberuf eines Hilfsarbeiters bei der Leergutannahme in Großhandelsbetrieben sei er keiner gravierenden Änderung des arbeitskulturellen Umfelds ausgesetzt; die Änderungen seiner Tätigkeit seien ihm durchaus zumutbar.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verneinte eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass eine Ladetätigkeit mit anderen Materialien und auf einem anderen Betriebsgelände den Tätigkeitsschutz nicht verletzen würde. Beim Verweisungsberuf eines Hilfsarbeiters in der Leergutannahme könne weder vom Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten noch von einem anderen arbeitskulturellen Umfeld die Rede sein. Die Verweisung in eine andere Branche sei zulässig.
Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist teilweise berechtigt.
Vorweg ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei von Amts wegen von "Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG-Nov BGBl I 2002/1).
Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die das Berufungsgericht verneint hat (RIS-Justiz RS0042963 [T45] und RS0043061; weitere Nachweise bei Kodek in Rechberger, ZPO2 § 503 Rz 3 Abs 2) oder die nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens waren (SZ 23/352 uva; Kodek in Rechberger, ZPO2 § 503 Rz 3 Abs 1), können in der Revision nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden. Die Feststellung oder Nichtfeststellung bestimmter Tatsachen - etwa dass der Kläger mit dem ihm verbliebenen Leistungskalkül in der Lage ist, den Anforderungen in einem Verweisungsberuf zu genügen - resultiert aus der freien Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden kann (RIS-Justiz RS0043061 [T11]). Die Revisionsausführungen unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der "fehlenden Sachverhaltsfeststellung aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung" stellen daher den unzulässigen Versuch einer Bekämpfung der Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen dar (10 ObS 409/98i; 10 ObS 3/99k).
Die Revision stellt in der Rechtsrüge nicht mehr in Zweifel, dass eine Verweisbarkeit des Klägers gemäß § 255 Abs 3 ASVG vor Vollendung des 57. Lebensjahres gegeben ist. Die Urteile der Vorinstanzen sind daher insoweit als Teilurteil zu bestätigen, als das Begehren auf Gewährung der Invaliditätspension für den Zeitraum von 1. 12. 2000 bis 30. 9. 2001 abgewiesen wurde.
Tritt eine Änderung des Gesundheitszustandes, eine Gesetzesänderung oder eine sonstige Änderung der Anspruchsvoraussetzungen (etwa auch die Erreichung eines bestimmten Lebensjahres, wenn dies zur Anwendung geänderter Voraussetzungen für den Anspruch auf die begehrte Leistung führt) während des aufgrund des Leistungsantrags eingeleiteten Verfahrens ein, ist die sich daraus ergebende Änderung bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Es wird durch eine solche Änderung, sofern sie für den erhobenen Anspruch von Bedeutung ist, ein neuer Stichtag ausgelöst und die Anspruchsvoraussetzungen sind zu diesem Stichtag zu prüfen (RIS-Justiz RS0085994 [T1] = RS0084533 [T1]). Im Hinblick auf das Geburtsdatum des Klägers (2. 9. 1944) sind die Anspruchsvoraussetzungen nach § 255 Abs 4 ASVG zum Stichtag 1. 10. 2001 zu prüfen.
Nach § 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000, BGBl I 2000/43, gilt als invalid der (die) Versicherte, der (die) das 57. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen.
In den Gesetzesmaterialien (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, AB 187 BlgNR XXI. GP 3 f) wird zur Neuregelung ausgeführt, dass als flankierende Maßnahme zur Abfederung von Härten infolge der Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit der Berufsschutz für Personen, die das 57. Lebensjahr bereits vollendet und durch zehn Jahre während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt haben, verbessert werden solle. "Können diese Personen auf Grund einer Krankheit (eines sonstigen Gebrechens) die besagte Tätigkeit nicht mehr ausüben, so gelten sie unter den erwähnten Voraussetzungen als invalid (berufs- bzw erwerbsunfähig), es sei denn, dass ihnen im konkreten Fall noch eine Änderung dieser Tätigkeit bzw. eine Umorganisation des Betriebes in sachlicher wie personeller Hinsicht zugemutet werden kann."
Weiters wurde im Ausschuss für Arbeit und Soziales in der Sitzung vom 31. 5. 2000 mit Stimmenmehrheit folgende Ausschussfeststellung angenommen:
"Der Ausschuss für Arbeit und Soziales geht davon aus, dass mit § 255 Abs 4 (§ 273 Abs 3) ASVG insbesondere für ungelernte Arbeiter und Angestellte in niedrigen Verwendungsgruppen ein wirksamer Berufsschutz geschaffen werden soll. Ein anderer Tätigkeitsbereich als bisher ist jedenfalls unzumutbar, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten bedeuten würde wie zB das Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder den Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss (zB Bauhilfsarbeiter in die Textilbranche). Im Ergebnis soll mit der neuen Regelung auch bewirkt werden, dass entgegen der bisherigen Judikatur zu ungelernten Arbeitern die berufliche Entwicklung des Anspruchswerbers bei der Anspruchsprüfung berücksichtigt werden und beispielsweise für eine Person, die im Baubereich ungelernte Tätigkeiten verrichtet hat, der Verweis auf die Tätigkeit als Portier ausgeschlossen sein soll."
Der Oberste Gerichtshof hat in den Entscheidungen 10 ObS 185/02g, 10 ObS 352/02s und 10 ObS 367/02x bereits eingehend zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG Stellung genommen. Der Gesetzgeber hat der auf einen reinen Tätigkeitsschutz hinweisenden Formulierung, wonach der Versicherte nicht mehr in der Lage sein darf, der "einen" durch mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübten Tätigkeit nachzugehen, den von Schrammel (Der Invaliditäts-/Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsbegriff nach dem SVÄG 2000, ecolex 2000, 886 ff [888]) zu Recht als "kryptisch" bezeichneten Satz angefügt: "Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen." (vgl auch Tomandl, Die Verweisung im Recht der Pensionsversicherung, in Tomandl [Hrsg], Wiener Beiträge zum Arbeits- und Sozialrecht Band 43 die Verweisung im Sozialrecht, 1 ff [6]). Aus den im Zuge der Beratungen des SVÄG 2000 im Ausschuss für Arbeit und Soziales getroffenen Feststellungen ergibt sich, dass ein anderer Tätigkeitsbereich als bisher jedenfalls unzumutbar ist, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten bedeuten würde wie zB das Anlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss (zB Bauhilfsarbeiter in die Textilbranche). Im Ergebnis soll mit der neuen Regelung auch bewirkt werden, dass entgegen der Judikatur zu ungelernten Arbeitern nach § 255 Abs 3 ASVG die berufliche Entwicklung des Anspruchswerbers bei der Anspruchsprüfung berücksichtigt werden soll und beispielsweise für eine Person, die im Baubereich angelernte Tätigkeiten verrichtet hat, der Verweis auf die Tätigkeit als Portier ausgeschlossen sein soll.
Daraus ist zu folgern, dass es einerseits - anders als nach der Rechtslage zur Vorgängerbestimmung des § 253d ASVG - nach der neuen Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG nicht ausreicht, dass der Versicherte die durch 10 Jahre während der letzten 15 Jahre hindurch ausgeübte Tätigkeit nicht mehr verrichten kann (vgl § 253d Abs 1 Z 4 ASVG: "durch diese Tätigkeit" - § 255 Abs 4 ASVG: "einer Tätigkeit"), dass aber andererseits nach § 255 Abs 4 ASVG insbesondere ein sonst in Betracht kommendes Verweisungsfeld auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nach § 255 Abs 3 ASVG wesentlich eingeschränkt werden soll. Die zumutbaren Änderungen der Tätigkeit sind somit offenkundig eng zu interpretieren (RIS-Justiz RS0100022 [T4]).
Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 185/02g vom 17. 9. 2002 ausgeführt hat, muss eine Verweisung jedenfalls dann als zumutbar angesehen werden, wenn die Verweisungstätigkeit bereits bisher als eine Teiltätigkeit ausgeübt wurde und das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich ist (Schrammel aaO 889). Kriterien sind dabei neben dem kulturellen Arbeitsumfeld unter anderem auch die Kontakte mit Mitarbeitern sowie die räumliche Situation, etwa ob die Arbeiten im Freien oder am Fließband auszuüben sind (vgl Röhrenbacher, Gedanken und Überlegungen zum neuen Invaliditätsbegriff, SozSi 2001, 846 ff [852]). Der Branche kann keine allein ausschlaggebende Bedeutung zukommen; sie kann aber bei der Konkretisierung des Umfelds eine Rolle spielen.
Im vorliegenden Fall ist unstrittig davon auszugehen, dass der Kläger im 15-jährigen Beobachtungszeitraum vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch "eine" Tätigkeit als Ladearbeiter ausgeübt hat, wobei er konkret Frachtgutladearbeiten auf einem Flughafen durchgeführt hat.
Im nächsten Schritt ist zu beurteilen, ob der Kläger in der Lage oder außerstande ist, dieser "einen" Tätigkeit (als Ladearbeiter) weiterhin nachzugehen, die er in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat. Dazu würde es nicht genügen, dass der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, den an seinem konkreten Arbeitsplatz gestellten Anforderungen zu genügen. Ebenso wie die Vorgängerbestimmung (§ 253d ASVG) stellt § 255 Abs 4 ASVG nämlich nicht auf die Anforderungen an einem bestimmten Arbeitsplatz ab, sondern auf die "Tätigkeit" mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt (10 ObS 98/03i; 10 ObS 367/02x; SSV-NF 12/121 ua; RIS-Justiz RS0087658). In diesem Sinn wird kein Arbeitsplatzschutz, sondern ein Tätigkeitsschutz (oder ein dem inhaltlich entsprechender "besonderer Berufsschutz") gewährt.
Nach den Feststellungen ist der Kläger nicht nur nicht in der Lage, den auf seinem Arbeitsplatz gestellten Anforderungen zu genügen, sondern er kann die Tätigkeit als Frachtgutlader auf einem Flughafen generell nicht mehr ausführen.
Somit stellt sich die Frage, inwieweit dem Kläger Änderungen dieser Tätigkeit zuzumuten sind.
Bei einer Tätigkeit in der Leergutannahme eines Großhandelsbetriebes handelt es sich nicht um eine Teiltätigkeit der bisherigen Tätigkeit als Frachtgutlader auf einem Flughafen. Ähnlichkeiten zwischen den beiden Tätigkeiten bestehen jedoch insoweit, als jeweils Güter (Frachtgut, Gepäck bzw Leergut) übernommen und im weitesten Sinn verladen wird, sodass in beiden Fällen von einer Ladetätigkeiten gesprochen werden kann. Auch das geistige Anforderungsprofil ist vergleichbar gering.
Zur Frage der Zumutbarkeit von Änderungen der bisher ausgeübten Tätigkeit ergibt sich aus den im Zuge der Beratungen des SVÄG 2000 im Ausschuss für Arbeit und Soziales getroffenen Feststellungen, dass ein anderer Tätigkeitsbereich als bisher jedenfalls unzumutbar ist, wenn eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfeldes des Versicherten bedeuten würde wie zB das Anlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss. Unter dem "Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten" ist der Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten zu verstehen, die der Anspruchswerber bisher in seinem Berufsleben nicht anwenden und nicht nutzen musste. Dabei wird auch von Bedeutung sein, welchen Zeitraum eine für die Ausübung eines Verweisungsberufes notwendige Anlernung voraussichtlich in Anspruch nehmen wird (vgl 10 ObS 367/02x; Röhrenbacher, Gedanken und Überlegungen zum neuen Invaliditätsbegriff, SozSi 2001, 846 ff [851]). Das nach § 255 Abs 4 ASVG in Betracht kommende Verweisungsfeld ist somit jedenfalls enger als jenes nach § 255 Abs 1 ASVG, jedoch im Hinblick auf die erwähnten "zumutbaren Änderungen" dieser Tätigkeit weiter als das Verweisungsfeld der früheren Bestimmung des § 253d ASVG. In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgeführt (10 ObS 185/02g; 10 ObS 345/02s; 10 ObS 421/02p ua), dass eine Verweisung nach § 255 Abs 4 ASVG jedenfalls dann als zumutbar angesehen werden muss, wenn die Verweisungstätigkeit bereits bisher als eine Teiltätigkeit ausgeübt wurde und das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich ist. So wurde beispielsweise in dem der Entscheidung 10 ObS 421/02p vom 4. 3. 2003 zugrunde liegenden Fall ausgeführt, dass eine Verweisung eines Bauschlossers auf die Tätigkeiten eines Einstellers an CNC-gesteuerten Maschinen oder eines Fertigungsprüfers den Rahmen der "zumutbaren Änderungen" überschreiten würde. Denn abgesehen von dem nicht genau festgestellten, aber doch länger dauernden Umschulungsbedarf stehe bei den genannten Verweisungstätigkeiten nicht die eigenhändige Produktion, sondern die Kontrolle maschineller Tätigkeiten im Vordergrund. Dazu seien Bauschlosserarbeiten typischerweise auf Baustellen (auch im Freien) zu verrichten, während die Verweisungstätigkeiten in Werkstätten und Betriebshallen angesiedelt seien. Damit sei ein anderes Arbeitsumfeld gegeben. Dem Umstand, dass hier wie dort Metall be- und verarbeitet werde, könne keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen, weil damit die vom Gesetzgeber (im Verhältnis zu § 255 Abs 3 ASVG) beabsichtigte Einschränkung des Verweisungsfeldes nicht gewährleistet werden könne. Hingegen wurde in der Entscheidung 10 ObS 98/03i vom 18. 3. 2003 eine Invalidität des als Baumaschinenmonteur (Reparatur, Wartung und Kundendienst betreffend Erdbewegungsmaschinen) im Außendienst tätig gewesenen Klägers gemäß § 255 Abs 4 ASVG mit der Begründung verneint, dass der Kläger noch Wartungs- und Reparaturarbeiten an Baufahrzeugen im Innendienst in einer Werkhalle verrichten könne, wobei die den Kern der bisherigen Tätigkeit des Klägers bildende handwerkliche Tätigkeit auch bei der Verweisungstätigkeit in praktisch gleicher Form zu verrichten sei und es nur in Randbereichen der bisherigen Tätigkeit (Inkasso, Kundenkontakte) zu Änderungen komme.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen kann ohne Vorliegen entsprechender Feststellungen zu den soeben dargestellten Kriterien nicht beurteilt werden, ob die im Verfahren genannte Verweisungstätigkeit eines Arbeiters in der Leergutannahme eines Großhandelsbetriebes innerhalb des Verweisungsfeldes des § 255 Abs 4 ASVG liegt und deren Ausübung dem Versicherten noch zugemutet wird.
Im weiteren Verfahren sind daher nähere Feststellungen dazu zu treffen, in welchem Umfeld (im angeführten Sinn) die beiden zu vergleichenden Tätigkeiten zu erbringen sind, welche Anforderungen (über die muskuläre Beanspruchung hinaus) gestellt werden und welche Kenntnisse der bisherigen Tätigkeit bei der möglichen Verweisungstätigkeit verwertet werden können. Im Hinblick auf die beim Kläger bestehende Beeinträchtigung der sprachlichen Kommunikation, die im bisherigen Tätigkeitsfeld keine oder nur eine geringe Rolle spielte, ist auch Augenmerk darauf zu legen, inwieweit diese in der vorgeschlagenen Verweisungstätigkeit hinderlich ist oder nicht.
Jedenfalls würde der Umstand, dass bei beiden Tätigkeiten mit Gütern manipuliert wird und das geistige Anforderungsprofil vergleichbar gering sind, für sich allein nicht ausreichen, um die Zumutbarkeit einer Verweisung zu begründen, wäre doch auf diese Weise die vom Gesetzgeber (im Verhältnis zu § 255 Abs 3, aber auch zu § 255 Abs 1 ASVG) beabsichtigte Einschränkung des Verweisungsfeldes nicht gewährleistet. Gerade ein Abstellen auf die in beiden Fällen niedrigen geistigen Anforderungen würde bedeuten, dass das Verweisungsfeld bei geistig einfachen Tätigkeiten kaum beschränkt werden könnte.
Hinsichtlich des den Zeitraum ab 1. 10. 2001 betreffenden Klagebegehrens sind somit die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben; die Rechtssache ist zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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