Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rechsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.
Text
Begründung
Der am 28. 6. 1942 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt und war immer als Hilfsarbeiter beschäftigt. Im maßgebenden Zeitraum der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (1. 10. 2000) war der Kläger vom 1. 10. 1985 bis 16. 10. 1988 bei der Firma Karl D***** GmbH mit Isolierarbeiten auf der Baustelle AKH-Wien beschäftigt. Der Kläger hat dabei die entsprechenden Isolierplatten auf die Baustelle gebracht, welche dann zugeschnitten und in Licht-Wasser-Kanälen montiert wurden. Im Zeitraum vom 1. 2. 1990 bis 31. 12. 1993 war der Kläger bei der Firma C***** & Co Metallwarenerzeugung beschäftigt. Es war dabei seine (Haupt-)Aufgabe, das Metallmaterial (Stangen und Metallschrauben) zu den Maschinen zu bringen und Abladetätigkeiten durchzuführen. Es handelte sich dabei insbesondere beim Transport der schweren Messingstangen um die Verrichtung schwerer Hebe- und Tragearbeiten. Weiters war der Kläger mit der Bearbeitung von Messingdrehteilen beschäftigt. Vom 11. 1. 1994 bis 7. 10. 1994 war der Kläger bei der Firma S***** GmbH mit Abbrucharbeiten beschäftigt. Weiters war er im Zeitraum vom 17. 10. 1994 bis 16. 1. 1995, vom 25. 3. 1996 bis 13. 12. 1996 und vom 17. 3. 1997 bis 15. 5. 1998 bei der Firma M***** G***** als Bauhilfsarbeiter (Vorbereitung und Transport von Baumaterialien, Säubern der Baustelle) beschäftigt. Schließlich war der Kläger vom 18.6. 1995 bis 14. 9. 1995 bei der Firma T***** Bau GmbH und im Zeitraum vom 19. 11. 1999 bis 6. 2. 2000 bei der Firma D***** Alt- und Neubau GmbH ebenfalls jeweils als Bauhilfsarbeiter tätig. Der Kläger kann aufgrund seines näher festgestellten medizinischen Leistungskalküls diese von ihm während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (konkret) ausgeübten Tätigkeiten nicht mehr verrichten.
Mit Bescheid vom 30. 1. 2001 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Invaliditätspension mangels Invalidität im Sinn des § 255 ASVG ab.
Das Erstgericht gab dem vom Kläger dagegen erhobenen und auf die Gewährung einer Invaliditätspension in gesetzlicher Höhe ab 1. 10.2000 gerichteten Klagebegehren statt. Die Erbringung einer vorläufigen Zahlung wurde der beklagten Partei nicht aufgetragen. Nach den rechtlichen Ausführungen des Erstgerichtes habe es sich bei den vom Kläger verrichteten Hilfsarbeitertätigkeiten im Kernbereich um körperliche schwere Arbeiten, insbesondere im Zusammenhang mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten, gehandelt, welche mit keinen besonderen geistigen Anforderungen und keiner besonderen Verantwortung verbunden gewesen seien. Der Kernbereich aller Bauhilfsarbeiterbeschäftigungen sei eine Arbeit in häufig gebückter und zusätzlich häufig hockender, knieender und vorgebeugter Arbeitshaltung im Rahmen von Grabarbeiten, Ab- und Aufladetätigkeiten (Heben, Tragen, Schieben, Halten) von Baumaterialien und Bauschutt. Dieser Kernbereich gelte auch für die Tätigkeiten des Klägers im Rahmen seiner Beschäftigung in der Metallwarenerzeugung. Auch dabei habe es sich um Arbeiten ohne besondere geistige Anforderungen gehandelt, die sich im Wesentlichen auf das rein körperliche Durchführen von Hebe- und Tragearbeiten (Abladen von Messingstangen) sowie das Einhängen von Metallteilen in die Waschanlage beschränkt hätten. Der Kläger habe von den in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag erworbenen insgesamt 141 Monaten 59 Monate in der Metallbranche und die übrige Zeit in der Baubranche gearbeitet. Im Kernbereich der Tätigkeit habe es sich um schwere Hebe- und Trageleistungen gehandelt, wobei nicht darauf abzustellen sei, in welcher Branche diese Tätigkeiten durchzuführen seien. Für die Beurteilung der Tätigkeit sei es auch irrelevant, ob Bauschutt oder Metallstangen bzw Körbe mit Metallteilen zu hantieren seien. Der Kläger sei nicht mehr imstande, die von ihm in mindestens 120 Kalendermonaten durchgeführten schweren Hilfs- und Handlangerarbeiten durchzuführen, sodass die Voraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG erfüllt seien. Da der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit ausschließlich Hilfsarbeiten durchgeführt habe, die mit Schwerarbeit in Zusammenhang stünden, sei auch eine zumutbare Änderung dieser Tätigkeit nicht gegeben.
Das Berufungsgericht hob in Stattgebung der Berufung der beklagten Partei dieses Urteil auf und verwies die Sozialrechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes, es könne im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 255 Abs 4 ASVG keinen Unterschied machen, ob jemand als Hilfsarbeiter in der Metallwarenerzeugung oder in der Baubranche tätig gewesen sei, wenn die vom Kläger - wie im vorliegenden Fall - in diesen beiden Branchen durchgeführten Arbeiten inhaltlich sehr ähnlich gewesen seien. Das Erstgericht habe sich jedoch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob dem Kläger unter Bedachtnahme auf zumutbare Änderungen eine Verrichtung einer solchen Tätigkeit bei dem bestehenden medizinischen Leistungskalkül noch möglich sei. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das dem Klagebegehren stattgebende Ersturteil wiederherzustellen. Die beklagte Partei hat sich am Rechtsmittelverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist gemäß § 45 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
Nach § 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000, BGBl I 2000/43, gilt als invalid der (die) Versicherte, der (die) das 57. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen.
In den Gesetzesmaterialien (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales AB 187 BlgNR XXI. GP 3 f) wird die Neuregelung folgendermaßen begründet:
"Aufgrund des am 23. Mai 2000 verkündeten Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Rechtssache C-104/98 , Buchner, wird die österreichische Rechtslage, nach der das Anfallsalter für die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (wegen Erwerbsunfähigkeit) für Frauen 55, für Männer 57 Jahre beträgt, als dem EG-Recht widersprechend angesehen, da dieser geschlechtsspezifische Unterschied der Richtlinie des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (Abl. 1979, L 6, S 24) widerspricht. Nach der vorhergehenden Judikatur des EuGH zu dieser Richtlinie hat dieses Urteil zur Folge, dass das benachteiligte Geschlecht solange Anspruch auf dieselben Vergünstigungen hat, als der nationale Gesetzgeber die EG-Widrigkeit nicht behoben hat. Daher haben de facto aufgrund dieses Urteils auch Männer einen Anspruch auf diese vorzeitige Alterspension bereits nach Vollendung des 55. Lebensjahres.
Mit Rücksicht darauf, dass im Entwurf eines SRÄG 2000 ohnehin die Aufhebung des § 253d ASVG samt Parallelbestimmung mit Wirksamkeit vom 1. Oktober 2000 vorgesehen ist, erweist es sich als notwendig, im Interesse der Rechtssicherheit sofort wirksame gesetzliche Maßnahmen zu setzen:
Entsprechend den im Entwurf eines SRÄG 2000 vorgesehenen Maßnahmen soll die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (wegen Erwerbsunfähigkeit) aufgehoben werden, und zwar bereits mit Wirksamkeit vom 1. Juli 2000.......
Als flankierende Maßnahme zur Abfederung von Härten infolge der Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (wegen Erwerbsunfähigkeit) soll unter einem der Berufsschutz für Personen, die das 57. Lebensjahr bereits vollendet und durch 10 Jahre während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt haben, verbessert werden. Können diese Personen aufgrund einer Krankheit (eines sonstigen Gebrechens) die besagte Tätigkeit nicht mehr ausüben, so gelten sie unter den erwähnten Voraussetzungen als invalid (berufsbzw erwerbsunfähig), es sei denn, dass ihnen im konkreten Fall noch eine Änderung dieser Tätigkeit bzw eine Umorganisation des Betriebes in sachlicher wie personeller Hinsicht zugemutet werden kann". Weiters wurde im Ausschuss für Arbeit und Soziales in der Sitzung vom 31. 5. 2000 mit Stimmenmehrheit folgende Ausschussfeststellung angenommen:
"Der Ausschuss für Arbeit und Soziales geht davon aus, dass mit § 255 Abs 4 (§ 273 Abs 3) ASVG insbesondere für ungelernte Arbeiter und Angestellte in niedrigen Verwendungsgruppen ein wirksamer Berufsschutz geschaffen werden soll. Ein anderer Tätigkeitsbereich als bisher ist jedenfalls unzumutbar, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten bedeuten würde wie zB das Anlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss (zB Bauhilfsarbeiter in die Textilbranche). Im Ergebnis soll mit der neuen Regelung auch bewirkt werden, dass entgegen der bisherigen Judikatur zu ungelernten Arbeiten die berufliche Entwicklung des Anspruchswerbers bei der Anspruchsprüfung berücksichtigt werden und beispielsweise für eine Person, die im Baubereich ungelernte Tätigkeiten verrichtet hat, der Verweis auf die Tätigkeit als Portier ausgeschlossen sein soll."
Voraussetzung für den Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG ist somit neben der Vollendung des 57. Lebensjahres zunächst das Vorliegen einer Tätigkeit, die der Kläger in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat.
Bei der Auslegung der Wortfolge "einer Tätigkeit" ist die ausdrücklich erklärte Absicht des Gesetzgebers, mit dieser neuen Bestimmung Härtefälle durch die Abschaffung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zu vermeiden, zu berücksichtigen. Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§ 253d iVm § 270 ASVG) hatte der Versicherte, wenn er unter anderem... in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hatte (Z 3) und infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande war, durch diese Tätigkeit (Z 3) wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegte (Z 4). Dieser Gesetzeswortlaut des § 253d Abs 1 Z 3 und Z 4 ASVG entsprach den früheren Bestimmungen des § 255 Abs 4 lit c und d bzw § 273 Abs 3 lit c und d ASVG idF vor der 51. ASVG-Novelle. Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, sind gleichartige Tätigkeiten im Sinne dieser Gesetzesstelle solche, die in ihrem Kernbereich im Wesentlichen ähnliche physische oder psychische Anforderungen unter anderem an Intelligenz, Kenntnisse, Umsicht, Verantwortungsbewusstsein, Handfertigkeit, Körperkraft, Körperhaltung, Durchhaltevermögen und Konzentrationsfähigkeit stellen. Die Gleichartigkeit der ausgeübten Tätigkeiten ist nicht erst dann zu bejahen, wenn sie hinsichtlich aller genannten Parameter gegeben ist, es kommt vielmehr auf den Kernbereich der Tätigkeit, also auf jene Umstände an, die ihr Wesen ausmachen und sie von anderen Tätigkeiten unterscheiden (SSV-NF 12/4; 11/49; 11/53; 11/62; 3/89 mwN ua). Hingegen wurde als nicht maßgebend angesehen, ob der Versicherte nur beim selben Dienstgeber oder in derselben Branche beschäftigt war (SSV-NF 4/120; 2/53 ua).
Vergleicht man die aufgehobene Bestimmung des § 253d ASVG mit der Neuregelung des § 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000, so zeigt sich, dass die Neuregelung jedenfalls enger gefasst ist als die bisherige vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (vgl Wöss, Neues aus der Gesetzgebung, ASok 2000, 248 ff [252]). So ist nunmehr Voraussetzung für das Wirksamwerden der Neuregelung, dass
- innerhalb der letzten 15 Jahre 10 Jahre lang "eine" Tätigkeit ausgeübt wurde (bei der vorzeitigen Alterspension reichte die Ausübung einer "gleichen oder gleichartigen" Tätigkeit in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate der letzten 15 Jahre),
- die gesundheitliche Unfähigkeit zur weiteren beruflichen Tätigkeit nicht nur im Hinblick auf die bisher überwiegend ausgeübte Tätigkeit, sondern auch im Hinblick auf andere "zumutbare" Tätigkeiten bestehen muss (für die vorzeitige Alterspension reichte die gesundheitliche Unfähigkeit zur weiteren Verrichtung der überwiegend ausgeübten Tätigkeit) und
- Frauen das 57. Lebensjahr vollendet haben müssen, um von der Regelung Gebrauch machen zu können (die vorzeitige Alterspension konnte von Frauen ab 55 Jahren bezogen werden).
Unter Berücksichtigung der Absicht des Gesetzgebers, mit der Neuregelung Härtefälle durch die Abschaffung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zu vermeiden, das heißt einen zumindest teilweisen Ersatz zu schaffen, erscheint es im Hinblick auf die dargestellte erhebliche Verschärfung der Zugangsvoraussetzungen geboten, beim Kriterium "eine Tätigkeit" nicht allzu strenge Maßstäbe anzulegen, um nicht von vornherein die Neuregelung nur in Ausnahmsfällen anwendbar werden zu lassen. Der Gesetzgeber spricht auch nicht mehr von "gleichen oder gleichartigen" Tätigkeiten, sondern ersetzt diese Formel durch die eher neutralen Worte "eine Tätigkeit", weshalb die zu § 253d ASVG hinsichtlich der "gleichen oder gleichartigen Tätigkeit" herausgebildete Judikatur jedenfalls nicht ohne Einschränkungen übernommen werden kann (vgl Schrammel, Der Invaliditäts-/Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsbegriff nach dem SVÄG 2000, ecolex 2000, 886 ff [888]; Röhrenbacher, Gedanken und Überlegungen zum neuen Invaliditätsbegriff, SozSi 2001, 846 ff [849]). Der berufskundliche Sachverständige Christian Hampl hat im Auftrag des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger ein berufskundliches Gutachten erstattet, in dem auch verschiedene in § 255 Abs 4 ASVG verwendete Begriffe unter Verwendung der Gesetzesmaterialien interpretiert werden (Christian Hampl, berufskundliches Sachverständigengutachten vom 5. August 2000 Seite 2 ff; auszugsweise abgedruckt bei Rudda, Neuer Berufsschutz in der Pensionsversicherung, SozSi 2000, 852 [856 ff]). Nach Hampl ist die Wortfolge "eine Tätigkeit" nicht im Sinne einer einzigen (einheitlichen) Tätigkeit zu verstehen, sondern es sind hinsichtlich der Berufskarriere (Berufsgeschichte) die letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag zu prüfen und es können dabei auch bei mehreren ausgeübten Tätigkeiten - unter Bedachtnahme auf die wesentlichen Tätigkeitselemente (den Kernbereich) - sehr ähnliche Tätigkeiten zu einer Tätigkeit zusammengefasst werden (vgl auch Röhrenbacher aaO 849; Weiszensteiner/Warkoweil, Überlegungen zur Invaliditäts-(Berufsunfähigkeits-)Pension nach § 255 Abs 4 und § 273 Abs 2 ASVG, DRdA 2001, 145 ff [147]; Schrammel aaO). Auch der erkennende Senat vertritt die Auffassung, dass diese Auslegung am ehesten der bereits wiederholt erwähnten Absicht des Gesetzgebers bei der Schaffung der neuen Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG gerecht wird. Der erkennende Senat teilt auch die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass es sich bei der Tätigkeit des Klägers als Hilfsarbeiter in der Baubranche und seiner überwiegenden (vgl S 5 des Ersturteils) Tätigkeit als Hilfsarbeiter in der Metallwarenerzeugung aufgrund der näher beschriebenen Tätigkeitsmerkmale um sehr ähnliche Tätigkeiten gehandelt hat, welche daher im Sinne der dargelegten Ausführungen als "eine" Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG qualifiziert werden können. Nicht entscheidend ist hingegen, dass der Kläger diese Tätigkeiten bei verschiedenen Dienstgebern und in unterschiedlichen Branchen (Baubranche - Metallwarenerzeugung) verrichtet hat (vgl auch 10 ObS 185/02g). Die Vorinstanzen sind daher zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch "eine" Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG ausgeübt hat. Die Richtigkeit dieser Rechtsansicht wird im Übrigen von der beklagten Partei im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr bekämpft.
Invalidität bzw Berufsunfähigkeit nach § 255 Abs 4 ASVG liegt vor, wenn der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, dieser durch mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübten "einen" Tätigkeit nachzugehen. Der Gesetzgeber hat dieser auf einen reinen Tätigkeitsschutz hinweisenden Formulierung allerdings den Satz:
"Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen" angefügt, den Schrammel aaO zu Recht als "kryptisch" bezeichnet hat (vgl auch Tomandl, Die Verweisung im Recht der Pensionsversicherung in Tomandl [Hrsg], Wiener Beiträge zum Arbeits- und Sozialrecht Band 43 die Verweisung im Sozialrecht, 1 ff [6]). Aus den im Zuge der Beratungen des SVÄG 2000 im Ausschuss für Arbeit und Soziales getroffenen Feststellungen ergibt sich, dass ein anderer Tätigkeitsbereich als bisher jedenfalls unzumutbar ist, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten bedeuten würde wie zB das Anlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss (zB Bauhilfsarbeiter in die Textilbranche). Im Ergebnis soll mit der neuen Regelung auch bewirkt werden, dass entgegen der bisherigen Judikatur zu ungelernten Arbeitern die berufliche Entwicklung des Anspruchswerbers bei der Anspruchsprüfung berücksichtigt werden soll und beispielsweise für eine Person, die im Baubereich angelernte Tätigkeiten verrichtet hat, der Verweis auf die Tätigkeit als Portier ausgeschlossen sein soll. Daraus ist zu folgern, dass es einerseits - anders als nach der Rechtslage zur Vorgängerbestimmung des § 253d ASVG - nach der neuen Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG nicht ausreicht, dass der Versicherte diese "eine" durch 10 Jahre während der letzten 15 Jahre hindurch ausgeübte Tätigkeit nicht mehr verrichten kann (vgl § 253d Abs 1 Z 4 ASVG: "durch diese Tätigkeit" - § 255 Abs 4 ASVG: "einer Tätigkeit"), dass aber andererseits nach § 255 Abs 4 ASVG insbesondere ein sonst in Betracht kommendes Verweisungsfeld auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nach § 255 Abs 3 ASVG wesentlich eingeschränkt werden soll. Hampl teilt dazu die "eine" Tätigkeit in Tätigkeitsbereiche oder Segmente auf. Beispielsweise wird bei einem Bauhilfsarbeiter aufgesplittert: "Einrichten der Baustelle, Be- und Entladetätigkeiten, Bedienen von verschiedenen Baumaschinen und -geräten, Hilfestellung für Fachkräfte, Lagerung der Baustoffe und Reinigungsarbeiten an der Baustelle sowie am Bauplatz/Bauhof". Durch diese Zerlegung in Einzeltätigkeiten wird sodann die Tätigkeit eines Platzarbeiters, Baumaschinenführers (zB Turmdrehkranführer), Platz- und Werkstättenaufräumers aus berufskundlicher Sicht als mögliche Änderung im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG angeführt (kritisch zu dieser Vorgangsweise Weiszensteiner/Warkoweil aaO 147).
Wie der erkennende Senat in der Entscheidung 10 ObS 185/02g vom 17. 9. 2002 ausgeführt hat, muss eine Verweisung jedenfalls dann als zumutbar angesehen werden, wenn die Verweisungstätigkeit bereits bisher als eine Teiltätigkeit ausgeübt wurde und das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich ist (Schrammel aaO 889). Kriterien sind dabei neben dem kulturellen Arbeitsumfeld unter anderem auch die Kontakte mit Mitarbeitern sowie die räumliche Situation, etwa ob die Arbeiten im Freien oder am Fließband auszuüben sind (vgl Röhrenbacher aaO 852). Der Branche kann keine allein ausschlaggebende Bedeutung zukommen; sie kann aber bei der Konkretisierung des Umfelds eine Rolle spielen.
Entgegen der Ansicht des Rekurswerbers kann ohne Vorliegen entsprechender Feststellungen nicht beurteilt werden, ob ihm aufgrund seines Leistungskalküls die Verrichtung solcher nach § 255 Abs 4 ASVG noch in Betracht kommender Verweisungstätigkeiten zumutbar ist. Damit erweist sich der Aufhebungs- und Zurückverweisungbeschluss des Berufungsgerichtes als zutreffend, wobei der Ergänzungsauftrag an das Erstgericht vom Obersten Gerichtshof im Sinne der oben dargelegten Ausführungen noch zu präzisieren war.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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