Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es insgesamt zu lauten hat:
"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, besteht dem Grunde nach ab 1. 9. 2001 zu Recht.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von 600 EUR monatlich zu erbringen. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei weiters schuldig, der klagenden Partei für den Zeitraum von 1. 1. 2000 bis 31. 8. 2001 eine Invaliditätspension zu gewähren, wird abgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.149,19 EUR (darin 191,53 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit 485,86 EUR (darin 80,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 333,12 EUR (darin 277,60 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens bestimmten Prozesskosten zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 19. 8. 1944 geborene Kläger hat 1958 eine Lehre als Schlosser und Landmaschinenmechaniker begonnen, jedoch keine Lehrabschlussprüfung abgelegt. Ab 1968 arbeitete er als Bauschlosser bei einem Bauunternehmen mit Betonwerk und Kunststeinerzeugung; dort blieb er bis 1999 (mit saisonalen Unterbrechungen in den Jahren 1970 bis 1976) beschäftigt. Insgesamt hat der Kläger bis zum Stichtag 1. 9. 2001 493 Beitrags- und Ersatzmonate erworben. Innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag 1. 9. 2001 liegen mehr als 120 Beitragsmonate, in denen der Kläger jeweils die oben angeführte Tätigkeit ausgeübt hat.
Der Kläger musste dabei Stellagen aus Eisen bauen, wobei für ihn schwere Hebe- und Trageleistungen von 50 bis 60 kg angefallen sind. Er hat Ständer für diverse Bemusterungen produziert und in der Produktion verschiedener Ständerarten mitgewirkt. Hiezu bekam er Eisen angeliefert und musste es zuschneiden, vorfertigen und zusammenschweißen. Die Arbeiten verrichtete er selbständig. Als Techniken wurden Elektro- und Autogenschweißen verwendet. Er gebrauchte auch Trennscheiben, Trennsägen, Blechscheren und verschiedene Bohrelemente. Er hat selbst geschnitten, geschleift, gebohrt und geschweißt. In den letzten vier Jahren seiner Tätigkeit war der Kläger nur mehr in der Ständerproduktion eingesetzt. Weiters hat der Kläger bei Kanalverbauten im Tiefbau mitgearbeitet und musste dazu die Künettensicherungen herstellen. Dabei handelt es sich um mit einer Spindel verbundene Metallteile. Eine Spindel wiegt 50 bis 60 kg; sie musste fallweise vom Kläger allein angehoben werden.
Schließlich hat der Kläger beschädigte Metallteile ausgebaut und neue Teile eingeschweißt. Er war auch alleine verantwortlich für das richtige Zuschneiden dieser Teile.
Die Tätigkeit eines Bauschlossers beinhaltet eine höhere körperliche Beanspruchung. Beim Heben und Tragen von Werkstücken und Materialien wird schwere Arbeit durchgeführt. Vor allem bei Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten sind Zwangshaltungen, zB in gebückter oder verdrehter Körperhaltung notwendig.
Der Kläger ist noch für alle leichten und mittelschweren Arbeiten in allen Körperhaltungen geeignet. Ausgeschlossen sind Arbeiten, die überwiegend im Knien und in der Hocke durchzuführen sind, weiters Arbeiten, die im ständigen Gehen zu verrichten sind. Auch Arbeiten an hochexponierten Stellen wie Leitern und Gerüsten sind nicht möglich. Länger dauernde Zwangshaltungen sind ausgeschlossen. Dem Kläger ist eine Umschulung in einem Zeitrahmen von drei bis sechs Monaten möglich.
Der Kläger ist unter Berücksichtigung dieses Leistungskalküls nicht mehr in der Lage, als Bauschlosser in der Gesamtheit des Berufs tätig zu sein, da allein die als schwer anzusehenden Hebe- und Trageleistungen kalkülsüberschreitend sind. Weiters können länger dauernden Zwangshaltungen (im Bücken und Knien sowie in der Hocke) nicht ausgeschlossen werden.
Mit Rücksicht darauf, dass dem Kläger eine Umschulung in einem Zeitrahmen von drei bis sechs Monaten möglich ist, könnte er noch die Tätigkeiten eines Einstellers an CNC-gesteuerten Maschinen oder eines Fertigungsprüfers verrichten. Bei beiden Tätigkeiten handelt es sich um Teiltätigkeiten des Schlosserberufes. Arbeitsstellen kommen in einer Zahl von mehr als 100 österreichweit vor.
Die Tätigkeit eines Einstellers an CNC-gesteuerten Maschinen ist vor allem in Industriebetrieben verbreitet. Die Tätigkeit eines Schlossers beschränkt sich hier auf das Einstellen und Warten von halb- bzw vollautomatischen Werkzeugmaschinen sowie auf das Kontrollieren der produzierten Werkstücke. Die Daten für die Werkstückbearbeitung an einer CNC-Maschine werden von der Arbeitsvorbereitung übernommen; das Werkstück und das Werkzeug werden eingespannt, und die Daten werden mittels Tastatur eingegeben. Das Werkstück wird von der Maschine in die gewünschte Form gebracht. Am Ende des Bearbeitungsvorganges wird es kontrolliert. Mitunter kann auch die Reparatur und Wartung der Maschinen Teil des Tätigkeitsfeldes sein.
Die Tätigkeit des Fertigungsprüfers beinhaltet qualifizierte Kontrolltätigkeit, bei der aber die qualifizierten Kenntnisse einer Fachkraft (zB Schlosser, Schmied) erforderlich sind. Der Fertigungsprüfer überwacht den Arbeitsablauf der Fertigungsmaschinen und Fertigungsanlagen sowie die Produktqualität und führt gegebenenfalls Maßnahmen zur Qualitätssicherung durch. Zu diesen qualitätssichernden Maßnahmen zählt die laufende Kontrolle der Produkte durch Mess- und Regeleinrichtungen und gegebenenfalls die Veranlassung der Änderung der Maschineneinstellung durch die Einsteller bzw auch die Funktionskontrolle an den Endprodukten. Mitunter gehört auch die Instandhaltung und Wartung der Werkzeuge, Maschinen und Anlagen sowie die Einleitung von Reparaturmaßnahmen - soweit diese nicht selbst verrichtet werden können - zum Tätigkeitsfeld.
Mit Bescheid vom 19. 4. 2000 hat die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter den Antrag des Klägers vom 28. 12. 1999 auf Gewährung der Invaliditätspension abgelehnt.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Die Invalidität des Klägers sei nach § 255 Abs 2 ASVG (angelernte Facharbeiter) zu beurteilen, zum Stichtag 1. 9. 2001 zusätzlich nach § 255 Abs 4 ASVG (ältere Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr bereits vollendet haben). Da der Kläger noch die Verweisungsberufe eines Einstellers an CNC-gesteuerten Maschinen oder eines Fertigungsprüfers verrichten könne, sei die Gewährung einer Invaliditätspension sowohl ab dem Stichtag 1. 1. 2000 als auch ab dem Stichtag 1. 9. 2001 ausgeschlossen. Zu einem Anspruch auf Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG sei anzumerken, dass der Kläger sein arbeitskulturelles Umfeld nicht verlassen würde und ihm daher eine Änderung des bisher ausgeübten Berufes durchaus zumutbar wäre. Bei der bisher ausgeübten Tätigkeit eines Bauschlossers und der Tätigkeit eines Einstellers an CNC-gesteuerten Maschinen sowie der Tätigkeit eines Fertigungsprüfers handle es sich durchaus um vergleichbare Tätigkeiten. Zum einen verlasse der Kläger den Bereich der Metallverarbeitung nicht, zum anderen würden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durchaus auch Bauschlosser als Einsteller für CNC-gesteuerte Maschinen und als Fertigungsprüfer verwendet. Der einzige Unterschied bestehe darin, dass der Beruf eines Bauschlossers nicht im Werkstättenbereich, sondern auf Baustellen ausgeübt werde. Die Art der Metallbearbeitung bleibe jedoch die gleiche; nur das Schweißen würde wegfallen. Bohren, Schleifen und Schneiden sei im bisherigen Verwendungsgebiet des Klägers angefallen und sei auch in den Verweisungstätigkeiten zu verrichten. Seine typischen handwerklichen Beschäftigungen würden daher gleich bleiben.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die Tätigkeit eines CNC-Einstellers und eines Fertigungsprüfers würden sich in der Praxis gleichen. Beide hätten ihre Wurzeln im Lehrabschluss des Schlosser-, des Maschinschlosser-, des Werkzeugmechaniker- oder des Feinmechanikerberufes. Da der CNC-Maschineneinsteller die CNC-Maschine dahingehend einzustellen habe, dass sie während des Bearbeitungsvorgangs die gewünschten Dreh- oder Fräsarbeiten in richtiger Weise durchführe, die der Kläger zuvor als Schlosser oder Bauschlosser durchgeführt habe, handle es sich hiebei um eine im Kernbereich sehr ähnliche Tätigkeit wie die vom Kläger erlernte. Sie unterscheide sich im Wesentlichen offenbar dadurch, dass die Tätigkeiten, die der Kläger zuvor händisch erledigt habe, nunmehr durch Maschinen ausgeführt würden. Aus dem Umstand, dass der Kläger zuvor schwere Lasten tragen und bewegen habe müssen, was nunmehr maschinell geschehe, könne eine wesentliche Änderung des Tätigkeitsfeldes nicht abgeleitet werden. Die Metallbearbeitung und -verarbeitung stellen nach wie vor den Kernbereich der Tätigkeit des Klägers dar, auch wenn diese nunmehr maschinell durchgeführt werde. Die Tätigkeit eines Fertigungsprüfers gehe mit dem Beruf des CNC-Einstellers im Allgemeinen Hand in Hand: In der Zeit, in der die Maschine die gewünschten Dreh- oder Fräsarbeiten erledige, werde durch den Fertigungsprüfer, der zuvor als CNC-Einsteller die Maschine beschickt habe, die Ausführung der Arbeiten überwacht. Auch dies geschehe im selben arbeitskulturellen Umfeld, sodass dem Kläger eine diesbezügliche Änderung des bisher ausgeübten Berufes zumutbar sei. Der Umstand, dass der Kläger, wenn er an CNC-Maschinen arbeiten sollte, eine "Zusatzqualifikation in der Dauer von 6 bis 8 Wochen erwerben müsste, also an CNC-Maschinen eingeschult werden müsste", bedeute keinen Ausschluss von einer Verweisbarkeit in diese Richtung. "Solche Unterweisungen" seien dem Kläger durchaus zumutbar. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist teilweise berechtigt.
Vorweg ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei von Amts wegen von "Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG-Nov BGBl I 2002/1).
Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Invalidität des Klägers vor dem auf die Vollendung des 57. Lebensjahres folgenden Monatsersten im Hinblick auf seine Verweisbarkeit auf die Berufe eines Fertigungsprüfers (vgl SSV-NF 13/73 mwN; zuletzt 10 ObS 352/00p) oder CNC-Einstellers (vgl 10 ObS 375/98i) zu verneinen ist, entspricht der höchstgerichtlichen Judikatur.
Tritt eine Änderung des Gesundheitszustandes, eine Gesetzesänderung oder eine sonstige Änderung der Anspruchsvoraussetzungen (etwa auch die Erreichung eines bestimmten Lebensjahres, wenn dies zur Anwendung geänderter Voraussetzungen für den Anspruch auf die begehrte Leistung führt) während des aufgrund des Leistungsantrags eingeleiteten Verfahrens ein, ist die sich daraus ergebende Änderung bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Es wird durch eine solche Änderung, sofern sie für den erhobenen Anspruch von Bedeutung ist, ein neuer Stichtag ausgelöst und die Anspruchsvoraussetzungen sind zu diesem Stichtag zu prüfen (RIS-Justiz RS0085994 [T1] = RS0084533 [T1]). Im Hinblick auf das Geburtsdatum des Klägers (19. 8. 1944) sind die Anspruchsvoraussetzungen nach § 255 Abs 4 ASVG zum Stichtag 1. 9. 2001 zu prüfen.
Nach § 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000, BGBl I 2000/43, gilt als invalid der (die) Versicherte, der (die) das 57. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen.
In den Gesetzesmaterialien (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales AB 187 BlgNR XXI. GP 3 f) wird die Neuregelung folgendermaßen begründet:
"Aufgrund des am 23. Mai 2000 verkündeten Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Rechtssache C-104/98 , Buchner, wird die österreichische Rechtslage, nach der das Anfallsalter für die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (wegen Erwerbsunfähigkeit) für Frauen 55, für Männer 57 Jahre beträgt, als dem EG-Recht widersprechend angesehen, da dieser geschlechtsspezifische Unterschied der Richtlinie des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (Abl. 1979, L 6, S 24) widerspricht. Nach der vorhergehenden Judikatur des EuGH zu dieser Richtlinie hat dieses Urteil zur Folge, dass das benachteiligte Geschlecht solange Anspruch auf dieselben Vergünstigungen hat, als der nationale Gesetzgeber die EG-Widrigkeit nicht behoben hat. Daher haben de facto aufgrund dieses Urteils auch Männer einen Anspruch auf diese vorzeitige Alterspension bereits nach Vollendung des 55. Lebensjahres.
Mit Rücksicht darauf, dass im Entwurf eines SRÄG 2000 ohnehin die Aufhebung des § 253d ASVG samt Parallelbestimmung mit Wirksamkeit vom 1. Oktober 2000 vorgesehen ist, erweist es sich als notwendig, im Interesse der Rechtssicherheit sofort wirksame gesetzliche Maßnahmen zu setzen:
Entsprechend den im Entwurf eines SRÄG 2000 vorgesehenen Maßnahmen soll die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (wegen Erwerbsunfähigkeit) aufgehoben werden, und zwar bereits mit Wirksamkeit vom 1. Juli 2000. ...
Als flankierende Maßnahme zur Abfederung von Härten infolge der Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (wegen Erwerbsunfähigkeit) soll unter einem der Berufsschutz für Personen, die das 57. Lebensjahr bereits vollendet und durch 10 Jahre während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt haben, verbessert werden. Können diese Personen aufgrund einer Krankheit (eines sonstigen Gebrechens) die besagte Tätigkeit nicht mehr ausüben, so gelten sie unter den erwähnten Voraussetzungen als invalid (berufsbzw erwerbsunfähig), es sei denn, dass ihnen im konkreten Fall noch eine Änderung dieser Tätigkeit bzw eine Umorganisation des Betriebes in sachlicher wie personeller Hinsicht zugemutet werden kann". Weiters wurde im Ausschuss für Arbeit und Soziales in der Sitzung vom 31. 5. 2000 mit Stimmenmehrheit folgende Ausschussfeststellung angenommen:
"Der Ausschuss für Arbeit und Soziales geht davon aus, dass mit § 255 Abs 4 (§ 273 Abs 3) ASVG insbesondere für ungelernte Arbeiter und Angestellte in niedrigen Verwendungsgruppen ein wirksamer Berufsschutz geschaffen werden soll. Ein anderer Tätigkeitsbereich als bisher ist jedenfalls unzumutbar, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten bedeuten würde wie zB das Anlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss (zB Bauhilfsarbeiter in die Textilbranche). Im Ergebnis soll mit der neuen Regelung auch bewirkt werden, dass entgegen der bisherigen Judikatur zu ungelernten Arbeiten die berufliche Entwicklung des Anspruchswerbers bei der Anspruchsprüfung berücksichtigt werden und beispielsweise für eine Person, die im Baubereich ungelernte Tätigkeiten verrichtet hat, der Verweis auf die Tätigkeit als Portier ausgeschlossen sein soll."
Der Oberste Gerichtshof hat in den Entscheidungen 10 ObS 185/02g, 10 ObS 352/02s und 10 ObS 367/02x bereits eingehend zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG Stellung genommen und insbesondere ausgesprochen, dass beim Kriterium der "einen" Tätigkeit nicht allzu strenge Maßstäbe anzulegen sind (10 ObS 352/02s). Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der Kläger in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch "eine" Tätigkeit als Bauschlosser ausgeübt hat.
Der Gesetzgeber hat der auf einen reinen Tätigkeitsschutz hinweisenden Formulierung, wonach der Versicherte nicht mehr in der Lage sein darf, der "einen" durch mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübten Tätigkeit nachzugehen, den von Schrammel (Der Invaliditäts-/Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsbegriff nach dem SVÄG 2000, ecolex 2000, 886 ff [888]) zu Recht als "kryptisch" bezeichneten Satz angefügt: "Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen." (vgl auch Tomandl, Die Verweisung im Recht der Pensionsversicherung, in Tomandl [Hrsg], Wiener Beiträge zum Arbeits- und Sozialrecht Band 43 die Verweisung im Sozialrecht, 1 ff [6]). Aus den im Zuge der Beratungen des SVÄG 2000 im Ausschuss für Arbeit und Soziales getroffenen Feststellungen ergibt sich, dass ein anderer Tätigkeitsbereich als bisher jedenfalls unzumutbar ist, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten bedeuten würde wie zB das Anlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss (zB Bauhilfsarbeiter in die Textilbranche). Im Ergebnis soll mit der neuen Regelung auch bewirkt werden, dass entgegen der bisherigen Judikatur zu ungelernten Arbeitern nach § 255 Abs 3 ASVG die berufliche Entwicklung des Anspruchswerbers bei der Anspruchsprüfung berücksichtigt werden soll und beispielsweise für eine Person, die im Baubereich angelernte Tätigkeiten verrichtet hat, der Verweis auf die Tätigkeit als Portier ausgeschlossen sein soll.
Daraus ist zu folgern, dass es einerseits - anders als nach der Rechtslage zur Vorgängerbestimmung des § 253d ASVG - nach der neuen Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG nicht ausreicht, dass der Versicherte diese "eine" durch 10 Jahre während der letzten 15 Jahre hindurch ausgeübte Tätigkeit nicht mehr verrichten kann (vgl § 253d Abs 1 Z 4 ASVG: "durch diese Tätigkeit" - § 255 Abs 4 ASVG: "einer Tätigkeit"), dass aber andererseits nach § 255 Abs 4 ASVG insbesondere ein sonst in Betracht kommendes Verweisungsfeld auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nach § 255 Abs 3 ASVG wesentlich eingeschränkt werden soll. Die zumutbaren Änderungen der Tätigkeit sind somit offenkundig eng zu interpretieren (RIS-Justiz RS0100022 [T4]).
Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 185/02g vom 17. 9. 2002 ausgeführt hat, muss eine Verweisung jedenfalls dann als zumutbar angesehen werden, wenn die Verweisungstätigkeit bereits bisher als eine Teiltätigkeit ausgeübt wurde und das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich ist (Schrammel aaO 889). Kriterien sind dabei neben dem kulturellen Arbeitsumfeld unter anderem auch die Kontakte mit Mitarbeitern sowie die räumliche Situation, etwa ob die Arbeiten im Freien oder am Fließband auszuüben sind (vgl Röhrenbacher, Gedanken und Überlegungen zum neuen Invaliditätsbegriff, SozSi 2001, 846 ff [852]). Der Branche kann keine allein ausschlaggebende Bedeutung zukommen; sie kann aber bei der Konkretisierung des Umfelds eine Rolle spielen.
Der Oberste Gerichtshof vermag die Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht zu teilen, mit der Verweisung eines Bauschlossers auf die Tätigkeiten eines Einstellers an CNC-gesteuerten Maschinen oder eines Fertigungsprüfers würde der Rahmen der "zumutbaren Änderung" nicht überschritten. Abgesehen von dem nicht genau festgestellten, aber doch länger dauernden Umschulungsbedarf steht bei den genannten Verweisungstätigkeiten nicht die eigenhändige Produktion, sondern die Kontrolle maschineller Tätigkeiten im Vordergrund. Dazu sind Bauschlosserarbeiten typischerweise auf Baustellen (auch im Freien) zu verrichten, während die Verweisungstätigkeiten in Werkstätten und Betriebshallen angesiedelt sind. Damit ist ein anderes Arbeitsumfeld gegeben. Dem Umstand, dass hier wie dort Metall be- und verarbeitet wird, kann keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen, weil damit die vom Gesetzgeber (im Verhältnis zu § 255 Abs 3 ASVG) beabsichtigte Einschränkung des Verweisungsfeldes nicht gewährleistet werden kann. Ausgehend davon, dass für den Kläger ab 1. 9. 2001 keine zumutbaren Verweisungsberufe (im Rahmen des § 255 Abs 4 ASVG) in Betracht kommen, erweist sich das Klagebegehren insoweit als berechtigt, weshalb der beklagten Partei unter sinngemäßer Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO auch die Erbringung einer vorläufigen Zahlung aufzutragen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Der Honoraransatz für die Revision beträgt 173,50 EUR.
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