Normen
ABGB §1295
ABGB §1297
ABGB §1302
ABGB §1325 Einführungsverordnung zum Kraftfahrzeugverkehrsgesetz ArtIV
Reichsversicherungsordnung §633
Reichsversicherungsordnung §898
Reichsversicherungsordnung §899
Reichsversicherungsordnung §903
Reichsversicherungsordnung §1542
Reichsversicherungsordnung §1543
Strafgesetz §335
ZPO §268
ABGB §1295
ABGB §1297
ABGB §1302
ABGB §1325 Einführungsverordnung zum Kraftfahrzeugverkehrsgesetz ArtIV
Reichsversicherungsordnung §633
Reichsversicherungsordnung §898
Reichsversicherungsordnung §899
Reichsversicherungsordnung §903
Reichsversicherungsordnung §1542
Reichsversicherungsordnung §1543
Strafgesetz §335
ZPO §268
Spruch:
Das Gericht ist gemäß § 1543 RVO. an eine Feststellung des Versicherungsträgers gebunden, wer als Betriebsunternehmer in Betracht kommt.
Entscheidung vom 29. November 1950, 2 Ob 760/50.
I. Instanz: Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Der Klage liegt ein Unfall vom 9. Oktober 1945 zugrunde, bei dem ein dem Zweitbeklagten gehöriger und vom Erstbeklagten, der damals als Kraftfahrer in Diensten des Zweitbeklagten stand, gelenkter Lastkraftwagen durch eine Straßenbrücke brach. Der Erstbeklagte, der im Strafverfahren zugab, mit dem mehr als sieben Tonnen schweren Wagen über die nur bis zu vier Tonnen belastungsfähige Brücke gefahren zu sein, wurde wegen Übertretung gegen die körperliche Sicherheit nach § 335 StG. rechtskräftig verurteilt. Durch den Unfall wurde der im Dienste des Sägewerkes Heinrich Ch. stehende Holzarbeiter Franz M., der die Fahrt auf dem mit Blochholz beladenen Lastkraftwagen und nicht im Führerhaus des Fahrzeuges mitmachte, schwer verletzt. Die Unfallversicherungsanstalt, die dem Verletzten Leistungen in der vorläufigen Höhe von 13.506.83 S gewährt hat, begehrt, gestützt auf § 1542 RVO., von beiden Beklagten den Ersatz dieser Leistungen.
Das Erstgericht entschied mit Zwischenurteil, daß der Anspruch der klagenden Partei dem Gründe nach zu Recht bestehe. Es stellte fest, daß der von den Beklagten behauptete Haftungsausschluß zwischen dem Erstbeklagten und Franz M. nicht vereinbart worden sei. Ein mitwirkendes Verschulden des Verletzten liege nicht vor, die Berufung auf ein Verschulden dritter Personen (Straßenbauverwaltung und Fahrbereitschaftsleitung der Bezirkshauptmannschaft Liezen) sei unzulässig, der Einwand der Beklagten, der gegenständliche Lastkraftwagen und der Erstbeklagte seien zur Zeit des Unfalles in den Betrieb des Sägewerksunternehmens Heinrich Ch. eingeschaltet gewesen, sei rechtlich unerheblich.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge.
Der Oberste Gerichtshof bestätigte das Urteil des Berufungsgerichtes.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Mit ihren Ausführungen zu dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wendet sich die Revision zunächst gegen die Auffassung der Untergerichte, daß ein bei dem gegenständlichen Unfall gegebenes Verschulden dritter Personen unberücksichtigt zu bleiben habe, und bekämpft die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß eine Abgrenzung der Haftungsteile der in Betracht kommenden Verschuldensträger (Baubezirksleitung und Bezirkshauptmannschaft L.) im Sinne des § 1302 ABGB. nicht möglich sei, weil sich die Anteile nicht bestimmen lassen. Die Revision beruft sich insbesondere auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Ing. P., wonach die Ursache des Zusammenbruches der Brücke in der morschen Beschaffenheit der Hauptträger der Brücke sowie des Zwischenjoches gelegen sei. Sie verweist ferner auf die Tatsache, daß die Bezirkshauptmannschaft L. den gegenständlichen Lastkraftwagen für das in D. gelegene Autounternehmen des Zweitbeklagten zur Verfügung gestellt habe, dessen Eigengewicht im Hinblick auf die dortigen Brückenverhältnisse zu hoch war. Das Berufungsgericht hätte daher bei richtiger rechtlicher Beurteilung der Rechtssache den Verschuldensanteil dritter Faktoren gemäß § 1302 ABGB. ausmessen müssen, und zwar schätzungsweise mit einem Verschuldensanteil von mindestens zwei Dritteln. Es bestehe keineswegs von vornherein eine Gesamthaftung, weshalb um so mehr die Verschuldensteilung Platz zu greifen habe.
Diese Ausführungen der Revision gehen deshalb fehl, weil sie die Bestimmung des § 1302 ABGB. unrichtig auslegen. Wenn mehrere Personen durch ihr Handeln oder Unterlassen einen Schaden schuldhaft herbeiführen, so haften sie grundsätzlich alle für einen und einer für alle, wenn sich die Anteile des Schadens nicht bestimmen lassen, die die einzelnen dem Beschädigten zugefügt haben. Auf die Größe des den einzelnen treffenden Verschuldens kommt es nicht an, sondern darauf, ob gewisse Teile des angerichteten Schadens nur auf den einen oder den anderen Schädiger zurückzuführen sind (SZ. XX/246, EvBl. 1943, Nr. 247). Eine solche Teilung ist aber im vorliegenden Falle nicht möglich.
In diesem Punkte erweist sich somit die Rechtsrüge der Revision als ungerechtfertigt.
In weiterer Ausführung des Revisionsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wirft die Revision die Frage auf, ob in diesem ungewöhnlichen Falle das gegen den Erstbeklagten ergangene strafgerichtliche Urteil für das Zivilgericht bindend sei. Dies wäre nur dann der Fall, wenn dadurch die wirkliche Ursache des Unfalles, nämlich der morsche Zustand der Brücke, festgestellt worden wäre. Der Strafakt enthalte aber nur einen Urteilsvermerk. Eine eingehende Begründung des Schuldspruches sei dem Urteilsvermerk nicht zu entnehmen.
Aber auch diese Ausführungen der Revision sind nicht stichhältig. Es ist völlig unerheblich, worin im einzelnen das strafgesetzwidrige Verhalten des Erstbeklagten bestanden hat und ob es allein ursächlich für den Verletzungserfolg des Holzarbeiters Franz M. gewesen ist. Durch das verurteilende rechtskräftige Erkenntnis des Strafgerichtes ist bezüglich des Erstbeklagten in bindender Weise für das Zivilgericht (§ 268 ZPO.) festgestellt worden, daß zwischen der strafbaren Handlung des Erstbeklagten und dem dem Verletzten Franz M. zugefügten Schaden ein kausaler Zusammenhang besteht. Hieraus ergibt sich die Verbindlichkeit des Erstbeklagten zum Schadenersatz (§§ 1295 ff. ABGB.).
Die Revision bekämpft ferner die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, daß das Handeln des verletzten Franz M., selbst wenn er auf der Holzladung saß, nicht unzweckmäßig gewesen sei und daß die Wahl seines Platzes zu dem Unfall in keinem ursächlichen Zusammenhang stehe. Diese Rechtsansicht sei irrig, sie stehe auch im Widerspruch mit dem Gutachten des Sachverständigen, der erklärt habe, daß jeder Mitfahrer, der auf der Plattform eines Wagens in einer Weise Platz nimmt, welche nicht der ordnungsgemäßen Unterbringung auf Sitzen entspricht, selbst die entsprechende Sorgfalt aufwenden müsse, um die Fahrt gesichert mitmachen zu können. Franz M. habe sich selbst den gefährlichen Platz auf der Ladung ausgesucht. Er habe die Aufforderung des Erstbeklagten, im Führerhaus Platz zu nehmen, abgelehnt. Von einem erwachsenen Menschen müsse bei der Mitfahrt auf einem Holzauto verlangt werden, daß er selbst auf seine möglichste Sicherheit bedacht ist, wie dies auch der Rechtsvermutung des § 1297 ABGB. entspreche. Wäre Franz M. nicht auf den Holzstämmen gesessen, wäre er nicht oder zumindest nicht so schwer verletzt worden.
Allein auch diese Ausführungen der Revision sind nicht geeignet, in der Frage des Kausalzusammenhanges, die von den Unterinstanzen durchaus zutreffend im Sinne der Adäquanztheorie gelöst wurde, eine andere Entscheidung herbeizuführen. Wenn Franz M. die Aufforderung, im Führerhaus Platz zu nehmen, ablehnte, so wollte er damit zum Ausdruck bringen, daß er sich getraue, auf der Holzladung des Wagens zu fahren, und daß er das Risiko eines Schadens für den Fall auf sich zu nehmen bereit sei, als dieser etwa bei normalem Verlauf der Fahrt eintreten sollte, nicht aber für den Fall, als der Schaden durch ein strafrechtliches Verschulden des Lenkers entstehen sollte, woran er fraglos nicht gedacht hat und auch nicht denken konnte. Von einem mitwirkenden Verschulden des verletzten Franz M. kann daher keine Rede sein.
Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung führt die Revision weiter aus, daß der Holztransport zum Sägewerk Heinrich Ch., also das Aufladen, der Transport selbst und das Abladen, naturgemäß einen einheitlichen Betriebsvorgang im Bereich des gewerblichen Unternehmens Heinrich Ch. darstelle. Der Betriebsunfall habe sich demnach im Betriebsbereich der Firma Heinrich Ch. ereignet, die auch über den Lastkraftwagen verfügt und nach deren Weisung der Lastkraftwagen den Transport durchzuführen hatte. Nehme man die Betriebseinheit als gegeben an, dann könnten Ersatzansprüche der klagenden Partei gegen die beiden Beklagten nach den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung überhaupt nicht gestellt werden, da die diesbezüglichen Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung eine lex specialis darstellten, durch welche die Haftung nach anderen gesetzlichen Bestimmungen ausgeschlossen werde.
Nehme man aber an, daß kein einheitlicher Betriebsvorgang im Betrieb der Firma Heinrich Ch. vorliege, sondern zwei Betriebsvorgänge, nämlich der eine im Betrieb der Firma Heinrich Ch., der andere im Betrieb des Zweitbeklagten, dann sei die Haftung des Zweitbeklagten gemäß § 898 RVO. ausgeschlossen, weil strafgerichtlich nicht festgestellt wurde, daß der Zweitbeklagte den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hätte.
Abgesehen davon könne die Haftung des Zweitbeklagten als Unternehmer auch nach § 903 RVO. nicht in Anspruch genommen werden, weil die Voraussetzung hiefür, nämlich eine strafgerichtliche Feststellung einer Fahrlässigkeit des Zweitbeklagten, nicht vorliege. Eine Haftung des Erstbeklagten gemäß § 903 RVO. für die Ersatzforderung der klagenden Partei wäre nur dann gegeben, wenn der Erstbeklagte im Sinne des § 899 RVO. als Repräsentant des Unternehmers oder als Betriebs- und Arbeitsaufseher angesehen werden könnte.
Die Haftung der beiden Beklagten lediglich auf Grund der strafgerichtlichen Verurteilung des Erstbeklagten und gemäß den Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechtes über Schadenersatz könne zur Begründung des verurteilenden Erkenntnisses nicht herangezogen werden, weil für den gegenständlichen Betriebsunfall lediglich die Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung anzuwenden seien. Die Haftung für die Anwendung der klagenden Partei sei nur unter den Voraussetzungen des § 903 RVO. möglich. Fehlen diese Voraussetzungen, gäbe es auch keine Ersatzpflicht.
Von der Revision wird in diesem Zusammenhang auch darauf verwiesen, daß Art. IV der EVzKFG. nicht angewendet werden könne, weil die Spezialbestimmung des § 903 RVO. eine solche Haftung des Unternehmers nicht vorsehe.
Auch diese Ausführungen der Revision erweisen sich bei näherer Untersuchung als unstichhältig. Die Revision selbst bestreitet nicht, daß der verunglückte Franz M. im Dienst des Sägewerksbesitzers Heinrich Ch. gestanden ist und daß sich der Betriebsunfall im Betriebsbereich des Unternehmens Heinrich Ch. ereignet hat. Die klagende Partei hat ihre Entschädigungspflicht aus diesem Betriebsunfall gegenüber dem entschädigungsberechtigten Franz M. anerkannt. Dies ergibt sich aus dem in dieser Richtung nicht bestrittenen Klagsvorbringen und kann wahrscheinlich auch dem von der klagenden Partei in der Klage erwähnten Entschädigungsbescheid entnommen werden, der aber von ihr nicht vorgelegt wurde. Hat nun aber die klagende Partei sich dahin festgelegt, daß als Betriebsunternehmer das Sägewerk Heinrich Ch. in Betracht kommt, dann ist das Gericht hieran zufolge der Bestimmung des § 1543 RVO. gebunden. An diese Feststellung ist aber die Folgerung zu knüpfen, daß der Zweitbeklagte nicht als Unternehmer im Sinne des § 633 RVO. und demzufolge der Erstbeklagte auch nicht als Repräsentant des Unternehmers oder als Betriebsaufseher in Betracht kommt und daß ihnen daher die Berufung auf § 898 RVO., bzw. § 899 RVO. zu versagen ist (vgl. Geigel, der Haftpflichtprozeß, 4. Aufl., S. 313, und die dort angeführten Entscheidungen des Reichsgerichtes).
Insoweit sich die Revision auf die Bestimmung des § 903 RVO. beruft, übersieht sie, daß die Bestimmung nur die Haftung der Unternehmer oder der ihnen nach § 899 RVO. Gleichgestellten gegenüber den Berufsgenossenschaften, Krankenkassen, Trägern der Armenfürsorge usw. betrifft. Die klagende Partei hat aber nicht den ihr im § 903 RVO. verliehenen selbständigen und eigenen Ersatzanspruch gegen die Beklagten erhoben, sondern sie nimmt vielmehr im Sinne der Bestimmung des § 1542 RVO. aus den Rechten des verletzten Franz M. gegen die Beklagten Rückgriff. Da der Anspruch, der nach § 1542 RVO. auf die Berufsgenossenschaft übergeht, ein Anspruch des durch den Unfall Verletzten oder seiner Hinterbliebenen ist, können Einwendungen gegen den Anspruch auch nach dessen Übergang auf die Berufsgenossenschaft nur aus der Person des Verletzten hergeleitet werden (JW. 1937, S. 745).
Demnach stehen der Geltendmachung der bürgerlich-rechtlichen Schadenersatzansprüche durch die klagende Partei, die in diesem Prozeß die Stelle des verletzten Franz M. einnimmt, die von der Revision herangezogenen Spezialbestimmungen der Reichsversicherungsordnung in keiner Weise entgegen. Es ist daher auch völlig unerheblich, ob der Zweitbeklagte den Unfall vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat und ob hierüber eine strafgerichtliche Feststellung vorliegt. Die bürgerlich-rechtliche Schadenersatzpflicht nach den Bestimmungen der §§ 1325 ff. ABGB. ergibt sich für den Zweitbeklagten als den Halter des Lastkraftwagens auf Grund des Art. IV EVzKFG., worauf bereits von den Unterinstanzen hingewiesen wurde (vgl. auch SZ. XXII/1 und 159).
Mit den Revisionsgrunden der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens wendet sich die Revision schließlich dagegen, weil beide Untergerichte die Einwendung der Beklagten völlig unbeachtet gelassen haben, daß die lange Heilungsdauer und die Unfallsfolgen, daher auch die für den verunglückten Franz M. gemachten Aufwendungen, zum Großteil auf nicht sachgemäße ärztliche Behandlung zurückzuführen seien. Es handle sich hier um Einwendungen, die nicht bloß die Höhe, sondern auch den Grund des Anspruches betreffen.
Die in dieser Richtung erhobene Mängelrüge der Revision kann aber nicht berücksichtigt werden, weil der von der Revision aufgezeigte Mangel bereits dem erstgerichtlichen Verfahren anhaftete und daher schon in der Berufung hätte beanstandet werden müssen. Da die Beklagten dies jedoch unterlassen haben, können sie ihn auch nicht als einen Mangel des Berufungsverfahrens in der Revisionsinstanz geltend machen.
Auch der in diesem Belange erhobenen Rechtsrüge der Revision kann ein Erfolg nicht beschieden sein. Die obigen Einwendungen der Beklagten betreffen Tatsachenbehauptungen, deren Geltendmachung der Parteiendisposition der Beklagten sowohl in der ersten Instanz als in der Berufung vorbehalten war. Da die Beklagten es unterlassen haben, die Nichtberücksichtigung ihrer Einwendungen durch das Erstgericht in der Berufung zu rügen, bestand diese Einwendung für das Berufungsgericht nicht mehr. Wenn das Berufungsgericht daher diese Einwendung unberücksichtigt ließ, kann ihm unrichtige rechtliche Beurteilung nicht zum Vorwurf gemacht werden. Da das Revisionsverfahren nur den Zweck hat, das Urteil des Berufungsgerichtes zu überprüfen, war es unzulässig, in der Revision eine Einwendung vorzubringen, die die Beklagten im Berufungsverfahren nicht geltend gemacht haben (ZBl. 1920, Nr. 158, ZBl. 1922, Nr. 213).
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